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Henry: Kindheit und Jugend

Heinrich VIII. wurde nicht als Anwärter auf den Thron geboren. Er war ein zweiter Sohn, die Reserve, nicht der Erbe: Sein älterer Bruder, Prinz Arthur, sollte regieren. Doch am Morgen eines idyllischen Mittsommertags im Jahr 1509 war es dann Henry, der nur ein paar Tage vor seinem achtzehnten Geburtstag in einer aufwändigen, pompösen Zeremonie in der Westminster Abbey zum König von England gekrönt und gesalbt wurde. Seine seit gerade einmal zwei Wochen angetraute Gemahlin, die spanische Prinzessin Katharina von Aragon, empfing die Krone an seiner Seite. In jenem Moment schien Heinrich – gutaussehend, vorwitzig, sehr begabt, mit einem runden, strahlenden Gesicht und einem rotbraunen Haarschopf – der König der Träume, der Märchen, der Ritterlichkeit, der Ehre, der Gerechtigkeit zu sein. Und wenn man nach den Maßen seiner ersten Rüstung geht, sah er sicher so aus, als könne er diese Rolle ausfüllen: wenigstens 1,85 Meter groß, mit einem Brustumfang von nicht weniger als 107 und einer Taille von 89 Zentimetern. Der venezianische Gesandte beschrieb ihn als «prächtig, großzügig und einen großen Feind der Franzosen».[1]

Die Eltern des neuen Königs waren Henry Tudor, Earl of Richmond, und Elizabeth von York. Sein Vater, der mütterlicherseits von einem illegitimen Kind des Sohns Eduards III., John of Gaunt, Duke of Lancaster, mit Katherine Swynford abstammte, wuchs unter schwierigen Umständen auf. 1471 wurde er im Chaos und Blutvergießen der Bürgerkriege ins Exil gezwungen. Diese Kriege, besser als die «Rosenkriege» bekannt, begannen im Jahr 1455, als Richard Plantagenet, Duke of York, versuchte, den schwachen und unfähigen Heinrich VI. abzusetzen. 1460 fiel Richard in der Schlacht, doch nicht einmal ein Jahr später bestieg sein Sohn als Eduard IV. den Thron, nur um die Krone im Jahr 1469 zu verlieren und sie zwei Jahre später zurückzuerobern. Nachdem Eduard also nach seiner Rückkehr an die Macht in der Offensive war, suchte Henry Tudor, der selbst einen schwachen Anspruch auf den Thron hatte, Zuflucht in der Bretagne und Frankreich.

Im Jahr 1483 starb der genusssüchtige Eduard plötzlich, und sein berechnender Bruder Richard, Duke of Gloucester, trat auf den Plan. Er ließ seine beiden jungen Neffen, den noch ungekrönten Eduard V. und seinen jüngeren Bruder Richard, jetzt Duke of York, in den Tower werfen, von wo sie kurz darauf verschwanden. Usurpatoren gab es im 15. Jahrhundert mehr als genug. Als Gloucester als Richard III. selbst den Thron besteigt, witterte Henry Tudor seine Chance. Das Ergebnis war die mit französischer Hilfe ausgefochtene Schlacht von Bosworth im August 1485, in der Henry triumphierte und Richard tot auf dem Schlachtfeld zurückblieb. Eine Ehe zwischen den York und den Tudor war insgeheim schon seit den letzten Tagen der Regierung Eduards IV. erwogen worden. Jetzt konnten die Pläne tatsächlich umgesetzt werden. Eduards älteste Tochter, Elizabeth von York, war dynastisch besser legitimiert als Henry: Indem er sie drei Monate nach seiner Krönung heiratete, konnte er sich als wahrer Thronerbe zeigen. Wie ein Chronist bemerkte, wurde die «rote Rose» von Lancaster zur Rächerin der «weißen Rose» von York.[2]

Die Ehe hatte als Zweckgemeinschaft begonnen, erwies sich aber bald als sehr viel tiefere Verbindung. Zwischen den beiden wuchs eine intensive Zuneigung, ja sogar Liebe, obwohl sie von der Persönlichkeit her sehr unterschiedlich waren. Der König, der inzwischen als Heinrich VII. den Thron bestiegen hatte, war gerissen, misstrauisch, klug, unermüdlich, erbarmungslos: schon früh ein tyrannischer Mensch, dem man besser nicht in die Quere kam. Elizabeth dagegen war nicht nur schön, sondern auch kultiviert, intelligent und elegant. Als warmherzige, zugängliche, charmante Friedensstifterin brachte sie Harmonie in die Königsfamilie und war das perfekte Gegengewicht zu ihrem distanzierten, leidenschaftslosen Ehemann.

