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Ich lief einfach.

Der Wald wurde dunkler; die Wolken wurden dichter.

Ich nahm meine Kappe ab und warf sie in die Brombeeren, die hier überall im Wald wuchsen. Dann zog ich mein klatschnasses Sweatshirt aus und ließ es auf links gedreht in den Schlamm fallen.

Ich lief weiter.

Ich trat mir einen Schuh vom Fuß und warf ihn rechts in den Wald, so weit ich konnte. Dabei flüsterte ich: »Fick dich, Schuh!« Ich hörte ihn aufprallen und irgendwo im dunklen Grün wie ein toter Vogel zu Boden fallen. Dann trat ich den andern Schuh herunter und warf ihn in die entgegengesetzte Richtung. Ich warf so fest, dass mir der Arm wehtat.

Meine Strümpfe waren schwarz von Schlamm.

Ich war wohl nicht ganz bei Verstand.

Nein, ich will ehrlich sein. Was Annie da mit mir machte, brachte mich vollkommen um den Verstand, und ich fand mich selbst unerträglich. Ich zog die Strümpfe aus und ließ sie auf dem Weg liegen.

Einerseits hätte ich mich am liebsten komplett nackt ausgezogen, wäre einfach in den Wald gerannt und ein wilder, freier Wolfsjunge geworden, der niemals für irgendwen irgendwas tun musste, außer nackt durch den Wald zu laufen und etwas zu jagen, wenn er Hunger hatte. Aber das Gefühl der Nylonlaufhose auf der auskühlenden Haut reichte vermutlich aus, mich daran zu erinnern, dass ich später am Tag einen Flug zu kriegen und Analysisaufgaben zu machen und Hemingways In unserer Zeit zu lesen hatte, lauter Sachen, um die ich mich nicht gekümmert hatte, weil ich mich seit Freitagnachmittag wie ein wilder, freier Wolfsjunge gefühlt hatte. Jetzt war es an der Zeit, wieder Ryan Dean West zu werden, der verfickte kleine Loser, der vierzehn war und in der elften Klasse.

Ich setzte mich schlotternd auf die nasse Betonstufe vor der Haustür.

Ich glaube, meine Haut war so grau wie der Himmel, und ich umschlang meine Knie, um irgendwie warm zu werden, als sie angelaufen kam, mein Sweatshirt und meine Strümpfe nass und schmutzig unter den Arm geklemmt.

»Was soll das, Ryan Dean?«

»G-gar nichts.« Ich stotterte vor Kälte. »Ich hab dir doch gesagt, dass ich gern im Regen laufe. Ich wollte richtig nass werden.«

»Es tut mir leid, Ryan Dean.«

»Schon gut, Annie. Macht nichts.«

»Bleib hier«, sagte sie und warf meine Sachen neben mich auf die Stufe. »Ich geh dir ein Handtuch holen.«