Wenn wir länger unter Angst und Panik leiden, liegt oft ganz viel von unserem Fokus auf dem Körper. Es ist, als würde der Körper unsere ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Menschen, die unter Ängsten bezüglich Krankheiten leiden, beobachten ihren Körper fast ständig. Was ist das schon wieder für ein Zwicken? Ist das mein Blinddarm? Ist das ein Anzeichen für einen Tumor? Hat der Arzt bei der letzten Untersuchung etwas übersehen? Werde ich das überleben? Werde ich meine Kinder noch aufwachsen sehen? Werde ich das nächste Weihnachten noch erleben? So oder so ähnlich gestalten sich endlose, nervenzehrende und auslaugende Selbstgespräche.
Auch Menschen, die unter Panikattacken leiden, beobachten ihren Körper intensivst, um bei der kleinsten eigenartigen Regung, die auf eine Panikattacke hindeuten könnte, reagieren zu können. Ist mir zu heiß? Bekomme ich eigentlich richtig Luft? Hat mein Herz gerade unregelmäßig geschlagen? Ist da ein Druck auf meiner Brust? Oft haben Betroffene den ganzen Tag mit ihren Körpersignalen zu tun.
Körpersignale, so habe ich die körperlichen Reaktionen genannt, die angstvoll bewertet werden, aber keine bedrohliche Ursache haben. Ich nenne sie bewusst nicht Symptome. Denn das ist ein medizinischer Begriff und dafür gibt es zumeist eine Ursache. Körpersignale sind hingegen normale Körperempfindungen oder -reaktionen, die angstvoll bewertet und dadurch stärker werden. Wenn wir die Angst reduzieren oder auflösen können, verschwinden die Körpersignale meist vollständig. Sie entstehen dann, wenn wir etwas im Körper spüren, das wir nicht einordnen können und das uns unsicher macht. Die Angstzentrale im Gehirn schaltet sich ein und setzt uns gleich ein paar Horrorszenarien vor, wie schlimm es um unsere Gesundheit steht. Körper und Gefühle steigen mit in den Kreislauf ein. Wir fokussieren immer stärker auf die Körperregion, die uns Unbehagen bereitet. Und alles, worauf wir unseren Fokus enorm stark richten, wird stärker. Ganz besonders, wenn wir ängstlich dabei sind. Der Druck auf der Brust verschwindet einfach nicht mehr. Der Kloß im Hals bereitet uns immer mehr Sorgen. Der unregelmäßige Herzschlag taucht immer öfter auf.
Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche. Ich hatte in den Jahren meiner Angsterkrankung unzählige Körpersignale, die sich abwechselten. Wenn das eine verschwand, tauchte ein anderes auf. Wenn dies wieder verschwand, kam das alte Signal wieder zum Vorschein und so weiter.
Das Spannende ist, dass die allermeisten Menschen körperliche Empfindungen wie ein Zwicken da, einen unregelmäßigen Herzschlag dort oder mal einen Druck auf einem Körperteil haben. Menschen, die nicht unter Angstthemen leiden, bewerten diese Körperempfindungen aber zumeist nicht als bedrohlich und darum verschwinden sie auch sehr schnell wieder. Der Unterschied liegt also in der Bewertung der Körpersignale. Menschen ohne Angstthema bewerten sie einfach nur anders. Nämlich nicht als gefährlich.
Den Scheinwerfer unablässig auf dem Körper?
Bei Menschen mit Angst- und Panikzuständen ist es so, als würde ein Scheinwerfer auf den Körper strahlen und ihn unablässig abscannen, ob etwas Merkwürdiges oder potenziell Gefährliches vor sich geht. Und hier reden wir nicht von einem kleinen Scheinwerfer oder dem Strahl einer Taschenlampe, sondern wir sprechen eher von einem Scheinwerfer für ein Fußballfeld. Einem Scheinwerfer, dem nichts entgeht.
Betroffene haben oft unzählige Arztbesuche hinter sich, um immer wieder ihren Körper durchchecken zu lassen. Um immer wieder mit demselben Ergebnis nach Hause zu kommen: »Sie sind gesund. Sie haben nichts.« Sie wünschen sich aber eigentlich nur eines: dass die Körpersignale aufhören und sie endlich wieder das Vertrauen in ihren Körper und in das Leben zurückbekommen.
Wie kannst du den Scheinwerfer umlenken?
Lass körperliche Symptome immer einmal ärztlich abklären. Wenn die Körperempfindungen von der Angst kommen, dann mach dir klar: Alles, worauf du mit der Angst deinen Fokus richtest, wird stärker. Der Druck auf der Brust wird stärker, wenn du den Fokus darauf richtest. Dein Herzschlag wird schneller, wenn du dich darauf konzentrierst. Deine Atmung fühlt sich komisch an, wenn du angestrengt in dich hineinhörst. Der Kloß im Hals fühlt sich noch größer an, wenn du deine Aufmerksamkeit darauf lenkst. Der Schwindel wird immer angsteinflößender, wenn du deine Gedanken dorthin richtest.
