KAPITEL 39

Hayley war mehr oder weniger froh darüber, dass ihre Finger an jenem Abend im Baumhaus zufällig Isis Martins elektronische Zigarette zu fassen bekommen hatten. Hätte sie sie nicht in den Falten von Parkers Schlafsack gefunden, hätten die Dinge ihren Lauf genommen. Sie hatte so eine Lust auf ihn, dass sie kaum richtig denken konnte, geschweige denn, darüber nachdenken konnte, warum Isis’ Zigarette im Baumhaus war. Ihr Verstand sagte ihr, dass sie über dieses Detail nicht einfach hinwegsehen konnte. Ihren Körper interessierte das allerdings kein bisschen.

Dass Parker ihr den Pulli und den BH auszog, trug auch nicht gerade dazu bei, es langsamer anzugehen. Vor allem, da sie wollte, dass er es tat. Als er murmelte: »So was habe ich noch nie gefühlt … Nicht so …«, hatte sie schließlich die Gelegenheit, die Notbremse zu ziehen.

Sie konnte sich gerade lange genug zusammenreißen, um schnell einzuwenden: »Parker, ich kann nicht. Ich nehm die Pille nicht, und ich hab auch keine Kondome dabei.«

Er löste sich von ihr, setzte sich auf der Kante der Pritsche aufrecht hin und stützte den Kopf in die Hände. Zuerst nahm sie an, er wäre sauer, weil er dachte, sie hätte ihn nur angespitzt, um ihn dann abblitzen zu lassen. Doch dann sagte er: »Du hast recht. Ich möchte nicht, dass dein erstes Mal hier drin auf dieser schäbigen Liege ist.«

Ihr Körper verzehrte sich jedoch immer noch nach ihm und wollte, dass sie fragte: »Wo dann? Und wann, wann, wann?« Aber schließlich gewann ihr Verstand die Oberhand und warnte sie, dass sie erst einmal ein paar Dinge klarstellen müsse. In dem Moment holte sie die elektrische Zigarette aus den Falten des Schlafsacks unter ihrem Bein hervor und sagte ganz unschuldig zu ihm: »Oh, was ist das denn für ein Ding? Es sieht aus wie eine Zigarette, aber sie ist aus … Schau mal.«

Sie reichte sie ihm. Hayley fühlte sich hin und her gerissen: Sie musste wissen, wie ehrlich er war, aber vor allem wollte sie an seinem Blick sehen, dass er unfähig war, zu lügen.

Parker nahm sie in die Hand und erwiderte: »Keine Ahnung.«

Sie spürte die Enttäuschung in ihr aufsteigen. »Ich glaube, Isis Martin hat so ein Ding.«

Er sagte ohne zu zögern: »Wirklich?«. Dann sah er sich im Baumhaus um und runzelte die Stirn, als könne Isis gleich hinter dem Holzofen hervorspringen.

Hayley fragte: »Parker … Bist du mit Isis …? War sie mit dir hier?«

Er riss den Kopf herum: »Nie im Leben! Erst Isis und jetzt du? Sie war noch nie hier, jedenfalls nicht mit mir. Vielleicht war sie alleine hier. Die Tür ist nie abgeschlossen.« Dann sah er ihr tief in die Augen und ließ den Blick über die Körperteile wandern, die er ihr zu entkleiden geholfen hatte. Er fuhr fort: »Wenn du fühlen könntest, was ich fühle, wenn ich dich ansehe, dann wüsstest du, dass ich kein bisschen auf Isis Martin stehe.«

Dann küsste er sie, und sie wollte, dass er es tat, und sie wollte mehr. Aber er sagte: »Nein. Wir sollten noch nicht so weit gehen, Hayley«, und half ihr, sich wieder anzuziehen.

Sie beschloss, ihm zu glauben. Sie beschloss, ihm zu vertrauen. Doch da war immer noch die Sache mit der elektrischen Zigarette – sie behielt sie für sich, weil sie wusste, dass diese Sache noch nicht geklärt war.

Die Gelegenheit zur Aufklärung ergab sich früher als erwartet auf dem Parkplatz der South-Whidbey-Highschool. Hayley parkte in der Nähe der Tennisplätze, und noch bevor sie ihre Schulsachen vom Boden aufheben konnte, flog die Beifahrertür des Pick-ups auf. Isis Martin stieg ein.

