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»Ich bin jedenfalls heilfroh, dass ich nicht deinen Nachnamen angenommen habe.«

Robert Silver blickte von den Papieren auf, die vor ihm auf dem Küchentisch lagen. Jessikas eisblaue Augen waren wie üblich von einer dicken Schicht Make-up bedeckt. Er konnte sich kaum an eine Gelegenheit erinnern, an der sie ihr Gesicht nicht mit zig Beautyprodukten zugekleistert hatte, die sämtliche Makel verbergen und ihre Schönheit vervollkommnen sollten. Wenn er darüber nachdachte, glich ihr Gesicht diesen Schminkpuppen, mit denen die Mädchen in seiner Grundschulklasse gespielt hatten. Rot verschmierte Plastikwangen glitten an seinem inneren Auge vorüber.

Jessika holte ihn in die Gegenwart zurück.

»Wer will schon heißen wie ein alberner Pirat«, sagte sie abfällig und verschränkte die Arme unter den Brüsten. »Oder wie billige Kippen.«

Mit einem Seufzer rief Robert sich in Erinnerung, dass Jessika bald seine Ex-Frau sein würde. Sobald die Scheidung durch war. Wenn sie eine Laune an den Tag legte wie in diesem Moment, fühlte es sich nicht wie ein Verlust an.

»Was spielt das für eine Rolle?« Er legte den Stift aus der Hand. Zwischen ihnen auf dem Tisch lagen Kontoaufstellungen, Wertgutachten für das Haus und der Entwurf einer Gütertrennungsvereinbarung, den er aufgesetzt hatte, anhand einer Mustervorlage aus dem Internet.

»Keine.« Jessika blickte aus dem Fenster, vor dem das Meer schimmerte. Vom Garten ihres Hauses hatten sie freie Sicht auf den Göteborger Schärengarten.

Es war ein schönes Haus in der besten Lage von Långedrag. Ein teures Haus. Jetzt würde es verkauft werden. Robert schluckte die aufsteigende Bitterkeit herunter.

»Sollen wir das hier jetzt erledigen?«, fragte er. Nicht weil er es wollte. Jessika hatte die Scheidung eingereicht, nicht er. Er war derjenige, der ausgetauscht worden war. Gerüchtehalber hatte er gehört, dass Jessika längst einen neuen Mann gefunden hatte. Einen Mann, der mehr Geld auf dem Bankkonto hatte als er. Natürlich. Ein armer Schlucker wäre für Jessika Lööf niemals gut genug gewesen.

»Meine Eltern haben mir eine Anwältin besorgt«, sagte sie jetzt. »Eine, die ihren Beruf versteht, im Gegensatz zu anderen Vertretern ihrer Sparte.« Der verächtliche Blick, mit dem Jessika ihn bedachte, schnitt ihm ins Herz.

Er wusste selbst, dass er kein guter Anwalt war. Er konnte es sogar laut aussprechen. Mein Name ist Robert Silver, und ich bin ein schlechter Anwalt. Trotzdem verletzten ihn Jessikas Worte. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er sich etwas anderes erträumt hatte. Doch inzwischen hieß es für ihn: mitgehangen, mitgefangen. Seine Mandanten hatten keine andere Wahl. Er war der Anwalt, den sie zugewiesen bekamen. Sie hatten irgendeine krumme Tour gedreht, im Suff eine Schlägerei angezettelt oder einen Einbruch begangen, um an Geld für Drogen zu kommen. Das Gericht teilte ihm seine Mandanten zu. Ihn wählte niemand freiwillig. Er war kein erfolgreicher Anwalt mit Privatmandanten, von Verteidigungen in Wirtschaftsrechtsfällen, wo Kollegen astronomische Stundensätze einstrichen, ganz zu schweigen. Seine Mandanten saßen mit gesenktem Kopf im Gerichtssaal, während Robert Silver, bekennender hundsmiserabler Anwalt, das tat, was er am schlechtesten konnte. Der größte Fehler ihres Lebens wurde vor Gericht verhandelt, und er notierte die Zeit, die er dem Staat in Rechnung stellen konnte. Aber es spielte auch keine Rolle, was er tat, es war ohnehin nicht sein geniales juristisches Talent, das seine Mandanten alle Jubeljahre einmal freiboxte. Manchmal fand selbst ein blindes Huhn ein Korn. So war es ihm auch bei Jessika ergangen, der Frau, die ihn jetzt abservierte. Ihm hätte von Anfang an klar sein müssen, dass es nicht für die Ewigkeit war. Er hatte sich von ihrer Schönheit blenden lassen, ihrem perlenden Lachen, ihrem strahlenden Lächeln, ihrem platinblonden Haar, das ihr perfekt über die Schultern fiel. Der Fassade aus exklusiven Make-up-Produkten.