Prinz Henry wurde fünf Jahre nach seinem Bruder Arthur am 28. Juni 1491 in Greenwich geboren und in der benachbarten Kirche des Franziskanerklosters getauft. Damals war der Palast wenig mehr als ein Herrenhaus an der Themse, doch nachdem er mit einem angemessen königlichen Platz am Ufer für Feste und Empfänge, mit Turnierplatz, Kapellen, Ställen und Bibliothek aus Ziegelsteinen neu aufgebaut worden war, sollte er zum liebsten Zuhause des Kindes werden. Henry kannte Arthur kaum, denn lange bevor er abgestillt wurde und die ersten Schritte machte, war sein Bruder schon Prince of Wales und hatte seinen eigenen Haushalt. Königinnen und adlige Frauen gaben sich alle Mühe, ihre Kinder in den ersten Jahren in ihrer Obhut zu behalten, doch das königliche Protokoll sah vor, dass allein der König für den Thronerben verantwortlich war. Arthur, dessen Name die alten Prophezeiungen Merlins heraufbeschwor, verließ das königliche Kinderzimmer im zarten Alter von drei Jahren, als er die ersten männlichen Hauslehrer und Bediensteten bekam. Nur Henry und seine Schwestern Margaret, zwei Jahre älter, und Mary, fünf Jahre jünger, blieben in der Obhut ihrer Mutter, beaufsichtigt und bedient von ihren Damen und Kindermädchen.[3] In dieser Hinsicht zumindest hatte der junge Henry Glück: Er bekam von Elizabeth von York jene Beständigkeit und Zuneigung geschenkt, an die er sich immer wehmütig erinnern und nach der er sich auf ewig sehnen sollte. Er war glücklich in ihrer Nähe. Später im Leben sollte es über ihn heißen, dass «er die Gesellschaft von Damen zum Vergnügen sucht als ein Mann, der unter ihnen aufgezogen wurde».[4]

Die Jahre mit seiner Mutter, die er vergötterte und die ihn verwöhnte und verhätschelte, prägten Henry. Noch mit zwölf Jahren lebte er im königlichen Kinderzimmer mit angrenzendem Schulzimmer im Eltham Palace, einen kurzen Ritt von Greenwich entfernt. Sein erster Lehrer war der Dichter und Satiriker John Skelton, doch schon zuvor hatte seine Mutter ihm das Lesen und Schreiben beigebracht. In seinem Schulexemplar von Ciceros De officiis («Über die Pflichten»), gedruckt 1502, findet sich in seiner kühnen, klaren, sehr markanten Handschrift der Satz: «Dieses Buch gehört mir, Prinz Henry», und die Buchstabenformen gleichen der Handschrift Elizabeths aufs Haar.[5]

Unter Skeltons Anleitung lernte Henry französische und lateinische Grammatik, las Geschichtswerke und Chroniken, Gedichte und Erzählungen von ritterlichem Mut und höfischer Liebe. Dieses Curriculum war seit 1468, als die Schwester Eduards IV., Margaret von York, den burgundischen Herzog Karl den Kühnen heiratete, das Ideal fürstlicher Bildung. Bekanntlich definierten die Burgunder des 15. Jahrhunderts die Regeln für höfischen Benimm und Umgangsformen in ganz Westeuropa. An ihrem Hof legte man Wert auf Luxus, Ritual, prächtige Kleidung, Kunstpatronage und das Sammeln von Büchern und Handschriften; auf Musik, Tanz und zeremonielles Gepränge; auf die Jagd und auf sportliche Betätigung im Freien. Städtische Zentren wie Brügge, Gent und Brüssel rühmten sich großartiger Paläste, die entworfen worden waren, um Turniere, Bankette, Maskenspiele und «Verkleidungen» dort zu veranstalten. In den neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts waren die franko-burgundische Sprache und Literatur, der Kleidungsstil, die Prachtentfaltung, die Kunst und Inneneinrichtung ebenso integrale Bestandteile des landläufigen englischen Geschmacks wie die Werke Geoffrey Chaucers.

Von jungen Jahren an liebte Henry Jean Froissarts spannende Chroniques de France et d’Angleterre, ein Werk, das er später als König ins Englische übersetzen ließ. Von Froissart lernte er viel über den Hundertjährigen Krieg gegen die Franzosen – über die legendären Siege Eduards III. bei Crécy und Heinrichs V. bei Azincourt, die 1420 zum bekannten Vertrag von Troyes führten. Dort wurde festgelegt, dass Heinrich V. die Prinzessin Catherine de Valois heiraten und als Erbe des französischen Throns anerkannt werden sollte. All dies trug dazu bei, dass er eine Art Phobie entwickelte, was Frankreich als Land anging. Während er die franko-burgundische Kultur und ihren Reichtum schätzte, betrachtete er das Königreich Frankreich und vor allem die Gebiete Nordfrankreichs, die Heinrich V. vor nicht allzu langer Zeit besetzt hatte, als rechtmäßig ererbten Besitz des Königreichs England.[6]

Was Ritterlichkeit und Ehre anging, hielt Skelton seinen jungen Schüler dazu an, sich als einen Ritter an König Artus’ Tafelrunde zu sehen. Ob er ihm Sir Thomas Malorys Le Morte d’Arthur in Caxtons Monumentalausgabe von 1485 zu lesen gab, ist ungewiss, war jedoch auch gar nicht nötig, weil Henry Zugang zu verschiedenen Handschriften mit Fassungen der Artusgeschichte in der Bibliothek seines Vater im Richmond Palace hatte. Für einen leicht zu beeindruckenden jungen Schüler war dies Romantik pur. In den Sagen heiratet der junge König Artus die unvergleichlich schöne Guinevere, nachdem er den Thron mithilfe seines magischen Schwertes Excalibur errungen und Britannien durch eine Reihe erbittert ausgefochtener Kriege geeint hat. Er bekämpft die Römer, als sie Tribute verlangen, und wird seinerseits nach dem Sieg vom Papst zum Kaiser gekrönt. Spätere Kapitel erzählen die Geschichten von Sir Lancelot, Sir Tristram und Sir Galahad. Sie schildern, wie Lancelot zum größten Ritter der Welt wird, in Schlachten kämpft, Drachen erschlägt, Jungfrauen rettet, den Heiligen Gral sucht und «Liebesspiele» mit den Frauen des Hofes spielt. Er ist Guineveres Favorit und Turnierkämpfer: Die letzten Geschichten beschreiben die Katastrophe seiner schicksalhaften Liebesaffäre mit ihr.[7]

