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Als Robert seinen Mantel angezogen und Marias Haus verlassen hatte, blieben Kristina und Maria im Flur zurück. Kristina blickte Maria ernst an.

»Wir wissen beide, dass er dahintersteckt, oder?«

Maria nickte langsam. »Wer sollte es sonst sein?«

»Die Frage ist nur, was er jetzt tun wird, wo er weiß, dass ich zur Polizei gehe.«

»So weit wird er es nicht kommen lassen.« Maria ging seufzend in die Küche.

Kristina folgte ihr. »Er wird mir eine Droh-SMS auf Miras Handy schicken, nach der ich unmöglich zur Polizei gehen kann«, sagte sie.

Maria nickte und setzte sich an den Küchentisch. »Du denkst also, dass wir jetzt gleich gehen sollten?«, fragte sie.

»Nein, auf gar keinen Fall. Wir müssen seinen nächsten Schachzug abwarten, um sicher zu sein, dass er wirklich hinter Miras Entführung steckt. Er darf nicht merken, dass wir ihm auf die Schliche gekommen sind. Ich habe Angst vor ihm. Ich habe mich nicht getraut, es dir zu erzählen. Aber ich war gestern Nacht bei ihm.«

»Warum?«, fragte Maria.

»Ich weiß, es war dumm. Aber ich wollte mit ihm reden, allein. Ich hatte gehofft, ihm irgendein Detail zu entlocken, das er in deiner Gegenwart nicht sagen würde. Aber ich hätte es nicht tun sollen.«

»Was ist passiert?«, fragte Maria alarmiert. Kristina verspürte einen prickelnden Nervenkitzel. Sie hatte Maria genau da, wo sie sie haben wollte.

»Er …« Kristina legte eine Kunstpause ein. »Er ist übergriffig geworden. Es war beängstigend.« Sie hielt abermals inne und wog ihre Worte sorgfältig ab. »Du weißt es vielleicht, aber wir waren in der Schulzeit hin und wieder intim miteinander.«

»Ich habe nur Gerüchte gehört«, erwiderte Maria. »Mehr nicht.«

»Ich fürchte, die Gerüchte sind wahr.« Kristina holte tief Luft, um ihrer nächsten Lüge mehr Gewicht zu verleihen – der Lüge, die verhindern würde, dass Maria ihre Absichten jemals wieder infrage stellte, wie eine gute Schwester. »Er kann gewalttätig werden, das weißt du«, sagte sie und blickte Maria fest an. »Wenn er seinen Willen nicht bekommt. Er akzeptiert kein Nein, verstehst du?«

»O Gott, das tut mir so leid.« Maria nahm Kristinas Hände in ihre. »Ich wusste, dass wir ihm nicht vertrauen können, aber das hätte ich niemals von ihm gedacht.«

»Solche Dinge sieht man einem Menschen nicht an«, sagte Kristina. »Aber wir müssen vorsichtig sein, damit er sich nicht in die Ecke gedrängt fühlt. Früher oder später wird er zu Mira gehen, und dann haben wir ihn.«

Maria blickte sie zweifelnd an. »Du denkst also, wir sollen ihn beschatten?«

»Wie sonst sollten wir Mira finden? Du bist Polizistin«, erwiderte Kristina. »Du musst doch wissen, wie man jemanden unauffällig im Auge behält.«

Maria hob die Arme. »Ich habe seit meiner Ausbildung niemanden mehr beschattet, und schon damals war ich schlecht darin. Ich weiß nicht, Kristina. Du bist im Beschatten bestimmt genauso gut wie ich.«

Kristinas Blick wanderte durch die Küche. Auf der Spüle stapelten sich schmutzige Teller neben einer geöffneten Packung Katzenfutter. Bei ihrem letzten Besuch war die Küche nahezu klinisch rein gewesen. Offenbar war Maria Ordnung nicht mehr so wichtig. »Ich kann nicht«, sagte sie. »Ich muss zu Hause bleiben, Johan beruhigen und mich hin und wieder den Journalisten zeigen. Schon allein, dass ich jetzt hier bin, ist ein viel zu großes Risiko. Ich kann nicht durch die Gegend laufen und Robert ausspionieren.«

Kopfschüttelnd lehnte sich Maria auf dem Küchenstuhl zurück. »Ich weiß«, seufzte sie resigniert. »Ich mache es.«

Jetzt war es an Kristina, sich vorzubeugen und Marias Hände zu nehmen. »Wir müssen Robert allein das Handwerk legen, ohne die Polizei.«

Marias Hände zitterten.

»Du schaffst das, Maria. Ich vertraue dir«, sagte Kristina.