»Was soll das heißen?«, fragte er.

»Dass ich deine Vereinbarung nicht unterschreiben werde.«

»Ich dachte, wir wären uns einig.« Robert seufzte erneut.

»Du irrst dich, wie immer.« Jessika sah sich in der Küche um, die Lippen zu einem harten Strich zusammengepresst.

Er ließ sie nicht aus den Augen, als sie ans Fenster trat und ihm den Rücken zukehrte.

»Meine Anwältin wird sich bei dir melden«, sagte sie. »Mach dich darauf gefasst, dass du aus unserer Scheidung kein so großes Kapital schlagen wirst, wie du es dir vielleicht vorgestellt hast. Gott sei Dank hat sie mich an unseren Ehevertrag erinnert.«

»Tu nicht so, als hätte ich versucht, dich über den Tisch zu ziehen. Die Bestimmungen des Ehevertrags habe ich in meinem Entwurf berücksichtigt.«

Jessika antwortete nicht, drehte sich nicht einmal um. Ihre Kälte verursachte in Roberts Ohren ein nervöses Fiepen. Jessika war immer ein bisschen reicher, ein bisschen smarter als er gewesen. Vor allem hatte ihre Familie ihr immer den Rücken gestärkt und ihn nie akzeptiert. In ihren Augen war er nur ein Emporkömmling. Jessikas Familie hatte verständnislos den Kopf geschüttelt, als er Green, eine der renommiertesten Wirtschaftsrechtskanzleien in Schweden, verlassen hatte, um sich als Strafverteidiger selbstständig zu machen. Sie wussten genauso gut wie er, dass Strafrecht nicht dieselben Summen einbrachte wie Wirtschaftsrecht. Seine Erklärung, dass er auf eigenen Füßen stehen, nicht mehr die Gaben eines gedeckten Tischs genießen wollte, kauften sie ihm keine Sekunde lang ab. Trotzdem hielt er hartnäckig an dieser Lüge fest, wie um sich selbst davon zu überzeugen.

»Ich muss jetzt los«, sagte Jessika.

»Du kannst jetzt nicht gehen«, erwiderte er. »Wir müssen eine Lösung finden.«

Jessika zuckte die Achseln und verließ den Raum. Robert blieb am Tisch zurück.

Als er hörte, wie die Haustür hinter ihr ins Schloss fiel, konnte er sich nicht mehr beherrschen. Aufgebracht fegte er die Papiere vom Tisch. »Scheiße«, fluchte er und verbarg das Gesicht in den Händen. Er zitterte, hatte keine Ahnung, was er fühlte. Es konnte Zorn, es konnte Trauer sein. Im Grunde machte es keinen Unterschied. Bis vor wenigen Wochen hatte er wenigstens Jessika gehabt, die Frau, die er liebte, und das Haus, von dem er seit seiner Kindheit träumte. Jetzt hatte er nichts mehr, nicht einmal ein Zufluchtsort war ihm geblieben.

Er saß inmitten eines Wusts von Scheidungspapieren und versuchte auszurechnen, wie lange es dauern würde, bis er in sein Büro würde ziehen müssen, um finanziell über die Runden zu kommen.

Resigniert verließ er das Chaos in der Küche, ließ sich im Wohnzimmer wie ein Sack aufs Sofa fallen, schaltete aus purer Gewohnheit den großen Flatscreen an und zappte zu den Nachrichten.

Der Beitrag handelte von dem vermissten Mädchen aus Trollhättan. Nach zwei Tagen vergeblicher Suche hatten freiwillige Helfer ein Skelett gefunden, das ihre Jacke trug.

Roberts Mund war mit einem Mal wie ausgedörrt, er musste kämpfen, um zu schlucken.