Im Jahr 1502, als Henry elf Jahre alt war, wurde Skelton durch John Holt abgelöst, einem brillanten Latinisten und sehr erfahrenen Lehrer, der von den neuen Werten der italienischen Renaissance durchdrungen war. Fast sicher war es Holt, der die Aufmerksamkeit seines Schülers erstmals auf die Werke Ciceros und der antiken Philosophie und auf die Beschäftigung mit klassischer Rhetorik (der Kunst, überzeugend zu reden), Theologie, Geometrie und Astronomie lenkte. Auch dank seines Unterrichts wurde Henry als Erwachsener ein leidenschaftlicher Amateurtheologe und -mathematiker und ein begeisterter Astronom.[8]

Zeitgleich hatte der junge Prinz in dem französischen Lautenspieler Gilles du Wés einen Lehrer, der über etwa dreißig Jahre hinweg alle königlichen Kinder in Musik und Französisch unterrichtete. Mit ihm unternahm Henry seine ersten Versuche an den Tasteninstrumenten, bevor er bei einem gewissen «Master Guillan», seinem «Flötenlehrer», Blockflöte, Flöte und Kornett spielen lernte. Als König stand er einem Hofe vor, an dem die meisten Winterabende mit Musik und Tanz gefüllt waren. Er baute eine große Sammlung von Musikinstrumenten auf und engagierte herausragende Künstler selbst aus dem weit entfernten Venedig und Südspanien.[9]

Henry war immer ein begeisterter Sportler, er ritt, jagte, auch mit Falken, und wurde zu einem versierten Turnierkämpfer. Er spielte Tennis, lernte den Umgang mit der Armbrust und betätigte sich als Stabhochspringer. Sein sehr vorsichtiger Vater verbot ihm, das Lanzenstechen zu lernen, bevor er siebzehn war, und selbst dann durfte er nur «auf den Ring» gehen – er übte, zu Pferde einen aufgehängten Metallring mit der Lanzenspitze zu «stechen». Seine Großmutter, die respektgebietende Margaret Beaufort, die seinen ersten Sattel mit Zaumzeug bestellte und bezahlte, kam, um zu sehen, wie er sich auf dem Turnierplatz machte.[10]

Henry erlernte diese Wettkampfsportarten nicht allein. Als er acht oder neun Jahre alt war, stellte ihm seine Mutter den Stiefsohn ihres Kammerherrn William Blount, Lord Mountjoy, als Mentor zur Seite. Er war dreizehn Jahre älter als Henry, doch auch Jungen, die etwa gleich alt waren wie der Prinz, traten in sein näheres Umfeld: William Fitzwilliam, der fließend Französisch sprach und auf mütterlicher Seite Spross einer Adelsfamilie war, kam als Zehnjähriger an den Hof, später gesellte sich auch sein jüngerer Stiefbruder Anthony Browne dazu. Ihr ganzes Leben lang blieben die beiden Brüder Heinrich nahe. Auch Elizabeth von Yorks Neffe Henry Courtenay, Erbe der Grafschaft Devon, zählte zu seinen Kameraden. Als Cousin des Prinzen und «jemand, der als Kind mit Seiner Gnaden in seinen Gemächern aufgezogen worden war», spielten Courtenay und Henry noch Lanzenstechen, Tennis und Shovelboard[*1] oder veranstalteten Schneeballschlachten, als sie schon in ihren Zwanzigern waren.[11]

Eine Zufallsbegegnung gibt uns Einblick in Henrys früheste Prioritäten. Erasmus von Rotterdam, der berühmteste Intellektuelle nördlich der Alpen, hatte Mountjoy in Paris unterrichtet, und 1499 organisierte sein früherer Schüler für den großen Gelehrten einen Besuch im Schulzimmer des Prinzen, begleitet von einem Anwaltsfreund, Thomas More. Erasmus, ein sehr guter Menschenkenner, war sofort begeistert von Henrys jugendlichem Charme und «königlichem Auftreten», und als er nach dem Besuch eine lateinische, 150 Zeilen lange Ode verfasste, um sie ihm mit einem Widmungsbrief zu übereignen, sprach er zu ihm, als sei er – und nicht sein Bruder – der Thronerbe. Er mahnte ihn, nur Helden, die auch Gelehrte seien, könnten unsterblichen Ruhm erlangen. Erasmus – selbst eher ein Draufgänger – hatte erkannt, dass es das Streben nach Ruhm war, das Henry auch später als Erwachsenen antrieb.[12]

