von Thomas Ziebula
Etwas tut sich noch im Gedärm. Aufrichten, drücken, jawohl – fühlt sich gut an. Es geht doch nichts über eine gepflegte Entleerung, nicht wahr? Cesarius beugt sich wieder hinunter, betrachtet die Situation auf dem Schlachtfeld zwischen seinen braunen italienischen Schuhen. Auch hier klären sich die Verhältnisse allmählich.
Er greift hinunter zum Panzer, lässt ihn durch die gefallene Einheit rollen. Wieder einmal keine Gefangenen gemacht. Zufrieden lächelnd steuert er auf die rechte Wand zu. Genüsslich überrollt er zwei gasmaskenverhüllte Infanteristen. Das Kettenrasseln in seinem Kopf dröhnt in diesem Augenblick so deutlich, dass er es mit vibrierenden Lippen nachsummen muss.
Ein Nachfolgemodell des T 52. Maßstabsgetreu und mit Originalemblem der Roten Armee. Cesarius hat es einem Antiquitätenhändler in Moskau abgekauft. Für nicht einmal achtzig Euro! Das war geschenkt. Der Russe hatte ja keine Ahnung von den Preisen auf dem deutschen Markt. Rückwärts parkt Cesarius den Panzer neben den beiden Wehrmachtsmodellen, die bereits vor der Klobürste stehen.
Die Schlacht ist geschlagen, der Sieg errungen. Sehr gut. Ächzend richtet er sich auf. Noch einmal drücken. Nur noch Luft. Und ein wenig Schleim. Ein Blick aufs Phone: 14.38 Uhr. Nächster Termin: Vorstandssitzung um 15.30. In der vierzehnten Etage, beim Alten. Zeit genug, um noch einmal bei einer Tasse Kaffee die Tagesordnung durchzugehen. Und das Protokoll der letzten Sitzung.
Cesarius beugt sich wieder hinunter, klaubt die Infanteristen zusammen, richtet sich wieder auf und nimmt die Zigarrenkiste – kubanische Handarbeit – von der mattrot glänzenden Konsole. Wohlgefällig seufzend lässt er die Figuren in das Kästchen gleiten und klappt es zu. Während seine Linke es auf die Konsole zurückstellt, schwebt seine Rechte schon zum Toilettenpapierhalter. Täglich drei bis vier Mal der gleiche Bewegungsablauf – ein Reizdarm plagt Cesarius seit Jahren – konditionierter Reflex. Die Finger seiner Rechten tasten Metall. Kaltes Metall statt weichem Papier!
Er fährt herum und erstarrt.
Leer!
Nicht mal die graue Papprolle, an der gewöhnlich noch das letzte Blatt klebt, steckt auf dem goldfarbenen Bügel. Nackt hängt er an seinem Messingträger, nackt und erbarmungslos leer.
Er greift nach dem Türknopf des Mahagoniwandschranks hinter sich. Infolge der raschen Drehung hebt sich sein Gesäß ein wenig von der Toilettenbrille und der warme Geruch frischen Kots schlägt ihm ins Gesicht. Schaudernd rümpft er die Nase.
Er reißt den Schrank auf und tastet nach der Kobaltschale. Gewöhnlich liegt hier eine Ersatzrolle. Heute aber ist die Schale leer. Nichts.
Ärgerlich stößt er die Schranktüre zu und starrt den leeren Toilettenpapierhalter an. Am After spürte er den feuchten Kot. Er beugt den Rumpf hinunter und verschafft sich durch die gespreizten Oberschenkel hindurch und an seinem baumelnden Hoden vorbei einen Überblick über Menge und Beschaffenheit seiner nachmittäglichen Produktion. Wieder der warme, stinkende Dunst. Wütend drückt er den Kippschalter hinter sich an der Wand. Vor Ärger versäumte er, sich rechtzeitig ein wenig zu erheben, und das Spülungswasser bespritzt Genitalien und Gesäßbacken. Scharf zieht er die Luft durch die Nase ein und fixiert aufs Neue den leeren Toilettenpapierhalter.
"Das ist nicht wahr." Er schließt die Augen. "Das ist einfach nicht wahr!"
