Tool #2: Eine Panikattacke beruhigen – das geht!

Eine Panikattacke ist für viele Betroffene der bedrohlichste Angstzustand überhaupt. Das Herz rast, als wenn es aus der Brust hüpfen möchte. Die Atmung wird schneller oder man bekommt Atemnot und hat das Gefühl, nicht mehr richtig Luft zu bekommen. Man wird innerlich hektisch. Oder man hat Angst, die Kontrolle zu verlieren oder einen Herzinfarkt zu bekommen. Anspannung pur. Viele Menschen stehen in diesen Situationen Todesängste aus.

Panikattacken entstehen ganz oft, wenn die Anspannung einer sehr stressigen Zeit nachlässt und gerade wieder Ruhe einkehrt. Darum stellen viele Menschen keine Verbindung zu der stressreichen Phase her. Sie berichten, dass sie tatsächlich kürzlich familiäre Schwierigkeiten, einen oder mehrere Todesfälle, enormen Stress im Berufsalltag oder schwierige zwischenmenschliche Konflikte hatten – vor ihrer ersten Panikattacke. Für viele Menschen kommt die erste Attacke in einer ruhigen Situation wie aus dem Nichts. Da die meisten noch nie mit so etwas zu tun hatten, geschweige denn Strategien haben, um damit umzugehen, erleben sie in diesem Moment eine derartige Bedrohung ihres Lebens samt Todesängsten, die sie nie wieder vergessen können.

Bei einer Panikattacke werden Unmengen an Adrenalin im Körper produziert, weil dieser denkt, wir sind in akuter Lebensgefahr. Wie schon beschrieben soll das unserem Körper helfen zu überleben. Das Adrenalin stellt große Mengen an Energie bereit. Wir sind gewappnet, zu kämpfen oder zu flüchten.

Oder wir erstarren, wenn Flucht oder Kampf nicht möglich sind, weil wir vielleicht in der Falle sitzen und nicht wegkönnen.

Wenn wir vor einem Tiger weglaufen müssten, würden wir diesem Mechanismus im Körper ewig dankbar sein. Denn diese Energien im Körper können uns zu Höchstleistungen verhelfen. Und: Es wäre für uns das Normalste auf der Welt, dass unser Herz rast und wir schnell atmen. Wir können diese Reaktionen unseres Körpers also korrekt einordnen. Sie erscheinen uns sinnvoll und hilfreich, darum würden wir die körperlichen Reaktionen in einer echten Gefahrensituation niemals hinterfragen. Schwierig wird es aber dann, wenn die Angstreaktionen einsetzen, obwohl wir in einer normalen alltäglichen Situation in Sicherheit sind.

Panik – ohne Gefahr im Aussen

Die meisten Panikattacken lassen uns mit einem großen Unverständnis zurück. Wir sind in völliger Sicherheit, zum Beispiel daheim auf der Couch, und haben Todesangst. Die körperlichen Reaktionen wie Herzrasen oder Atemnot oder das Gefühl von Kontrollverlust sind für uns unerklärlich. Wenn wir keine Gefahr im Außen finden, dann suchen wir in unserem Inneren nach einer Ursache für diese ausufernden Reaktionen unseres Körpers. Wenn du selbst an Panikattacken leidest, kennst du vielleicht die ständige Angst, einen Herzinfarkt zu bekommen oder eine andere bedrohliche Erkrankung zu haben, verrückt zu werden oder die Kontrolle über deinen Körper zu verlieren. Die Konsequenz sind oft viele Arzt- oder sogar Krankenhausbesuche, die alle eines gemeinsam haben: Es gibt keinen auffälligen Befund. Das Herausfordernde daran ist, dass viele Betroffene den Ärzten nicht mehr glauben. Sie sind der Meinung, dass sicherlich etwas übersehen wurde. Und oft sind die körperlichen Paniksymptome so intensiv, dass jedes Mal ein Rettungswagen gerufen wird, um in die Notaufnahme zu fahren.

Wichtig: Eine grundlegende ärztliche Abklärung von körperlichen Symptomen ist auf alle Fälle unerlässlich. Wenn Angst und Panik durch eine Angsterkrankung ausgelöst werden und keine körperlichen Ursachen zugrunde liegen, können die Methoden dieses Buchs hilfreich sein. Sofern eine körperliche Erkrankung vorliegt, sollte eine ärztliche Begleitung erfolgen.

Mit Panikattacken umgehen

Mach dir immer wieder klar: Bei einer Panikattacke handelt es sich um eine Fehlzündung deines Gehirns. Einen Fehlalarm. Deine Angstzentrale hat fälschlicherweise eine Angstreaktion ausgelöst. Sie hat fälschlicherweise den Alarmknopf gedrückt. Deshalb schießen diese Reaktionen los.

