3.


Dieser Brolon ist gar nicht so dumm, wie ich zunächst gedacht habe , musste sich Grand eingestehen.

Sie waren jetzt seit mehr als zwei Tagen in diesem Raum eingesperrt. Bis auf einen schweigsamen Ra´hul, der ihnen zweimal am Tag undefinierbare Mahlzeiten brachte, kümmerte sich niemand um sie. Grand vermutete, dass man auf irgendetwas wartete. Auf einen Verhörspezialisten, einen hochrangigen Offizier, der über ihr Schicksal zu entscheiden hatte, oder auf einen Befehl, wie mit ihnen zu verfahren sei. Mit einer sofortigen Hinrichtung mussten sie jedenfalls nicht rechnen. Wenn die Ra´hul dies vorgehabt hätten, wären sie schon längst nicht mehr am Leben gewesen.

Er hatte die Zeit genutzt, Brolon ein paar Brocken Universal beizubringen, und war über die rasche Auffassungsgabe des Fremden erstaunt. Am meisten jedoch verblüffte ihn, dass Brolon äußerlich nicht von einem Terraner zu unterscheiden war. Lediglich die gebräunte, wettergegerbte Haut und die schwieligen Hände deuteten darauf hin, dass er sich überwiegend im Freien aufgehalten und hauptsächlich schwere körperliche Arbeit verrichtet hatte – was heutzutage bei einem Terraner kaum mehr der Fall war. Vielleicht auf einer gerade erschlossenen Kolonialwelt, die noch nicht über alle Segnungen moderner Technik verfügte, jedoch sicher nicht auf der Erde oder auf einem der anderen, hoch entwickelten Planeten der Terranischen Union. Grand fragte sich, wie weit die genetische Verwandtschaft wohl gehen mochte und ob es eine Verbindung zwischen Brolons Volk und den Menschen der Erde gab. Ein Zufall konnte die erstaunliche Ähnlichkeit wohl kaum sein. Im Moment hatten sie jedoch andere Sorgen, als sich über biologische Gemeinsamkeiten zu wundern. Was sie derzeit am stärksten verband, war die prekäre Lage, in der sie sich befanden.

»Du bist also ebenfalls immun«, stellte Grand fest, nachdem ihm Brolon in den letzten Stunden mit Händen und Füßen, einigen Missverständnissen sowie seinem geringen, wenn auch sich ständig erweiternden Wortschatz seine Geschichte erzählt hatte.

»Immun?« Brolon sah ihn fragend an.

»Die … äh … Dämonendiener können dich nicht verzaubern.« Er versuchte, die Begriffe zu verwenden, die sie sich mühsam erarbeitet hatten.

»Nein! Dämonendiener Zauber nicht mit Brolon«, stellte sein Mitgefangener stolz fest.

»Das nennt man immun«, erklärte Grand. »Du bist immun.«

Brolon nickte verstehend.

»Immun. Brolon … ich …«, korrigierte er sich, »ich immun gegen Zauber!«

Das ist interessant und könnte erklären, warum man uns nicht sofort umgebracht hat , überlegte Grand. Die Ra´hul mussten ein Interesse daran haben, dem Grund für die Immunität auf die Spur zu kommen. Er konnte nicht wissen, dass seine Freunde zur selben Zeit ähnliche Überlegungen anstellten.

Grand war sich sicher, dass sie überwacht wurden und man somit jedes Wort mithörte, das sie sprachen. Er musste also aufpassen, was er preisgab. Trotzdem wollte er die Chance nicht ungenutzt lassen, so viel wie möglich von Brolon zu erfahren. Wenn er je hier herauskäme – eine Vorstellung, die im Moment ein Höchstmaß an Optimismus erforderte – konnte jede noch so kleine Information von Bedeutung sein. Brolon hatte schließlich den Bau des Kubus im Orbit um seine Heimatwelt hautnah miterlebt. Vielleicht war ihm dabei etwas aufgefallen, das später noch von Nutzen sein konnte. Falls es ein 'Später' geben würde!

»Was du denken, was mit uns?«, radebrechte Brolon.

Grand zuckte mit den Schultern, eine Geste, die auch in Brolons Volk gebräuchlich war, wie er bereits festgestellt hatte.

»Nichts Gutes«, stellte er lakonisch fest.

Brolon lachte rau und schlug Grand auf die Schulter.

»Ich tot. Schon tot vorher als hierher gehen! Nichts Gutes nicht schlimmer als tot!«

Er scheint seine verrückte Aktion als Selbstmordmission anzusehen , überlegte Grand. Da hat er natürlich nicht mehr viel zu verlieren.

»Vielleicht können wir entkommen. Ich habe Freunde. Die werden alles tun, um mir zu helfen«, versuchte er, seinem neuen Gefährten Mut zu machen. »Wenn sie kommen, nehmen wir dich mit!«

Grand konnte an Brolons Gesichtsausdruck erkennen, wie dieser versuchte, den Sinn der Worte zu verstehen.

