Schon im Jahr 1527 oder 1528 erwarben Anne und ihr Bruder eine Reihe von Büchern, die von drei fortschrittlichen Druckern herausgegeben wurden. Die Sorbonne und das Parlement von Paris hatten 1525 und 1526 erneut Übersetzungen der Heiligen Schrift, oder auch Teile daraus, ins Französische verurteilt, das galt auch für einige evangelische Schriften. Ungeachtet dessen bemühten sich Jacques Lefèvre d’Étaples, an dessen spontane Seminare am Hof in Paris sich Anne noch gut erinnerte, und seine Freunde eifrig, ihre Reformideen in dünnen, erschwinglichen Fibeln zu verbreiten, die in einem einfachen Alltagsfranzösisch geschrieben waren. Sobald diese Bücher käuflich erhältlich waren, lasen Anne und ihr Bruder George sie begeistert.[1]
Unter den 910 Büchern, die nach Heinrichs Tod in einer Inventarliste der Upper Library von Whitehall Palace geführt wurden, befanden sich mindestens fünfzehn Werke von Lefèvre und seinen Anhängern, die Simon du Bois in Paris und neuerdings in Alençon herausgab. Unter Margarete von Navarras Protektion konnten die Mitglieder von Guillaume Briçonnets Predigerteam, der sogenannte Cercle de Meaux, dort ungehindert arbeiten. Weitere drei Bücher von du Bois, die inzwischen verschollen sind, befanden sich ebenfalls einst in der Bibliothek, weil ihre Titel in dem Inventar auftauchen. Solche Bücher sind extrem selten: Mindestens vier der Exemplare von Anne oder George sind die einzigen erhalten gebliebenen. Am englischen Hof ist keine andere Person bekannt, die sie gekauft hätte, schon gar nicht Heinrich.[2]
Ganz ähnlich sah es mit Büchern aus, die von den fleißigsten Druckern der Anhänger Lefèvres, Martin Lempereur (alias Martin de Keyser) und Johann Prüss dem Jüngeren, veröffentlicht wurden. In Antwerpen, wo er auch für William Tyndale Bücher druckte, gab Lempereur zwischen 1525 und 1534 rund dreißig theologische Titel auf Französisch heraus, von denen sich dreizehn in der Upper Library befanden. Über den in Straßburg tätigen Prüss ist nur bekannt, dass er fünf reformatorische Werke auf Französisch herausgab, Anne oder George besaßen drei davon. Bücher, die Anne vor ihrer Heirat erwarb, waren mit «einem gekrönten ‹A› versehen», die danach hingegen mit dem Kürzel «HA» für Heinrich und Anne.[3]
Insgesamt besaßen Anne und George wohl vierzig evangelische Bücher auf Französisch oder von französischen Druckereien, mehrere von Lefèvre persönlich.[4] Zu den ersten Anschaffungen zählte das Werk Sentence de frère Jehan Guibert («Das Urteil des Bruders Jehan Guibert»), das du Bois im Jahr 1527 druckte. Es schildert die Begnadigung eines Einsiedlers und Lefèvristen, den man dazu verurteilt hatte, auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden, nachdem er gesagt hatte, dass die Messe durch das Lesen der Evangelien ersetzt werden solle. Nach vier Jahren im Gefängnis wurde er bei einer Berufungsverhandlung jedoch freigesprochen: ein Sieg für ihn und für den ganzen Cercle de Meaux.[5] Eine weitere frühe Anschaffung war Le livre de vraye et parfaicte oraison («Das Buch des wahren und vollkommenen Gebets»), das erstmals im Jahr 1528 herausgegeben wurde, ein Werk, das das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis und die Zehn Gebote um hilfreiche Meditationen und Gebete ergänzt. Es handelt sich um eines von vielen evangelischen Büchern, die die Wahrheit und Hinlänglichkeit der Heiligen Schrift als Gottes Wort verkündeten.[6]
Dank Heinrichs Geld konnte Anne Luxusexemplare der traditionelleren Andachtsbücher erwerben und damit beweisen, dass sie keineswegs diese grundlegenden Hilfsmittel für die Anbetung reformieren wollte. Sie begann mit zwei Stundenbüchern, die sich heute beide in der Sammlung von Hever Castle befinden. Das erste, eine um 1450 in Brügge angefertigte Handschrift, hat 23 herrliche ganzseitige Miniaturen, darunter die Anbetung der Könige, acht große, nach oben versetzte Miniaturen auf mit einem Rahmen verzierten Seiten, sowie 23 kleinere Miniaturen, allesamt eingefasst von vergoldeten Ranken aus Früchten und Blüten, verflochten mit grotesken und geringelten Akanthusblättern. Unter einer ganzseitigen Miniatur des Jüngsten Gerichts steht: «Le temps viendra/Je anne boleyn» («Die Zeit wird kommen/Ich Anne Boleyn»), und zwischen «Je» und «anne» ist eine kleine Armillarsphäre, ein Zeichen Königin Claudes, skizziert.[7]
Als Nächstes erwarb Anne ein Stundenbuch, das um 1528 von Germain und Gilles Hardouyn in Paris gedruckt worden war. Die Brüder waren auf Drucke auf Pergament in kleinen Auflagen spezialisiert und stellten es den Kunden frei, handbemalte Verzierungen zu bestellen, wenn sie es wünschten.[8] Anne ließ ihr Exemplar üppig illuminieren. An den unteren Rand einer Seite gegenüber einer Darstellung von Jesu im Tempel schrieb sie: «Remember me when you do pray/That hope doth lead from day to day/Anne Boleyn» («Gedenket meiner wenn Ihr betet/dass Hoffnung von Tag zu Tag uns leitet»).[9] Eine weitverbreitete Annahme, dass sich ihre Inschrift gegenüber einem Bild der Krönung der Heiligen Jungfrau befindet, was auf ihren Wunsch, Königin von England zu werden, schließen lässt, trifft nicht zu: Das Bild der Krönung der Heiligen Jungfrau befindet sich auf einer anderen Seite.