Biologisch ist das logisch erklärbar. Du bewertest aber diese körperlichen Vorgänge falsch. Du bewertest sie als lebensbedrohlich oder zumindest als äußerst unangenehm. Diese Bewertung und Einstufung führt dazu, dass das Nervensystem noch mal mehr Energie bereitstellt. Dies führt dazu, dass noch mehr Aufruhr im Körper ist. Dies führt wiederum zu noch mehr rasenden Angstgedanken, Panikgefühlen und Todesängsten. Und so schaukelt sich der Angstkreislauf weiter und weiter auf.

Es ist nur das hochschießende Nervensystem, das diese körperlichen Vorgänge auslöst. Keine Bedrohung. Keine Lebensgefahr. Du bewertest es falsch!

Die Angstzentrale muss dringend informiert werden, dass dies ein Fehlalarm war. Irgendjemand muss den Alarmknopf ausschalten. Damit die Angstzentrale die körperlichen Vorgänge zurückpfeifen kann und wir zur Ruhe kommen. Wer übernimmt diesen Job? Vielleicht der Körper? Schauen wir uns das an!

Worum geht es in der folgenden Übung?

Die folgende Übung ist enorm wichtig – und sie kann herausfordernd sein. Es geht darum, nicht gegen die Angst zu kämpfen, sondern sie zuzulassen. Sie da sein zu lassen. Alles, wogegen du kämpfst, wird stärker. Es geht darum, wieder Ruhe in deinen Kopf und in deinen Körper zu bringen. Es geht darum, nicht in diese Panik und dieses Aufgewühltsein miteinzusteigen, sondern genau das Gegenteil davon zu machen: zu sitzen und zur Ruhe zu kommen. Mit einer möglichst passiven Haltung. Dann hat auch dein Nervensystem die Möglichkeit, herunterzufahren.

Alles, wogegen du kämpfst, wird stärker.

Es geht darum, selbst am eigenen Leib zu erleben, dass sich diese Reaktionen des Körpers und des Kopfes wieder beruhigen. Und sie kommen zur Ruhe, glaub mir. Lass alles durch dich hindurchfließen. Kämpf nicht dagegen. Ich nenne hier gern das Beispiel, wie man damit umgehen würde, wenn ein Kind Angst hat. Würdest du panisch und hektisch herumlaufen, schnelle Bewegungen machen und viele verschiedene Horrorszenarien aufzählen, wenn du ein Kind beruhigen willst? Nein. Du würdest langsamer werden, ruhig sprechen und Zuversicht vermitteln. Du würdest die Angstgedanken des Kindes nicht einfach wegschieben und wegdrängen, sondern würdest in Ruhe zuhören und dann gemeinsam mit ihm an einer Lösung arbeiten. Geh ganz genauso mit dir selbst um.

Panikattacken beruhigen

Viele Betroffene wehren sich jahrelang gegen die Angst und Panik. Sie lenken sich ab. Schauen weg. Machen schnell etwas anderes. Darum wird sich die folgende Idee für dich vielleicht völlig verrückt anhören, aber ich stelle sie dir trotzdem vor, da sie aus meiner Erfahrung richtig hilfreich ist. Diese Übung braucht wahnsinnig viel Mut und wahrscheinlich kann man sie auch nicht nach dem ersten Lesen hier vollständig durchführen. Lass dir also Zeit und überfordere dich nicht.

Angst und Panik machen uns zappelig, aufgewühlt, unruhig, fahrig. Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren. Alles in uns ist in Aufruhr. Und nun schlage ich dir Folgendes vor, auch wenn es sich für dich erst mal total verkehrt anfühlt, weil dein Körper gerade darauf vorbereitet wurde, zu kämpfen oder zu flüchten, und von Adrenalin geflutet ist:

Bleib so lange sitzen, bis du die Beruhigung spüren kannst. Vielleicht merkst du zuerst, wie dein Körper ruhiger wird. Vielleicht merkst du, wie deine Gedanken wieder flexibler werden und nicht mehr so fixiert auf ein Angstthema sind. Vielleicht merkst du an dir, wie Lockerheit in deinen Kopf und deinen Körper kommt.

Mit den Augen einen Punkt in der Ferne oder an der gegenüberliegenden Wand zu fixieren, kann dabei helfen, den Gedankenstrom zu unterbrechen. Wenn wir so einen Aufmerksamkeitsschwerpunkt setzen, schwimmen wir nicht mehr mit den Gedanken mit. Viele Menschen sagen sich auch ein beruhigendes Wort vor oder konzentrieren sich auf ein bestimmtes Körperteil, das nicht mit Angst verknüpft ist.

Wenn du diese Beruhigung deines Körpers und deines Kopfes immer mehr spüren kannst, dann mach dir bewusst: Du hast dies gerade selbst herbeigeführt. Du kannst das.

Viele Betroffene erzählen, dass sie sich diese Übung lange nicht zugetraut haben, da sie eine derartige Angst davor hatten, was passiert, wenn sie die Angst ungefiltert »hereinlassen« und zulassen. Viele beschreiben, dass schon allein das Lesen dieser Übung Angst macht, weil man sich vorstellt, wie man selbst übt, und diese Vorstellung schon Panikgefühle auslöst. Ich kann das sehr gut verstehen. Lass dir Zeit. Hol dir professionelle Unterstützung, wenn du selbst nicht weiterkommst. Wenn deine Panikattacken durch ein Trauma ausgelöst wurden, ist ein behutsames Vorgehen besonders wichtig. Du kannst die ersten Schritte mit einem Traumatherapeuten oder einer -therapeutin machen.