Trotz seines Glücks bei Bosworth war die Position Heinrichs VII. nicht gesichert. Niemand wusste genau, wie die beiden Brüder Elizabeths von York gestorben oder ob sie überhaupt tot waren, und das ließ unzufriedenen York-Anhängern viel Raum, auf Betrüger hereinzufallen. Der erste, Lambert Simnel, wurde in einer Schlacht geschlagen und gefangengenommen, noch bevor Prinz Henry geboren war, doch der zweite, Perkin Warbeck, der sich als Richard, Duke of York, den jüngeren der beiden fehlenden Prinzen aus dem Tower ausgab, erwies sich als größere Bedrohung. Um Warbecks Ansprüchen etwas entgegenzusetzen, schlug Heinrich VII. den dreijährigen Prinzen Henry zum Ritter, erklärte ihn zum «wahren» Duke of York und übertrug ihm die Ämter des Lord-Lieutenant of Ireland und des Warden of the Scottish Marches. Doch Warbeck konnte unglaublich überzeugend sein, und seine Anhänger unterwanderten sogar den inneren Zirkel des Königs. Die Gefahr war so groß, dass Henrys Mutter ihn und seine völlig verängstigten Schwestern während des kornischen Aufstands im Juni 1497 im Haus ihrer Großmutter in London und dann fünf Tage lang in der Sicherheit des innersten Teils des Tower unterbrachte – eine Krise, die erst endete, als Warbeck für seine Ambitionen mit dem Leben bezahlte. Dass kein König sich selbstzufrieden in dynastischer Sicherheit wiegen konnte, war eine schreckliche Lektion für den verwöhnten Prinzen. Er sollte sie nie vergessen.[13]

Die Hochzeit von Prinz Arthur im Jahr 1501 bot seinem Bruder eine Chance, ihm die Schau zu stehlen. Auf der Suche nach einer Ehefrau für seinen älteren Sohn hatte sein Vater sich nach Spanien gewandt und Katharina, die jüngste Tocher von Königin Isabella I. von Kastilien und König Ferdinand II. von Aragon, auserkoren. Heinrich VII. brachte eine solche Eheschließung Prestige, eine Legitimierung seiner noch jungen Herrschaft und einen Verbündeten gegen Frankreich wie auch gegen zukünftige Hochstapler. Doppelt attraktiv wurden Ferdinand und Isabella für ihre Zeitgenossen wegen ihres «Kreuzzugs für den katholischen Glauben», mit dem sie muslimische Mauren und Juden aus ihrem Land vertreiben wollten. Katharina hatte ihre Eltern schon als kleines Kind auf Feldzügen begleitet. Mit sechs Jahren war sie bei ihnen, als sie Abu Abdallah Muhammad XII., den letzten Nasridenherrscher von Granada, besiegten und einen triumphalen Einzug in die Alhambra, seine rot ummauerte Zitadelle, hielten. Eine solche Braut für Arthur zu gewinnen, war ein echter Coup, zumal Katharina eine großzügige Mitgift mitbrachte.

Mit fünfzehn, so beschlossen ihre Eltern, war Katharina alt genug, ihr neues Leben zu beginnen. Eine zentrale Rolle bei den Feierlichkeiten, die begannen, kurz nachdem sie in Plymouth an Land gegangen war, spielte der zehnjährige Henry – kein bescheidener jüngerer Sohn, sondern ein nach Aufmerksamkeit heischender, extrovertierter Jüngling, der seinem Bruder die Bühne streitig machte. Bischof Richard Fox hatte es so organisiert, dass Edward Stafford, Duke of Buckingham, Katharina von Kingston-upon-Thames nach St Georges Fields in Southwark eskortierte. Dann aber war es Prinz Henrys Aufgabe, sie bei ihrem Einzug nach London zu begleiten.[14] Und so lernte er jene Frau kennen, die er selbst später heiraten würde.

Am Freitag, dem 12. November 1501, geleitete der junge Henry Katharina «in überaus königlicher Weise» über die London Bridge und durch die Straßen der Hauptstadt.[15] Selbstbewusst an ihrer rechten Seite reitend winkte er der Menge zu und hielt gelegentlich an, um die sorgfältig choreographierten Tableaux zu bewundern, die die Bürger einstudiert hatten. Ihm entging völlig, dass die Menschen nicht ihn, sondern Katharina bestaunten. Sie rühmten ihr weiches, «süßes» Gesicht und die schönen Lippen, ihre Haltung und Eleganz, während sie unbequem auf einem Maultier sitzend dahinritt, die blonden Haare offen über die Schultern gebreitet. Wie bei ihrer älteren Schwester Johanna, mit der sie in ihren Porträts oft verwechselt wird, war Katharinas Nase lang und gerade, ihre blauen Augen groß, tief und seelenvoll, ihr Mund ein fast vollendeter Amorbogen, ihre Finger schlank und zart. Sie hatte Charisma, und Thomas More fand sie bezaubernd: «Nehmt mein Wort dafür», sagte er. «Sie ließ die Herzen aller erbeben. Sie besitzt all jene Eigenschaften, die bei einem ganz wunderbaren jungen Mädchen Schönheit ausmachen.»[16]

Am darauffolgenden Sonntag fiel Henry eine weitere Aufgabe zu: Er sollte Katharina zu ihrer Trauung in die brechend volle St Paul’s Cathedral führen.[17] Dann, nach der Eheschließung, nahm er an der Hochzeitsmesse im Altarraum teil, bevor er Katharina wieder in den Bischofspalast auf der anderen Seite des Kirchhofs und an die Schwelle des Hochzeitsgemachs brachte, in dem Arthur sie erwartete. Unter denen, die zuschauen durften, wie das Paar zeremoniell «gebettet» wurde, war auch der achtundzwanzigjährige William Thomas, einer von Arthurs grooms of the privy chamber, zu deren Aufgaben es gehörte, ihren Herrn an- und auszukleiden und ihn nachts zu bewachen.[18]