Ein Exemplar genau dieses Buches hatte auch Katharina gekauft – eine besondere Ironie des Schicksals. Nachdem sie es einer ihrer Hofdamen vermacht hatte, wurde es um 1906 für die Morgan Library in New York erworben. War dies Zufall oder wollten die beiden sich gegenseitig ausstechen? Sollte es um Letzteres gegangen sein, so war Anne die Siegerin. Ihr Exemplar ist hochwertiger illuminiert und hat mehr vergoldete, kunstvoll ausgeführte Ränder, die ganze Seiten umrahmen. Alle Exemplare wurden mit Bittgebeten an Heilige ausgestattet, und Katharina ließ ihrem Exemplar zwei handschriftliche Blätter hinzufügen, das erste mit einem Gebet, das bei der Anbetung vor einem Bild des Corpus Christi angewandt wurde,[*1] das zweite mit einer Anrufung des Heiligen Rochus, einem beliebten Heiligen, dessen Hilfe gegen Pest gesucht wird. Es ist anzunehmen, dass die beiden Frauen ihre Bücher auf eine sehr verschiedene Weise lasen, weil die Anhänger Lefèvres den Wert der Verehrung von Bildern und der Fürsprache durch Heilige infrage stellten.[10]
Irgendwann Ende 1529 oder Anfang 1530 ging Anne einen Schritt weiter, indem sie persönlich einen auserlesenen, mit der Hand geschriebenen französischen Psalter in Auftrag gab, in dem ihr Rochford-Wappen auf mehreren Seiten in einer Raute erscheint, verflochten mit einer Zahl, die ihre Initialen mit denen Heinrichs verbindet. Diese Arbeit, die heute in der Getty Library in Wormseley aufbewahrt wird, war eine anspruchsvolle: voller brillant gefärbter Rubrizierung und kunstvoller Ränder einschließlich Akanthusblättern und Blüten, Erdbeeren, Juwelen, Perlen, Delphinköpfen und dergleichen mehr, kündigt es der Welt ihre bevorstehende Aufnahme in die Königsfamilie an.[11]
Wie beschaffte sie sich diese Bücher? Im Fall das Psalters suchte Anne die Unterstützung von Jean du Bellay, der ein ähnliches Buch für sich wünschte. Die gedruckten Bücher aus den Pressen von du Bois und anderen hätte George durchaus während seiner diplomatischen Missionen in Frankreich im Jahr 1529 und danach kaufen können. Davor war es höchstwahrscheinlich John Barlow, den Anne mit dem Pfarramt Sundridge belohnt hatte, der auf seinen Reisen zwischen London, Paris und Italien Bücher zusammentrug.[12]
Später setzte Anne Scouts ein, um französische Bibeltexte aufzuspüren. Einer von ihnen war William Locke, ihr Hauptlieferant von Seidenstoffen, der Bücher in Antwerpen abholte.[13] Auch William Latymer gehörte dazu, der feurige Pfarrer der Londoner Gemeinde St Laurence Pountney, den sie zu einem ihrer Kaplane machte. In A Brief Treatise or Chronicle of the Most Virtuous Lady Anne Boleyn («Eine kurze Abhandlung oder Chronik der allertugendhaftesten Lady Anne Boleyn»), das er in den 1550er Jahren verfasste, teilt uns Latymer mit, dass sie «sehr gewandt in der französischen Zunge war, indem sie sich unablässig durch das Lesen der französischen Bibel übte und andere französische Bücher von ähnlicher Wirkung las und daselbst großes Vergnügen empfand».[14] Der Pariser Gelehrte Louis de Brun, der ihr 1530 als Neujahrsgeschenk ein Traktat zukommen ließ, als er ihr einen Brief schrieb, sagt, man habe sie
niemals ohne irgendein französisches Buch in der Hand angetroffen, das für die Lehre und Entdeckung des wahren und direkten Pfades aller Tugenden nützlich und notwendig ist … Und ich habe sie hauptsächlich in dieser letzten Fastenzeit und in der davor … unablässig in den heilsamen Episteln des Heiligen Paulus lesend gesehen.[15]