Sein Blick schweift über die Marmorfliesen hinauf zum altrosa Waschbecken, über den goldfarbenen Wasserhahn und den elektrischen Handtrockner zum wulstigen, roten Holzrahmen des Spiegels darüber, dann zum Rembrandtakt an der gegenüberliegenden Wand. Nirgendwo auch nur ein Fetzen verwertbares Papier. Er guckt neben sich zum kleinen Mülleimer hinunter und öffnet ihn. Frisch geleert.
"Das darf nicht wahr sein!" Er starrt in die dunkle Röte der ledernen Klo-Tür. "In drei Teufels Namen – das darf einfach nicht wahr sein!"
Er streckt sich nach vorne aus und reißt sämtliche Schubladen der neben dem Waschbecken stehenden Kommode auf. Nirgends auch nur ein Fetzen Papier. Nicht mal ein Putzlappen. Nur eine vergessene Gebrauchsanleitung für Kondome, briefmarkengroß. "Scheiße!"
Die Feuchtigkeit an seinem Gesäß und der Gestank werden ihm plötzlich unerträglich. Schweiß steht in kleinen Perlen auf seiner Stirn. Er greift nach dem Phone auf der Mahagonikonsole, aktiviert die Diktat-App, bellt Datum und Uhrzeit ins Gerät: "Kündigung! Frau Birgül Cengizhan! Fristlos! Kopie an Rechtsanwalt!"
Nachdem er die Kündigung der Putzfrau diktiert hat, ein Blick auf die Uhrzeit: 14.44 Uhr. "Mist verdammter!" Er bellt noch eine Abmahnung an seine Sekretärin ins Gerät. Immerhin hat sie Weisungsbefugnis gegenüber der Putzfrau. Danach beginnt sein Kopf kühler zu werden.
Er besinnt sich auf sein letztes Klausurwochenende: Managementtraining. Kreativität in aussichtslosen Situationen. Okay. Zunächst mentale Entspannung. Kraft schöpfen aus Erfolgen der Vergangenheit. Eine analoge Situation suchen. Er denkt nach.
Natürlich! Als sie ihn vor zwei Jahren zum Chefcontroller machten! Ein Schleudersitz. Sie wollten ihn loswerden, von Anfang an, wollten ihm den damals unabwendbar scheinenden Konkurs anhängen. Ha! Er hatte es ihnen gezeigt! Nach fünfzehn Monaten wieder schwarze Zahlen. Und für ihn ein Posten im Vorstand. Wenn das keine analoge Situation ist ...
Er schließt die Augen und sieht sich vom Sessel aufstehen und diskret lächelnd den applaudierenden Aufsichtsräten zunicken. Ihm hatten sie applaudiert, ja – ihm, den sie nur Monate zuvor noch hatten abschießen wollen. Welch ein Triumph! Welch ein Genuss!
Er lässt das prickelnde Triumphgefühl aus seinem Bauch aufsteigen und durch seinen ganzen, sitzenden Körper strömen. "Wir heißen den erfolgreichen Leistungsträger unseres Konzernes in unserer Mitte willkommen." Die feucht-kalte Stelle am Anus bohrt sich in sein Bewusstsein. Dennoch bringt er die Übung zu Ende, beschließt sie streng nach der Anordnung seines Trainers mit einem Schulterklopfen: "Gut gemacht, Cesarius, sehr gut!"
Das Telefon.
Er reißt die Augen auf und greift wieder nach dem Phone. Tokio am Apparat. Der US-Wirtschaftsminister habe den Ausbau der Infrastruktur in Texas zugesichert. Dabei die Standorte in Houston erwähnt. Das Englisch des Maklers ist schrecklich. Ankaufen. So viel Aktien wie möglich. Grußlos legt er auf.
Wo war ich? Ach ja – Cesarius ist großartig. Okay. Und jetzt die Ideensammlung. Raus aus dem System, alle Gewohnheiten vergessen, weg von WC-Inventar und Toilettenpapier.
Stoff!
Natürlich. Das ist die Lösung: Stoff!
Draußen im Schrank hängen noch zwei Schlipse. Ein Griff an den Hals - verdammt! Er hat ja heute extra die rote Fliege angelegt, weil sich das französische Fernsehen angemeldet hat. Es geht um die Niederlassungen in Lyon. Ein Blick aufs Phone: 14.52 Uhr. Mist, Mist Mist!
Okay, okay, ganz ruhig. Die Fliege scheidet aus, dann eben das Hemd.
