Was passiert bei Angst im Körper?

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Für mich hat das Wissen um die Rolle des Körpers bei Ängsten sehr viel verändert und ich konnte bei der Bewältigung meiner Ängste an neuen Punkten ansetzen. Ich verstand endlich, was in meinem Körper passierte, wenn Angst oder Panik auftauchte. Und es war sehr heilsam, zu lernen, dass mein Körper eigentlich immer für mich ist und nicht gegen mich. Er fährt all diese erst mal verstörenden Programme hoch, weil er mich schützen will. Weil er möchte, dass ich überlebe. Als ich das begriffen hatte, wusste ich, dass ich aufhören musste, mit aller Kraft gegen diese körperlichen Reaktionen zu kämpfen. Da diese dadurch verstärkt werden. Statt dagegen zu kämpfen, musste ich andere Methoden finden, um meinen Körper wieder in das Gefühl von Sicherheit zurückzuführen.

Was also geschieht im Körper? Wenn wir in eine Gefahrensituation kommen und Angst haben, spannen wir den Körper an. Der Blutdruck steigt. Unsere Pupillen weiten sich. Der Atem wird flach und schnell. Blut wird in die Arme und Beine gepumpt. Das Herz rast. Wir werden unruhig und nervös. Können uns schlecht konzentrieren. Fokussieren uns auf die Gefahrenquelle. Wir sind aufgeregt und aufgewühlt.

Warum kommt es zu diesen Reaktionen? Wenn unser Körper zu Angst oder Panik wechselt, wird blitzschnell Adrenalin produziert. Das bedeutet, dass ganz viel Energie bereitgestellt wird, damit wir kämpfen oder flüchten können. Wenn Kampf oder Flucht nicht möglich sind, erstarren wir. Das Erstarren oder das »Totstellen« dient dazu, dass der Angreifer uns nicht sieht oder von uns ablässt, weil er denkt, dass wir nicht mehr leben. Außerdem sinkt in diesem Modus das Schmerzempfinden und wir koppeln uns von unseren Gefühlen ab. Ein wichtiger Mechanismus, wenn wir dem Angreifer schutzlos ausgeliefert sind.

Der Körper bereitet uns durch diese Mechanismen auf Höchstleistungen vor. Dies sind alles logische und überlebenswichtige Reaktionen. Der Körper zapft alle Ressourcen an, damit wir in einer Gefahrensituation bestmöglich gewappnet sind. Wäre ja auch unlogisch, wenn wir seelenruhig mit normalem Blutdruck und entspannter Körperhaltung an unserem Cocktail weiterschlürfen, wenn der Tiger vor uns steht.

Wenn die Gefahr gebannt ist, der Tiger also umdreht und geht, wechselt unser Körper wieder in die Entspannung, in den Ruhemodus.

Die Muskeln entspannen, der Atem wird ruhig, der Blutdruck sinkt auf sein normales Level. Dies passiert alles ohne unser Zutun ganz automatisch.

Für all diese Abläufe ist das vegetative Nervensystem zuständig. Das autonome oder eben auch vegetative Nervensystem regelt alle Abläufe im Körper, die wir nicht willentlich steuern: Atmung, Herzschlag, Stoffwechsel. Es bekommt Signale aus dem Gehirn und leitet diese an den Körper weiter.

Wenn also der Tiger vor uns steht und unsere Angstzentrale im Gehirn »Alarm« schreit, setzt das Nervensystem alle Vorgänge in Bewegung, damit wir diese Gefahr abwehren oder uns verteidigen können. Die Angstzentrale in unserem Kopf, Amygdala genannt, ist ein Teil unseres Gehirns, das bei der emotionalen Bewertung von Gefahren beteiligt ist. Wenn sie eine Situation als gefährlich bewertet, leitet sie dies blitzschnell an das Nervensystem weiter, damit es alle weiteren nötigen Reaktionen einleiten kann.

Diese Informationen laufen aber auch in die Gegenrichtung. Es werden also auch vom Körper Rückmeldungen ans Gehirn gegeben. Wenn uns zum Beispiel heiß ist, geht diese Mitteilung ans Gehirn und es startet das Programm »Schweiß« – dadurch wird der Körper heruntergekühlt. Alles intelligente Mechanismen. Unser Körper ist ein Wunderwerk! Und wie man an diesen Erklärungen sieht, spielt sich bei Angst und Panik viel auf der körperlichen Ebene ab. Oft nehmen wir das gar nicht so bewusst wahr.

Was passiert bei lang andauernden Ängsten?

Bei Panikattacken oder starken Angstzuständen schießt das Nervensystem akut in die Höhe und fährt dann langsam wieder herunter. Zuerst hohe Anspannung, dann Entspannung. Menschen, die unter langfristigen Ängsten oder großen Sorgen leiden, sind aber oft stundenlang oder tagelang körperlich angespannt und unruhig. Zwar ist die Anspannung nicht so hoch wie bei jemandem, der gerade akut eine Panikattacke hat, aber es ist eine Dauerbelastung. Und die wirkt sich langfristig auch auf den Körper aus. Es kommt vermehrt zu Verspannungen und Schmerzen. Körper und Kopf sind im Daueralarm. Loslassen und Entspannen sind kaum mehr möglich.

