17

Kristina Stare? Was zum Teufel wollte sie von ihm? Sie hatten seit Ewigkeiten nichts mehr voneinander gehört. Er hatte sie fast aus seinem Gedächtnis gestrichen. Aber nur fast. Ganz würde er sie nie vergessen können. Seine Gedanken rasten. War es nicht genug, dass die Scheidung sein Leben zerstörte, musste jetzt auch noch die Vergangenheit an seine Tür klopfen?

Der Gedanke an Kristina Stare rief Erinnerungen wach. Sie war schon immer eine Schönheit gewesen, und auf ihren Autorenfotos sah sie fantastisch aus, auch wenn die Bilder bestimmt retuschiert waren. Aber was machte das schon? Was sie anfasste, wurde zu Gold. Sie hatte eine glanzvolle Karriere und vermutlich eine wundervolle Familie. Er dagegen stand mit dem Rücken zur Wand.

»Was willst du?«, fragte er. Die Worte kamen ihm so mühselig über die Lippen, als hätte er einen Klumpen Lehm im Mund.

»Wir müssen reden, Robert. Wir müssen uns so schnell wie möglich treffen.«

»Warum? Worüber sollten wir reden?«

Kristina zögerte. »Hast du in den letzten Tagen Nachrichten gesehen?«

»Nicht wirklich.« Die bohrende Unruhe in seiner Magengrube kehrte zurück. Sie haben ein Skelett gefunden.

»Und du hast keine SMS bekommen?« Kristinas Stimme war jetzt leiser, als flüsterte sie in den Hörer.

Die Textnachricht blitzte auf seiner Netzhaut auf. Du weißt, wer das ist. »Wovon sprichst du?«, fragte er, nachdem er Luft geholt hatte.

»Ich habe eine SMS bekommen«, sagte Kristina. »Mit einem Foto von dem Skelett. Maria hat sie auch gekriegt.«

Roberts Hand begann zu zittern. Er zögerte, dann fragte er: »Was ist mit Erik?«

»Keine Ahnung. Ich denke, er hat sie auch bekommen, aber wir haben ihn noch nicht erreicht. Du verstehst doch, was das bedeutet?«

»Was mich betrifft, bedeutet es rein gar nichts.« Roberts Blick fiel auf den Brief vom Amtsgericht. »Ich habe andere Sorgen.«

»Verflucht, Robert.« Irgendetwas in Kristinas Stimme schien zu zerbrechen. »Meine Tochter ist verschwunden. Verstehst du, was ich sage? Mira ist verschwunden

»Und was soll ich dagegen tun? Das ist Sache der Polizei. Die müssen ihre Arbeit machen und sie finden.«

»Ich habe dich nicht so blasiert in Erinnerung. Aber hättest du die Nachrichten eingeschaltet, würdest du wissen, dass dieses Skelett, das im Wald gefunden wurde, Miras Jacke getragen hat. Begreifst du nicht, was das bedeutet?« Roberts Fingerspitzen pulsierten, als Kristina fortfuhr. »Es bedeutet, dass der Absender Mira in seiner Gewalt hat. Und diese Person weiß, was passiert ist. Wir können die Nachricht nicht ignorieren. Wir müssen reden. Alle vier.«

»Darüber zu reden, ändert nicht das Geringste«, sagte er. Die Küche schrumpfte, die Wände rückten auf ihn zu, und sein Kopf drehte sich. »Wir haben eine Abmachung getroffen. Es gibt nichts zu reden.«

»Robert, bitte, wir müssen uns treffen.«

Er blickte aus dem Fenster. Die Regentropfen auf der Scheibe glänzten im Licht, das aus dem Wohnzimmerfenster der Nachbarn drang. Sie saßen vor dem Fernseher. »Nein«, erwiderte er schroff. Um das Schwindelgefühl aus seinem Kopf zu vertreiben, stützte er die Stirn in die freie Hand. »Es tut mir wirklich leid, dass Mira verschwunden ist. Aber ich kann dir nicht helfen. Ich habe meine eigenen Sorgen, und diese SMS ändert nichts. Sie bedeutet nichts. So lange wir uns an unsere Abmachung halten, kann nichts passieren.«

»Aber es ist schon etwas passiert«, entgegnete Kristina mit Nachdruck. Es geht nicht nur noch um uns vier. Es geht um Mira

»Es tut mir leid«, wiederholte Robert. »Wir werden nicht weiter darüber reden.« Er legte auf.

Kristina rief wieder an, aber er nahm nicht ab, ignorierte sie genau wie Jessika. Das Einzige, was er wollte, war, sich einsam in seinem Elend zu suhlen. Er legte das Telefon mit dem Display nach unten auf den Küchentisch und ließ es klingeln, während er zum x-ten Mal auf den Brief vom Amtsgericht starrte. Als das Handy schließlich verstummte, ging er hoch ins Schlafzimmer und legte sich angezogen, wie er war, in das ungemachte Bett.

Stöhnend schloss er die Augen. Es musste furchtbar sein, das eigene Kind in den Händen eines Entführers zu wissen. Er sollte Kristina helfen. Es gab so vieles, was er tun sollte, wozu ihm aber, wegen all der Dinge, die in seinem Leben schiefliefen, die Kraft fehlte.

Trotzdem wurde er das Bild von diesem Skelett nicht los. Wie lange würde es dauern, bis die Polizei anfing, in Annas Vermisstenfall herumzustochern? Wie lange, bis jemand Fragen stellte? Er für seinen Teil konnte einen kühlen Kopf bewahren. Davon war er überzeugt. Aber die anderen?

Irgendjemand würde auspacken. Möglicherweise hatte er oder sie es längst getan.

Das durfte nicht passieren. Es durfte einfach nicht passieren. Wenn die Wahrheit über Anna Fridhemsson ans Licht käme, würde er auch noch das wenige verlieren, was ihm geblieben war.