Lang genug ist es. In der Kommode das Etui mit der Nagelschere. Wenigstens das. Vorsicht! Bloß nicht zu weit oben ansetzen! Oder halt – erst ausziehen! Fliege abreißen, den obersten Knopf auffummeln – warum zum Teufel zittern meine Finger? – Hemd über den Kopf zerren. Her mit der Schere. Seine Hand bebt, die Schere entgleitet ihr, fällt zwischen seinen Schenkeln hindurch und versinkt im gelblichen Wasser des Abflusses.
"Scheiße!" Wütend schleudert er das Hemd auf den Vorleger.
14.56 Uhr. Sofort hat er sich wieder im Griff. Nachdenken, jede Kleinigkeit kann jetzt entscheidend sein. Die Sekretärin hat Protokoll und Tagesordnung für die Sitzung schon um 14.15 Uhr hereingereicht, wollte früher gehen heute, Überstunden abfeiern. Vielleicht erwischt sie der Pförtner noch.
Das Phone, schnell, die Pforte anrufen. Ob Frau Märzel schon aus dem Hause sei. Was? Gerade eben gegangen? Mist! Nein, nein – hat nichts mit Ihnen zu tun, nicht das Geringste ...
Wieder aktiviert er die Diktierfunktion. Die Abmahnung an die Märzel muss schärfer formuliert werden. Bedeutend schärfer.
Nach dem Diktat starrt er wieder auf den leeren Toilettenpapierträger. Die feucht-kalte Stelle am Gesäß drängt sich mit Macht in sein Bewusstsein. Es gibt eine Lösung, irgendwo, du musst sie nur finden, Cesarius. Also Augen zu und zurück in die Vergangenheit, zurück in die Beifall klatschende Vorstandsriege. Wäre doch gelacht! Einen ganzen Konzern vor dem Aus gerettet. Ich! Cesarius! Wäre doch gelacht ...
Wieder das Telefon. Der Börsenmakler in Paris. Ja, ja, aufkaufen. Natürlich wird der Dollar weitersteigen!
Ob er ihn um eine Idee bitten soll? Absurd.
Was die französische Papierindustrie mache. Nur so 'ne Frage. "Beobachten Sie mal den Markt. Wiederhören."
14.59 Uhr. Sein Atem geht schneller, die Enge in der Brust nähert sich der Grenze zur Panik. Er beugt sich zu seinen Panzern neben der Klobürste hinunter. Verzweiflung schnürt seinen Hals zu. Ab in die Kiste zur Infanterie. Wo ist das Phone? 15.01 Uhr, o Gott!
Also noch mal. Ganz ruhig, tief durchatmen und: Cesarius ist fantastisch, unbesiegbar, erreicht was er will. Immer.
Die Brieftasche, natürlich! Er tastet nach der Gesäßtasche der heruntergelassenen Hose. Wenigstens die Brieftasche steckt an Ort und Stelle. Lieber Gott, ich danke dir! Aufreißen. Der Inhalt fällt auf den Marmor neben Hemd, einen vergessenen Panzer und Klobürste. 15.02 Uhr.
Kein Papier – weder Quittungen noch Bußgeldbescheide. Mist. Dafür Geldscheine: Ein paar Zehner und Zwanziger, drei Fünfziger, vier Fünfhunderter.
Er hebt einen Fünfhunderter auf und betrachtet ihn andächtig. Am Hintern der feuchte Brei. Ungefähr Zweitausenddreihundert Euro. Könnte reichen. Seufzen. Kopfschüttelnd lässt er die Hand mit dem Fünfhunderter aufs Knie fallen. Zu teuer. Außerdem braucht er das Geld heute Abend in München. Für die Studentin von der Escort-Agentur.
Scheißtelefon! Schon wieder Paris. Er sei doch an der französischen Papierindustrie interessiert. "Nein, zum Teufel!" Schnell hat er sich wieder in der Hand. Selbstverständlich sei er interessiert. Allerdings erst mittelfristig und er sei mitten in einer entscheidenden Sitzung. Wiederhören.
In Paris hatte er mal eine Kommilitonin aus Manila. Die erzählte, dass sie in den philippinischen Provinzen kein Papier benötigten. Dort machten sie es mit den Händen.
Mit den Händen!
Um Gottes Willen!
Er betrachtete seine gepflegten Hände. Mit der Rechten begrüßt man sich und führt die Speisen zum Mund, und mit der Linken ... Angewidert verzieht er den Mund. Lieber würde er einen Kollegen anrufen.