Aber Anne und George lasen nicht nur Bücher von Lefèvre und seinen Anhängern. George sollte schon bald ein Exemplar einer französischen Übersetzung des Libre de l’Ordre de Cavalleria («Buch des Ritterordens») des katalanischen Universalgelehrten Ramon Lull erwerben, das zwischen 1274 und 1276 geschrieben wurde. Was ihn daran faszinierte, war der Umstand, dass Lull sich bemühte, den Ritterstatus als einen kosmischen Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen auf dem Weg zum ewigen Heil neu zu konzipieren.[16] Bekannter ist, dass Anne eine Kopie von Tyndales 1528 erschienem The Obedience of a Christian Man («Der Gehorsam eines Christen») erwarb, das sich überschwänglich für die fürstliche Macht ausspricht.[17] Da sie entschlossen war, Heinrichs Denkweise zu beeinflussen, markierte sie wichtige Stellen mit dem Fingernagel, um ihn darauf aufmerksam zu machen. Eine ihrer Hofdamen, Anne Gaynesford, eine Verwandte ihres Verwesers George Taylor und die Cousine Thomas Wyatts, sah das Buch und zeigte es ihrem späteren Mann George Zouche, dem es wiederum Dr. Richard Sampson, der Dekan von Heinrichs Kapelle und ein Anhänger Wolseys, später unter dem Verdacht der Ketzerei abnahm.
George Wyatt sollte diese Episode in sein Life of Anne Boleyn («Das Leben Anne Boleyns») aufnehmen. Er beschreibt, wie Anne, als sie von dem Verlust des Buches erfuhr, verkündete: «Nun, das dürfte das teuerste Buch sein, das der Dekan oder Kardinal jemals beschlagnahmte.» Sie bat Heinrich, dessen Rückgabe anzuordnen. Als sie es wiederbekam, ersuchte sie «Seine Gnaden überaus eindringlich», es zu lesen, wobei sie ihm wohlweislich den Namen des Autors verschwieg.[18] Hocherfreut über diese Rechtfertigung der Macht der Könige als Akteure des Wandels erklärte Heinrich denkwürdig: «Das ist ein Buch für mich, und alle Könige sollten es lesen.»
Anne besaß auch ein Exemplar von Simon Fishs A Supplication for the Beggars («Ein Bittgesuch für die Bettler»), ein Antwerpener Abdruck aus dem Jahr 1528, der die Existenz des Fegefeuers leugnete und die Geistlichkeit als «gefräßige Wölfe» verunglimpfte. Wolsey trieb den Autor zweimal ins Exil, aber als George Boleyn Fishs Buch auf Anregung seiner Schwester hin Heinrich zeigte, wurde ihm alles verziehen.[19] Anne kann nicht direkt mit dem Autor in Verbindung gebracht werden, eher mit dem Kreis um ihn. Als Fish Tyndales New Testament in seinem Haus neben den Karmelitern, zwischen der Fleet Street und der Themse, verkaufte, war einer seiner Kunden Robert Necton, ein fahrender Buchhändler aus Norwich, der Geoffrey Lome nahe stand, einem Bediensteten Dr. Robert Formans, des «Pastors» der Honey Lane, für den sich Anne schon einmal verwendet hatte.[20]
Am Sonntag, dem 12. Juni 1530, als Wolsey noch am Leben und in Southwell, Nottinghamshire, untergebracht war, berief Heinrich auf seiner Fahrt zu dessen Diözese York einen Great Council in Windsor Castle ein. Die Idee stammte von George Boleyn, der sich von der französischen Assemblée des Notables hatte inspirieren lassen, einem Beratergremium, mit dessen Hilfe der König die Elite des Landes überreden konnte, seine Politik zu unterstützen und strenge Maßnahmen «zum Wohl und zur Ruhe des Reiches» zu ergreifen.[21] Heinrich forderte alle Teilnehmer der Ratssitzung auf, ihre Namen und Siegel unter ein letztes Bittgesuch an Papst Clemens zu setzen, das eine beschleunigte Scheidung verlangte, der Wunsch des ganzen Königreichs. Falls der Papst ablehnte, würde der König die Angelegenheit selbst in die Hand nehmen. Als sich eine Mehrheit gegen diesen drohenden Ton aussprach, einigte man sich auf eine etwas gemäßigte Petition. Das Dokument, ein beeindruckendes drei Fuß breites Pergament, wurde daraufhin in einer Truhe durch das ganze Land getragen, damit 83 Unterzeichner es unterschrieben und ihr Wachssiegel darauf setzten. Thomas More entschuldigte sich, worüber sich Heinrich später beklagte.[22]
