D ie Burg musste gewusst haben, dass Sophia aufgeregt war, denn als sie mit Wilder neben ihr den Eingang betrat, ertönte ihr Lieblingslied aus einem unsichtbaren Lautsprecher. In Wahrheit gab es gar keinen Lautsprecher, denn die Musik kam durch Magie. Das Lied Mister Blue Sky von Electric Light Orchestra wirkte wie Magie auf sie und ließ sie sofort lächeln, während das Gewicht von Tanners Tod aus ihrem Herzen wich.
Sophia war klar, dass Wilder und sie einfach getan hatten, was sie tun mussten. Sie hatten Tanner eine Wahl gelassen. Sie hatten ihn vor den Konsequenzen gewarnt, wenn er sich nicht fügte. Er hatte seine Wahl getroffen und sich für den Kampf gegen die Drachenelite entschieden.
Es tat Sophia immer noch im Herzen weh, zu wissen, dass der Reiter so viel weniger erfahren war als sie und Coal bei weitem nicht so stark. Aber Tanner hatte sich entschieden, für die Diebe zu arbeiten und hatte Wilder angegangen, als er von den Halunkenreitern gefangen gehalten und gefoltert wurde. Er war kein guter Mensch und Sophia sagte sich, dass er bekommen hatte, was er verdiente. Trotzdem war das eine bittere Pille, die sie schlucken musste.
Das Töten eines Drachen und eines Reiters war nichts, was sie auf die leichte Schulter nahm. Coal gehörte zu den neuen Drachen und sein Tod bedeutete einen Drachen weniger auf der Welt – für immer. Nach den vorhandenen gab es keine Eier mehr und wenn ein Drache starb, gab es keinen Ersatz für ihn. Aber manchmal musste auch eine seltene Art ausgelöscht werden.
Wilder spürte auch, dass Sophia über das Geschehene aufgeregt war und legte seine Arme um sie und hielt sie fest. Sie wusste, dass es auch für ihn nicht einfach war, besonders der letzte Teil. Die Körper von Tanner und Coal waren nach der Explosion der Granate fast nicht mehr zu erkennen. Sophia und Wilder mussten jedoch ihre Überreste durchsuchen, um den Seelenstein zu finden, der die Explosion unbeschadet überstanden hatte.
Sie blieben einen langen Moment lang so umarmt allein im Eingangsbereich der Burg stehen.
Als das Lied endete, löste sich Wilder leicht von Sophia und gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn.
»Burg, mein Lieblingslied ist Heroes von Alesso, aber das weißt du ja schon«, meinte Wilder mit seinem typischen Grinsen. »Ich erinnere dich nur daran.«
Sophias zweites Lieblingslied, Dream On von Aerosmith, begann zu spielen. Sie lachte und vergrub ihren Kopf in seiner Schulter.
»Oh, was für eine eklatante Bevorzugung«, stichelte Wilder und tat so, als wäre er beleidigt.
Trin streckte ihren Kopf aus dem Speisesaal. »Oh, du bist wieder da. Ich habe etwas zu essen gemacht, falls du hungrig bist.«
»Ich bin am Verhungern.« Wilder löste sich von Sophia.
Trin zeigte auf Sophia. »Ich habe mit ihr geredet, aber ich kann dir ein bisschen Salat schneiden. Was ich für Sophia habe, wirst du nicht wollen.«
Wilder warf seine Arme nach oben. »Mal im Ernst, gibt es mich überhaupt für euch noch, Leute?«
Trin neigte den Kopf, als hätte sie ein Geräusch gehört. »Hast du etwas gehört, Sophia? Haben wir einen Geist in der Burg, von dem du mir noch nichts erzählt hast?«
Sophia kicherte. »Ich glaube, es gibt hier ein paar Dutzend Geister, um ehrlich zu sein. Aber ja, das ist nur Wilder, der sich beschwert.«
»Ich verstehe nicht, warum Sophia eine Sonderbehandlung bekommt und ich nicht.« Er verschränkte die Arme vor der Brust.
Die Cyborg betrachtete ihn. »Weil sie den Toilettendeckel nicht oben lässt und weiß, wie man zielt.«
Er knurrte und sah Sophia mit einem Lächeln an, das sich hinter einer düsteren Miene verbarg. »Weil du eine Frau bist, hast du alle Vorteile.«
»Ich kann nicht im Stehen pinkeln«, merkte sie an.
»Du könntest es sicher, wenn du es versuchen würdest«, neckte er.
Trin winkte Sophia in den Speisesaal. »Bevor es kalt wird.«
Neugierig, was Trin für sie gemacht hatte, folgte Sophia ihr in den nächsten Raum. Die Überraschung musste ihr ins Gesicht geschrieben gewesen sein, als sie den großen Teller mit Nachos an ihrem üblichen Platz am Esstisch sah. Die Nachos sahen perfekt zubereitet aus. Sie waren gleichmäßig aufgeschichtet, ohne dass sie sich überlappten, das heißt, sie waren nicht übereinandergestapelt. Sophia hatte nie verstanden, dass ein Berg Chips bedeutete, dass die unteren keinen Belag abbekamen.