Ein Spannungsgefühl am After, verursacht vom trocknenden Kot, erinnert ihn an die gnadenlos verrinnende Zeit. 15.06 Uhr sagt die Uhr auf dem Phone.
Einen Kollegen um Hilfe bitten? In der Not frisst der Teufel Buttercremetorte. Also her mit dem Handy. Was hat dieser Idiot von Herzog für'ne Nummer? Er lädt die Kontakte hoch, H wie Herzog, er tippt auf die Nummer.
Drei Sekunden nur, dann meldet sich eine freundliche Männerstimme. "Herzog?"
"Cesarius."
"Ja, Hallo! Grüße Sie, Herr Dr. Cesarius!"
"Grüße Sie ebenfalls, Herr Dr. Herzog." Schweigen.
"Ja?"
"Tja ..." Schweigen.
"Was kann ich für Sie tun, Dr. Cesarius?"
"Tja, also ..., was ich sagen wollte ..."
"Ja?"
"Ich meine ..." Räuspern. Schweigen.
"Ach so, Sie meinen wegen Maihöfer! Haben Sie Skrupel, Herr Dr. Cesarius?"
"Skrupel nicht grad, aber ..."
"Spricht ja für Sie, spricht ja für Sie, Cesarius. Leiste mir diesen Luxus auch hin und wieder." Meckerndes Gelächter. "Aber keine Sorge: Habe ihm die Strategie für die Sitzung nachher, sagen wir: nahegebracht." Schweigen. "War doch so vereinbart, oder?"
"Ja, ja, gewiss doch, ich wollte nur sichergehen ..." Schweigen.
"Ach so! Keine Sorge, Herr Dr. Cesarius, Maihöfer hat die Summe ohne Weiteres akzeptiert."
"Ach ja?"
"Klar doch. Der Rechtsanwalt wird gleich nach der Sitzung die Akten vernichten, Maihöfer in der Versenkung verschwinden, und unsere Sessel werden die nächsten drei Geschäftsjahre aus Kruppstahl bestehen. Ha, ha ..." Wieder meckerndes Gelächter. Und wieder Schweigen. "Stimmt etwas nicht, Herr Dr. Cesarius?"
"Nein, nein, alles in Ordnung, äh ... – das, äh, wollte ich nur wissen. Alles bestens. Bis nachher, Herzog."
"Bis gleich, Herr Dr. Cesarius, bis gleich."
Bis gleich.
Er richtet sich auf, zieht scharf die Luft durch die Nase ein.
Bis gleich ... Kalter Hass vermischt sich mit der Verzweiflung in seiner engen Brust. 15.09 Uhr; er legt das Phone auf die Konsole. "Bis gleich, du Arschloch", stößt er zwischen zusammen gebissenen Zähnen aus.
Die krustige Stelle am Darmausgang scheint sich auszubreiten. Er presst die Fäuste gegen die nassen Schläfen. "Scheiße", flüstert er. "Verdammte Scheiße!", brüllt er. Reflexartig greift er nach der Zigarrenkiste, holt Soldaten und Panzer heraus und stellt sie einander gegenüber. Eine Übersprunghandlung, er weiß es genau, schickt die Infanteristen dennoch zum Angriff.
Maihöfer, dieses Schwein, wollte ihn absägen damals, unter allen Umständen. Jetzt muss er selber dran glauben. "Arschloch!" Cesarius fegt Panzer und Infanterie mit dem Fuß beiseite. Triumphgefühl strömt ihm durch den Bauch. Aber nur um im nächsten Augenblick einer plötzlich aufflammenden Wut Platz zu machen. "Du kleines, mickriges Arschloch!"
Seine Mutter fällt ihm ein. Hat auch manchmal vergessen Ersatzklopapier zu deponieren. O diese verdammten Weiber! Her mit dem Phone, die Abmahnung an die Märzel muss noch wesentlich schärfer formuliert werden!
Er diktiert, doch die Abmahnung gerät zu einer Litanei aus Beschimpfungen. In einer Mischung aus Zorn und Verzweiflung schleudert er das Gerät gegen die rote Polstertür. Es prallt ab, fällt auf die Marmorfliesen, schlittert zurück bis unter das Waschbecken. Ein Fußtritt, der ihm die Hose endgültig über die Knie auf den Vorleger rutschen lässt, befördert einen T 52 und einige Infanteristen hinterher.