Clemens lehnte die Petition jedoch ab und gab Heinrich die Schuld an Verzögerungen in seinem Fall, weil er sich weigerte, an dem juristischen Verfahren in Rom teilzunehmen. Im September untersagte der König die Übernahme päpstlicher Erlasse in England, die sein königliches Privileg beeinträchtigten. Es folgten Einsprüche mehrerer englischer Bischöfe in Rom gegen die Gesetze zur Kirchenreform, die 1529 im Parlament verabschiedet worden waren. Daraufhin befahl Heinrich Christopher Hales, gegen vierzehn (aus denen rasch sechzehn wurden) dieser Geistlichen oder deren Notare praemunire-Anklage am Court of King’s Bench zu erheben, unter dem Vorwurf, sie hätten Wolsey bei seiner Anwendung der päpstlichen Rechtsprechung unterstützt. Die Anklagen waren die Eröffnungssalve des Projekts, das in Kürze zu einer zentralen Strategie der Boleyns werden sollte: eine Kampagne, um die Schlinge um die Kirche und den Klerus in England enger zu ziehen und auf diese Weise Bewegung in der Sache der Scheidung zu erzwingen.[23]
Am 5. Oktober reiste Francis Bryan nach Frankreich ab: Sein Auftrag lautete, König Franz I. zu drängen, sich in Rom für Heinrich einzusetzen. Inzwischen war das Lösegeld für Franz’ Söhne gezahlt worden, und es war, weil Heinrich großzügig gespendet hatte, an der Zeit, den Gegendienst einzufordern. Der Moment war doppelt günstig, weil die Frage der Heirat des französischen Königs mit Karls Schwester Eleonore inzwischen geklärt war. Eine Stellvertreterhochzeit hatte stattgefunden, und Eleonore überquerte in der Nähe von Bayonne am gleichen Tag wie die Söhne des Königs die Grenze – unter den wachsamen Augen Bryans. Diese dynastische Allianz änderte, wie sich herausstellen sollte, an den grundlegenden Elementen der französisch-habsburgischen Beziehungen nichts. Also hatten Heinrich und Anne von dieser Seite weniger zu befürchten, als sie einst angenommen hatten.[24]
Franz schickte Gabriel de Gramont aus, um im Vatikan Druck zu machen, aber auch um – was Anne viel stärker beunruhigte – eine Verlobung seines zweiten Sohns, des Herzogs von Orléans, mit der Nichte des Papstes, Caterina de‘ Medici, anzustreben. Anfangs machte er in beiden Angelegenheiten kaum Fortschritte, während die üblichen, scheinbaren Durchbrüche in Rom, die doch immer wieder zu nichts führten, an Annes Nerven zehrten. Hinzu kam noch die Ankunft eines päpstlichen Nuntius mit einem Erlass in der Tasche, der dem König befahl, zu Katharina zurückzukehren. Als der Nuntius am Hof eintraf, teilte Annes Vater ihm ganz offen mit, dass die Leute «sich in England weder um den Papst noch um Päpste scherten, nicht einmal wenn der Heilige Petrus wiederauferstehen würde».[25] Für Anne selbst schien jedoch alles in Gefahr zu sein. Als Heinrich plötzlich die alte Gewohnheit, die Königin zu besuchen und gelegentlich mit ihr zu speisen, wieder aufnahm, gab das ihren Zweifeln bezüglich seiner Liebe neue Nahrung. Es war, als ob ihn seine Frau mit einem magischen Bann belegt hatte. Konnte er, wenn die Zeit dafür endlich gekommen war, ihr überhaupt entrinnen? Waren seine mutigen Worte, die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen, mehr als bloße Prahlerei?
Mitte November fühlte sich Anne so unwohl wegen des, wie sie meinte, Rückziehers von Heinrich, dass sie versuchte, ihn bei einer Audienz, die er Eustace Chapuys gewährte, zu belauschen: Die Begegnung fand auf der Galerie der privy chamber statt, und Anne wurde gesehen, wie sie durch ein benachbartes Fenster spähte und sich bemühte zu hören, was gesprochen wurde. Kaum hatte Heinrich sie entdeckt, führte er den Gesandten in die Mitte des Zimmers, wo man sie nicht belauschen konnte. Dieses eine Mal teilte er seine vertraulichen Äußerungen nicht mit ihr, allerdings blieb das, wie sich zeigen sollte, ein Einzelfall.[26]
In Wahrheit war Heinrich selbst nervös. Ende November wandte er sich unvermittelt seinen Ratsmitgliedern zu und rief aus, dass Wolsey ein besserer Staatsmann als jeder Einzelne von ihnen gewesen sei. Daraufhin machte Anne ihm eine Szene, beklagte einmal mehr ihre verlorene Jugend und drohte, ihn zu verlassen, bis er sie, angeblich mit Tränen in den Augen, anflehte, «ihn nicht im Stich zu lassen». Sie willigte ein zu bleiben, versetzte aber ihren Kritikern einen Seitenhieb, indem sie anordnete, dass der trotzige Wahlspruch Ainsi sera, groigne qui groigne («So sei es, neide wer will») auf die Livreen ihrer Lakaien gestickt werde.
