Kapitel 32

W er hat den Kaffee und die Donuts mitgebracht?«, wollte Lunis wissen, während er in der Luft schwebte und nur so viel mit den Flügeln schlug, dass er und Sophia in der Luft blieben.

Neben ihnen befanden sich Simi und Wilder in einer ähnlichen Position, hoch in der Luft über dem Pazifik.

»Ich habe Studentenfutter dabei.« Wilder hielt eine Tüte mit Nüssen und getrockneten Cranberries hoch.

»Du verstehst schon, dass du der absolut Schlimmste bist.« Lunis stöhnte dramatisch. »Na ja, wenn Simi nicht dabei ist. Sie übertrifft dich.«

Wilder lachte und steckte sich eine Handvoll Nüsse in den Mund. »Wenn du anfängst, sentimental zu werden, wird es schwierig, sich auf diese Überwachung zu konzentrieren. Ich muss ständig auf der Hut sein.«

Sophia gluckste. Die beiden und ihre Drachen befanden sich außerhalb der Heimatinsel der Elfen auf Hawaii und in der Nähe der Barriere, die sie vom gestohlenen Gebiet der Halunkenreiter fernhielt.

Der Plan war, zu warten, bis einer der dämonischen Drachenreiter über die Barriere hinein- oder aus ihr herauskam und ihn zu konfrontieren. Im besten Fall konnten sie diesen Drachenreiter davon überzeugen, die Seiten zu wechseln, indem sie ihm klarmachten, dass es selbst für Dämonendrachenreiter nicht in Ordnung war, sich auf der ganzen Welt einzumischen.

Wenn das nicht klappte, mussten sie zu Plan B übergehen, bei dem sie gegen den Halunkenreiter um den Seelenstein kämpften. Für den nächsten Teil des Plans brauchten sie nur einen Stein, aber den zu bekommen, war der schwierige Teil.

»Sophia, hast du etwas Süßes dabei?«, fragte Lunis.

»Ich habe eine Tasche voller Jolly Ranchers.«

»Weil du nicht die Allerschlimmste bist.« Der blaue Drache seufzte. »Merk dir das, Veganer. Süßigkeiten. Kein Studentenfutter. Es ist fast Halloween.«

»Als was willst du dich dieses Jahr verkleiden?«, erkundigte sich Wilder bei Lunis.

»Ich werde mich weiß anmalen und keine Persönlichkeit haben«, antwortete er.

»Oh, du gehst also als Schaf!«, rief Wilder aus.

Lunis schüttelte den Kopf. »Nein, ich gehe als Simi. Juhuuuu!«

Der weiße Drache, der neben ihnen schwebte, tat so, als hätte er den Scherz nicht gehört.

Sophia gähnte und wünschte sich für einen Moment, sie wäre wieder im Bett des Happily-Ever-After-College. Das war bei weitem der gemütlichste Ort, an dem sie je geschlafen hatte und neben Desserts aufzuwachen war unglaublich.

Sie waren seit über einer Stunde in den Wolken verborgen, ohne auch nur ein Zeichen eines dämonischen Drachenreiters zu sehen. Sophia wusste jedoch, dass sie die Barriere zur Insel bald passieren mussten. Nach dem, was Mae Ling ihr erzählt hatte, konnte man innerhalb der geschützten Zone keine Portale erstellen. Es funktionierte ähnlich wie bei der Barriere der Gullington. Nach allem, was Sophia gehört hatte, waren die Halunkenreiter außerhalb ihres Hauptquartiers sehr aktiv, schikanierten und bestahlen Sterbliche und magische Wesen – sie machten keine Unterschiede, wen sie ausraubten.

»Mir ist langweilig.« Lunis kopierte Sophias Gähnen.

»Nur langweilige Leute langweilen sich«, stichelte Wilder.

»Wenn ich nicht sicher wäre, dass du von deiner ganzen veganen Kost furchtbar schmeckst, würde ich dich fressen«, drohte Lunis.

Sophia holte die Teile des Schlüssels, die Trin ihr bei ihrer Rückkehr vom Happily-Ever-After-College gegeben hatte, aus ihrer Tasche. Jetzt hatte sie zwei. Sie probierte verschiedene Möglichkeiten aus, sie zusammenzusetzen, aber irgendetwas fehlte. Sie nahm an, dass sie mehr Teile brauchte, damit sie zusammenpassten.

»Weißt du, was für einen müden Drachen auf dem Spiel steht?«, fragte Lunis.

»Vom Himmel fallen und seinen Reiter töten?«, bot Wilder an.