»Ich dachte, du würdest nie kommen«, schrie sie. »Warum bist du so spät dran? Was ist los? Warum kann ich dir keine SMS schicken?«

Isis drückte einen Notizblock an ihre Brust, und einen Moment lang dachte Hayley, darin wäre etwas, das ihren verzweifelten Zustand erklärte. Aber Isis öffnete ihn nicht, sondern drückte ihn lediglich noch fester an sich, während sie den Blick auf Hayley heftete und fortfuhr: »Brady hat angerufen. Sobald er beim Schwimmtraining in der Schule war, weil er auf keinen Fall von zu Hause anrufen konnte. Und es hätte nicht schlimmer kommen können. Er will den Ring zurück.«

Da sich Hayleys Gedanken um Isis’ elektrische Zigarette drehten, verstand sie zunächst überhaupt nicht, wovon ihre Freundin redete. »Hast du ihm den Ring nicht geschickt, gleich nachdem du ihn gekauft hast?«

»Nicht den Ring«, erwiderte Isis. »Er will den Ring seines Vaters. Er sagt, sein Dad hätte gesehen, dass er ihn nicht trägt, und gefragt, warum, und ob Brady ihn verloren hätte und dass man ihm nichts anvertrauen könne. Sie haben sich deshalb schrecklich gestritten, und Brady hat mich angerufen und will ihn zurück. Aber ich glaube, er lügt. In Wirklichkeit will er ihn dieser Schlampe Madison Ridgeway geben, und genau das habe ich ihm gesagt. Und dann hat er gesagt: ›Was ist los? Hast du ihn verloren oder was? Ich brauche ihn zurück und zwar jetzt gleich.‹ Als würde sich immer alles nur um ihn drehen, und wenn ich nicht tue, was er sagt, kommt er her und bla bla bla.«

»Aber das willst du doch, oder?«

»Was?«

»Dass Brady hierherkommt.«

»Ach was, der kommt nicht hierher. Red keinen Quatsch. Er will einfach nur den Ring zurück, aber ich hab ihn nicht, das ist ja das Problem. Ich hab schon überall danach gesucht.«

»Ich dachte, du würdest ihn die ganze Zeit tragen.«

»Hab ich zuerst auch, weil ich so dämlich bin, aber ich hab ihn abgenommen, nachdem Parker und ich … Ach, ich weiß nicht mal mehr genau, wann ich ihn abgenommen habe.«

Hayley wurde es auf einmal eiskalt. »Als du und Parker was?«, fragte sie.

»Hm?«

»Du hast gesagt, du hättest den Ring abgenommen, als du und Parker … und den Rest hast du weggelassen. Deshalb frage ich dich: als du und Parker was?«

Isis erwiderte: »Was soll der Scheiß? Was spielt das für eine Rolle? Mann, Hayley, hier geht’s nicht um Parker. Kapierst du gar nicht, was hier los ist? Brady will diesen Ring. Wenn ich ihm den nicht zurückgebe, wird er …«

Hayley kramte in ihrer Handtasche und holte die elektrische Zigarette heraus. Sie öffnete ihre Hand und zeigte sie Isis. »Was ist damit?«, fragte sie. »Du hast sie entweder dort vergessen oder dort hingelegt, Isis.«

Isis betrachtete das Gerät und sah dann zu Hayley auf. »Wo?«

»Du weißt genau, wovon ich rede«, sagte Hayley bestimmt.

»Mann, das glaub ich ja nicht!«, rief Isis und schnappte sich die Zigarette. »Ich bitte dich um Rat, und plötzlich dreht sich alles nur noch um dich. Ich dachte, wir wären Freundinnen, Hayley. Aber wenn du so unsicher bist, dass du zulässt, dass sich irgend so ein … Kanadier zwischen uns stellt … Kapierst du denn nicht, was gerade in meinem Leben abgeht, oder ist dir das egal, weil, oh mein Gott, Isis könnte es mit Parker getan haben.«

»Warst du mit ihm im Baumhaus?«

»Als wäre das jetzt wichtig! Brady sollte diesen Ring niemandem geben. Es ist nicht seiner, er gehört seinem Dad. Nur hat er ihn mir gegeben, und kapierst du’s denn nicht? Ich habe ihn abgenommen, und jetzt ist er weg. Wie deutlich muss ich noch werden? Wahrscheinlich hat ihn mein dämlicher Bruder geklaut und ihn verkauft, sodass ich ihn Brady nicht zurückschicken kann, und jetzt kommt Brady nie wieder zu mir zurück. Und als wäre das nicht schon genug, muss ich jetzt auch noch ganz nebenbei feststellen, dass du total egozentrisch bist und ich mich nicht mal auf deine Hilfe verlassen kann. Und warum? Weil ich es mit Parker treibe … als wäre das wichtig. Hey, warum erzählst du dem Sheriff nicht, dass ich die Brände gelegt habe, wenn du schon dabei bist, Hayley? Ja, geh und tu’s ruhig. Da kann ich mir auch gleich ’ne Kugel in den Kopf jagen, weil alles in meinem Leben sowieso den Bach runtergeht.«

Mit diesen Worten sprang sie aus dem Pick-up und knallte die Tür hinter sich zu.