"Warum mir?", jammert er. "Warum passiert so etwas ausgerechnet mir?!" Er schlägt die Hände vors Gesicht und spürt Tränen auf den Wangen.
Elia fällt ihm ein. Seine Mutter hatte ihm diese biblische Geschichte erzählt. Elia, der an Gottes Auftrag verzweifelte, Elia, der nur noch sterben wollte. Millionen Jahre her. Elia, dem ein Engel Klopapier gebracht hatte. Oder Brot. Oder Wasser. Ganz egal. "Bitte, lieber Gott, hilf mir", wimmert er.
Und ärgert sich zugleich. Verdammtes Schwächegefühl! Bei Maihöfer hat es auch so angefangen. Jeder Untergang fängt so an. Als er zum ersten Mal Maihöfers morgendliche Alkoholfahne gerochen hatte, war klar für ihn gewesen: Der Mann wird schwach. Und die Chance haben sie genutzt, Herzog und er.
Also, Schluss jetzt mit dem Gejammer. Die Hände vom Gesicht. Entspannen.
Die Hände.
Auf den Philippinen machen sie's mit den Händen.
Verdammt, warum eigentlich nicht? Schützt den Regenwald, macht's mit den Händen!
Steif aufgerichtet schickt er seine rechte Hand auf die Reise zu der kalten Kotkruste an seinem Hintern. Halt, die Linke. Wechsel. Die Linke fährt gespreizt in die Kloschüssel und nähert sich dem Darmausgang. Aber sie will nicht weiter, nicht ums Verrecken. Ekel würgt ihn.
"Reiß dich zusammen, Cesarius! Du hast den Konzern aus den Miesen geholt, du hast deine Gegner in die Wüste geschickt, du hast dir einen Vorstandssessel erobert, und du wirst diesen Sessel pünktlich um 15.30 Uhr einnehmen. Hörst du, Cesarius? Pünktlich um 15.30 Uhr. Du wirst!"
15.14 Uhr. Neue Zuversicht erfüllt ihn. Und wenn er einfach die Unterhose ...? Nein, unmöglich! Wie stünde er denn vor der Studentin von der Escort-Agentur da ohne Unterhose heute Abend! Vielleicht das Unterhemd? Zu weitmaschig. Und die Socken?
Natürlich! Die Socken – zwei Straßen weiter gibt's doch dieses Schuhgeschäft! Wo ist das Phone? Unterm Waschbecken. Er erhebt sich von der Kloschüssel, stelzt breitbeinig zum Waschbecken. Ein Infanterist zerbricht knirschend unter seiner Ledersohle. Er flucht, bückt sich nach dem Gerät, und dann zurück und schnell wieder setzen.
Telefon her, die Auskunft. Er googelt die Nummer des Schuhgeschäfts, Google muss passen. "Eine Verschwörung, eine verdammte Verschwörung ...! Er ruft die Auskunft an. "Die Nummer der Firma Hansen, Karlstraße, schnell ..., danke, ich liebe Sie!"
Er ruft das Schuhgeschäft an, wäre doch gelacht. "Hallo? Hören Sie, ich hab' ein Wahnsinnsproblem. Sie müssen mir ein paar schwarze Socken, Schuhgröße 44, in die Friedrichstraße ..., wie bitte? Ich zahle, gute Frau, ich zahle! Kommen Sie, ich zahle hundert Euro! Ins Bürohaus der DAGOBERT AG ... Wie bitte? Was soll daran ungewöhnlich sein? Zweihundert ..., achte Etage, Zimmer vierhundertsiebzig, bitte, bitte ... Wieso Verarschung, erlauben Sie mal ... Cesarius, Dr. Cesarius ... Sie sind ein Schatz! Ich liebe Sie ... In einer halben Stunde?! Jetzt brauch ich die Socken, jetzt sofort ..., zweihundertfünfzig ...! Halt, nicht auflegen ...!"
Erschüttert starrt er sein Phone an. 15.19 Uhr.
Das Gerät entgleitet seinen kraftlosen Fingern und poltert zwischen seine italienischen Schuh auf das von Hemd, Hose und Banknoten bedeckte Schlachtfeld. Er knickt mit dem Oberkörper ab und lässt seinen Kopf auf die Knie sinken. Feucht und kalt sind die. Wie sein Hintern. Er weint hemmungslos.