Das war eine bewusst kämpferische Abwandlung eines Wahlspruches ihrer ersten Mentorin, Margarete von Österreich, die kürzlich in Mechelen im Alter von fünfzig Jahren gestorben war. Als Antwort griffen Katharinas Anhänger auf die Originalversion zurück: Groigne qui groigne et vive Burgoigne («Neide, wer will, und lang lebe Burgund»). «Vive Burgoigne», riefen sie Anne hinter ihrem Rücken zu, während sie durch den Hof schritt. Die Wendung war ein Code für «Es lebe Karl», und damit auch für «Es lebe Katharina». Das zehrte an ihren Nerven, und schon am ersten Weihnachtstag trugen ihre Lakaien wieder die alten Livreen. Margarete sollte von Karls Schwester Maria, der verwitweten Königin von Ungarn, als Regentin der Niederlande abgelöst werden. Anne kannte sie noch aus ihren Schultagen in Mechelen: Sie war keine Freundin der Boleyns.[27]
Dennoch hieß es, Anne sei an Weihnachten «so mutig wie ein Löwe» gewesen, eine Bemerkung, die zweifellos mit ihrer Entscheidung zusammenhing, Wappen in Auftrag zu geben, die den schwarzen Löwen von Rochford auf einem silbernen Hintergrund mit dem Buchstaben «A» in Gold darüber, samt dem Kürzel «EN REX SL», das für «Henricus Rex, souverain liege» («König Heinrich, souveräner Herr») stand.[28] Jetzt, wo ihr Vater Earl of Wiltshire und ihr Bruder Viscount Rochford war, stand ihr automatisch das Recht zu, ein Wappen zu tragen, und um zu zeigen, dass die Trägerin eine Frau war, ließ sie die Wappen von einer Raute umrahmen. Fragwürdiger war die Anfertigung eines gefälschten Stammbaums durch sie oder ihren Vater, nach dem die Boleyns von einem edlen französischen Ritter abstammten – ein Schritt, der mit Hohn und Gelächter quittiert wurde, weil die bescheidenen Ursprünge der Familie im Textilhandel nur allzu bekannt waren.[29]
Als Katharina nach Greenwich kam, um den Vorsitz über die Weihnachtsfeierlichkeiten zu übernehmen, gab Anne einer ihrer Hofdamen gegenüber trotzig zu, dass Sie «wünschte, alle Spanier wären am Meeresgrund», dass sie «sich weder um die Königin noch um einen aus ihrer Familie schere» und dass sie «sie lieber hängen sehe, als zuzugeben, dass sie ihre Herrin sei».[30] Um sie zu besänftigen, schickte ihr Heinrich heimlich 100 Pfund aus seiner privy purse «als Neujahrsgeschenk». Für dieses Jahr ist keine Geschenkliste für die Höflinge erhalten, doch zu denjenigen, deren Bedienstete vom König ansehnliche Belohnungen erhielten, zählten Annes Vater, Mutter, Bruder, Schwester und Schwägerin Jane Parker – die Boleyns standen also eindeutig hoch in der Gunst. Ein Problem für Anne war, dass Katharina bei der Bescherung im Mittelpunkt stand und dass Heinrich anschließend mit ihr speiste, was geradezu zum Gerede einlud, dass er Anne wegschicken werde. Er konnte von keiner der Frauen in seinem Leben erwarten, dass sie diesen demütigenden Schwebezustand noch viel länger ertrugen: Selbst wenn Katharina von ihrem Temperament her dafür gerüstet war, sich auf ein Geduldspiel einzulassen, so galt das für Anne keinesfalls.[31]
Es folgten weitere Meinungsverschiedenheiten. Eine skurrile Farce, die Annes Vater inszenierte, um den neuen französischen Gesandten Gabriel de la Guiche, den Nachfolger Jean du Bellays, zu unterhalten, machte die Sache auch nicht besser. De la Guiche traf kurz nach dem ersten Weihnachtstag in London ein. Ohne jegliche Hemmungen zeigte das Theaterstück Wolseys Höllenfahrt. Der Duke of Norfolk ordnete an, es zu drucken, allerdings ist das Stück nicht erhalten geblieben. Aber wenn es dazu gedacht war, den Gesandten zu amüsieren, so ging der Schuss nach hinten los, denn de la Guiche hielt es für geschmacklos und tadelte den Herzog wortreich (blâme fort). Wolsey sei einst, erinnerte er ihn, ein sehr guter Freund Frankreichs gewesen. Es war unklug, de la Guiche auf diese Weise zu brüskieren, und Anne stellte fest, dass die Begrüßung, als sie und Heinrich ihn am Faschingsdienstag festlich bewirteten, kühl war.[32]
