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Zwei Sachen sprangen mich sofort an, als ich Chas und Megan zusammen aus dem Flugzeug von Los Angeles steigen sah.

Erstens sahen sie aus, als hätten sie sich satt, wie ein altes Ehepaar, das zu lange zusammen Urlaub gemacht und Stress gekriegt hatte; und zweitens war ich irgendwie eifersüchtig, dass Chas das Wochenende mit Megan verbracht hatte.

Das ist bescheuert, ich weiß.

Bin ich deswegen ein schlechter Mensch? Joey konnte sagen, was er wollte, ich würde niemals aufhören, Megan Renshaw superheiß zu finden, und in mancher Hinsicht war sie zugänglicher als Annie.

Ich will ehrlich sein. Als ich sie aus dem Flugzeug kommen sah und merkte, dass ich auf Chas eifersüchtig war, empfand ich die ganze Situation als unheimlich bedrückend. Vielleicht, dachte ich, ging es mir nur deswegen so, weil ich irgendwie das Gefühl hatte, dass Annie mich wieder abservieren würde. Vielleicht hatte Joey recht und Annie wollte nicht verletzt werden, aber, verdammt noch mal, ich auch nicht. Vielleicht sah ich ja in Megan nur so was wie fünf von fünf brutzelheißen Verstellschlüsseln auf der Ryan-Dean-West-Tabelle für Sicherheitsnetzmontagewerkzeug.

Ich fühlte mich trotzdem mies, und ich fasste Joey am Kragen, während wir am Gepäckband warteten, und flüsterte: »Joey, sag mir noch mal, dass ich erwachsen werden soll.«

Und er sagte: »Ryan Dean, werd fuck noch mal erwachsen!«

Denn er hatte gesehen, wie ich Megan angeschaut hatte.

In manchen schmalzigen Geschichten kriegt man als Moral aufs Brot geschmiert, dass man sich vorsehen soll, was man sich wünscht, aber für schmalzige Geschichten hatte ich noch nie was übrig und für Moralpredigten vom hohen Ross noch weniger, deshalb war es ein bisschen wie sterben und in die andere Welt zu Uroma und dem plattgefahrenen Chihuahua kommen, als der von Megan genervte Chas knurrte, dass er vorn sitzen wollte: »Der Stinkarsch kann hinten bei den beiden andern Mädels sitzen.«

Gut. Leck mich, Betch. Nenn mich ein Mädel. Stinkarsch. Aber auf der zweistündigen Autofahrt würden meine Beine jetzt gleichzeitig die Beine von Megan Renshaw und Annie Altman berühren, und ich hatte keinen Zweifel, dass das die mit Abstand niedrigsten Blutdruckwerte nördlich des Metalldetektorenauslöseäquators in der Ryan-Dean-West-Welt verursachen würde.

Und außerdem gab es immer noch diese ungeöffnete Flasche mit Pisse, da kannst du mich beschimpfen, wie du lustig bist.

Ob solche Sachen wohl explodieren? Ich hatte vorher noch nie eine Flasche mit Pisse länger als drei Tage – höchstenfalls – aufgehoben.

Ich war mir auch völlig bewusst, wie unglaublich dämlich ich in solchen Momenten sein kann, deshalb sagte ich mir (beziehungsweise Ryan Dean West sagte dem Wolfsjungen von Bainbridge Island), ich möge gefälligst die Klappe halten, starr geradeaus gucken und mich nicht allzu offensichtlich aufgeilen.

Super Vorsätze. Also jetzt mal ehrlich, an die Einschränkung der Offensichtlichkeit konnte ich mich gerade noch halten, aber dass der Wolfsjunge von Bainbridge Island sich das Aufgeilen nehmen ließ, daran war gar nicht zu denken. Und geradeaus gucken? Geht’s noch? Blieb nur noch die Klappe halten. Hmm … Das kam wahrscheinlich auch nicht in Frage.

Wir luden unseren ganzen Kram in den SUV und zwängten uns hinein. Das Heckfenster beschlug sofort. Ich fing an zu schwitzen. Ich streifte die Schuhe ab und schob sie unter den Sitz, wobei ich im Stillen die Schönheit dieses Buckels auf dem Boden bewunderte, der es mir erlaubte, mit meinem linken Fuß Annies rechten und mit meinem rechten Fuß Megans linken zu berühren.

Plötzlich befand ich mich in einem Kampf von epischen Ausmaßen, in dem der gute und reine Ryan Dean West mit den wilden Trieben des geilen Wolfsjungen von Bainbridge Island rang, der sich zweifellos irgendwie am Speichel des sexhungrigen schwulen Mopses infiziert hatte und infolgedessen dem Drang, jedes blutdurchströmte Wesen zu bespringen, wehrlos ausgeliefert war.

Ich bin voll der Loser.

Ich konnte nicht einmal so lange an mich halten, bis wir von dem verdammten Parkplatz runter waren.

ryan dean west: Hör auf, mit zwei Mädchen gleichzeitig zu füßeln. Du machst dir die Strümpfe schmutzig.

wolfsjunge von bainbridge island: Ich kann sie ausziehen, wenn du willst. Du weißt ja, was ich vom Bekleidetsein halte.

ryan dean west: O mein Gott. Bloß nicht.

(Der Wolfsjunge von Bainbridge Island lockert seinen Schlips und beginnt, sich das Hemd aufzuknöpfen.)

»Hier drin ist es echt warm«, sagte ich.

