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Im Konditionstraining mussten wir gleich am ersten Tag einen Fünfkilometerlauf zum Nordufer des Sees und zurück machen. Seanie und JP merkten natürlich, dass mit mir etwas nicht stimmte. Wir liefen als Schlusslichter so langsam hinter den anderen her, dass wir uns unterhalten konnten.

»Wie war’s gestern Nacht?« JP fragte als Erster.

»Das Spiel fing um Mitternacht an«, sagte ich.

»Da fing es erst an?«, sagte Seanie.

»Kurz nach Mitternacht«, sagte ich. »Kevin Cantrell, Joey Cosentino, ich und Chas. Und sie hatten Bier dabei.«

Mir wurde schon wieder übel, wenn ich es nur aussprach.

»Gott, Ryan Dean, dafür könntest du voll von der Schule fliegen«, sagte JP.

»Hast du was getrunken?«, fragte Seanie.

»Die haben mir keine Wahl gelassen.« Wir liefen schweigend ein paar Schritte. Ich konnte mir denken, was sie dachten, deshalb sagte ich: »Ich war betrunken. Und als Erster draußen war ich auch.«

»O Gott«, sagte JP.

Und Seanie, unsere Frohnatur, fügte hinzu: »Und, wie ist das so, wenn man ein verfickter Alkoholiker ist?« Dann schubste er mich, und ich wäre fast in den See gefallen. Ich wusste, dass er nur Quatsch machte, aber bei Seanie kriegte man immer das Gruseln, wenn er so Sachen sagte.

»Mann, Seanie, mir geht es voll fuck dreckig.«

Gut, ich sagte nicht wirklich »fuck«, weil ich ernsthaft nie fluche, aber es ging mir fuck dreckig. Ich dachte das Wort auf jeden Fall, auch wenn ich es nicht aussprach. Dann fragte ich mich, ob es offiziell als Fluchen zählt, wenn man nur im Kopf flucht und es nicht ausspricht. Ich fügte hinzu: »Das werde ich jedenfalls nie wieder tun.«

»Das sagen alle verfickten Alkoholiker«, erwiderte Seanie trocken. »Dann gehen sie nach Hause, lassen die Sau raus wie fuck und jagen ihrer Frau eine Kugel in den Kopf, während sie gerade dabei ist, Hackbraten mit Bohnen zu machen.«

Ich musste lachen. Außerdem musste ich dringend zurück zu den Toiletten in der Umkleide.

»Was musstest du machen, als du draußen warst?«, fragte JP.

Ich versuchte mich zu besinnen, aber die Erinnerung war ganz körnig und undeutlich, wie die Aufnahmen seinerzeit von Neil Armstrong bei seinem Mondspaziergang.

»Moment mal«, sagte Seanie. »Wenn Joey dabei war, ist es vielleicht etwas, worüber du mal mit deinem Dad reden solltest.«

»Du bist ja krank, Seanie«, sagte ich. »Ich musste nach unten gehen und im Mädchenklo pinkeln. Und singen. Und auf der Etage sind keine Mädchen, nur diese – igitt – Mrs Singer.«

»Total heiße Nummer, die Frau«, sagte Seanie. »Hat sie deinen Schniedel zu sehen bekommen?«

Ich musste anhalten. Ich krümmte mich vor Lachen. Seanie verzog keine Miene.

»Ich habe sie ausgesperrt. Sie war stinksauer. Die andern haben mich zum Fenster rausgezogen.«

»Und wie jetzt«, sagte Seanie ausdruckslos, »hat Joey deinen Schniedel zu sehen bekommen?«

»Das ist doch dämlich«, sagte ich. »Ich mag Joey gern. Und er ist ein super Spieler.«

»Joey ist cool«, bestätigte JP.

Da schrie Seanie zum Himmel empor: »Universelles Dementi! Ich nehm’s zurück! Vergib mir, Joey! Ich werde mich nie, nie wieder über deine Schwulheit lustig machen!«

Da Joey in der zwölften Klasse war, konnte er selbstverständlich nicht irgendwo in der Nähe sein.

Wir hatten den Wendepunkt erreicht und kehrten zur Sporthalle um.

JP fragte: »Welches Lied hast du gesungen?«

»Proper Ranger.«

»Oh. Schick.«

Dann fingen Seanie und JP an, das Lied zu singen, und ich musste mitsingen, und einige der Jungen vor uns hörten es, und die im Rugby Team waren fielen sofort ein. Aber ich erzählte Seanie und JP nichts von dem Durchfallfluch, weil ich nicht glaubte, dass es mehr war als ein verrückter Zufall – Karma irgendwie. Geschah mir ganz recht, wenn ich dumm genug war, mich zu betrinken.

Und ich erzählte ihnen auch nicht, dass Mrs Singer mir beim Hinausgehen hinter der Tür nachgestarrt hatte.