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Das gesellige Beisammensein dümpelte kurz nach vier Uhr langsam aus, und händeschüttelnd schlenderten wir durch die Schulkantine zum Bus, der für unsere lange Rückfahrt zur Pine Mountain bereitstand.

Seanie und ich waren unter den Ersten, die gingen. Ich glaube, wir schenkten beide dem Grüppchen von vier Jungen, die am Bus auf uns warteten, keine große Beachtung. Hätten wir das getan, wäre uns bestimmt aufgefallen, dass sie keine Sacred-Heart-Schüler waren, denn sie trugen weder Schlips noch Bundenfaltenhose.

Einfach irgendwelche Hänger aus Salem, die sich ein Rugbyspiel angeschaut hatten, dachte ich mir.

Als Seanie vor mir in den Bus stieg, sagte einer der Jungen: »Glückwunsch. Gutes Spiel.«

»Danke«, sagte ich. Ich setzte den Fuß zum Einstieg auf die erste Stufe.

»Ich wollte meinem Cousin hallo sagen«, sagte der Junge. »Er ist bei dir im Team. Joey Cosentino. Kommt er auch noch?«

Ich drehte mich um und sah Joey und Kevin aus der Mensa kommen.

»Da drüben ist er.« Ich zeigte mit dem Daumen über die Schulter.

Darauf gingen die vier Jungen auf Joey zu, und ich schaute ihnen hinterher, aber es machte überhaupt nicht den Eindruck, als ob Joey sie erwartete. Im Gegenteil, Joey blickte erschrocken, als er sie sah. Und bevor ich’s mich versah, war die Hölle los und irgendjemand brüllte Vorsicht, der Kerl habe ein Messer in der Hand.

Ich habe im Leben Leute schon ziemlich dämliche Sachen machen sehen, aber auf einen Rugbyspieler loszugehen, wenn sein ganzes Team dabei ist, dürfte die dämlichste von allen sein. Einer der Jungen ergriff sofort die Flucht. Ich sah Chas hinter ihm herlaufen, aber der Kerl hatte zu viel Vorsprung, und so beschloss ich, Chas zur Hilfe zu kommen, was auch ziemlich dämlich war bei meiner Kopfwunde und der andern Verletzung, die ich gern vergessen hätte, aber nicht vergessen konnte, weil es mir jedes Mal, wenn ich das rechte Bein bewegte, einen schmerzhaften Stich versetzte.

Ich holte den Fliehenden ein und pfefferte ihn auf den nassen schwarzen Asphalt der Zufahrtsstraße zur Sacred Heart. Ich tat mir dabei nicht weh, weil er eine Daunenjacke anhatte und ich auf ihm landete, aber er schrammte sich beim Aufschlagen ziemlich übel das Gesicht auf. Ich hielt ihn fest und bemühte mich zu verhindern, dass er mir eines der letzten Schulhemden aus meinem schrumpfenden Vorrat vollblutete, bis Chas ankam und dem Kerl zweimal in die Rippen trat. Ich weiß, dass er ihm dabei etwas brach, denn Chas war nicht zimperlich, wenn er einmal beschlossen hatte, wirklich so weit zu gehen.

»Bei dir fuckt’s wohl!«, sagte Chas zu dem Jungen, der sich nicht mehr muckste, sondern nur japste und blutete. Heftig. Chas fuhr fort: »An dir ist ja kaum mehr dran als an Winger. Ich sollte auf dich drauf pissen, du mieser, blöder Fucker.«

Die Bemerkung hob mein Selbstbewusstsein nicht sonderlich, aber ich sagte: »Lass mich vorher von ihm runtergehen, Chas.«

Als ich aufstand, hörte ich Sirenen. Jemand hatte die Polizei alarmiert.

Ich blickte mich nach der Menschenansammlung um Joey und Kevin um und sah, dass Coach M und noch ein paar Erwachsene die andern drei Jungen im Griff hatten.

»Komm, wir schaffen ihn zu den andern«, sagte ich.

Chas nahm den blutenden Jungen in den Polizeigriff und zwang ihn mitzugehen. Beim Näherkommen sahen wir beide, dass mehrere Leute knieten. Kevin lag auf dem Rücken am Boden. Eine Nonne hatte die Hand auf seiner Stirn. Joey sagte etwas zu ihm. Er hielt Kevins Hand. Kevins Hemdbrust war voll Blut, und er hustete und blickte starr in den Himmel.

Kevin Cantrell hatte einen Stich abbekommen.

Ein Messer lag neben seiner Schulter am Boden.

Die Sirenen wurden schmerzhaft laut, und das erste Polizeiauto hielt quietschend direkt neben Kevin.