Lunis schüttelte den Kopf. »Ein flammendes Gähnen.«

Sophia stöhnte. Wilder gluckste. Simi verdrehte die Augen.

»Wenn ich meine Junggesellenbude bekomme, Simi …« Lunis ließ den Satz in der Luft hängen.

»Ja?«, fragte der weiße Drache nach.

»Dann darfst du nur vorbeikommen, wenn du mir einen Witz erzählst«, antwortete er.

Wilder beugte sich vor und tätschelte seinen Drachen. »Ich habe ein paar Witze für dich.«

»Aber sie müssen lustig sein und dürfen nicht dazu führen, dass ich mich umbringen will.« Lunis warf dem anderen Drachenreiter neben ihnen einen Blick zu.

»In Ordnung«, zwitscherte Wilder. »Erzähl mir einen Witz, Lunis.«

»So funktioniert das nicht«, konterte Lunis. »Ich bin kein Affe, der nach Lust und Laune für dich arbeitet. Ich bin ein majestätischer Drache, mit dem Wissen meiner gesamten Rasse in meinem Bewusstsein. Das war ich schon immer und werde ich immer sein. Ich bin zeitlos und verfüge über die Macht, die mir die Engel und Mutter Natur gegeben haben, bevor die Menschen auch nur einen Funken einer Idee hatten. Ich lasse mir nicht befehlen, einen Witz zu erzählen, als wäre ich dein Zirkusclown.«

Der spielerische Ausdruck auf Wilders Gesicht verschwand. »Ich entschuldige mich aufrichtig. Es tut mir leid, wenn ich dich beleidigt habe.«

»Nun, das hast du«, schnauzte Lunis. »Konzentrieren wir uns auf diese Überwachung. Ich will von jetzt an nur noch über Dinge sprechen, die damit zu tun haben.«

Sophia schüttelte den Kopf, denn sie wusste genau, wohin das führen würde.

»Okay, das ist in Ordnung.« Wilder warf Sophia einen verwirrten Blick zu und fiel auf Lunis Streich herein.

»Apropos«, begann Lunis, seine Stimmlage war ernst. »Ich hatte einen Freund, einen Amerikaner, der hinter einem Dieb her war und darauf wartete, ihn auf frischer Tat zu ertappen. Es gab zwei Verdächtige. Der eine war ein Kanadier und der andere ein Eskimo. Mein Freund und ich waren bei dieser Überwachung dabei und er sagte mir, dass sein Bauchgefühl ihm sagt, dass der wahre Täter der Eskimo ist. Nun, nach einer langen Observierung fanden wir heraus, dass der Eskimo der Dieb war. Mein Freund dreht sich zu mir um und sagt: ›Inuit‹.«

Sophia stöhnte und schüttelte ihren Kopf.

Ein abruptes Lachen kam aus Wilders Mund.

Simi stieß eine Rauchwolke aus und knurrte.

»Das hätte ich kommen sehen müssen.« Wilder lachte immer noch.

»Weil Lunis keine Freunde hat«, bemerkte Simi.

Der blaue Drache funkelte sie mit seinen Augen an. »Das klang fast wie ein Scherz. Wer behauptet immer, dass man einem alten Drachen keine neuen Tricks beibringen kann? Wie alt bist du noch mal?«

»Dreihundertdreiunddreißig«, antwortete der weiße Drache.

Lunis pfiff durch seine Zähne und schüttelte den Kopf. »Du siehst viel älter aus. Vielleicht versuchst du es mit einer Nachtcreme.«

Sophia und Wilder lachten, aber Simi wirkte überhaupt nicht amüsiert.

»Glaubst du, die Halunkenreiter sind getarnt, wenn sie die Barriere verlassen?«, wollte Sophia wissen. Sie hatte das Gefühl, dass sie schon längst jemanden hätten kommen oder gehen sehen müssen.

Wilder dachte darüber nach. »Das glaube ich nicht. Nach dem, was ich erfahren habe, sind sie nicht so gut in Magie.«

Sophia runzelte die Stirn. »Ich mache Verkleidungen oder Tarnungen, seit ich etwa fünf Jahre alt bin.«

Er verdrehte die Augen. »Nicht jeder ist wie Sophia Beaufont und bekommt seine Magie, bevor er seinen ersten Zahn verliert. Die meisten erwachsenen Magier können keinen Tarnzauber aufrechterhalten, schon gar nicht über längere Zeit.«

Sophia überlegte. »Den Halunkenreitern fehlt es ein wenig in Sachen Magie. Aus diesem Grund haben sie sich auf Technik verlassen, um dich einzusperren, anstatt einen Sperrzauber zu benutzen.«

