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Seanie Flaherty,
Arsch, trittst mir auf die Nüsse.
Schnell, bring mich wer um.
»Hier«, sagte ich und warf den zusammengefalteten Zettel beim Abendessen neben Seanie auf den Tisch. »Ich habe ein Haiku darüber geschrieben, wie sehr mich deine widerliche Fresse ankotzt, Seanie.«
»Alter, wie kann man so schwul sein?«, sagte Seanie mit seiner üblichen unbewegten Miene, den Blick auf sein Essen gerichtet, und faltete den Zettel auf. »Schreibt der mir echt ein Haiku über seine Eier.«
JP saß ein kleines Stück weiter auf der andern Tischseite. Es war mir egal. Ich redete ja nicht mit ihm, und seinetwegen würde ich mich gewiss nicht von meinen Freunden fernhalten.
Da fragte Joey: »Was hat der Arzt gesagt, Ryan Dean?«
Tja. Mir ist bei der Sache noch was klar geworden: Man denkt, eine Verletzung an den Eiern zu bekommen ist wahrscheinlich das Schlimmste, was einem Jungen überhaupt passieren kann, aber das stimmt nicht.
Mit einer Verletzung an den Eiern zum Arzt gehen zu müssen ist viel, viel schlimmer.
Ich setzte mich also zum Essen zwischen Freunde und Feinde gleichermaßen, darunter die verführerisch heiße Isabel mit dem zarten Damenbart, die mit großen Augen und gespannter Aufmerksamkeit zuhörte und sich zweifellos alles genau merkte, damit sie umgehend zu der genesenden Annie Altman eilen und sie in der Sache von Ryan Dean Wests Hoden auf den neuesten Stand bringen konnte.
»War diese heiße Krankenschwester wieder da?« Seanie sabberte regelrecht.
»Nein«, sagte ich. »Nur Doktor Bloßhand.«
»Iiie«, sagte Seanie. »Hat er etwa deine süßen Nüsslein ohne Handschuhe befingert?«
Ich aß ein Stück Hühnchen, als hätte ich nicht vor, ein Wort mehr über die Angelegenheit zu verlieren. Ich blickte zu JP hinüber, und der blickte weg.
»Erzählst du jetzt oder was?«, sagte Seanie ungeduldig.
Ich sammelte meine Gedanken.
»Glaubst du an Hexen?«, fragte ich.
»Ich geb’s auf«, sagte Seanie und trank einen Schluck Milch.
Ich blickte Isabel an. Es war mir ein bisschen peinlich, aber nicht so peinlich, wie allen auf der Krankenstation zu erklären, warum ich schreckensbleich und völlig verdreckt vor ihnen stand und mir mit der Hand in der Sporthose das Geschlechtsteil hielt. Selbst meine Freunde hatten nicht mitkommen mögen, denn ihnen graute davor, ihren eigenen Ängsten zu begegnen und mit ansehen zu müssen, wie ich in dem kalten Sprechzimmer nackt auf einer raschelnden Papierunterlage saß und der Arzt mich untersuchte. Kopfverletzungen gingen noch, aber, wie gesagt, kein Junge will sich aus nächster Nähe mit einer katastrophalen Penisverletzung beschäftigen.
»Es ist nur ein Riss«, sagte ich. »Am Sack. Er hat ein Pflaster draufgeklebt.«
»Ein SpongeBob-Pflaster?«, fragte Seanie, und dabei spuckte er beinahe seine Milch aus.
Selbst Joey lachte.
Ich bin voll der Loser.
»Alter«, rief Seanie aus, »wie krass ist das denn! Ich hab im ganzen Leben noch nie jemand kennengelernt, dem der Arzt ein Pflaster auf den Sack geklebt hat. So was gibt’s gar nicht. Das könnte sich nie einer ausdenken. Ryan Dean West, du wirst hier zu einer Legende von fuckumentalen Ausmaßen!«
»Seanie«, sagte ich, »es ist mit Worten gar nicht auszudrücken, wie sehr ich dich in diesem Augenblick hasse.«
»Ooch, ich liebe dich auch, Ryan Dean«, sagte er.