Henry war zu jung, um bei den königlichen Turnieren anzutreten, die kurz darauf folgten. Er musste sich damit bescheiden, von der mit Goldbrokat ausgeschlagenen Tribüne aus zuzusehen, wie der Duke of Buckingham als «Herausforderer» in die Schranken trat und ein siebzehnjähriger Esquire, Charles Brandon, der bald Henry engster Freund werden sollte, alle faszinierte. Brandon war herzlich und empfindsam, pflegt eine eher grobe Sprache und war ein bekannter Frauenheld. Es sollte nicht lange dauern, bis er der Zofe der Elizabeth von York die Ehe versprach, sie schwängerte und bald zugunsten seiner verwitweten Tante sitzen ließ, nur um sich deren Ländereien unter den Nagel zu reißen und ihre Ehe dann annullieren zu lassen.[19]

Doch sobald das Turnier beendet war, war es Prinz Henry, der mit seinem Auftritt Furore machte. Bei dem Maskenspiel und dem Bankett, die in Westminster Hall stattfanden, trat er auf, um zwei basses danses mit seiner Schwester Margaret vorzuführen. Die ursprünglich aus Spanien und Flandern stammenden Tänze zählten damals zu den eleganteren Paartänzen. Sie wirkten zwar relativ gemächlich, erforderten aber komplizierte Schrittfolgen vorwärts, rückwärts und seitwärts. Zur Freude der Zuschauer gab Henry alles, legte seine Festrobe ab und tanzte ungeniert im Wams.[20]

Als der König vierzehn Tage später beschloss, dass Arthur in Ludlow Castle an der walisischen Grenze leben solle, um dort seine Pflichten als Prince of Wales aufzunehmen, kam es zu einer langwierigen, erbitterten Debatte darüber, ob es für Katharina sicher sei, ihn zu begleiten. Er war erst fünfzehn, sie gerade einmal sechzehn Jahre alt, und es herrschte die Ansicht vor, dass zu viel Sex in jungen Jahren schädlich sein könne. Trotz solcher Bedenken setzte Heinrich VII. seinen Willen durch.[21]

Das Paar erreichte Ludlow im Januar 1502 mit einem Tross von hundert Packpferden und Dutzenden Bediensteten. Alles schien gut zu laufen, bis Arthur in den letzten Märzwochen eine mysteriöse Krankheit befiel. Was auch immer es war – vielleicht die Beulenpest, die Grippe oder ein unbekanntes Fieber –, sein Zustand verschlechterte sich zusehends, und er starb am 2. April.[22] In allen Kirchen Londons wurden Messen für seine Seele gehalten, und er wurde mit allem Pomp in einer besonderen Kapelle im Benediktinerkloster in Worcester (heute die dortige Kathedrale) nahe dem Hochaltar und dem Grab von König Johann beigesetzt. Mit seinem Tod änderte sich Henrys Leben für immer: Jetzt würde er König werden.

Arthurs Tod traf seine Eltern ins Mark. Wir haben berührende Beschreibungen, wie sie einander trösteten, als sie die Nachricht erhielten. Elizabeth von York versicherte ihrem Ehemann, sie seien jung genug, um weitere Kinder zu bekommen, und erinnerte ihn daran, dass Henry ja auch noch da war. Er sei, so sagte sie angeblich, «ein schöner, stattlicher und gelehriger junger Prinz».[23]

Nicht einmal ein Jahr nach Arthurs Tod, am Abend von Mariä Lichtmess, dem 2. Februar 1503, lag Elizabeth, die wieder schwanger war, «plötzlich in den Wehen und wurde von einer Tochter entbunden».[24] Sie und ihr Baby starben kurz darauf. Henry litt furchtbar unter dem Tod seiner Mutter, beschrieb ihn als das schlimmste Ereignis seines Lebens. Nichts, so schrieb er einige Jahre später, habe ihn jemals mehr entsetzt als die erste Nachricht, dass sie gegangen sei und er sie nie wiedersehen werde. Jede auch nur zufällige, beiläufige Erinnerung an seinen Verlust konnte, wie er sagte, «eine Wunde wiederaufreißen, die die Zeit zu heilen begonnen hatte».[25] Weil er getrennt von seinem älteren Bruder aufgewachsen war, konnte er für ihn keine Trauer in seinem Herzen finden, doch um seine Mutter trauerte er tief. Sie hatte sein Frauenbild geprägt. Ihre Liebe hatte er gewollt und gebraucht. Der Rest seines Lebens war darauf ausgerichtet, wieder eine solche Liebe zu finden.

Die Tragödie veränderte auch Henrys Vater: Sein Haar ergraute, sein Augenlicht begann ihn zu verlassen und sein Charakter änderte sich, hin zu einem hageren, kleinlichen Argus mit stechenden Augen, der jeden Aspekt im Leben seiner Adligen und Höflinge überwachte. Als Herrscher, dem es an Charisma fehlte und der die Krone vor allem glücklichen Zufällen und der Schwäche anderer zu verdanken hatte, sah er die Notwendigkeit, jede Gefahr, den Thron etwa durch eine Verschwörung oder andere widrige Umstände wieder zu verlieren, im Keim zu ersticken.

