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Ich warf mich in meine Klamotten, ohne zu duschen. Das konnte ich auch in der O-Hall machen, auch wenn die Duschen hier in der Umkleide viel sauberer und separater waren. Aber mein einziger Wunsch war, weg von der Schule und nichts wie ins Bett. Also knüllte ich einfach meine Sachen zusammen und stopfte sie in meinen Spind. Ich packte meinen Pullunder in den Rucksack und hängte mir lässig den Schlips über die Schulter, ohne das Hemd zuzuknöpfen und in die Hose zu stecken. Der Tag war vorbei, und jetzt war es egal, ob wir vorschriftsmäßig gekleidet waren oder nicht.

Ich wartete nicht einmal ab, bis Seanie und JP aus der Dusche kamen. Auf dem Weg aus der Kabine gab ich noch ein paar Mitspielern die Hand.

Ich nehme an, es war ungefähr halb fünf, als ich auf dem Weg zum See den Hügel hinunterging. Ich sah ein paar Leute unten über den Campus gehen, aber um die Tageszeit waren die meisten Schüler entweder in ihren Wohnhäusern oder beendeten gerade das Training in den Mannschaftssportarten, die im September auf dem Plan standen.

Ich sah Joey ungefähr hundert Meter vor mir gehen, offensichtlich auch auf dem Rückweg in die O-Hall. Aber als er auf der Höhe des Footballfelds war, traten Casey und Nick aus einem Pulk von Spielern, die untätig herumstanden (was die meisten Footballspieler das ganze Training über tun), und liefen auf Joey zu. An der Art, wie sie sich bewegten, konnte ich erkennen, dass sie mit ihm Streit anfangen wollten, und ich guckte mich um, aber niemand sonst vom Rugbyteam kam schon aus der Kabine.

Toll.

Ich und Joey gegen die ganzen anabolikageilen Football-Dumpfbacken.

Ich ging schneller. Casey und Nick bemerkten mich nicht einmal. Sie blickten an Joey vorbei zur Umkleide hinauf, aber wer achtete schon darauf, ob meine mickerärschige Wenigkeit den Hügel herunterkam? Und wenn, wen störte es?

Dann sah ich, wie Casey direkt auf Joey zuging und ihm mit rausgestreckter Brust einen Stoß versetzte, so dass er zurücktaumelte. Und Casey sagte: »Du findest dich wohl sehr witzig mit deinem Lied, was, du Schwuli?«

Ich warf meinen Rucksack hin und lief, so schnell ich konnte.

Ich wusste, dass Joey sich wehren würde. Er hatte vor niemandem Angst. Das durfte man auch nicht als Zentrum der Hintermannschaft, und Joey hatte im Leben bestimmt tausendmal so viele harte Stöße gegen seinen ungepolsterten Körper abbekommen wie Casey. Aber ich durfte nicht zulassen, dass diese Arschlöcher ihn in die Zange nahmen.

Ich lief schneller als vorher im Training. Es musste sein. Und als Joey gerade die Fäuste ballte, Nick sich hinter ihn schlich und Casey zum ersten Schlag ansetzte, schmiss ich mich mit voller Wucht in Caseys Kniekehlen, Kopf oben und Schulter unten, schlang die Arme um seine Beine und brachte ihn krachend zu Fall.

Ich sprang von Casey runter.

Casey sagte: »Fuck, geht’s noch?«, und er boxte mir ins Gesicht, als ich mich gerade aufrappelte, so dass ich gegen Joey taumelte.

In dem Moment kriegte einer der Footballtrainer mit, was abging, und brüllte uns zu, wir sollten aufhören. Der Trainer blieb einfach weit hinten auf dem Spielfeld stehen, Tabak spuckend und ein Klemmbrett in der Hand, und beobachtete uns, als ob er zu faul wäre, rüberzukommen und nachzuschauen, ob der Streit Ernst war oder nicht.

Ich kann nur eins sagen: Wenn Coach M gesehen hätte, was ich tat, wäre ich am Arsch gewesen. Ein für alle Mal. Ich wäre aus dem Team geflogen. Und von der Schule.

»Bei dir fuckt’s wohl, du kleines Stück Scheiße!«

Ich hatte den Verdacht, dass Casey Palmer mich damit meinte.

Da bemerkte ich, dass meine Brust blutbesudelt war und mein offenes, einst weißes Schuluniformhemd rote Spritzer hatte. Mir knickten die Knie ein. Ich musste mich hinsetzen.

Okay, dachte ich, das war’s. Ich hatte meinem Körper in den letzten vierundzwanzig Stunden so viel zugemutet, wie er verkraften konnte. Jetzt musste ich bestimmt sterben. Ich machte mich darauf gefasst, in den Lichttunnel zu blicken und meine Uroma und den kleinen Chihuahua zu sehen, den ich mit vier gehabt hatte. Von einem UPS-Wagen überfahren.

Nein, sie wurden nicht beide von dem UPS-Wagen überfahren, ihr wisst schon, was ich sagen wollte.

Da hörte ich einen Pfiff, und der Footballtrainer schrie Casey und Nick zu, sie sollten zu ihrem Rumstehtraining zurückkommen, und ich merkte, dass ich doch nicht tot war, aber meine Nase blutete nicht schlecht.

»Gott. Ich bin voll der Idiot«, sagte ich.

»Was hast du dir bloß bei dem Fuck gedacht?« Joey hörte sich angepisst an.

»Überzahl. Zwei gegen einen.«

Ich streifte mein Hemd ab und hielt es mir vors Gesicht. Ich nahm es wieder weg und sah es mir an. Ich blutete nicht mehr so stark.

Vielleicht war ich leergelaufen.

»Sieh zu, dass du dich wäschst und umziehst, sonst kriegst du richtig Ärger.«

Ich wischte mir mit dem ruinierten Hemd das Blut ab, so gut es ging, und stand auf.

»Ich sage einfach, es wäre im Training passiert«, sagte ich. »Bei einem Tackling. Stimmt ja auch.«

Ich hatte mir beim Rugby schon mehr blutige Nasen geholt, als ich zählen konnte.

Das heißt, eigentlich habe ich natürlich nur eine Nase, die bluten kann, aber passiert ist das schon Dutzende Male.

»Gott. Für heute bin ich fertig mit der Welt.«

Ich knüllte mein Hemd zusammen und stopfte es in meinen Rucksack. Ich setzte mich gerade Richtung O-Hall in Bewegung, da sah ich die andern aus unserem Team aus der Kabine kommen und den Hügel hinuntergehen.

Joey blieb einfach am Rand des Footballfelds stehen, guckte den Arschlöchern beim Training zu und wartete auf unsere Mannschaftskameraden.