Erik inhalierte einen letzten tiefen Zug, dann warf er die Zigarettenkippe auf den Boden. Er schüttelte den Kopf. Das Nikotin kribbelte wohltuend in seinem Körper. Er wusste, dass der Effekt gleich wieder abklingen würde, ein flüchtiger, daher »unbedenklicher« Kick, den er aber brauchte, um die Ruhe zu bewahren, während er notgedrungen mit den Menschen zusammen war, die sein Leben zerstört hatten. Gleichzeitig ließ es seine Hände zittern. Das Gift in seiner Blutbahn lechzte nach gehaltvolleren, härteren Substanzen.
Robert blickte in die Runde. »Du willst also, dass wir dir helfen, Mira zurückzubekommen«, sagte er dann an Kristina gewandt. »Wie stellst du dir das vor?«
Kristina entsperrte Miras Handy. »Als wir Annas Grab geöffnet haben, stand eine Nachricht auf dem Display«, sagte sie und las vor. »Ihr Pechvögel werdet bezahlen, sonst stirbt sie. Seitdem ist keine neue Nachricht gekommen, aber die Forderung des Entführers ist eindeutig.«
Jetzt kommt es, dachte Erik.
»Er will Geld.« Kristina sah sie der Reihe nach an.
Robert schüttelte den Kopf. »Das kann er vergessen. Wir können nicht auf Geldforderungen eingehen.«
»Warum nicht?«, sagte Erik. »Warum geben wir ihm nicht, was er will, und setzen der ganzen Sache damit ein Ende?«
»Weil es Erpressung ist.« Robert bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. »Wenn wir einmal bezahlen, denkt er, dass wir es wieder tun, und fordert immer mehr.«
»Das kann gut sein«, pflichtete Maria ihm bei. »Aber ich weiß nicht, welche Alternative wir haben sollten.«
»Uns bleibt im Grunde keine Alternative«, sagte Kristina. »Wir haben uns diese Sache vor vielen Jahren selbst eingebrockt. Wenn wir die Forderung nicht erfüllen, müssen wir Mira finden, bevor der Kidnapper ihr etwas antut.«
Maria seufzte. »Nein. Wie sollte uns das gelingen? Wir brauchen Hilfe. Wir müssen zur Polizei gehen und erzählen, was damals passiert ist. Das ist das einzig Richtige.«
Robert zuckte zusammen, Kristina schien zu Eis zu erstarren.
»Einen Teufel werden wir tun!«, spie Robert. »Kapierst du nicht, welche Konsequenzen das hätte?«
»Das geht nicht.« Kristinas Stimme war beunruhigend ruhig. »Wir müssen diese Sache selbst lösen und die Polizei aus dem Spiel lassen.«
»Warum zum Teufel?«, sagte Erik. »Ich stimme Maria zu. Wir sollten zu den Bullen gehen und ihnen den Rest überlassen.«
»Das ist völlig ausgeschlossen«, erwiderte Robert. »Das würde mich meine Karriere kosten, alles, was ich habe.«
»Ich bin Polizistin, vergiss das nicht«, sagte Maria. »Meine Karriere wäre genauso im Eimer, sobald die Wahrheit ans Licht kommt. Aber das ist es wert, wenn wir dadurch das Leben von Kristinas Tochter retten.«
»Nein, Maria«, widersprach Kristina. »Wir können nicht zur Polizei gehen und erzählen, was damals wirklich mit Anna passiert ist. Es ändert nichts an der Situation, und, viel schlimmer, es könnte den Entführer provozieren, er könnte Mira etwas antun. Wenn wir herausfinden, wer Mira entführt hat, können wir sie vielleicht befreien oder der Polizei dabei helfen.«
»Ganz ehrlich?«, sagte Erik. »Deine Tochter ist mir schnuppe, aber ich habe nicht vor, mir von dieser Scheiße ein zweites Mal mein Leben verbauen zu lassen. Ich finde, wir sollten zur Polizei gehen und alles erzählen. Was damals passiert ist, die Erpressungs-SMS des Entführers, alles.«
Robert ging auf ihn zu und stieß ihn unsanft in die Brust. Seine Augen verdunkelten sich. »Einen Teufel werden wir tun«, wiederholte er zwischen zusammengepressten Zähnen. »Weder wir noch du. Kapierst du?«
»Fass mich nicht an!« Erik ballte die Hände zu Fäusten. Er wünschte, er könnte Robert die Fresse polieren. Davon träumte er seit vielen Jahren, aber er zügelte seine Wut und begnügte sich damit, herausfordernd das Kinn vorzurecken, sodass Robert zurückwich.
»Hört auf«, beschwichtigte Maria. »Streiten hilft uns nicht weiter.«
»Maria hat recht«, sagte Kristina. »Ich weiß, dass es schwer ist, aber wenn wir eine Lösung finden wollen, müssen wir zusammenarbeiten.«
»Zusammenarbeiten?« Robert wandte sich von Erik ab. »Mit dem da?«
»Wir müssen es versuchen«, sagte Kristina.
»Mir ist klar, dass ihr mir nicht vertraut«, sagte Erik. »Das würde ich an eurer Stelle auch nicht. Aber ich habe eine Neuigkeit für euch: Ich vertraue euch auch nicht. Ihr wollt mich nur drankriegen, weil ich in euren Augen der glasklare Verdächtige bin.«
Maria machte einige Schritte auf ihn zu. Sie schüttelte den Kopf, und ihr Blick wurde sanfter. »Nein, Erik. Du weißt, dass das nicht wahr ist. Ich möchte, dass du wieder auf die Beine kommst.«
»Aber er scheißt auf mich.« Erik zeigte auf Robert.
»Das stimmt. Ich scheiße auf dich«, sagte der. »Aber ich scheiße nicht darauf, was du tust. Kapierst du? Ich muss dich nicht leiden können, aber Kristina hat recht. Wir müssen zusammenarbeiten.«
Erik kochte vor Wut. »Na schön. Dann müsst ihr wohl blechen, wenn ihr nicht zu den Bullen gehen wollt.« Er deutete mit dem Kopf auf Robert. »Du bist doch Anwalt, du hast doch wohl genug Kohle?«
»Was spielt das für eine Rolle?«, erwiderte Robert. »Warum sollte ich bezahlen? Kristinas Tochter wurde entführt. Aber die Frage stellt sich gar nicht. Hast du nicht gehört, was wir gerade gesagt haben?«
»Du egoistisches Schwein.« Erik bohrte die Augen in Roberts. »Hätte ich die Kohle, würde ich bezahlen und der ganzen Sache ein Ende setzen. Aber du, du rückst keine einzige Öre raus, du selbstsüchtiges Arschloch. Du bist noch genauso wie früher.«
Erik drehte sich abrupt um und ließ die anderen stehen. Seine Sohlen schlugen so hart aufs Pflaster, dass er glaubte, sie müssten Löcher in den Asphalt reißen. Wie hatte er vergessen können, wie sehr er diese drei Menschen hasste, und Robert Silver ganz besonders? Jetzt erinnerte er sich, und die Erinnerung brannte wie Säure in seinem Inneren. Seine Glieder zitterten fast so stark wie während der schlimmsten Phase des Entzugs.
»Bleib hier!«, rief Maria ihm nach. »Bitte, Erik, komm zurück.«
Er schüttelte den Kopf. Er war fünfundzwanzig Jahre ohne diese Leute klargekommen. Und er würde einen Teufel tun, sich wieder mit ihnen einzulassen. Er musste seine eigenen Probleme lösen.