Unterdessen waren Anne und Heinrich wieder in ihre Komfortzone in der neuen Schlossanlage Whitehall zurückgekehrt, wo Katharina keinen Platz hatte. Alle Boleyns hatten dort Gemächer, und in entspannten Stunden spielten George und sein Vater mit Heinrich oder miteinander, mit Anne und Sir Thomas Cheyne oder mit Francis Weston, einem Neuling in der königlichen privy chamber, Karten, Shovelboard, Bowls oder Tennis.[33]
Das Parlament trat am 16. Januar 1531 wieder zusammen, in dem Moment, als die Beweise gegen die Geistlichen angehört werden sollten, die sich vor dem Court of King’s Bench zu verantworten hatten. Norfolk deutete, während er Chapuys bewirtete, einen bevorstehenden Sturm an, als er dem Gesandten eine verstümmelte Kurzfassung mit Auszügen aus dem Dossier der Durham-House-Gruppe vorlegte. Heinrich habe, sagte er, «das Herrscherrecht in seinem Königreich und erkenne keinen Oberen an». Er werde keine Einsprüche aus Rom zulassen, und Clemens habe über ihn oder seine Untertanen keine Vollmacht, allenfalls mit Ausnahme von Fällen der Ketzerei. Um seine Argumentation zu untermauern, zeigte der Herzog Chapuys ein Transkript einer Inschrift, die dem angeblichen Siegel von König Artus entnommen ist, das in der Westminster Abbey hängt. Darauf stand, dass Artus der «Herrscher Britanniens», Frankreichs und eines großen Teils von Westeuropa gewesen sei, wie es in den Chroniken und in Malorys Le Morte D’Arthur ausgeführt werde. Der amüsierte Gesandte konnte sich nicht zurückhalten und bekam einen Lachanfall: Es wundere ihn, dass Heinrich nicht auch noch Herrscher Asiens sein wolle.[34]
Am 21. Januar ließ Heinrich die Anklagen vor dem Court of King’s Bench fallen, ordnete jedoch an, dass die Geistlichen einen parlamentarischen Straferlass erkauften, indem sie ihm ein astronomisches Bußgeld in Höhe von 118.000 Pfund zahlten (heute über 120 Millionen Euro). Am 7. Februar forderte er sie auf, ihn als den «Alleinigen Beschützer und Oberhaupt der englischen Kirche und des Klerus» anzuerkennen. Widerwillig gaben sie nach, fügten allerdings die einschränkende Klausel ein, «soweit das Gesetz Christi dies erlaubt».[35]
Auf diese Klausel einigte man sich, nachdem ein neuer königlicher Diener die Synode betreten (die Versammlung der Kirchenmitglieder, die gleichzeitig mit dem Parlament tagte) und nach Erzbischof Warham gefragt hatte. Thomas Cromwell war bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in Heinrichs Diensten ein Selfmademan Mitte vierzig, Anwalt, der Sohn eines Freibauern aus Putney. So geschmeidig wie ein Leopard, den er sich später als Haustier hielt, sprach er fließend Italienisch, Französisch und Latein und hatte Wolsey fast bis zum Schluss treue Dienste geleistet, bis weitere Treue beruflichen Selbstmord bedeutet hätte. Zuvor hatte er in Italien als Söldner gedient, 1503 an der Schlacht am Garigliano, nördlich von Neapel, teilgenommen und für die Kaufmannsfamilie Frescobaldi in Florenz und London gearbeitet. Schon allein der Aufenthalt in Florenz um die Zeit, als Niccolò Machiavelli durch die Säle des Palazzo della Signoria schritt, war gewiss ein lehrreiches Erlebnis. Ende der 1530er Jahre konnte Lord Morley zurecht davon ausgehen, dass sich Cromwell über ein Geschenk von Machiavellis Istorie fiorentine («Geschichte von Florenz») und Il principe («Der Fürst») freuen würde. Aber Cromwell brauchte nicht Il principe, um in vielen Fällen zu denselben Schlussfolgerungen bezüglich Ehrgeiz, Fürstenhöfen und der Kunst, das Schicksal zu lenken, zu gelangen – wie in Florenz waren sie in die Welt rings um ihn geradezu eingraviert.[36] Um 1513/14 arbeitete Cromwell in Antwerpen für die Londoner Company of Merchant Adventurers, bevor er für private Klienten Aufträge in Rom übernahm und schließlich Wolsey bei besonderen Projekten diente.