Wenn wir unter irrationalen und übermäßigen Ängsten oder Panikgefühlen leiden, aber nicht wirklich in Gefahr sind, bekommt unser Körper nicht das Signal: »Gefahr gebannt, du kannst wieder in den Entspannungsmodus wechseln!« Gehen wir noch mal zurück zum Beispiel mit dem heranrasenden Auto: Wenn du blitzschnell zur Seite gesprungen bist, bewertet deine Angstzentrale im Kopf die Situation folgendermaßen: »Das Auto ist vorbeigefahren, dir ist nichts passiert, du bist wieder in Sicherheit, die Gefahr ist gebannt.« In Folge wechselt dein Körper schnell zurück in die Entspannung. Das Adrenalin wird abgebaut und du kommst wieder in den »Normalmodus«.

Du kennst das sicher auch von dir, wenn du durch etwas sehr geschreckt wurdest. Die Angstzentrale bewertet die Situation als Bedrohung, dein Nervensystem schießt in die Höhe, die Muskeln verspannen sich, der Puls fährt hinauf, dir stockt der Atem. Dann: Schrecksekunde vorbei, Muskeln lassen los, ruhiger Atem, ruhiger Puls, Entspannung.

Wenn wir also tatsächlich in Gefahr waren, gibt es diesen Moment, wenn wir registrieren, dass die Gefahr vorbei ist. Das Auto fährt an uns vorbei. Der Tiger dreht um und geht weg. Und das ist ein wichtiger Punkt. Denn durch dieses Signal bekommt unser Körper den Auftrag, dass er alle Vorgänge, die die Angst ausgelöst haben, wieder rückgängig machen darf. Meistens atmen wir tief durch und schon merken wir, wie die Anspannung aus unserem Körper abfließt und sich Erleichterung breitmacht. Die Angstzentrale in unserem Gehirn gibt das Signal, dass sich der Blutdruck normalisieren darf. Dass sich die Atmung beruhigen darf. Dass sich die Muskeln lockern dürfen. Und je mehr der Körper wieder entspannt, umso mehr kommen unsere Gedanken zur Ruhe und die Gefühle kommen in Balance.

Für Menschen mit Angsterkrankungen und Panikattacken gibt es diesen Moment aber nicht. Es gibt kein Signal von der Angstzentrale, dass die Gefahr vorbei ist.

Es gibt kein »Ende« der Ängste. Scheinbar.

Zwar kann eine Panikattacke aufhören und das verschafft schon für kurze Zeit Erleichterung, aber meistens warten wir dann schon wieder angespannt auf die nächste Attacke. Wir stehen dauernd unter Strom. Und da der Körper ja über das Nervensystem auch Rückmeldungen an das Gehirn liefert, bekommt es auch ständig die Information: »Irgendetwas passt nicht. Im Körper herrscht Unruhe und darum muss es ja irgendwo eine Gefahr geben.« Darum bleibt die Angstzentrale im Gehirn auch in der Lauerstellung, ob irgendwo eine Bedrohung auftaucht. Und somit schaukeln sich Kopf und Körper immer wieder gegenseitig auf.

Wie man hier sieht, beeinflussen sich Körper und Gehirn gegenseitig und halten das Angstgefühl aufrecht. Weil der Körper unruhig ist, glaubt das Gehirn, es muss irgendwo eine Gefahr lauern, und hält ständig Ausschau. Weil das Gehirn ständig nach Gefahren Ausschau hält, kommt auch der Körper nicht zur Ruhe und muss warten, ob er eine Anweisung »von oben« bekommt, dass eine Gefahr abzuwehren ist.

Wertvolles Wissen für die Angstbewältigung

Wir können auf der Körperebene viel tun, um wieder Ruhe in unser System zu bringen. Und da Wechselwirkungen zwischen Gehirn und Körper bestehen, wirkt sich das beruhigend auf unsere Gedanken und Gefühle aus. Manchmal kann der Körper sogar unsere erste Anlaufstelle sein, dem wir uns bei der Angstbewältigung zuwenden: Wenn es im Kopf und in der Gefühlswelt wieder wild zugeht und ein Angstgedanke den anderen jagt, sind Beruhigungstechniken auf der Körperebene sehr zielführend. Denn ein ruhiger Körper signalisiert dem Gehirn: »Hier unten alles ruhig, es gibt keine Gefahr. Du kannst die Alarmsirene da oben abschalten!«

Wir dürfen lernen, unseren Körper wieder sanft in die Sicherheit und in die Entspannung zurückzuführen. Wenn es schon im Außen dieses Signal nicht gibt, dass die Gefahr vorbei ist, dann müssen wir das selbst in die Hand nehmen. Und genau darum geht es in den folgenden acht Tools. Fangen wir also an!