»Ich habe festgestellt, dass sie absonderliche Fähigkeiten haben«, erklärte Wilder. »Ihre Drachenreit- und Kampffähigkeiten sind nicht so ausgefeilt, wie man es erwarten könnte. Sie verlassen sich auf weniger magische Strategien, zum Beispiel benutzen sie Seelensteine, um eine Barriere zu überwinden, anstatt einen Zauber zu sprechen, der sicherer wäre. Dann allerdings überraschten sie mich mit der Verstärkung, die sie an der Grube hatten, in der sie mich gefangen hielten, also besitzen sie die Fähigkeiten, setzen sie aber nicht in allen Bereichen ein.«

»Das ist interessant«, überlegte Sophia. »Sie scheinen das Gegenteil von uns zu sein, die wir Magie für so ziemlich alles benutzen und uns von Magitech fernhalten, es sei denn, wir brauchen sie.«

Lunis gähnte, da er den Gedanken anscheinend nicht interessant fand. Sophia tätschelte seinen Nacken, als er sich senkte, als würde er einschlafen – was nicht gut wäre, da sie mehrere hundert Meter hoch in der Luft waren.

»Wach bleiben!«, ermutigte sie ihn.

Er schüttelte den Kopf und wehrte sich gegen die Müdigkeit. »Gut. Wer hätte gedacht, dass Observierungen so langweilig sind? In den Filmen sind sie immer so spannend, weil die Polizisten durch ein Fernglas gucken oder in den Autositzen runterrutschen müssen, wenn der Verdächtige vorbeifährt.«

»Ich habe mein Fernglas zu Hause vergessen«, scherzte Wilder.

Sophia lachte und war dankbar, dass sie sich nicht auf solche Methoden verlassen mussten.

»Von den Mädchen in meiner Klasse ist nur eine Jungfrau?«, erzählte Lunis ganz nebenbei.

»Bei den Engeln!«, rief Wilder entsetzt.

»Die anderen sind Fische, Widder, Stier …!« Lunis lachte laut und erhob sich ein wenig in die Luft.

Als Wilder gluckste, warf Sophia ihm einen schimpfenden Blick zu. »Lach nicht. Das ermutigt ihn nur.«

»Übrigens, Veganer werden nicht beerdigt«, stellte Lunis fest.

»Was?«, antwortete Wilder.

Sophia schüttelte den Kopf. »Im Ernst …«

»Sie werden kompostiert!«, grölte Lunis.

Wilder grinste. »Das hätte ich wirklich kommen sehen müssen.«

»Das hättest du tatsächlich tun sollen«, meinte Simi.

»Es reicht jetzt, Lunis«, befahl Sophia, als ihr Drache Luft holte.

»Gut«, murmelte Lunis und klang niedergeschlagen. »Weißt du, warum Dracula kein Veganer ist?«

»Warum?«, fragte Wilder und unterdrückte ein amüsiertes Lächeln.

»Weil die Pfähle ihn töten!«, rief Lunis aus. »Und das ist kein Scherz, Sophia, also bitte sehr.«

»Okay, keine Witze mehr, in denen es um Veganer, kleine Mädchen oder Ähnliches geht«, befahl Sophia und tat so, als sei sie ernst.

»Das ist in Ordnung«, erwiderte Lunis. »Aber ich muss etwas über einen meiner Freunde gestehen, von denen ich sehr viele habe, Simi.«

»Aber sicher doch«, antwortete der weiße Drache.

»Echte Freunde? Nicht nur die Tiere in Animal Crossing?«, fragte Sophia.

»Die zählen auch!«, bestand Lunis darauf.

»Was musst du denn gestehen?«, fragte Wilder, denn er wusste es nicht besser, als sich von dem blauen Drachen verführen zu lassen.

»Ich glaube, dass dieser Freund von mir ein Vampir ist«, gestand Lunis sehr überzeugend.

»Oh?«, überlegte Wilder. »Warum ist das so?«

»Ich habe ihm einen Holzpflock ins Herz gestoßen und er ist gestorben!« Lunis’ Lachen dröhnte unter Sophia.

Sie wollte sich gerade beschweren, dass sie geschmacklose Witze abbestellt hatte , da tauchte plötzlich ein dämonischer Drachenreiter auf und flog durch die Barriere um die Heimatinsel der Elfen. Sophia verkrampfte sich. Sie konnte nicht glauben, welcher der Halunkenreiter da zuerst auftauchte.