KAPITEL 34

Brooke und Cassidy machten Hayley die Arbeit im Hühnerstall nicht leichter. Cassidy jagte die Hühner, um sie zu streicheln, und Brooke stopfte sich eine Scheibe Weißbrot mit massenhaft Marmelade in den Mund. Es war ihre zweite Scheibe, die sie sorgfältig in ihrer Fleecejacke versteckt hatte.

Als Hayley protestierte, dass sie wieder aß und nicht half, sagte Brooke: »Reg dich ab. Ich hab Hunger. Was ist daran so schlimm?«

»Dass du mir nicht hilfst«, erklärte Hayley ihr. »Und die ganze Zeit bist du am Fressen. Du bist doch schon rund wie eine Tonne und …«

»Halt die Klappe!«, schrie Brooke. »Bin ich nicht, und ich hab Hunger!«

»Du kannst gar keinen Hunger haben. Du isst doch die ganze Zeit. Was ist eigentlich mit dir los?«

»Kümmer dich um deinen eigenen Kram!«

»Na gut. Aber dann hilf mir. Ich hab noch andere Sachen zu tun.«

Sie hatte massenhaft andere Arbeit. Sie hatte ihren College-Aufsatz neu geschrieben, wie ihre Mutter es verlangt hatte, doch Tatiana Primavera hatte ihr geraten, ihn noch einmal zu überarbeiten, weil »die persönliche Note fehlt, Hayley, und die ist unerlässlich.« Davon abgesehen hatte sie für jedes einzelne Unterrichtsfach haufenweise Hausaufgaben.

Aber dann war da noch die Situation zu Hause. Hayleys Mutter hatte angefangen, als Putzhilfe zu arbeiten. Das machte sie dreimal die Woche, und es nahm sehr viel Zeit in Anspruch, sodass sich Hayley um das Abendessen kümmern, den Hühnerstall ausmisten und dafür sorgen musste, dass Brooke ihre Hausaufgaben machte. Außerdem musste sie Cassidy bei ihren Grundschulprojekten helfen und sich um ihren Vater kümmern.

Hayley war also ziemlich gestresst, und anstatt ihr im Hühnerstall zu helfen, machten Brooke und Cassidy ihr das Leben noch schwerer. Als Brooke immer noch keine Anstalten machte, ihr Brot wegzulegen, rastete Hayley aus.

»Jetzt mach schon. Du sollst mir helfen, und das weißt du ganz genau.«

»Ich hasse Hühnerscheiße!«

Da quiekte Cassidy fröhlich: »Brooke hat das böse Wort gesagt!«

Hayley warf Brooke einen wütenden Blick zu. Da der Hühnermist noch auf den Gemüsebeeten verteilt werden musste, hatte sie nicht vor, die mangelnde Hilfsbereitschaft ihrer Schwester hinzunehmen. »Willst du etwa, dass ich es Mom erzähle?«, drohte sie Brooke.

»Mir doch egal«, entgegnete diese. »Als ob sie das interessieren würde. Die kriegt nicht mal mit, dass du mit ihr sprichst.«

Hayley biss die Zähne zusammen. Ob sich irgendjemand sonst mit solchen Problemen herumschlagen musste? Es war ja nicht so, als hätte sie sonst keine Sorgen. Die Geschichte mit dem Feuer hing noch in der Luft, und sie musste deswegen dringend eine Entscheidung treffen.

Bei der letzten Jazzband-Probe hatte sie mit Derric gesprochen. Sonst sah sie ihn nie ohne Becca oder einen der anderen. Er wirkte genauso bedrückt, wie sie sich fühlte. Deshalb fragte sie ihn, wie er mit den ganzen Verboten klarkam, die ihm seine Eltern seit dem Zwischenfall am Strand auferlegt hatten. Da verdrehte er die Augen und sagte: »Ich betrinke mich erst wieder, wenn ich einundzwanzig bin.« Und schon waren sie mitten im Thema.