Seine Sorge um seinen einzigen überlebenden Sohn wurde zur Obsession. Anders als Arthur wurde der neue Prince of Wales nicht nach Ludlow geschickt. Kurz nach seinem dreizehnten Geburtstag holte ihn sein Vater aus dem Schulzimmer. Er sollte jetzt am Hofe leben, wo er zum ersten Mal die Schattenseiten der Politik wahrnahm, etwa Untergebene, die zu käuflich oder zu ängstlich waren, um dem König die Meinung zu sagen, selbst wenn er ganz offensichtlich einen Fehler machte. Ein neu angekommener spanischer Botschafter schilderte, der Prince of Wales sei in Gemächern untergebracht, «von denen es weder einen Eingang noch einen Ausgang gab außer durch die Kammer des Königs». Er konnte sie nur durch eine kleine Tür verlassen, die in einen Park führte, wo man ihn streng bewachte. «Er spricht kein Wort, es sei denn eine Antwort auf das, was der König ihn fragt.»[26]

Henry wurde jetzt in vieler Hinsicht ein Opfer seiner Kindheit. Noch immer erschüttert vom plötzlichen Tod seiner Mutter, empfand er seinen Vater, der einzig und allein aufgrund seines Verhaltens ihm entweder Vertrauen schenkte oder Wohlwollen und Zuneigung entzog, als distanziert und dominant. Es war eine angespannte Beziehung, die ein unersättliches Bedürfnis nach Bestätigung in die Seele des jungen Henry pflanzte, zusammen mit einer Angst, dass alles, was er erreichte, nie genug sein würde.

Die sichtbar abnehmende Gesundheit Heinrichs VII. ermutigte die Höflinge, hinter vorgehaltener Hand über die Thronfolge zu spekulieren. Als er mehrere Wochen lang in Wanstead das Bett hüten musste, hieß es in der Garnison im wichtigen Handelshafen Calais, der letzten englischen Besitzung auf dem Kontinent: «Der König ist nur noch ein schwacher Mann und kränklich, er wird wohl nicht mehr lange leben.» Niemand sprach von dem jüngeren Heinrich als dem nächsten König; es sah so aus, als würde die Dynastie mit ihrem Gründer sterben.[27] Solche losen Reden reizten seinen Vater zu einer Terrorherrschaft, in der der junge Henry etwas über die Zerbrechlichkeit der Macht und im Zuge dessen auch über die Zwänge königlicher Herrschaft lernte. Er erlebte hautnah mit, wie brutal sein Vater regieren konnte und es bis zu gewissen Grad auch musste; wie sehr er an den Rändern des Rechts agierte, es aber dennoch schaffte, innerhalb dieses Rahmens zu bleiben. Er entdeckte, dass Angst eine probate Methode war, um die Kontrolle zu behalten, und beobachtete, wie Richard Empson und Edmund Dudley – Heinrichs Männer fürs Grobe – Spione, Erpressungen, Meineide, Drohungen und räuberische Geldstrafen einsetzten, um die Opposition selbst dort zum Schweigen zu bringen, wo es sie gar nicht gab. Jeder, der Heinrich in die Quere kam, verlor nicht nur die Chance auf eine Stellung bei Hofe oder eine Peerswürde: Der König setzte alles daran, solche Leute zu ruinieren oder zu vernichten. Und sein Sohn lernte das Regieren, indem er all diese Einflüsse in sich aufsog.[28]

Nach Arthurs Tod kehrte Katharina nach London zurück, um sich zu erholen. Die Frage war, was man mit ihr anfangen sollte, sobald sie wiederhergestellt war. Für ihre Eltern war die Sache klar: Sie sollte Prinz Henry heiraten. Im Jahr 1498 hatten sie schon einmal eine ähnliche Situation erlebt, nachdem ihre älteste Tochter Isabella, Prinzessin von Asturien und Ehefrau Manuels I. von Portugal, im Kindbett gestorben war. Um ihr Bündnis mit Portugal fortzuführen, erhielten sie eine päpstliche Dispens, die es Manuel erlaubte, Maria, die jüngere Schwester seiner gestorbenen Gemahlin, zu heiraten. Sie sahen keinen Grund, warum man diese Lösung nicht auch hier anwenden sollte.

Heinrich VII. fand die Idee gut. Am 23. Juni 1503 einigte man sich auf einen überarbeiteten Ehevertrag, und der König organisierte eine Feier, die in den Augen vieler als Hochzeit zwischen Katharina und seinem Sohn durchgehen konnte.[29] Allerdings war das Ganze ein Schwindel. Die Zeremonie wies zwar fast alle Elemente einer echten Eheschließung auf, doch das Entscheidende fehlte: Die Ehe sollte nicht vollzogen werden, da der junge Prinz noch nicht mündig war. Das Kirchenrecht setzte dafür vierzehn Jahre bei einem Jungen und zwölf bei einem Mädchen an. Der listige König hatte alles so organisiert, dass er den maximalen Nutzen aus dem Bündnis mit Spanien zog und Katharinas Mitgift behalten konnte, ohne sich selbst in vollem Umfang zu verpflichten.[30]

Damit die Eheschließung gültig war, brauchte man eine Dispens «nach Art der römischen Kurie», da das Kirchenrecht die Ehe zwischen einem Mann und der Witwe seines Bruders untersagte. Am 26. Dezember 1503 veröffentlichte Papst Julius II. ein kurzgefasstes Dokument, ein sogenanntes «Breve», um Katharinas dem Vernehmen nach im Sterben liegender Mutter die beruhigende Sicherheit zu geben, dass eine angemessen formulierte Dispens bald folgen werde. Um die Sache schnell und einfach vom Tisch zu bekommen, hieß es dort, Katharinas und Arthurs Ehe sei vollständig vollzogen worden. In Reaktion darauf erhob Ferdinand Einwände aufgrund von Informationen, die Katharinas oberste Hofdame nach Spanien geschickt hatte, und so war in die Dispensbulle, als sie endlich ankam, das Wort forsan («vielleicht») eingefügt, wodurch sie zur Mogelpackung wurde: Die Vorstellung, dass die Ehe nur «vielleicht vollzogen» worden war, machte die ganze Angelegenheit zweifelhaft.[31]