Der Mann, der nunmehr für Heinrich das Parlament managte und immer mehr Aufmerksamkeit erlangte, zählte nie zu den bevorzugten Protegés von Anne: Seine Loyalität galt allein dem König, und er stieg dank seiner juristischen und administrativen Fertigkeiten in der Hierarchie auf. Er wandte sich nie an Anne oder ihre Familie um Unterstützung, bis auf einmal im Jahr 1529, als er ihren Onkel Norfolk um seine Schirmherrschaft bat, um einen Parlamentssitz zu erwerben. Es existiert kein einziger Brief zwischen Anne und Cromwell aus den Jahren 1531 bis 1534, und es finden sich so gut wie keine Gunsterweisungen ihrerseits an ihn. Er kooperierte mit den Boleyns, wenn Heinrich ihm dies befahl oder wenn es ihm in den Kram passte, sonst aber nicht: Er teilte zwar ihre Sichtweise auf den Papst und den katholischen Klerus, aber sie vereinigten nicht formal ihre Anstrengungen in Richtung einer Kirchenreform. Cromwell war ein Mann, den Heinrich und Anne sich zunutze machen konnten, vor dem sie aber auch auf der Hut sein mussten. Er hatte sein eigenes Nachrichtennetz aufgebaut, als er für Wolsey und die Frescobaldis gearbeitet hatte. Die Gefahr für Anne lag darin, dass er eines Tages eine eigene Agenda haben könnte, die sich nicht mit ihrer deckte.[37]
Was Cromwell damals zu Warham gesagt hat, wurde nie enthüllt, aber sobald er zu Heinrich zurückgekehrt war, schickte der König George Boleyn dorthin. Er kam mit einer Handvoll Aufsätze in die Synode, die er selbst geschrieben hatte – zwei davon sind noch heute erhalten.[38] Bezeichnet als «Angelegenheiten, die das Privileg des Königs betreffen», behandelte der längere, beeindruckendere von ihnen das Thema des christlichen Gehorsams und argumentierte, dass Könige zurecht «das Schwert der Züchtigung» ausübten. Sie allein könnten die Kirche so wiederherstellen, wie sie gewesen sei, ehe die Päpste sie korrumpiert hätten. Nur «ein christlicher Fürst von gottesfürchtigem Eifer» besaß demnach «die Macht, effektiv sämtliche Falschheit zu überwinden und zu unterdrücken». Seine «höchste Autorität, gestützt auf Gottes Wort, durfte auf keinen Fall von irgendwelchen enttäuschten Erlassen päpstlicher Gesetze oder eitlen Vorschriften menschlicher Traditionen begrenzt werden». Das war Tyndale, wie er im Buche steht, und zeigt, welchen Eindruck The Obedience auf Georges Anschauungen gemacht hat.[39]
Heinrichs Scheidungskampagne bekam jetzt frischen Wind. Da Anne ihm keine Ruhe ließ, erkundigte er sich bei evangelischen Wortführern auf dem Kontinent. Von den Argumenten in Tyndales The Obedience war er so begeistert, dass er mehrere Monate lang vergeblich versuchte, den Autor wieder nach England zu locken. Erst später, nach einer Rückbesinnung, ließ er wegen dessen Anschauungen zu den Sakramenten kein gutes Haar an Tyndale und nannte ihn einen Ketzer, seine Schriften «grob» und «unsachlich» – dieser abrupte Sinneswandel ging auf Thomas Mores Enthüllung zurück, was Tyndales religiöse Überzeugungen wirklich umfassten.[40]
Der erste Reformer, den Heinrich und Anne persönlich trafen und der mit einem Geleitbrief reiste, war ein gewisser Simon Grynaeus von der Universität in Basel, das schon damals eine Bastion des reformatorischen Denkens war. Grynaeus kam Ende März 1531 nach England und reiste im Juli wieder ab, etwa zu der Zeit, als Robert Barnes, den Wolsey gezwungen hatte, von seinen Thesen abzuschwören, wieder auftauchte. Beiden wurde im Gegenzug für das Werben um protestantische Anschauungen zur Scheidung Geld angeboten, aber während die Schweizer Theologen gespalten waren, waren die deutschen dagegen. Luther würde allenfalls zugestehen, dass Heinrich, solange er Katharina anständig behandelte, befugt sei, Anne bigamistisch zu heiraten. Das war eine falsche Spur.[41]
Bis Anfang März hatte der Klerus sowohl Heinrichs neuen Titel anerkannt als auch das astronomische Bußgeld beschafft, danach verabschiedete das Parlament ein Gesetz zur Begnadigung der Geistlichen. Am 30. März legte More, auf Heinrichs Anweisung hin und mit offensichtlichem Unbehagen, beiden Häusern des Parlaments die Meinungen der Universität vor. Diese Meinungen und das libellus, das Heinrich 1529 dem Gericht in Blackfriars präsentiert hatte, wurden anschließend gemeinsam in einem Band veröffentlicht, der in der leicht erweiterten englischen Übersetzung den langatmigen Titel The Determinations of the Most Famous and Most Excellent Universities of Italy and France, that it is so unlawful for a man to marry his brother’s wife that the pope hath no power to dispense therewith («Die Beschlüsse der berühmtesten und herausragendsten Universitäten Italiens und Frankreichs, dass es derart ungesetzlich sei, wenn ein Mann die Witwe seines Bruders heiratet, dass der Papst nicht die Vollmacht hat, ihn davon zu entbinden») hatte. Anschließend wurde das Parlament bis zum Ende des Jahres vertagt.[42]
