KAPITEL 29

Hayley war auf dem Weg zu Tatiana Primavera gewesen. Die Schülerberaterin hatte nach ihr schicken lassen, vermutlich, um zu überprüfen, wie weit sie mit ihrem College-Aufsatz war. Hayley hatte jedoch keine Anstalten gemacht, einen neuen Aufsatz zu schreiben, und wusste, dass Ms Primavera ihr dafür die Hölle heiß machen würde. Als der Feuermelder losging, war sie daher dankbar für den Aufschub.

In dem Versammlungsbereich draußen vor der Schule sah sie Isis Martin. Isis winkte ihr aufgeregt zu und bedeutete ihr, zu ihr zu kommen. Sie drückte sich hinter der Menge von wartenden Schülern herum. Als sich der Klang der Feuerwehrsirenen aus Richtung der Maxwelton Road der Schule näherte, packte sie Hayley am Arm und zerrte sie zu einer Reihe von Recyclingcontainern.

Sobald sie außer Sichtweite waren, kramte Isis in ihrer Handtasche und holte eine Packung Marlboro-Zigaretten heraus. Dann zündete sie sich eine mit einem Wegwerffeuerzeug an. Hayley zog die Augenbrauen hoch und Isis erklärte: »Die elektrische geht nicht mehr. Tut mir leid. Ich weiß, es ist eklig, aber ich brauche das Nikotin.«

»Pass auf, dass dich niemand damit sieht, wenn du nicht noch mehr Ärger kriegen willst. Und blas den Rauch bloß nicht in meine Richtung.«

»Oh Mann, warst du schon immer so ein braves Mädchen?« Isis nahm einen Zug und schnippte die Asche von der Zigarette. Zugegebenermaßen ließ es sie sexy aussehen.

Hayley sagte: »Der Feuermelder hat mich gerettet. Ms Primavera wollte …«

»Das hat uns gerade noch gefehlt«, unterbrach sie Isis.

»Was?«

»Noch ein Feuer.« Sie kaute auf ihrem Fingernagel herum, zog noch einmal an ihrer Zigarette und legte los: »Wir haben voll den Ärger am Hals, Hayley. Nancy hat Mom angerufen, und natürlich wird Lisa Ann alles tun, um zu vermeiden, hierher kommen zu müssen. Also hat sie Nancy gesagt, sie soll sich eine Strafe ausdenken, damit wir es uns das nächste Mal zweimal überlegen, eine Party auf dem Grundstück anderer Leute zu feiern. Aidan und ich müssen uns mit den Besitzern vom Strandhaus treffen, die, glaub mir, alles andere als erfreut sind, aus Olympia oder Tacoma oder von weiß Gott woher hier hochfahren zu müssen. Und Großmutter hat mit diesen Leuten schon ausgemacht, wie ich und Aidan es wiedergutmachen sollen, dass wir bei ihnen eingefallen sind. Wir müssen jetzt alles neu pflanzen, was die Polizei, die Feuerwehrleute und alle Kids auf der Party zertrampelt haben, und dafür blechen müssen wir natürlich auch. Außerdem dürfen wir den ganzen herumliegenden Müll, Kotze inbegriffen, beseitigen. Na, vielen Dank! Plus die Feuerstelle ausleeren und die bescheuerte Chaise Longue reparieren, die jemand kaputt gemacht hat. Und – jetzt halt dich fest – jemand hat in den Whirlpool gekackt, und wer darf’s wegmachen? Wir natürlich. Und wir müssen alle Fenster putzen, weil sie vom Rauch total verdreckt sind. Danach gibt man uns vielleicht unsere Freiheit zurück.«

»Ich kann euch helfen«, bot Hayley an.

