Kristina klopfte dreimal an Roberts Zimmertür. Als er mit einer deutlichen Bierfahne öffnete, schlüpfte sie rasch ins Zimmer und schob ihn dabei vor sich her, damit die Tür so schnell wie möglich hinter ihr ins Schloss fiel.
Ihr Puls schlug bis zum Hals, und ihre Wangen brannten vor Scham. Niemand durfte sie im Hotel sehen, schon gar nicht, wie sie ein Zimmer betrat.
»Beruhige dich.« Robert wich einige Schritte zurück. Er war in Hemd und Anzughose gekleidet, das Jackett hing über einem Stuhl vor der Fensterbank, die er offenbar als Schreibtisch benutzte.
»Ich bin ruhig«, log Kristina, zog ihre Regenjacke aus und fasste ihre Haare über der Schulter zusammen. Der Boden schwankte unter ihren Füßen. Der Alkohol, den sie getrunken hatte, bevor sie sich auf den Weg zum Hotel Swania gemacht hatte, war nicht verflogen, im Gegenteil, die Wirkung wurde durch die kribbelnde Nervosität in ihrem Inneren noch verstärkt. Sie blickte sich in dem kleinen, unpersönlichen Zimmer um. »Aber ich sollte nicht hier sein. In was für einen entsetzlichen Schlamassel sind wir bloß hineingeraten?«
Robert nickte. »Ja, das kannst du laut sagen.«
»Du hast dich nicht verändert.« Kristina musterte Robert. Er war unrasiert, aber die Stoppeln waren höchstens zwei Tage alt, und in seiner Frisur tanzte kein Haar aus der Reihe. Seine Anzughose wies messerscharfe Bügelfalten auf, nur an den Knien waren sie ein wenig ausgebeult. Vermutlich hatte er am Computer gesessen und gearbeitet.
»Danke.« Robert lächelte matt. »Du dich auch nicht.« Sein Blick wanderte über ihren Körper, flüchtig, aber lange genug, damit es ihr nicht entging. Hatte er gemerkt, dass sie ihn auf dieselbe Weise gemustert hatte?
»Ich habe eine Minibar auf dem Zimmer«, sagte er.
»Hat sie was Starkes zu bieten?«
»Nicht wirklich.« Robert nahm die Halbliterflasche Rotwein in die Hand, die er auf die Fensterbank gestellt hatte. »Was ich dir anbieten kann, ist das hier. Ein Glas für jeden.« Er teilte den Wein auf zwei Wassergläser auf und drückte Kristina eines in die Hand. Sie nahm einen Schluck. Süffig. Im Vergleich zum Wodka, den sie in ihrer Schreibtischschublade versteckte, der reinste Fruchtsaft.
»Ich weiß, dass wir nicht darüber sprechen sollten«, sagte sie und blickte sich verstohlen um. »Aber als wir das letzte Mal allein in einem Hotelzimmer waren …« Sie ließ den Satz unvollendet.
Robert nickte. »Schwamm drüber. Das ist lange her.«
»Fast dreizehn Jahre«, sagte Kristina. »Kurz nachdem Johan und ich zusammengezogen waren.« Sie holte tief Luft. »Er weiß nichts davon, und er wird es auch nie erfahren.«
Robert nickte wieder. Er trank einen Schluck Wein, dann lehnte er sich gegen den Stuhl, über dem sein Jackett hing. Marineblau mit dezentem Karomuster, registrierte Kristina. Elegant. Sie setzte sich auf das Fußende des Betts und sah Robert über den Rand ihres Glases hinweg an, während sie daran nippte.
»Eriks Erpressungsversuch wundert mich nicht«, sagte er. »Jetzt steht wohl fest, dass er Mira entführt hat?«
Kristina trank ihr Glas aus, dann nickte sie und schlug die Hände vors Gesicht. Robert sollte nicht merken, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Doch ihre Stimme verriet sie. »Ja«, schluchzte sie. »Ich wünschte, es wäre nicht so. Aber wer sollte es sonst sein?«
»Theoretisch könnte irgendein unbekannter Irrer dahinterstecken, dem Erik im Suff alles erzählt hat. Aber warum sollte dieser Jemand uns mit Anna Fridhemsson erpressen und obendrein deine Tochter entführen?«
Kristina nahm die Hände vom Gesicht und sah Robert an, der sie mit forschendem Blick betrachtete. Er sah fast noch genauso gut aus wie damals. Sie merkte, wie sie sich in den Nacken griff, als jucke dort etwas, und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Aber Erik könnte jemanden beauftragt haben, Mira zu entführen, um den Verdacht von sich abzulenken.«
Robert trank den letzten Schluck Wein und stellte das leere Glas auf seinen zugeklappten Laptop. »Ja, aber das würde bedeuten, dass er das Lösegeld teilen müsste.«
»Hast du Nachschub?« Kristina hob ihr leeres Glas.
»Keinen Wein.« Robert nahm zwei kleine Fläschchen aus der Minibar. »Gin oder billigen Whisky?«, fragte er.
»Egal.« Kristina lächelte nervös. Robert goss den Inhalt des Ginfläschchens in ihr Glas. Ein letzter Tropfen Wein zog dunkelrote Schlieren durch die klare Flüssigkeit. Er schraubte den Whisky auf und nahm einen Schluck aus der Flasche.
»Was sollen wir gegen Erik unternehmen?«, fragte Kristina, nachdem sie am Gin genippt hatte.
»Was denkt Maria?«
»Seit wann scherst du dich darum, was Maria denkt?«, fauchte Kristina. »Sie will, dass wir zur Polizei gehen und alles erzählen.«
»Denkst du, sie wird es tun?« Robert nahm einen zweiten Schluck.
»Nein. Was ist mit dir?«
»Niemals.«
Kristina lehnte sich auf dem Bett zurück und stützte die Ellbogen auf der Decke ab. »Gut. Ich auch nicht. Und Maria ist zu feige.« Sie blinzelte, damit der Raum aufhörte, sich zu drehen. Sie hätte nicht weitertrinken sollen, aber jetzt war es zu spät. Das Glas fiel ihr aus der Hand, und der Gin rann über ihre Finger. »Mist«, fluchte sie und richtete sich auf. »Tut mir leid.« Rasch saugte sie die Tropfen auf, die sich in der Beuge zwischen Daumen und Zeigefinger sammelten.
Robert stellte sein Whiskyfläschchen auf die Fensterbank. »Ich hole ein Handtuch«, sagte er und machte Anstalten, ins Badezimmer zu gehen.
»Nein.« Kristina hielt ihn zurück, legte eine Hand auf seine Hüfte und öffnete mit der anderen seinen Gürtel.
»Kristina?« Es war eine Frage, vielleicht ein Protest, allerdings nur ein sehr schwacher, Lügen, gestraft durch seine Hand, die Kristinas Haar streichelte.
Sie lächelte und zog seine Anzughose herunter, nestelte am Saum seiner Boxershorts.
Robert atmete heftig ein. »Was tust du?«
»Wonach sieht es denn aus?«, antwortete sie, während ihre Hände fanden, was sie suchten.
»Wollen wir diesen Fehler wirklich wiederholen?« Roberts Stimme stockte.
Sie sah zu ihm auf, begegnete seinem Blick. »Ja, das wollen wir.«