Aber vergiss nie: Angst ist ein Gefühl. Das richtig stark sein kann. Es kann dir aber nichts anhaben.

Eine Panikattacke dauert normalerweise fünf bis dreißig Minuten. In dieser Zeit wird Adrenalin produziert und dann wieder abgebaut. Unser Körper kann aber nicht unendlich viel Adrenalin produzieren, darum kommen wir nach spätestens dreißig Minuten wieder auf unser Ruhelevel zurück. Einige Betroffene beschreiben, dass ihre Panikgefühle länger als eine halbe Stunde dauern. Meistens ist die Panik am Ende aber nicht mehr so intensiv wie bei der Attacke selbst. Darum spricht man hier manchmal von Angstepisoden, die länger dauern.

Wenn wir uns gegen die Symptome wehren und dagegen ankämpfen, muss unser Körper immer wieder Adrenalin produzieren, weil er ja denkt, wir sind weiter in Gefahr. Es ist, als würden wir in ein loderndes Feuer noch weiter Öl hineinschütten. Die Flammen werden größer und größer und bäumen sich weiter auf. Angstgedanken sind wie Öl für das Feuer. Sie feuern die Flammen nochmals mehr an. Wenn wir also weitere Horrorbilder in unserem Kopf produzieren, hält dies die Panikattacke aufrecht. Wir geben damit der Angstzentrale im Gehirn nochmals Futter. Während wir mit der eben beschriebenen Übung genau das Gegenteil tun.

Mach dir noch mal bewusst: Dein Körper will dich eigentlich schützen. Eine Panikattacke ist nichts weiter als enorm viel Energie im Körper, die dir helfen soll, dich zu verteidigen oder wegzulaufen. Du aber interpretierst diese Vorgänge in deinem Körper ganz anders und denkst, dass dein letztes Stündchen geschlagen hat, und gießt damit Öl ins Feuer der Panik.

Darum kann für viele diese Übung ein echter Gamechanger sein. Wir steigen mit ihr nicht in die Angstspirale ein. Wir sitzen und atmen ruhig und lassen alles, was da tobt, an uns vorbeiziehen. Unser Nervensystem beruhigt sich von selbst, wenn wir die Panik nicht weiter befeuern.

Dein Nervensystem kann das. Glaub mir. Es hat das nämlich schon Hunderte Male gemacht, wenn du erschreckt wurdest, wenn du Stress hattest, wenn du ängstlich warst – dein Nervensystem ist immer wieder in den Ruhemodus zurückgekommen. Lass es seinen Job machen. Es beruhigt sich von selbst. Vertrau dir und deinem Nervensystem.

Merk dir das

Eine Panikattacke ist eine Fehlzündung. Bei einer Panikattacke schießt dein Nervensystem in die Höhe, weil es glaubt, du bist in Lebensgefahr. Die ausgelösten körperlichen Reaktionen bewertest du als lebensbedrohlich. Die Angstzentrale im Kopf hat den Alarmknopf gedrückt. Du kannst lernen, dein Nervensystem wieder herunterzuregulieren. Es hat sich schon Tausende Male von selbst herunterreguliert, wenn du aufgeregt warst oder dich erschreckt hast. Dein Nervensystem kann das. Steh ihm nicht im Weg, indem du durch weitere Horrorgedanken den Angstkreislauf aufrechterhältst. Setz dich hin und atme. Es kann dir nichts passieren. Du bist in Sicherheit.

Nimm dir diese Gedanken mit

Probiere das aus

Weißt du, wie sich dein Nervensystem im Entspannungsmodus anfühlt? Wenn du innerlich völlig ruhig und gelassen bist. Wenn du dir die Dinge zutraust, die auf dich zukommen. Wenn du flexibel darauf reagieren kannst. Wenn es dir gut geht und du in dir ruhst. Das müssen keine großen Momente sein, manchmal sind es kleine Augenblicke im Alltag. Wenn du das nächste Mal so einen Moment wahrnimmst, dann spüre etwas bewusster in diese innere Entspannung hinein. Zögere diesen Moment etwas länger hinaus, indem du genauer hineinspürst. Nimm wahr, wie sich diese Entspannung in deinem Körper anfühlt. Nimm die Ruhe in deinen Gedanken wahr. Nimm wahr, wie es sich gut in dir anfühlt. Und mach innerlich so etwas wie einen Schnappschuss von diesem Zustand.

Wenn du das nächste Mal aufgewühlt oder ängstlich bist, erinnere dich an deine innere Galerie genau dieser Schnappschüsse. Du kannst in den Zustand innerer Ruhe und Gelassenheit zurückfinden. Wie du es schon viele Male getan hast.