»Oh, Scheiße, nein. Das wär zwar toll, aber Nancy würde nur ’nen Anfall bekommen, wenn sie mitkriegt, dass du uns hilfst, weil Aidan und ich die ganze Arbeit eigentlich allein machen sollen. Und Aidan muss mit dem Sheriff über das Feuer in der Fischerhütte reden, bevor der Sheriff mit ihm reden will, Hayley. Aber er will nicht, und keiner hört auf mich, egal, was ich sage.«

Sie nahm einen letzten Zug, warf die Zigarette auf den Boden und trat sie sorgfältig mit dem Fuß aus. Sie sah zu den Schülern hinüber, die in Grüppchen auf grünes Licht warteten, und sagte: »Ich hoffe, da ist kein Feuer«, mehr zu sich selbst als zu Hayley. Dann wirbelte sie herum und verkündete: »Ich muss dir etwas sagen, Hayley, aber du musst schwören, das du niemandem davon erzählst. Ich sag’s dir nur, wenn du es versprichst. Aber ich muss unbedingt mit jemandem reden. Bitte, Hayley.«

Hayley hatte Isis noch nie so verzweifelt erlebt. »Was?«

»Schwörst du’s?«

»Okay. Ja. Was ist los?«

»Aidan legt gern Feuer.«

»Was?«

Isis blickte sich verstohlen um. »Er war in einer speziellen Schule. Ein Internat für Jugendliche mit Problemen, du weißt schon. Er war dort zwei Jahre lang, weil er Feuer gelegt hat. Zuerst waren sie ganz klein – er hat einfach gerne mit Streichhölzern gespielt –, aber dann wurden die Brände immer größer, bis ein ganzes Wohnhaus abgebrannt ist … Oh Gott, du darfst niemandem davon erzählen. Aber das ist der Grund, warum er mit dem Sheriff reden muss, bevor der das mit der speziellen Schule selbst rausfindet. Verstehst du, alle wussten, dass er gestört war. Und ich sage ständig, dass er unbedingt mit dem Sheriff reden oder meine Mom den Sheriff anrufen muss. Denn wenn wir es ihm nicht sagen, wird er denken, dass Aidan etwas zu verbergen hat. Und Aidan verbirgt gar nichts. Ich schwör’s. Aber jetzt, da dieser Typ in der Hütte umgekommen ist … Hayley, Aidan hat dieses Feuer nicht gelegt. Es war ein Unfall.«

Isis kaute auf ihren Fingernägeln herum und nahm dann abrupt die Hand herunter. »Das ist so ekelhaft«, stieß sie hervor und zündete sich eine neue Zigarette an. Sie fragte Hayley: »Ist er da? Siehst du ihn?« Hayley wusste, dass sie von Aidan redete.

Sie sah sich in der Menge um, doch es hatte keinen Sinn. Überall liefen Schüler umher, während das Warten auf Entwarnung kein Ende nahm und die Feuerwehrleute durch die Schule eilten, um zu überprüfen, ob es tatsächlich irgendwo brannte. Sie konnte Aidan nirgends entdecken. Von Isis’ Zigarette abgesehen konnte sie jedoch auch keinen Rauch riechen.

Sie erwiderte, dass sie ihn nicht sehen könne.

Isis sagte: »Er ist geheilt. Völlig, sonst hätten sie ihn nicht rausgelassen. Das haben sie gesagt. Nur wenn er es nicht ist, habe ich noch viel größeren Ärger, weil ich auf ihn aufpassen sollte. Aber ich kann ihn doch nicht rund um die Uhr bewachen, oder? Ich hab ihn auf der Party mit dem brennenden Stock gesehen und wie er damit rumgespielt hat und sich wie ein Bekloppter benommen hat. Doch ich war mit Parker zusammen und konnte an nichts anderes denken, als daran, dass sich Brady schwarz ärgern wird, wenn er mich mit einem anderen Typen knutschen sieht. Ich muss es ihm einfach heimzahlen und diesem fiesen Weib Madison Ridgeway auch, weil … Oh Mann, mein Leben ist so was von abgefuckt. Wenn ich dich nicht hätte, würde ich mir die Kugel geben.«

Da beschloss Hayley, dass dies nicht der richtige Moment war, Isis von Parker Natalias Besuch auf der Farm zu erzählen und davon, dass er sie um eine Chance gebeten hatte, so, wie es eine gute Freundin tun würde. Sie wusste, dass sie das mit Isis klären musste, weil sie ihre Freundin war und Isis möglicherweise wirklich an Parker interessiert war. Aber sie damit jetzt auch noch zu belasten, da Isis bereits wegen ihres Bruder fix und fertig war, brachte sie nicht übers Herz.