KAPITEL 52

Hayley musste Isis von dem Ring erzählen. Das hieß aber auch, dass sie Isis erzählen musste, dass sie Aidan beim Feuerwehrhauptmann angeschwärzt hatte. Das wollte sie beides nicht, doch sie hatte keine Wahl. Es stand zu viel auf dem Spiel.

Sie verabredete sich mit Isis in der Mittagspause im Probenraum der Band. Isis wirkte ängstlich, und Hayley konnte es ihr nicht verdenken. Dass sie unter vier Augen mit ihr sprechen wollte, verhieß nichts Gutes.

Hayley erzählte ihr von dem Gespräch mit Karl Levitt und machte sich auf eine gepfefferte Reaktion gefasst: dass Isis sie als Verräterin beschimpfen würde, was sie in ihren Augen durchaus verdiente. Doch bevor es so weit kam, erzählte sie ihr auch, dass Karl Levitt und der stellvertretende Sheriff am Telefon über den Ring gesprochen hatten. Sie schloss mit: »Er war dort, Isis. Bradys Ring war dort.«

»Wo?«, fragte Isis.

»In der Fischerhütte, während des Feuers. Der Sheriff hat ihn gefunden und zurückverfolgt …«

»Wie denn?«

»Keine Ahnung. Er stammt von einer Universität, oder? Stehen irgendwelche Initialen drauf? Wenn ja, dann wurden sie von einem Goldschmied eingraviert. Und so schwer kann es nicht sein, von der Universität zu erfahren, wer der Goldschmied war und für wen die Initialen eingraviert wurden. Waren denn Initialen drauf?«

»BAD3«, sagte Isis.

»Bad drei? Was heißt das?«

»Bradley Anthony Davenport, der Dritte«, flüsterte Isis. »Brady – mein Brady – heißt eigentlich Bradley. Bradley Anthony Davenport, der Vierte. Aber er muss …« Ihre Stimme wurde leiser und sie verstummte.

»Was?«

»Hayley, ich weiß nicht mehr, was ich mit dem Ring gemacht habe. Ich muss ihn im Baumhaus liegengelassen haben, als ich nachts bei Parker war. Der hat ihn sicher gefunden, nachdem ich weg war, und dachte, damit könnte er mich … Er wollte nicht mit mir zusammen sein. Aber ich hab ihn nicht in Ruhe gelassen, und er hat nicht gewusst, wie er mich anders loswerden sollte.«

»Das glaubst du doch selbst nicht«, widersprach Hayley. »Aidan muss den Ring genommen haben. Er hat ihn extra in der Hütte liegenlassen, als er dort Feuer gelegt hat, um es so aussehen zu lassen, als hättest du …«

»Das ist nicht wahr! Er ist doch mein Bruder! Aber jetzt, wo der Sheriff Bescheid weiß, ist alles vorbei. Er hat gestern Abend Großmutter angerufen, und sie hat mit meinen Eltern telefoniert, und da mussten sie ihr alles erzählen, und jetzt weiß sie auch Bescheid, und sie ist ausgerastet, weil es ihr keiner gesagt hat und sie das ganze Zeug herumliegen hatte, mit dem er ein Feuer machen konnte.« Isis fing an, herzzerreißend zu weinen, und ging verzweifelt auf und ab.

Hayley starrte sie ratlos an. »Isis, ich hab nicht ganz verstanden … Was wusste deine Großmutter nicht?«

»Von dem Feuer. Von Aidan. Sie wusste gar nichts.«

»Oh Gott. Heißt das, sie wusste nicht, dass Aidan gerne Feuer gelegt hat? Warum nicht? Er ist doch ihr Enkel.«

»Weil sie damals so weit weg war, hat Mom es ihr nicht erzählt. Und sie hat sich nie dafür interessiert, was in Palo Alto los war. Sie hasst Kalifornien. Sie will gar nicht wissen, was in Palo Alto passiert.«

»Aber wollte sie nicht wissen, warum er auf diese Schule musste?«

»Sie haben ihr erzählt, dass es wegen Robbie war. Und das stimmt ja auch. Aidan hat so darunter gelitten und eigentlich nie aufgehört, um seinen kleinen Bruder zu trauern und … Vielleicht haben sie ihr erzählt, er hätte in Palo Alto angefangen, Drogen zu nehmen oder zu trinken oder so, aber vom Feuerlegen haben sie ihr nie was gesagt. Das ist so dämlich.«

»Was denn?«

»Dass sie nicht wollen, dass jemand davon erfährt. Und ich hänge hier fest mit ihm und soll für ihn den Kopf hinhalten, aber ich kann nicht mehr und ich will nach Hause.« Inzwischen weinte sie bitterlich, und es war anders als das normale Weinen zuvor. Es klang vielmehr, als würde sie sich langsam in einen Weinkrampf hineinsteigern. »Ich hab doch nur noch einen Bruder«, schluchzte sie. »Und ich muss ihn finden, Hayley.«

»Aber du musst auch einsehen, dass Aidan der Einzige ist, der …«

»Nein!«, schrie Isis sie beinahe an. »Jetzt hör mir mal zu. Ich muss den Ring in der Nacht angehabt haben. Ich dachte, ich hätte ihn schon früher abgelegt, aber da habe ich mich wohl geirrt. Ich habe ihn zur Party getragen, und als Parker und ich herumgemacht haben … Wir waren am Strand in der Nähe vom Treibholz, und na ja, es ist ziemlich heiß hergegangen, und dabei muss ich ihn verloren haben. So war es.« Ihre Wangen glühten. »Und da hat Parker ihn gefunden. Er hat den Ring genommen und ihn in die Fischerhütte gelegt und …«

»Du weißt genau, dass das nicht stimmt. Das redest du dir nur ein«, erklärte Hayley und merkte, dass sie selbst den Tränen nahe war. »Halt dich an die Fakten. Ich weiß, du willst, dass Aidan geheilt ist, aber das ist er nicht, und wer weiß, was er in diesem Augenblick gerade ausheckt. Kein Mensch ist sicher, bis er gefunden wird.«

Isis riss die Augen auf. »Dann müssen wir ihn finden.« Sie sprang auf und rannte aus dem Raum.