Kapitel 42

Am Wochenende hatte Jon Frost seine neue Freundin ins dänische Esbjerg eingeladen. Sie verbrachten den Tag beim Hafen und am Strand. Sandra hatte das Gefühl, sich innerhalb der vierundzwanzig Stunden besser erholt zu haben als die Wochen zuvor in der Reha. Sie nächtigten in Jons Eigentumswohnung in der Straße Kvaglundparken und Sandra fühlte sich privilegiert.

„Schau mal, Jon, überall haben wir Wohnungen. In den schönsten Städten der Welt!“

Frost freute sich, dass es Sandra in der dänischen Stadt so gut gefiel.

Als sie Sonntagabend über die A7 wieder die Stadt Hamburg erreichten, meinte Frost: „Weißt du, Schatz, dass wir uns das komplette Wochenende nicht einmal über die Arbeit unterhalten haben?“

*

Kommissar Liebknecht war wieder zurück im Büro. Er winkte Sandra zu, als sie eintrat. Auch Marie-Therese Porceddu schob den Kopf aus dem kleinen Kaffeeshop. Grüßend hielt sie eine Kaffeetasse hoch. Die Laune war gut, das gefiel Sandra. Lange hatte sie in der Mordkommission nur unter Druck gearbeitet. Das Klima beim LKA 41 war auch nicht schlecht, aber der Stress, die Fälle zu lösen und Ermittlungsergebnisse aufzuweisen, war extrem. Die Arbeit in der Arbeitsgruppe fand sie gerade bedeutend relaxter.

„Ich war eine Stunde früher hier“, berichtete Marie-­Therese stolz. „Schlafe eh nur noch mit Tabletten. Da bin ich schon um fünf Uhr aufgestanden. Habe es einfach nicht ausgehalten. Sandra, wir haben den Typen, du hattest recht.“

Die Kommissarin trat an Marie-Thereses Schreibtisch und legte beide Hände auf die Tischplatte.

„Dann teile bitte deine Ergebnisse mit uns!“

„Erik Hönneke!“, rief sie stolz.

Liebknecht und Holz schauten sich an.

„Hönneke war von 1995 bis 1996 bei Represarowitsch tätig. Als Aufzugswärter im Alten Elbtunnel. Im September 1996 ist der Mann plötzlich nicht mehr zum Dienst erschienen. So hat es Represarowitsch vermerkt. Er ist auch nie wieder dort aufgetaucht. In den Polizeiakten finden sich zu Hönneke folgende Straftaten: Sechs Jahre wegen Vergewaltigung, damals noch in der DDR. Von 1990 bis 1992 saß er wegen Misshandlung und sexueller Nötigung einer Minderjährigen auf einem Campingplatz erneut im Gefängnis. In Schwerin!“

„Wow“, Sandra staunte. „Da haben wir wohl alles richtig gemacht. Lasst uns eine Flasche Sekt öffnen. Wir haben doch Sekt im Kühlschrank?“

Liebknecht nickte. „Warte, Sandra, es gibt auch Nachteiliges zu berichten. Hönneke hat sich im März 1998 das Leben genommen.“

Sandra trat zurück und setzte sich. „Das Leben genommen?“

„Ja, oder er ist ertrunken. Könnte laut den damaligen Ermittlungen beides sein.“

„Das gibt es doch nicht. Die ganze Arbeit sozusagen umsonst.“

„Nun, seine Leiche wurde nie gefunden. Er ist während eines Ortsfests in seinem Geburtsort Bleckede zur Elbe spaziert. Seine Freunde haben den Junggesellen irgendwann vermisst, sich gar nichts dabei gedacht. Am Morgen fanden Angler seine Jacke mit Brieftasche und allen Papieren am Fluss. Von Hönneke keine Spur. Man löste sofort Alarm aus. Das komplette Wochenende suchten Taucher der Feuerwehr, dazu Luftunterstützung, nach dem Vermissten. Aber er ist nicht mehr aufgetaucht. Noch heute, so die letzten Informationen der Ratzeburger Kollegen, fehlt jedes Lebenszeichen von ihm. Er wurde vor drei Jahren für tot erklärt.“

Sandra war noch immer sprachlos. Der mutmaßliche Mörder von Stefanie konnte sich doch nicht so einfach aus der Affäre gezogen haben?

„Als ob er, wie sein Opfer, aus dem Leben scheiden wollte“, bemerkte Liebknecht.

„Und das, ohne die Angehörigen von der Lage der Leiche Stefanies in Kenntnis zu setzen.“

Sandra war aufgestanden. „Egal, ich hole den Sekt!“