Megan lächelte mich an. Sie hatte ihren Schuh ausgezogen und füßelte genau unter Chas’ Sitz, wo es niemand sehen konnte, mit mir herum. Ich schmolz dahin. Ich musste etwas tun, um Abstand von den Wolfsjungentrieben zu gewinnen.

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Ich kämpfte.

Ich schob meine Hand in Annies. Wir verschränkten die Finger. Unsere Hände lagen auf dem weichen Rockstoff, der ihren Schenkel bedeckte, und ich drückte ganz fest.

Gott! Ich glaube, vor lauter Hyperventilieren erzeugte ich auf dem Rücksitz mein eigenes Kleinklima, feucht wie im Amazonas-Regenwald. Es regnete regelrecht auf diesem verdammten Rücksitz.

Megan sah, dass ich mit Annie Händchen hielt. Sie schaute nicht sehr erfreut. Sie zog ihren Fuß weg und schob ihn wieder in den Schuh. Sie drehte das Gesicht zum Fenster und legte ihre Hand zwischen uns auf den Sitz. Und dann … langte sie mir … an den … Hintern.

Das gab dem Wolfsjungen neuen Auftrieb, und der gute, reine und freundliche Ryan Dean erschlaffte zu einem laschen und luschigen Neunundsechzig-Kilo-Kacksack. Mit allerletzter Kraftreserve quiekte ich Annie zu: »Ich fand das Wochenende richtig toll«, aber ich hörte mich an wie ein Drittklässler auf Helium.

Ich räusperte mich. Ich weiß nicht, woher dieser neue Ryan Dean West auf einmal kam, doch ich begriff, dass alles, weswegen Joey mich angemotzt hatte, absolut stimmte und dass Megan Renshaw obendrein genauso böse war wie Mrs Singer.

»Übrigens, Annie, das habe ich dir noch gar nicht gesagt, na ja, jedenfalls nicht so richtig, aber die Sachen, die du bei dir zu Hause machst – alles, die Skulpturen, und wie dein Zimmer ist, dein Wonder Horse, und die Geräusche und Gerüche und überhaupt, das ist alles so wunderschön. Es macht mich voll glücklich, dich zu kennen.«

Volltreffer.

Ich nahm meine ganze Kraft zusammen und zog den rechten Fuß über den Buckel, fort von Megan, so dass ich beide Füße mit Annies verknäueln konnte. Ich lehnte den Kopf zurück und sah sie an. Megan kniff mich richtig fest in den Hintern, doch ich unterdrückte meinen Schmerzreflex, und da es so wehtat, dass mir Tränen in die Augen traten, war es, was Annie betraf, ein potenzieller Grand Slam.

Doch das Spiel im Außenfeld nahm nicht ganz den gewünschten Verlauf.

Chas sagte: »Mir kommt’s gleich hoch, Muschibubi«.

Muschibubi.

Wieder was Neues.

Schick.

Megan sagte: »Ich finde, Ryan Dean ist einer der süßesten, heißesten Jungen, die ich kenne.«

Gut, ich will ehrlich sein. Sie sagte das wirklich. Und sie hatte dabei immer noch die Hand unter meinem Hintern.

Chas warf mir über die Schulter einen »Du bist fucktot, Muschibubi«-Blick zu.

Und Annie sah mich mit dem »Dass wir uns im Wochenendwahnsinn küssen, wird nie, nie wieder vorkommen«-Blick an.

Kacke.

Ich war am Arsch, und ich wusste es genau.

Ich nieste. Es ging mir auf einmal hundsmiserabel. Nicht hundsmiserabel, weil ich so ein Loser war, sondern hundsmiserabel, weil mir langsam aufging, warum ich so schwitzte und mir die Stimme versagte.

»Ist was mit dir, Ryan Dean?«, fragte Annie. Sie beugte sich vor und sah mir voll ins Gesicht, ganz nahe.

»Ich hab das Gefühl, ich werde krank«, sagte ich.

Und wie üblich in meiner Wirklichkeit passierten in dem Moment die folgenden Sachen alle gleichzeitig:

  1. (Stress) Chas drehte sich um und sagte: »Fuck, wenn du mir das Auto vollkotzt, Muschibubi, dann leckst du es wieder auf, verlass dich drauf.« Davon wurde mir gleich noch ein bisschen mulmiger.
  2. (Schick) Annie machte mitfühlend »ooch«. Sie legte mir die Hand auf die Stirn (Glückseligkeit), um zu fühlen, ob ich Fieber hatte, und sagte: »Tja, du hättest heute Morgen nicht nackt im Regen durch den Wald laufen sollen.«
  3. (Heiß) Megans Hand erwärmte sich erheblich, ihre Finger spielten in meiner Gesäßtasche, und sie sagte: »Du bist nackt durch den Wald gelaufen? Das ist ja unglaublich sexy.«
  4. (Wonach der Wolfsjunge von Bainbridge Island lechzt) Annie sagte: »Du bist richtig heiß, Ryan Dean.«

Okay, ich will ehrlich sein. Sie meinte damit meine fieberheiße Stirn. Aber mit einer Megan zur Rechten, die einem die Arschbacke umfasst und einen dabei ansäuselt, und einer Annie zur Linken, die einem mitfühlend übers Gesicht streicht und dabei so Florence-Nightingale-mäßig heiß aussieht, da kann man schon mal ins Halluzinieren geraten, oder nicht?