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Das bewies nur, dass es stimmte, was alle sagten: Seanie war ein Stalker.
Warum sonst war er so versessen darauf zu wissen, wo genau ich in meinen Kursen saß? Er führte wahrscheinlich über alle, die er kannte, kleine Stalker-Tabellen und Stalker-Hefte.
Es ging mir an dem Tag die ganze Zeit dermaßen dreckig, dass ich erst wieder an Annie dachte, als ich sie in unserem Literaturkurs sah.
Ihr bloßer Anblick reichte aus, um mich im Nu genesen zu lassen.
Ich schritt den Gang hinunter zu ihrer Bank und setzte mich auf den leeren Platz neben ihr. Sie streifte mich mit einem Blick und wandte sich wieder einem Taschenbuch zu, das sie las.
»Hi. Kann ich neben dir sitzen?«
»Mir egal.«
Holla. Bei unserer letzten Begegnung hatte sie mich noch leibhaftig berührt; sie hatte mir durch die Haare gewuschelt, mich Ryan Dean genannt und mir gute Besserung gewünscht.
Und jetzt?
Auf einen Schlag war sie ganz offensichtlich stinksauer auf mich. JP setzte sich auf ihre andere Seite. Er blickte mich an. Er hatte unseren kleinen Wortwechsel verfolgt. Kein Zweifel, er sah, dass irgendwas los war. Aber bevor ich sie danach fragen konnte, laberte Mr Wellins los über amerikanische Literatur und Nathaniel Hawthorne (einen Autor, den ich ehrlich gern mag, aber wie sollte ich auf den Unterricht achten, wenn ich mich total bekackt fühlte und Annie Altman mir praktisch gerade eine Ohrfeige gegeben hatte mit ihrem »Mir egal«?).
Memo an mich selbst: Der letzte Absatz oben endet mit einer Ballung von Satzzeichen, wie ich sie – in der Reihenfolge – noch nie im Leben gesehen habe.
Ich zog Seanies Zettel hervor und faltete ihn auf. Er hatte mir tatsächlich ein Haiku geschrieben (und ich dachte nicht im Traum daran, meine Zeit mit einem Antwortsonett zu verplempern). Über die Seite war ein Regenbogen gemalt. Darunter hielten sich zwei krakelig gezeichnete Strichmännchen an der Hand. Beide waren mit Pfeilen namentlich kenntlich gemacht: »Winger« stand auf der einen und »Joey« auf der andern Seite.
Winger und Joey
Banknachbarn im Unterricht
„Lass uns zweisam büffeln!“
Und ich schrieb darunter:
DUKRANKESARSCHLOCHDUKANNSTJANICHTMALSILBENZÄHLENSEANIE!!!
Ist irgendwas, Annie?
Ich schrieb das an den Rand von Seanies Zettel. Neben das Fragezeichen malte ich ein Smiley.
Sie lehnte sich herüber und kritzelte:
Hab erfahren, dass du dich gestern Nacht betrunken hast.
Du bist ein ARSCHLOCH!
Tut mir leid. Ich wollte es gar nicht.
Du bist ein Arschloch genau wie Chas.
Lass mich in Ruhe.
Tschüs.
Und das war’s. Sie ignorierte mich während des ganzen endlosen Restvortrags über Hawthorne, dem ich nicht zuhören konnte. Mir klangen die Ohren.
Ich saß da und wünschte mir, ich könnte einfach sterben.
Und unter die Mitteilung an Seanie schrieb ich noch eine Zeile:
UNDFICKDICHDASSDUANNIEVONGESTERNNACHTERZÄHLTHAST!!!
GUTERFREUND.
Als Mr Wellins uns in die Mittagspause entließ, sprang Annie von ihrem Platz und stürmte zur Tür hinaus.
»Annie, warte!«
Aber ich wusste, dass ich sie nicht einholen würde.
»Was ist los?«, fragte JP.
»Nichts. Sie ist sauer auf mich.«
»Meinst du?« JP versuchte zu lächeln. »Komm, lass uns essen gehen.«
»Mir geht’s nicht besonders«, sagte ich. »Wir sehen uns beim Rugby.«
JP zuckte nur die Achseln und packte seine Sachen zusammen.