Apropos Belag, alle ihre Lieblingsbeläge waren dabei: Pico de Gallo, Koriander, gegrilltes Hähnchen, Jalapeños, schwarze Bohnen und gerösteter Mais. Der Käse war perfekt geschmolzen und alles roch göttlich.
»Ist es okay so?«, fragte Trin mit einem nervösen Unterton in ihrer Stimme.
»Woher wusstest du, dass das mein Lieblingsgericht ist?«, fragte Sophia.
»Abgesehen davon, dass du im Schlaf über Nachos redest?«, scherzte Wilder.
Sophia schlug ihm spielerisch auf den Arm. »Das habe ich nur einmal gemacht.«
Die Haushälterin lächelte. »Ich wusste es nicht, aber als ich aufwachte, lagen alle Zutaten neben meinem Bett, also dachte ich mir, dass die Burg mir eine Nachricht schickt und da du die einzige Amerikanerin hier bist, nahm ich an, dass sie für dich sind.«
»Falafel.« Wilder schaute an die Decke. »Das ist mein Lieblingsessen.«
»Ich würde meine Nachos mit dir teilen, wenn du dich nicht vor kurzem dazu entschieden hättest, Veganer zu werden«, meinte Sophia.
Wilder zwinkerte ihr zu. »Nein, das würdest du nicht tun.«
Sophia lehnte sich an den Tisch und nickte. »Ja, nein, das würde ich nicht.«
»Ich werde dir etwas zubereiten, Wilder«, bot Trin an. »Was möchtest du?«
»Falafel«, wiederholte er.
Trin schürzte ihre Lippen. »Ich glaube nicht, dass ich die Zutaten dafür habe.«
»Das ist eine magische Burg, die alles manifestieren kann«, merkte er an.
»Ja, aber die Frage ist, ob sie das will«, teilte Trin mit und ging in die Küche.
»Danke«, rief Sophia ihr nach, während sie die Nachos verschlang. Sie waren so gut, wie sie aussahen.
»Die Burg ist wirklich nett zu dir«, bemerkte Wilder und nahm den Platz neben Sophia ein.
Sie lächelte. »Ich glaube, sie versucht, mich zu beruhigen.«
»Und was ist mit mir?« Er klang leicht mürrisch.
Sie rieb seinen Arm und lächelte ihn an. »Die Burg sorgt dafür, dass ich mich besser fühle, damit ich dafür sorgen kann, dass du dich besser fühlst.«
Darüber grinste er. »Nun, das gefällt mir. Natürlich ist es mir lieber, dass du dich besser fühlst als alles andere.«
Trin kam aus der Küche und trug eine Schüssel mit einem Salat, bestehend aus grünem Salat, darauf Tomaten, gehackte Gurken, geraspelte Karotten, Oliven und Kichererbsen. Sie stellte sie mit einem stolzen Lächeln vor Wilder ab. »Das hatte die Burg im Angebot.«
Wilder zog eine Grimasse. »Ich mag eigentlich keinen Salat. Ich bin kein Kaninchen.«
Trin verdrehte die Augen. »Wie kann ein Veganer keinen Salat mögen? Das ist doch alles Gemüse.«
»Ich stehe total auf Gemüse«, antwortete er. »Ich mag es einfach lieber, wenn es paniert und gebraten ist.«
»Wilder Thomson, du bist eine Nervensäge.« Trin zog einen kleinen Gegenstand aus ihrer Tasche. »Oh und Sophia, das habe ich im dritten Stock gefunden.« Sie legte ein Metallstück vor sie hin, das den Teilen des Schlüssels ähnelte, den Sophia zusammensetzte, um Lunis’ Junggesellenbude zu öffnen.
Sophia grinste und wischte sich die fettigen Hände ab, bevor sie das Schlüsselteil nahm. »Danke! Dann bleiben noch der vierte und fünfte Stock.«
»Ich werde den vierten Stock durchsuchen«, versprach die Haushälterin. »Den fünften habe ich aber noch nicht gefunden.«
Sophia nickte. »Hoffentlich führt dich die Burg bald hin.«
»Die Burg macht, was sie will.« Wilder verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, während er den Salat mit Verachtung betrachtete.
»Du benimmst dich irgendwie wie Evan«, bemerkte Sophia.
Wilders Mund klappte auf. »Das tue ich nicht. Ich benehme mich nicht wie ein verwöhntes Kind.«
Sophia und Trin lachten laut.
»Ich werde sehen, ob ich dir ein paar Pommes besorgen kann«, schlug Trin vor und stapfte zurück in die Küche.
»Du meinst Chips«, rief Wilder ihr nach.
Sophia hielt einen Nacho hoch. »Nein, das sind Chips.«
»Das sind Nachos«, korrigierte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Und du fragst dich, warum du in der Burg keine Sonderbehandlung bekommst, du sturer, schöner Mann.«
Er zwinkerte ihr zu. »Ich verstehe schon. Ich kann mich nicht dagegen verwehren, dass die Burg dich besonders behandelt. Du hast es verdient und wirst immer auch eine Sonderbehandlung von mir bekommen.«