»Du Freunde kommen helfen?«, versuchte Brolon sicherzugehen, dass er Grand richtig verstanden hatte. »Du Freunde helfen Brolon?«

Grand wusste, dass die Ra´hul jedes Wort mithören würden. Aber sie konnten sich ohnehin denken, dass mit einem Befreiungsversuch zu rechnen war. Ihm kam es im Moment mehr darauf an, dass Brolon nicht die Hoffnung verlor. Sein Mitgefangener durfte sich nicht einfach aufgeben. Falls sie noch eine Chance haben wollten, war er auf einen Partner angewiesen, der nicht bereits innerlich resigniert hatte.

Er wollte gerade zustimmend antworten, als sich die Tür zu ihrer Zelle öffnete. Die letzte Mahlzeit lag erst kurze Zeit zurück; es musste sich also um etwas anderes handeln. Sicher nicht um etwas Erfreuliches, wie Grand vermutete.

Vier bewaffnete Ra´hul richteten ihre Strahler auf Grand und Brolon. Hinter ihnen stand Trrach, der nach wie vor den Minitranslator am Kragen seiner Uniform trug.

»Sie werden verlegt. Alle beide«, sagte er. »Und machen Sie sich keine Hoffnungen. Ihr Transport besteht aus zehn unserer schlagkräftigsten Kampfschiffe. Dagegen kommen Ihre beiden Einheiten selbst mit ihren erstaunlich wirksamen Waffensystemen nicht an.«

»Wohin bringt man uns?«, fragte Grand, ohne wirklich auf eine Antwort zu hoffen, die zu seiner Überraschung jedoch erfolgte. Wie es schien, wollte Trrach nicht darauf verzichten, seinen Triumph auszukosten.

»Dorthin, wo man Ihre … Widerstandskraft gründlich untersuchen kann.«

Grand wurde flau im Magen. Er konnte sich nur zu gut an Trrachs Schilderung der Raumstation erinnern, in der man die Croalok heranzüchtete und sie auf ihren Einsatz als Suggestoren vorbereitete. Es bestand kein Zweifel, dass dies das Ziel ihrer Reise sein würde. Dort würde man ihn und Brolon Stück für Stück in ihre Einzelteile zerlegen, um hinter das Geheimnis ihrer Immunität zu kommen. Es wäre ihm fast lieber, seine Freunde würden unterwegs einen verzweifelten Versuch unternehmen, das Schiff, auf dem er sich befinden würde, abzuschießen. Er wollte lieber sterben, als den Ra´hul als Versuchskaninchen zu dienen. Allerdings wusste er nur zu genau, dass Jalina und die anderen ihn nicht einfach opfern würden. Zudem konnten sie nicht wissen, auf welchem der Schiffe man ihn transportieren würde, außerdem waren die Rhelina und die Stürme sowieso nicht in der Lage, es mit zehn Gegnern gleichzeitig aufzunehmen. Sein gespielter Optimismus erhielt einen schweren Dämpfer.

Dennoch grinste er Trrach scheinbar unbekümmert an, was eher zu Brolons Beruhigung dienen sollte.

»Ich fürchte, Sie unterschätzen uns schon wieder! Auch wenn Sie mich und meinen neuen Freund in Ihrer Gewalt haben, werden Sie mit Ihren Plänen niemals durchkommen. Sie mögen mir nicht glauben, dass die Dorianer sehr genau beobachten, was hier vor sich geht, aber umso schrecklicher wird das Erwachen sein. Unabhängig davon, was mit mir geschieht.«

Für einen Augenblick glaubte Grand einen leichten Anflug von Furcht auf Trrachs fremdartigem Gesicht ausmachen zu können, doch wahrscheinlich bildete er sich das nur ein. Der Alte würdigte ihn keiner Antwort und gab den vier Bewaffneten einen kurzen Befehl. Sie nahmen Brolon und Grand jeweils zu zweit in ihre Mitte, ergriffen je einen Arm und zogen die Gefangenen mit sich. Dass sie auf Fesseln verzichteten, zeigte Grand, wie sicher sie sich ihrer Sache waren. Er wusste, dass es keinen Sinn machen würde, Widerstand zu leisten. Es gab keine Möglichkeit, vom Kubus zu entkommen. Jede Gegenwehr hätte nur zu unnötigen Schmerzen geführt, und er hegte den Verdacht, dass Trrach insgeheim nur nach einem Vorwand suchte, ihm Schmerzen zuzufügen. Grand würde ihm diesen Gefallen nicht tun, und auch Brolon war schlau genug, sich nicht zu wehren.

Sie wurden durch mehrere Gänge bis zu einer Schleuse geführt, wo andere Soldaten auf sie warteten. Man übergab Brolon und Grand in deren Obhut, und zusammen mit Trrach betraten sie durch die Schleusenkammer ein an den Kubus angedocktes Schiff der Ra´hul.

Nur wenige Minuten später befanden sie sich wieder in einer Zelle. Der völlig leere Raum, in den man achtlos ein paar Decken geworfen hatte, würde bis zum Erreichen ihres Ziels ihr Zuhause sein. In einer Ecke stand ein Eimer, der wohl für die Notdurft gedacht war.

Kurz darauf änderte das kaum vernehmbare Brummen des Schiffsantriebs seine Frequenz. Sie waren unterwegs in eine unerfreuliche Zukunft.