Am 31. Mai schickte Heinrich spät abends eine dreißigköpfige Delegation zu Katharina. Ihre Aufgabe war es, ihr die Rechte des Königs als «imperialer» Souverän eindringlich vor Augen zu führen. Sie sollte gedrängt werden, ihren Einspruch in Rom zurückzuziehen und so den Weg für eine Anhörung durch englische Richter frei zu machen. Auch mit diesen Argumenten gelang es nicht, sie von ihrem Standpunkt abzubringen. Der König, ihr Ehemann, gab sie zurück, «sei in seinem Reich souverän, was die weltliche Rechtsprechung angehe; aber was die geistliche betreffe, so gefalle es Gott weder, dass der König diese Absicht habe, noch, dass sie dem zustimmen solle, denn der Papst sei der einzige Souverän und Vikar Gottes, der befugt sei, in geistlichen Angelegenheiten zu urteilen, zu denen auch die Eheschließung gehöre». Ende der Diskussion, denn sie würde niemals nachgeben.[43]
Katharinas Auftritt war so beeindruckend, dass Stephen Gardiner anfing, sich von Anne zu distanzieren. Suffolk und seine Frau gaben mittlerweile ihr allein die Schuld an der misslichen Lage Katharinas. Das galt auch für Norfolk unter dem wachsenden Druck seiner getrennt lebenden Frau, die Anne vom Hof verstoßen hatte. Eine Zeit lang schwankte sogar Heinrich und beklagte sich, dass Anne ihn fast jeden Tag wegen irgendetwas in einer Weise bedrängte, wie es Katharina nie eingefallen wäre. Aus Annes Sicht lag der Grund auf der Hand. Sie hatte Angst, dass er im Begriff war, sie hängen zu lassen. Obwohl er hochheilig versprochen hatte, seine Frau nicht länger zu besuchen oder mit ihr zu speisen, hatte er es doch noch zweimal gemacht, sowohl am Oster- als auch am Pfingstfest. In Anbetracht dessen konnte er kaum erwarten, dass Anne sich nicht verwundbar fühlte.[44]
Der am ausführlichsten dokumentierte Streit betraf Sir Henry Guildford of Leeds Castle in Kent, seit 1522 der Rechnungsprüfer des königlichen Haushalts. Der Katharina treu ergebene Guildford erklärte: «Es wäre die beste Tat auf der Welt, alle Doktoren, die diese Affäre erfunden und befürwortet hatten, in einen Karren zu binden und sie nach Rom zu schicken, um ihre Meinung zu verfechten oder mit der Verwirrung geschlagen zu werden, die sie verdient hätten.» Kaum hörte sie das, drohte Anne, ihn zu entlassen, sobald sie Königin sei, worauf Guildford erwiderte, «sie brauche sich keine Mühe zu geben», denn falls es soweit komme, werde er zurücktreten. Er ging zu Heinrich, der ihm lediglich sagte: «Ihr solltet Euch nicht mit dem behelligen, was Frauen sagen.»[45]
Dann kam es zu einem wahrhaft bedeutsamen Wandel, und Anne erreichte endlich den lang ersehnten Durchbruch. Am 14. Juli brach Heinrich mit ihr von Windsor Castle zu seiner üblichen Sommerreise auf und ließ Katharina zurück.[46] Sie reisten allein. Damit nicht genug, fast der gesamte Hof sollte für den Rest des Sommers von seinen Aufgaben entbunden werden. Einen Monat später erhielt Katharina eine Nachricht, dass Heinrich wünsche, über Nacht nach Windsor zurückzukehren, und dass sie sich zu The More in Hertfordshire, dem ehemaligen Sitz Wolseys, begeben solle. Von dort wurde sie erneut – dieses Mal mit weniger Bediensteten – nach Easthampstead in Berkshire geschickt, ein viel kleineres Gut, an dem man seit vielen Jahren keine größeren Reparaturen mehr vorgenommen hatte, ehe sie zu The More zurückkehrte. Dort blieb sie isoliert, während ihre Rivalin sich die königlichen Insignien aneignete. Nunmehr sprach Anne zuversichtlich davon, dass sie in drei oder vier Monaten verheiratet sei, und fing an, ihre eigenen Hofbeamten zu ernennen, angefangen mit dem Almosenier. Das war so gut wie sicher Dr. Nicholas Shaxton, ein evangelischer Prediger, den ihr Onkel Sir James Boleyn und Dr. William Butts gut kannten.[47]
Heinrich hatte entschieden, dass er Katharina nie wieder sehen wollte. Er war kurz davor, die Ideen der Durham-House-Gruppe in die Praxis umzusetzen – um die Scheidung unabhängig von Clemens’ scharfer Kritik und Katharinas Berufung zu erreichen.[48] Aber er musste realistisch sein. Angesichts der großen Gefahr, die mit einem solchen Schritt verbunden war, falls Karl V. beschließen sollte, ihn anzugreifen, brauchte er einen zuverlässigen Verbündeten und Waffenbruder, und das musste Franz sein, wie er wohl wusste. Wenn jemals ein englisch-französisches Bündnis gebraucht wurde, dann jetzt.
*1 In der katholischen Ikonographie zeigt ein Corpus-Christi-Bild den toten Christus gehalten in den Armen des Vaters. Es ähnelt der Darstellung der Pietà, auf der Maria, anstelle des Vaters, die Wundmale präsentiert.