Da jedoch Königin Isabella angeschlagen war, sah Heinrich VII. die Gefahr, dass Spanien womöglich auseinanderbrechen könnte, und in diesem Fall hatte er nicht die Absicht, die Eheschließung seines einzigen überlebenden Sohnes mit Katharina weiterzuverfolgen. Das war klug, weil es sich bei der Verbindung der beiden Kronen von Aragon und Kastilien nur um eine Personalunion handelte. Als Isabella im November 1504 starb, brach in Spanien Chaos aus. Ferdinands Titel als Königsgemahl von Kastilien erlosch, er blieb nur noch der geschäftsführender Regent jenes Königreichs. Isabellas Erbin in Kastilien war Katharinas ältere Schwester Johanna, Gemahlin des eitlen, einnehmenden und notorisch untreuen Philipps des Schönen, des Herzogs von Burgund. Als Sohn des Habsburgers Maximilian I., Römischer König und bald Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, regierte Philipp die sogenannten «Burgundischen Niederlande», den Kern jener Territorien, die Karl der Kühne zwischen 1467 und 1477, vor den Annexionen Ludwigs XI. von Frankreich, besessen hatte. Diese Gebiete umfassten Teile von Nordostfrankreich und den allergrößten Teil der heutigen Benelux-Staaten.

Ferdinand hatte keinen noch lebenden Sohn, und so setzte mit Isabellas Tod ein Kampf um die spanische Thronfolge ein. Bis diese geklärt war, wollte Heinrich VII. sich die Wahl der Braut für seinen Sohn offenhalten.[32] Und so kam es, dass Prinz Henry – kurz vor seinem vierzehnten Geburtstag – einen Notar kommen ließ und einen feierlichen Widerspruch verlas, in dem er erklärte, er sei in den Ehekontrakt eingetreten, als er noch nicht volljährig war, und sei daher nicht an dessen Bedingungen gebunden. Der Vertrag sei «null und nichtig».[33] Katharina nahm ihm das übel. «Keine Frau, egal welchen Standes im Leben», beklagte sie sich bei ihrem Vater, «kann mehr gelitten haben als ich. Keines der Versprechen, die man mir bei meiner Heirat gemacht hatte, wurde eingehalten.»[34]

Ihre Klagen verhallten ungehört. Heinrichs VII. Sorge galt vorrangig der Sicherung der Dynastie. Kurz nach Katharinas Ankunft in England war Edmund de la Pole, der Cousin Elizabeths von York, ins Ausland geflohen, und Heinrich wollte ihn zurück. Die Gelegenheit ergab sich im Januar 1506, als Philipp und Johanna die Niederlande mit dem Schiff verließen, um ihr kastilisches Erbe einzufordern, und dabei ihre Kinder, vor allem ihren fünfjährigen Sohn und Erben Karl, in der Obhut seiner Tante Margarete von Österreich zurückließen. Zu der Zeit stand de la Pole unter Philipps Schutz. Als ein schwerer Sturm Philipps Schiff zwang, Zuflucht an der Küste von Dorset nahe Weymouth zu suchen, lockte Heinrich VII. die Burgunder an die Küste und überschüttete sie in Windsor Castle mit Geschenken und Gastfreundschaft – im Gegenzug willigte Philipp ein, de la Pole auszuliefern, sofern der englische König feierlich schwor, dessen Leben zu schonen. Es folgten ein Handelsvertrag und ein Austausch von Ritterorden, bei dem Philipp den vierzehnjährigen Prinz Henry zum Ritter des Goldenen Vlieses schlug.[35]

Der junge Henry folgte Philipp während seines Aufenthalts wie ein Schatten. Der Herzog war sein Pate, und so war es ganz normal, dass die beiden Zeit miteinander verbrachten. Henry, den man nach Winchester geschickt hatte, um Philipp auf seiner Reise nach Windsor willkommen zu heißen, führte ihn in die große Halle der normannischen Burg, wo er ihm stolz die massive runde Holzscheibe zeigte, an der sich, wie man glaubte, die Tafelrunde des Königs Artus und seiner Ritter versammelt hatte. Als König ließ er sie später neu anmalen.[36] Der siebenundzwanzig Jahre alte Philipp war ein guter Sportler, und sein Patensohn hatte ganz offensichtlich gewaltigen Respekt vor ihm und behandelte ihn wie den Vater, den er sich immer gewünscht hatte. Noch zwanzig Jahre später schwärmte er von ihm und erzählte dem spanischen Botschafter: «Ich habe noch immer sein Porträt in einem meiner Zimmer hängen, das ich Philipps Zimmer nenne und lieber mag als alle anderen in meinem Palast, nicht nur wegen seines Namens, sondern weil ich sein Patensohn war.» Nie würde er das vergessen, und noch in seinen letzten Lebensmonaten kaufte Heinrich «Duftstoffe für Herzog Philipps Kammer».[37]

