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Robert fuhr am Hackschnitzelheizwerk in Sylte vorbei. Das Getriebe jaulte, als er das Tempo im Kreisverkehr widerwillig drosselte, bis er ihn in Richtung Sjuntorpsvägen wieder verließ. Danach schoss er sämtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen in den Wind. Der Motor röhrte glücklich auf, und die Fliehkräfte pressten Robert tief in den Sitz, als er aufs Gas trat und Kurs auf Göteborg nahm.

Die Bebauung wurde von lichtem Fichtenwald und einer zweispurigen, schnurgeraden Straße abgelöst. Robert verfluchte das Tempolimit, begnügte sich aber mit hundertzwanzig. Er sah Marias entsetzten Blick vor sich, als säße sie neben ihm auf dem Beifahrersitz und bezichtigte ihn der Fahrlässigkeit im Straßenverkehr.

Maria.

Was war mit ihr passiert? Hätte Kristina Erik in der Badewanne ertränkt, wäre er nicht überrascht gewesen. Aber Maria? Sie war immer ein Angsthase gewesen. Nicht im Traum wäre ihm eingefallen, dass sie sich in eine Mörderin verwandeln könnte.

Und Kristina … Was führte sie eigentlich im Schilde? Vor ihm zockelte ein Sonntagsfahrer, der nicht einmal sechzig fuhr. Ungeduldig überholte er und musterte den Mann hinterm Steuer. Das war ja klar, Opi mit Hut weigerte sich, seinen Führerschein abzugeben.

Seine Gedanken wanderten zurück zu Kristina. Wie konnte sie einerseits zu Hause festsitzen, weil Fotografen ihr Haus umlagerten, andererseits aber immer genau dann einen Weg finden, sich davonzustehlen, wenn es ihr in den Kram passte? Dass ihr Trottel von Ehemann keinen Verdacht schöpfte, wunderte ihn nicht. Ihr Göttergatte war noch nie besonders helle gewesen. Irgendetwas musste Kristina in ihm sehen, aber offenbar nicht genug. Robert spürte, wie sein Puls in die Höhe schnellte. Beim Gedanken daran, was sie vorgestern Nacht getan hatten, wurde er von einer Mischung aus Verlangen und Scham erfasst. Die eine Hälfte von ihm bereute, dass er sich von Kristina hatte verführen lassen, die andere Hälfte wollte es wiederholen. Und dann diese Sache mit seiner plötzlichen Vaterschaft: dass Mira seine Tochter sein sollte, gezeugt in der einen Nacht, in der sie Johan betrogen hatten. Konnte das tatsächlich die Wahrheit sein?

Während die Fichten auf beiden Seiten der Straße an ihm vorbeirauschten, rief er sich die Nacht vor ungefähr dreizehn Jahren ins Gedächtnis. Wie war er noch mal genau in Kristinas Hotelzimmer gelandet? Seine Erinnerung war extrem verschwommen und bruchstückhaft, und der viele Alkohol, den sie an dem Abend intus gehabt hatten, machte die Sache nicht besser.

Eins stand jedoch fest: Kristina war die treibende Kraft gewesen. Genau wie vorgestern in seinem Hotelzimmer. Auch da hatte er sich nicht direkt geweigert, aber hätte sie nicht die Initiative ergriffen, wäre nichts passiert. Je länger er darüber nachdachte, desto offensichtlicher wurde, dass Kristina dafür gesorgt hatte, dass er trank, während er sich nicht erinnern konnte, ob sie dabei mit ihm Schritt gehalten hatte.

Kristina hatte schon immer Spielchen gespielt, Intrigen gesponnen und Geschichten erfunden. Überwiegend harmlose Kindereien oder kleine Streiche. Aber damals, in jener Nacht, war es etwas anderes gewesen. Roberts Gedanken rasten. Hatte sie diese ganze Sache eingefädelt? Hatte sie gewollt, dass er der Vater ihres Kindes wurde? Nein, so berechnend konnte sie doch nicht gewesen sein, nicht kurz vor ihrer Hochzeit mit Johan.

Auf der rechten Seite tauchte das graubraune Reetdach des Motels Rasta Lilla Edet auf. Robert trat aufs Gas und überholte einen braunen Volvo, um sich gleich darauf in die Ausfahrtsspur einzufädeln. Er bog auf den Hof der Tankstelle ein und hielt vor den Zapfsäulen.

Kalter Schweiß rann ihm den Rücken hinunter. Seine Gedanken rasten. Kristinas Leben schien geplant zu sein wie ein billiger Krimi. Sie wusste ganz genau, wann und wem sie irgendetwas erzählte. Also, warum hatte er ausgerechnet jetzt von seiner Vaterschaft erfahren? Maria hatte gesagt, sie vertraue Kristina nicht, und er wusste selbst, dass man ihr nicht über den Weg trauen konnte. Dennoch hatte er Mira ohne den leisesten Zweifel als seine Tochter akzeptiert. Es war ganz bestimmt kein Zufall gewesen, dass Kristina es ihm genau in dem Moment erzählt hatte, weder früher noch später. Als sie nackt nebeneinander auf dem Bett lagen, hatte er keinen Grund gesehen, an ihren Worten zu zweifeln. Aber das bedeutete nicht, dass sie der Wahrheit entsprachen.

Kristina könnte ihn genauso gut angelogen haben, damit er, ohne mit der Wimper zu zucken, einen Mord beging, um seine Tochter zurückzubekommen. Dass letztendlich Maria die Tat ausgeführt hatte, hatte sich vermutlich noch nicht mal Kristina ausmalen können, aber das spielte nur eine untergeordnete Rolle.

Es gab einen Weg, die Wahrheit herauszufinden, auch wenn er zeitaufwändig war: Ein Vaterschaftstest würde Gewissheit bringen. Robert fuhr an der nächsten Ausfahrt ab und nahm wieder Kurs auf Trollhättan. Während er mit Tempo hundertsechzig über die Autobahn bretterte, schickte er Kristina eine SMS:

Wir müssen uns sehen. Jetzt.