Tool #12: Ein »Wurschtigkeitsgefühl« entwickeln

Da die Haltung der Angst gegenüber so wichtig ist, gehen wir hier noch mal genauer mit einem weiteren Aspekt darauf ein: Hast du schon mal jemandem das Gefühl gegeben, er oder sie wäre dir völlig egal, obwohl das gar nicht stimmte? Vielleicht einem Schwarm von früher, als du Teenager warst? Oder deinem Kind, wenn es etwas angestellt hat und du dem Ganzen keine Aufmerksamkeit schenken wolltest? In Österreich sagen wir so schön: »Es ist mir wurscht!«, wenn uns etwas egal ist. Wenn uns etwas »wurscht« ist, dann gehen wir ganz lässig und locker damit um – denn es ist uns ja egal. Und genau diese Haltung machen wir uns jetzt hinsichtlich der Angst zunutze: Lass dir die Angst also egal sein. Ja, ich weiß, es hört sich an wie ein Traum. Dass einem die Angst egal ist. Dass man sie einfach vorbeiziehen lassen kann. Dass sie einen nicht mehr berührt. Nicht mehr aufwühlt. Dass sie einem gleichgültig ist.

Eigentlich ist das genau das Ziel, wo man hinwill, oder? Denn wir wissen: Alles, worauf wir ängstlich unsere Aufmerksamkeit richten, wird stärker. Also sollte die Angst ja weniger werden, wenn wir die Aufmerksamkeit von ihr abziehen, oder?

Na, das ist ja eine tolle Erkenntnis! Und die sage ich genau jemandem, der unter Angst und Panik leidet. Wo wir doch alle wissen, dass diese fiese Angst unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht wie ein riesengroßer Magnet. Dass man regelrecht das Gefühl hat, völlig in ihren Bann gezogen zu werden, ohne sich davon lösen zu können. Wie im Treibsand in der Wüste. Ein Sog, der einen hinunterreißt.

Lust auf ein Gedankenexperiment?

Wir wäre es, wenn du eine gewisse Distanz zu dem Gefühl der Angst schaffen könntest? Die Angst einfach einmal als das betrachtest, was sie ist: ein Gefühl, das sich auswirkt … auf deine Gedanken. Auf deinen Körper. Eigentlich ein biologischer Ablauf zwischen Gehirnregionen, Botenstoffen und dem Nervensystem. Eigentlich also nichts Weltbewegendes. Lässt sich alles wissenschaftlich erklären.

Versuch mal, von oben auf dich zu schauen. Wie ein Beobachter. Da bist du. Und in deinem Kopf geht ein Tornado ab. Ein extremer Wirbelwind … Der sich auch wieder beruhigen kann. Je weniger du darauf einsteigst. Je mehr du ihn als biologischen Prozess siehst. Vielleicht mit dem Gedanken:

»Aha, da feuert gerade meine Angstzentrale. Das wirkt sich aus … auf meine Gedanken, auf meine Gefühle und meinen Körper. Am besten lasse ich es vorbeiziehen. Wie eine Gewitterwolke.«

Bei einem Gewitter bringst du dich wahrscheinlich auch in Sicherheit. Und wartest, bis es von selbst verschwindet. Das eine Gewitter dauert etwas länger, das andere kürzer. Du bringst dich in Sicherheit und wartest ab. Wahrscheinlich schreist du die Gewitterwolke nicht an oder läufst wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gegend. Du wirst in aller Ruhe abwarten mit dem Wissen, dass es ein Prozess ist, der da oben abläuft: feuchte Luft, die zusammenströmt und nach oben aufsteigt und so weiter … Ein Prozess, der von selbst wieder vorbeigeht. Ohne dass du etwas dazu tun musst. Du vertraust darauf, dass sich das Wetter beruhigt. Weil es ein ganz natürlicher Ablauf ist. Weil sich das Wetter immer beruhigt. Weil du dem Wetter ein gewisses Wurschtigkeitsgefühl entgegenbringen kannst. Wie den Prozessen in deinem Kopf und deinem Körper. Sie beruhigen sich. So wie sie das schon Hunderte Male getan haben. Lass es vorbeiziehen, das Gedankengewitter. Lass es weiterziehen, das Gefühlsgewitter. Beobachte es einfach. Mit einem Wurschtigkeitsgefühl. Auch, wenn es nicht angenehm ist. Es geht vorbei. Wie jedes Mal. Vertrau drauf. Vertrau dir.

Ein Gedanke, der hilfreich sein kann: »Jetzt ist die Angst ohnehin schon da. Dann soll sie eben da sein. Ich mache trotzdem meine Sache weiter.«

Ein Wurschtigkeitsgefühl der Angst und Panik gegenüber aufzubauen, bedeutet, dich nicht von deinem Vorhaben, das du gerade machen wolltest, abbringen zu lassen. Ihr einfach nicht so eine große Bedeutung beizumessen. Ja, dann zwickt es eben in der Bauchgegend wegen der Angst – mir doch wurscht! Ja, dann legt die Angst eben den Horrorfilm ein und gaukelt mir vor, welche Krankheiten mir bevorstehen – ist ja nur die Meinung der Angst, mir doch wurscht! Ja, dann fühl ich mich eben wieder unruhig und nervös wegen der Angst – kann ich gerade nicht ändern, mir doch wurscht!

Wie kannst du das ausprobieren?

Wenn dir die Angst wieder etwas vorgaukelt, sag ihr, dass dir das völlig wurscht ist. Sei dir im Klaren, dass die Angst anfangs noch mit vielen Argumenten und Horrorgeschichten aufwarten wird. Dein Job ist es, so gut es geht, in der Wurschtigkeitshaltung zu bleiben. Auch wenn du dir die Rolle anfangs selbst noch nicht abkaufst und innerlich bei jeder neuen Horrorgeschichte zusammenzuckst. Lass dir das nicht anmerken!

Und so gehst du jetzt nach und nach mit allen Geschichten der Angst um. Wenn sie dir die nächste Schauergeschichte auftischt, dann sagst du: »Aha, das ist ja spannend, was du dir schon wieder für eine Geschichte ausgedacht hast.« Dann schmunzelst du in dich hinein und denkst dir »So einen Schwachsinn habe ich ja noch nie gehört« und machst deine Sache weiter. Es ist dir ganz einfach wurscht. Lass dich nicht mehr von der Angst veräppeln. Diese Lügenmärchen kann sie jemand anderem erzählen.

Merk dir das

Ändere deine Haltung der Angst gegenüber. Wenn du ihr angespannt gegenübertrittst und auf jede ihrer Geschichten einsteigst, hat sie ein leichtes Spiel und reißt dich mit. Leg dir eine Wurschtigkeitshaltung zu. Du lässt sie da sein, gibst dich aber betont lässig und locker. Tust so, als ob sie dir egal wäre. Da sie dir ohnehin nichts anhaben kann. Angst ist nur ein Gefühl.

Nimm dir diese Gedanken mit

Probiere das aus

Probiere die Wurschtigkeitshaltung fürs Erste in einer Situation, die dir bewältigbar erscheint. Die vielleicht auch gar nichts mit der Angst zu tun hat. Vielleicht in einer Situation im Job. Oder in deiner Partnerschaft. Wenn du normalerweise in so einer Situation emotional reagierst, erinnere dich an deine Haltung der Wurschtigkeit. Geh mit Wurschtigkeit an die Sache heran. Und schau, ob dir diese Haltung liegt. Wenn du sie vorerst in einer bewältigbaren Situation ausprobierst und für dich testest, kannst du sie später umso leichter auch in einer schwierigeren Situation abrufen.