Derric hatte ihr erzählt, wie der Stand der Dinge war. Sein Vater hatte herausgefunden, wie das Feuer in der Fischerhütte ausgebrochen war. Jemand hatte in Farbverdünner getränkte Stofffetzen in die Hütte geworfen, wo sich das faulige Holz schon von seinen wackeligen Grundfesten löste. Dazu noch zusammengeknülltes Zeitungspapier und ein paar dicke Äste, die jemand zum Feueranzünden mitgebracht hatte, und die Sache nahm unweigerlich ihren Lauf. Das war alles Mögliche, aber kein Unfall, hatte Dave Mathieson gesagt.

Das Büro des Sheriffs befragte alle Verkäufer von Farbverdünner auf der Insel, um herauszufinden, wer in letzter Zeit welchen gekauft hatte. Aber auf Whidbey Island lebten und arbeiteten unzählige Anstreicher und Künstler verschiedener Stilrichtungen, deshalb brachte sie das nicht viel weiter.

Hayley beschloss, Isis davon zu erzählen. Wenn Aidan gerne Feuer legte, konnte er alle nötigen Utensilien am Abend der Party im Rucksack mit an den Strand genommen haben: Farbverdünner, Tücher, Zeitungen und Holz zum Anzünden. Vielleicht war er auch schon vorher heimlich zum Strand geschlichen und hatte alles vorbereitet. Doch als Hayley ihrer Freundin von dem Farbverdünner erzählte, war Isis regelrecht erleichtert.

»Gott sei Dank«, rief sie aus. »Nicht, weil der arme Typ in dem Schuppen verbrannt ist, aber Aidan … Er hat immer nur Streichhölzer benutzt. Streichhölzer, Holzstücke und Stroh und so, Sachen, an die man eben leicht rankommt. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass er seine … Methode geändert hat.« Sie schien einen Augenblick nachzudenken. Dann runzelte sie die Stirn und fügte hinzu: »Der wird jetzt vielleicht sauer auf mich sein, und zu Recht. Ich hab ihn genervt und ihm gesagt, er soll von sich aus zum Sheriff gehen, bevor der Sheriff von dieser Schule in Utah erfährt. Nicht, dass ich je gedacht habe, dass er hinter dem Feuer steckt, denn das habe ich nicht. Aber ich finde trotzdem, dass er mit dem Sheriff sprechen sollte. Außerdem hat Großmutter auch schon Lunte gerochen, weil wir beide immer so … na ja, heftig diskutieren und sofort still sind, sobald sie in der Nähe ist. Deshalb lässt sie ihn immer noch jeden Tag zum Strand laufen, damit er sich abreagiert oder so, und das macht er auch, obwohl ich ihn nicht wirklich die ganze Zeit überwache, wie ich soll, aber …«

Hayleys Gedanken schweiften ab. Als Isis Nancy Howard erwähnte, fiel ihr ein, was diese beruflich machte. Sie unterbrach Isis. »Vielleicht hat deine Großmutter Farbverdünner auf ihrem Grundstück.«

Isis sah sie verwundert an. »Sie arbeitet mit der Kettensäge. Sie malt nicht. Außerdem habe ich doch gesagt, dass Aidan nur Streichhölzer und so ein Zeug benutzt.«

»Aber manchmal streicht sie ihre Skulpturen doch an, oder nicht?«, insistierte Hayley. »Zum Beispiel wenn sie ein Schild für jemanden macht. Oder wenn jemand eine angemalte Skulptur bei ihr bestellt. Und dann hat sie bestimmt …«

»Nein!« Aber Hayley wusste, dass sich das nicht auf die Möglichkeit bezog, dass ihre Großmutter Farbverdünner im Haus hatte. Es bezog sich auf die Möglichkeit, dass ihr Bruder das Feuer gelegt hatte. »Das hätte er nicht getan«, versicherte sie Hayley. »Er ist geheilt. Sonst hätten sie ihn doch nicht rausgelassen. Er war mal gestört, das stimmt, und manchmal ist er es auch heute noch, aber … Hayley, das muss jemand anders sein, der die Feuer legt.«