Durch einen Tränenschleier leuchtet verschwommen das Display des Phones. Die Zeitanzeige springt eben auf 15.20 Uhr. Er schließt die Augen, verharrt regungslos. Als er sie wieder öffnet ist es 15.23 Uhr.
Er richtet sich auf, ganz langsam. Kerzengerade. Die Lippen zusammenpressen, durch die Nase einatmen. Tief, ganz tief. So ist gut. Und jetzt genau zuhören. "Jetzt, Cesarius, wirst du der Sache hier ein Ende machen."
Er bückt sich, sammelt die Geldscheine um seine heruntergelassene Hose auf, sortiert sie nach Wert. Mit den Zwanzigern fängt er an.
Hart und rau reibt das Geld über die Haut seines Darmausganges, viel härter und rauer, als es sich zwischen den Fingern anfühlt. Der Kot ist so fest inzwischen, dass er sich nicht ohne weiteres abputzen lässt.
Mit spitzen Fingern der rechten Hand taucht er den ersten Hunderter in das Wasser der Kloschüssel. Dann den zweiten. Seine Finger werden nass. Er schluckt den Ekel hinunter. "Ich werde wahnsinnig!" Die Geldscheine wollen sich nicht recht mit Wasser vollsaugen. "Ich werde komplett wahnsinnig!"
Der Fünfhunderter. Der Kot löst sich langsam auf, noch ein Schein, eine einzige Schmiererei. Auch seine Hände sind schon voll. "Du wirst keineswegs wahnsinnig, Cesarius ..." Er verzieht den Mund vor Ekel. "Keineswegs wahnsinnig, hörst du?" 15.24 Uhr. Es funktioniert nicht wirklich.
Er schüttelt den klebrigen Fünfhunderter von der verschmierten Rechten. "Ich bin Cesarius." Er drückt die Spüle, weg mit dem dreckigen Geld. "Dr. Herbert Cesarius!" Er taucht seine Hand – seine rechte Hand – unter sich ins Becken und ins frische Wasser. "Ich bin Chefcontroller geworden. Ich habe mich bewusst auf einen Schleudersitz begeben." Er reibt mit der nassen Rechten über seinen After. "Hab ihn zielstrebig mit einem Vorstandssessel vertauscht." Er taucht und reibt und taucht und reibt. "Ich habe diesen gottverdammten Laden in die schwarzen Zahlen geführt." Mit der Rechten streift er das Wasser vom Gesäß. "Und ich werde diesen Sessel pünktlich zum Beginn der heutigen Vorstandssitzung einnehmen!"
Er erhebt sich. Er steht.
Breitbeinig, mit vor sich ausgestreckten, tropfenden Händen, stelzt er zum Waschbecken. "Pünktlich um 15.30 Uhr." Eine nervtötende Xylophonmelodie hallt durchs Klo – die Alarmfunktion des Phones erinnert ihn an den bevorstehenden Sitzungstermin. 15.26 Uhr. "Ich, Dr. Herbert Cesarius." Er zieht die Hose hoch, schließt den Gurt. "Feuchter Hintern oder nicht."
Das Hemd – bloß das Hemd nicht vergessen. Halt – die Fliege ... Noch einen Blick in das Klobecken: In bräunlicher Brühe schwimmt tatsächlich noch ein Fünfhunderter. Er angelt ihn heraus, spült ihn unterm Wasserhahn ab, und legt ihn auf die Heizung. Gut so.
Noch ein letzter Blick in den Spiegel. Wohltuende Befriedigung erfüllt ihn. "Du bist großartig, Cesarius, ganz fantastisch bist du!" Triumphierendes Lächeln glättet seine Züge.
Immer lauter tönt das elektronische Xylophon. Er bückt sich nach dem Phone, stellt den Alarm ab. 15.29 Uhr. Im Hinausgehen bückt er sich nach einem T-52 Panzer und lässt ihn in die Hosentasche gleiten.
Er würde zwei Minuten zu spät kommen; genau richtig für einen wichtigen Mann wie ihn. "Einen angenehmen Tag, meine Herren", murmelte er. Genau das würde er sagen – "Einen angenehmen Tag, meine Herren!" – sein Siegerlächeln anknipsen, seine Rechte ausstrecken und jedem einzelnen genüsslich die Hand drücken.
ENDE