Philipp sollte allerdings nicht mehr lange leben, nachdem er England verlassen hatte: Er starb nicht einmal sechs Monate nach seiner Ankunft in Kastilien an einem Fieber und machte Johanna damit zur Königin von Kastilien aus eigenem Recht und zu Ferdinands Erbin in Aragon. Um sich die Kontrolle über Kastilien zu sichern, zwang Ferdinand sie, sich in ein Kloster nahe Burgos und später in die Burg von Tordesillas zurückzuziehen, was ihm erlaubte, an ihrer Stelle zu regieren. Damit stellte er sicher, dass auf längere Sicht wohl eher sein Sohn Karl der Erbe eines geeinten Spanien sein würde. Er befand sich immer noch in der Obhut seiner Tante Margarete, die Maximilian zur Regentin der Burgundischen Niederlande gemacht hatte.[38]

In Reaktion darauf richtete Heinrich VII. seine Diplomatie eher auf Maximilian und den aufstrebenden dynastischen Komplex der Habsburger in Nordeuropa aus – ein im Licht der größeren internationalen Entwicklungen berechneter Zug. Im Jahr 1494 hatte sich das Gesicht Europas verändert, als Karl VIII. von Frankreich mit einem großen Heer in Italien einfiel. Für die nächsten fünfundsiebzig Jahre wurde Italien zur Schaltzentrale der internationalen Politik. Das von Ludovico Sforza regierte Herzogtum Mailand, das Karl damals beanspruchte, und Neapel, auf das er ebenfalls Anspruch erhob, das jedoch Ferdinand erobert hatte, waren die wichtigsten Schlachtfelder. Unter den einzelnen italienischen Städten wie auch zwischen ihnen und den großen Mächten herrschte eine starke Rivalität: Florenz und Pisa, die reiche Beute versprachen, bekämpften einander jahrzehntelang; Venedig, ideal an der Adria gelegen, mächtig, beneidet und noch reicher durch den Handel im Mittelmeerraum und weit darüber hinaus, war ein beeindruckender Verbündeter oder Gegner, oft aber auch Zielscheibe von Angriffen. Dazu kam noch, dass der Papst sowohl geistlicher wie auch weltlicher Führer war, Herrscher über einen großen Landstreifen in Mittelitalien, des sogenannten Kirchenstaats, und oft bereit, Kriege zu billigen, ja sogar dazu anzustacheln. Und schließlich forderte Maximilian, obwohl von Geburt Österreicher, Rechte in verschiedenen italienischen Städten ein. Nach Philipps Tod sprach er offen davon, die Franzosen aus der Lombardei zu vertreiben und nach Rom oder Bologna zu kommen, um sich vom Papst zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches krönen zu lassen.

Auch der Druck im eigenen Land spielte eine Rolle. Keine englische Stadt oder Region war wirtschaftlich oder politisch stärker engagiert als London, wo sich das Interesse der Kaufleute stark den Habsburger Niederlanden zuwandte. Die internationalen Handelsnetze und Banksysteme Nord- und Mitteleuropas konzentrierten sich auf Antwerpen und Bergen op Zoom in den Niederlanden, wo die Londoner Company of Merchant Adventurers (Handelskompanie der Fernkaufleute) das Privileg besaß, ihr Tuch auf dem viermal im Jahr stattfindenden Markt zu verkaufen. Um 1500 hatte Antwerpen seine Position als wichtigster Kreditmarkt Nordeuropas gefestigt. Jahrhundertelang hatten englische Herrscher ihre Kriege mit einer Mischung aus kurzfristigen Anleihen in Antwerpen und besonderen Lizenzen finanziert, dank derer sie große Mengen halbverarbeitetes englisches Tuch zum Verkauf in den Handelsstädte exportieren durften, ohne die üblichen Zölle zu bezahlen.[39]

Heinrich VII., der sein Erbe sichern wollte, suchte nach Möglichkeiten, neue dynastische Ehen zu schließen. Nur zweimal hatte er Erfolg, alle anderen Planungen endeten in einer Sackgasse: Kurz nach dem Tod seiner Frau trat seine ältere Tochter Margaret von Richmond Palace aus ihre 33-tägige Reise nach Edinburgh an, um Jakob IV. von Schottland zu heiraten. Spektakulärer war allerdings, dass es ihm im Dezember 1507 gelang, mit Maximilian eine Verlobung seiner jüngeren Tochter Mary mit dessen Enkel Karl zu vereinbaren. Die Hochzeit sollte stattfinden, sobald Karl mündig wurde. Heinrich betrachtete diesen Handel als Krönung seiner Herrschaft und gab mehr als 260.000 Pfund für Bestechungen und Zahlungen an die Habsburger aus, um ihn zustandezubringen.[40]

Heinrich VII. starb im Jahr 1509. Seine treusorgende Mutter, Margaret Beaufort, zog zu ihm, als er in Richmond auf dem Totenbett lag. Am 31. März hieß es, er sei «gänzlich ohne Hoffnung auf Erholung».[41] Eine Woche später wurde ein Schreiber dafür bezahlt, Heinrichs Letzten Willen zu Papier zu bringen, doch er hielt noch durch bis um elf Uhr abends am Samstag, dem 21. April. Erschöpft von den fast unmöglichen Anforderungen, die er an sich selbst gestellt hatte, verließ er diese Erde schließlich mit nur zweiundfünfzig Jahren.

Prinz Henrys Tag war gekommen.

Fußnoten

*1 Ein Spiel, bei dem eine Münze oder eine andere Scheibe durch einen Stoß mit der Hand (manchmal über zehn Meter oder mehr) über ein stark poliertes Brett, den Boden oder einen Tisch geschoben wird, der mit Querlinien markiert ist.