48
Ich wusste, dass die Fahrt zum Flughafen peinlich werden würde. Chas überbot sich selbst, um sie noch schlimmer zu machen, als sie eh schon war.
Nachdem wir unser Gepäck in den Kofferraum seines SUV geladen hatten, teilte Chas mir mit, dass mein Platz auf dem Beifahrersitz war. Das bedeutete, erläuterte er, dass die Schwulen vorne zusammensaßen, damit er hinten bei »den beiden heißen Bräuten« sitzen konnte, wie er sich ausdrückte.
Chas Becker war voll der Horst.
Nicht, dass ich mich anders ausgedrückt hätte, schon gar nicht, dass ich nicht so ziemlich alles gegeben hätte, um zwischen ihnen zu sitzen. Ich gab sogar zu bedenken, dass es für Annie und Megan bequemer wäre, wenn ich in der Mitte säße, weil ich ja kleiner war als Chas, aber Chas sah Megan nur einmal an, dann warf er mir einen Blick zu, als wollte er mir einen Kinnhaken versetzen, und sagte: »Halt’s Maul, Winger!«
Als wir auf der Straße waren, drehte ich mich um und sah, dass Chas sich in die Mitte gesetzt und die Arme über die Rücklehnen gelegt hatte, als nähme er beide Mädchen in Besitz. Er schaute mich an, als wäre er der König der Welt oder so, was mich aus irgendeinem Grund an die Flasche mit Pisse denken ließ, die ich noch nicht entleert hatte.
»Wie sind deine Pläne fürs Wochenende, Ryan Dean?«, fragte Joey. Er achtete auf die Straße, warf aber hin und wieder im Spiegel einen kurzen Blick auf Chas und die Mädchen. Normalerweise wären sie mit Kevins Wagen gefahren, der größer war als Chas’ SUV. Joeys Auto kam nicht in Frage, da es ein Zweisitzer war.
»Nichts Langweiliges«, sagte ich. »Kein Fernsehen. Ich und Annie werden ein bisschen am Strand laufen, nehme ich an. Keine Ahnung. Vielleicht angeln gehen, wenn es nicht zu regnerisch ist.«
»Klingt wahnsinnig spannend«, sagte Chas. »Wann fangt ihr zwei endlich an, richtig mal was miteinander zu machen? Oder werden Annies Eltern das ganze Wochenende Wachhund spielen?«
»Halt die Klappe, Chas«, sagte ich. »Annie ist nicht so eine.«
Ich blickte Annie an, und sie lächelte mir zu. Und dann sah ich, dass Chas näher an sie heranrutschte.
»Ich wette, das könnte ihr gefallen«, sagte er.
»Vielleicht sollte ich vorne sitzen«, sagte Annie.
Megan versuchte das Thema zu wechseln, lenkte aber das Gespräch in die denkbar ungünstigste Richtung: »Ich wette, Ryan Dean kann richtig gut küssen, Annie. Stimmt’s?«
Kaum hatte sie das gesagt, passierten mehrere Sachen gleichzeitig:
- Ich spürte regelrecht, wie meine Hoden in die Bauchhöhle hochwanderten. Ich weiß nicht, ob ich weiß oder rot wurde, aber irgendetwas wurde ich definitiv.
- Megan bekam diesen gereizten und provozierenden Gesichtsausdruck – definitiv der Blick der sehr, sehr fiesen Polizistin.
- Joey hustete, als hätte er sich an etwas verschluckt, und schoss dann den »Krieg deinen Scheiß auf die Reihe, Ryan Dean«-Blick auf mich ab.
- Chas nahm die Arme von beiden Mädchen weg, faltete schmollend die Hände im Schoß und setzte dazu einen Blick auf, der sagte, dass er mir am liebsten den mickerärschigen Hals brechen würde. Er musste wissen, was mit mir und Megan lief. Da war ich sicher.
- Und Annie sagte: »O ja, er küsst ganz toll. Und er ist glatt wie ein Babypopo.«
Dann sagte Chas: »Wollt ihr jetzt rechts ranfahren und Flaschendrehen spielen, oder sollten wir vielleicht zusehen, dass wir rechtzeitig am Flughafen sind und unsere Flüge kriegen?«
Megan setzte sich gerade hin und zwinkerte mir zu. Ich wollte gar nicht schauen, ob Annie das mitgekriegt hatte. So was konnte mir ganz schnell das Wochenende versauen, das bestimmt das beste Wochenende meines Lebens werden würde.
Ich räusperte mich und sagte: »Annie macht bloß Quatsch. Wir haben uns noch nie geküsst. Nicht mal annähernd.« Und mit Blick auf sie fügte ich hinzu: »Obwohl ich sie hundertmal gefragt habe.«
Damit war sie vom Haken. Fürs Erste.
Ich wusste, dass ihr das zu denken gab. Ich kannte Annie. Sie würde eine solche Aussage nicht ein Wochenende lang unkommentiert lassen, deshalb wandte ich mich wieder der Straße zu und versuchte, meine Nüsse durch pure Willenskraft von Bauchnabelhöhe zurück nach unten zu schieben, ein stilles Lächeln im Gesicht. Ich war zuversichtlich, Annie Altman bald so weit zu haben, dass sie ihrer Schwäche nachgab.