Wenn du unter Ängsten leidest, wirst du diese Beobachtungen wahrscheinlich nicht völlig neutral und wertfrei machen – sondern begleitet von Angstgedanken. Und diese schaukeln den Angstprozess dann nochmals auf. Mach dir klar, dass es deine Bewertung dieser Körperempfindungen ist, die deine Angstgefühle auslöst.
Viele Menschen tendieren nun dazu, sich entweder immer mehr auf die Empfindungen zu konzentrieren oder mit aller Kraft nicht daran zu denken und sich abzulenken. Ich darf dir eines verraten: Beides funktioniert langfristig nicht. Denn wie gesagt: Alles, worauf wir ängstlich unsere Aufmerksamkeit richten, wird stärker. Und alles, was wir verdrängen, holt uns sowieso wieder ein. Es muss also einen Mittelweg geben. Und genau diesen Mittelweg gibt es auch.
Schritt für Schritt den Fokus lenken
Kämpfe nicht dagegen. Aber nimm eine klare Haltung dazu ein. Du lässt dir von der Angst nicht dein Leben diktieren, sondern nimmst es selbst in die Hand. Es geht darum, dass du das Körpersignal sehr wohl wahrnimmst, es nicht leugnest oder verdrängst, aber dann nicht weiter die Aufmerksamkeit dort lässt. Nachdem du es wahrgenommen und eingeordnet hast, entscheidest du dich bewusst dazu, dich mit etwas anderem zu beschäftigen. Du ziehst die Aufmerksamkeit vom Körpersignal ab und gibst der Angst keine Bühne, um ihre Dramen weiter aufzuführen.
Für mich war dieses Wahrnehmen und Einordnen ein ganz wichtiger Meilenstein bei der Angstbewältigung. Früher befasste ich mich entweder hektisch und panisch mit einem Körpersignal oder versuchte es mit aller Macht zu vergessen, weil ich so große Angst davor hatte. Erst als ich mit einer klaren und selbstbewussten Haltung hinschaute, es wahrnahm und es richtig einordnete, verlor es seine Macht.
Auch bei dieser Übung darfst du geduldig mit dir sein. Die Ängste und Sorgen, die unsere körperliche Gesundheit betreffen, sind existentiell und darum oft sehr stark. Wahrscheinlich lassen sich diese Sorgen nicht überwinden, während du diese Übung das erste oder zweite Mal machst. Hier braucht es einiges an Ausdauer. Bestimmt musst du es viele Male wiederholen. Die Angstzentrale, die sofort anspringt, wenn ihr auf der körperlichen Ebene etwas ungewohnt oder bedrohlich vorkommt, darf hier immer wieder beruhigt, aber auch in die Schranken gewiesen werden.
Merk dir das
Wenn wir unter Ängsten leiden, ist es recht typisch, dass wir jedes Zwicken und jedes Zwacken im Körper angsterfüllt interpretieren und uns Horrorszenarien vorstellen. Wir beschäftigen uns dann manchmal stunden- oder tagelang mit diesem Körperbereich und hören immer wieder in uns hinein. Das aber macht leider das Zwicken und Zwacken nur größer und stärker. Das wiederum macht die Angst größer und schon sitzen wir mitten in der Angstspirale. Mach dir klar, dass diese Bilder im Kopf nur eine Meinung und Bewertung der Angst sind. Dreh dann den Scheinwerfer von deinem Körper weg und mach etwas anderes. Das Körpersignal verschwindet von selbst, wenn du ihm die Aufmerksamkeit entziehst.
Nimm dir diese Gedanken mit
Probiere das aus
Wenn dir deine Angst wieder einmal ein Körpersignal präsentiert, trickse deinen Kopf aus. Finde eine völlig irrwitzige Erklärung für dieses Körpersignal. Und sei felsenfest davon überzeugt, dass diese Erklärung wirklich stimmt. Wenn sich dein Daumen kribbelig anfühlt, dann sag dir, dass das ja völlig logisch ist, weil du ihn vorher fünf Minuten in eiskaltem Wasser hattest (was du natürlich nicht hattest). Wenn dein Herz stark klopft, dann sag dir, dass dieser Marathon aber auch wirklich eine Herausforderung war (du bist natürlich keinen Marathon gelaufen). Wenn du einen Druck auf der Brust hast, dann komm zu der Erkenntnis, dass du die Brustübungen im Fitnessstudio das nächste Mal unterlassen solltest (du hast natürlich keine Brustübungen gemacht). Vielleicht mag sich das für dich erst mal eigenartig oder lustig anhören. Meine Körpersignale, die mich manchmal wochenlang »verfolgt« haben, waren oft schlagartig weg, wenn ich eine völlig irrwitzige Erklärung gefunden hatte, die die der Angst widerlegte und die ich felsenfest verteidigte. Ich hatte meinen Kopf ausgetrickst. Denn wenn mein Kopf mir völlig unlogische, angsteinflößende Erklärungen liefern kann, hab ich noch bessere, auch unlogische, aber völlig harmlose auf Lager.
Noch mal als Hinweis
Körperliche Symptome sollen immer ärztlich abgeklärt werden. Diese Übungen sind hilfreich bei körperlichen Signalen, die von der Angst ausgelöst werden und keine körperliche Ursache haben. Erkrankungen sollen immer ärztlich begleitet werden.