Die drei Monate nach der Krönung waren der Höhepunkt der Ehe zwischen Heinrich und Anne. Nach der Rückkehr nach Greenwich in der königlichen Barke hielten sie sich dort bis Anfang Juli auf, ehe sie eine angenehme Hochzeitsreise durch Surrey antraten.[1] In diesen friedvollen Wochen war Heinrich der Meinung, für seine Frau sei nichts gut genug. Als sie für ihren Thronsaal einen ebenso großen und teuren Baldachin wie seinen eigenen verlangte, gab er umgehend die Bestellung auf. Als sie Bedarf für weitere Möbelstücke für ihre privy chamber anmeldete, bestellte er ihr mit goldenem Stoff bezogene Stühle mit vergoldeten und lackierten Lehnen. Als sie ihn um feine, schmale türkische Läufer bat, um die Böden ihrer Schränke zu bedecken, und um Samt, um ihre erhöhte Kirchenbank in der Chapel Royal zu beziehen, beschaffte er sie ihr prompt. Er ließ ihre Initialen und Wappen neben seine auf die königliche Tafel und die Luxuseinbände der Bücher in der königlichen Bibliothek gravieren.[2] Bei jeder sich bietenden Gelegenheit trug sie Katharinas Schmuck. Und obwohl Heinrich sie als Lady Marquis of Pembroke schon selbst vermögend gemacht hatte, begann er damit, Katharina ihre Ländereien wegzunehmen und sie Anne zu schenken, sodass sie über das ganze Königreich verstreut Gebäude, Herrenhäuser, Burgen, Wildparks, Jagdreviere und Waldgebiete besaß.[3]
Katharina war jetzt Vergangenheit, eine Stellung, die ihr ganz unverblümt ins Gesicht gesagt wurde, als eine zweite Delegation von Heinrichs Räten sie in Ampthill besuchte. Hustend, krank und unter akuten Schmerzen im Fuß leidend, weil sie versehentlich auf eine Nadel getreten war, empfing Katharina sie im Liegen auf einer Pritsche. Sie hörte aufmerksam zu, als die Räte ihr mitteilten, dass sie sich künftig nie wieder Königin nennen dürfe. Fortan sollte sie, da sie offiziell nicht mehr als Arthurs Witwe war, nur noch als «Princess Dowager», also Prinzenwitwe, angesprochen werden, wie Heinrich schon einmal verlangt hatte.
Wenn die Räte meinten, Katharina sei zu schwach, um zu antworten, so unterschätzten sie sie. Sie nahm alle ihre Kraft zusammen und verlangte, die Anweisungen des Königs zu lesen. Nachdem sie den Text durchgesehen hatte, strich sie trotzig jeden Verweis auf eine Prinzenwitwe durch. Das sei sie nicht, giftete sie: Sie werde bis zu ihrem letzten Atemzug Heinrichs Frau bleiben. Tatsächlich hatte sie bereits neue Livreen für alle ihre Bediensteten mit den Initialen «H» und «K» bestellt. Nichtsdestotrotz hatte Heinrich sie aus Ampthill ausquartiert und nach Buckden Place in Huntingdonshire bringen lassen, das an die Flussniederung der Great Ouse grenzte, die sie so sehr hasste. Ein Jahr später zog sie freiwillig in das gut zehn Kilometer entfernte Kimbolton Castle um, ein Gut, das Heinrich Sir Richard Wingfield gewährt hatte und das dessen Witwe, Bridget Wilshire, nach der Heirat mit Sir Nicholas Harvey verlassen hatte. Dort sprach sie, von zwei Adligen bewacht, auf deren Loyalität sich der König verlassen konnte, hauptsächlich Spanisch, nahm niemanden zur Kenntnis, der sie nicht mit «Königin» ansprach, und schottete sich ab. Sie verließ das Haus nur noch, um in ihrem privaten Garten zu spazieren.[4]
Anne war überaus zuversichtlich, dass ihre und Heinrichs profranzösische Diplomatie am Ende Erfolg haben werde, und konnte es kaum erwarten, die Glückwünsche zu ihrer Heirat und Schwangerschaft von Margarete von Navarra zu erhalten. Von Jean de Dinteville übermittelt trafen sie in einem Brief ein, der am 22. Juni aus Paris abgeschickt worden war. «Bemüht Euch bitte», drängte Margarete den Gesandten, «der Königin von England meine bescheidenen guten Wünsche zu ihrem Wohl auszurichten. Ich war wunderbar froh, als ich ihre guten Neuigkeiten von den Lords von Norfolk und Rochford erfuhr.»[5] Margarete wollte deshalb schreiben, weil sie, wie sie erklärte, selbst hochschwanger sei, was auch ihre Teilnahme an dem bevorstehenden Treffen in Nizza verhindere.[6] Um Anne moralisch noch mehr zu stärken, schickte König Franz I. ihr einen frischen Schwung teurer Geschenke. Dazu zählten reichliche Mengen an Samt, Seidenbetttücher und fein bestickte Tagesdecken, sowie eine prachtvolle, maßgefertigte Sänfte, wie man sie in Frankreich für schwangere Frauen benutzte, getragen von drei Maultieren, die er gleich mitlieferte. Chapuys verfolgte das Eintreffen in der letzten Juniwoche, zusammen mit Sätteln, Zaumzeug und Zubehör für die Maultiere. Anne war von dem Geschenk so begeistert, dass sie es sofort ausprobierte und einen fünf Kilometer langen Ausflug machte.[7]
Da das englisch-französische Bündnis so stark schien, war Anne überzeugt, dass es nicht lange dauern werde, bis Clemens mit dem ganzen Gerede über Heinrichs «große Angelegenheit» aufhören werde, die man in aller Stille vergessen könne. Über de Dinteville ließ Franz ihr und Heinrich die neuesten Depeschen zukommen, die Gabriel de Gramont und François de Tournon ihm aus Rom geschickt hatten. Die Agenten Karls V. forderten jetzt jedoch die Exkommunikation Heinrichs.[8] Anfangs sah es so aus, als würden sich die Franzosen durchsetzen. Wie ein Diplomat aus Mantua berichtete: «Weder seine Heiligkeit noch das Heilige Kardinalskollegium stimmen [der Exkommunikation] zu, um den Skandal nicht noch zu vergrößern», bis Ende Juni hatte sich die Lage jedoch geändert, und allem Anschein nach kam Heinrich um einen Tadel nicht herum. Nachdem Anne dies erfahren hatte, warf sie Gregorio Casali Verrat vor, und Heinrich entließ ihn – er hatte es nie vermocht, auf eine Bestrafung all jener zu verzichten, die sich weigerten, seiner neuen Frau das zu geben, was sie wollte. Zuvor wies er Casali jedoch an, Clemens zu warnen, dass Heinrich, falls der Papst es wagen sollte, ihn zu strafen, bei einem künftigen Generalkonzil der Kirche Berufung einlegen werde.
Nach Annes Sichtweise des internationalen Parketts war das englisch-französische Bündnis nicht aufzuhalten. Aber was sie und Heinrich immer noch nicht begriffen hatten, war die Frage, inwieweit Franz mit ihnen spielte, um die englische Unterstützung – und finanzielle Zuwendung – für ein weiteres italienisches Abenteuer zu gewinnen. Franz würde ihnen nach Kräften in Rom helfen – er glaubte wirklich, das Clemens Heinrich schäbig behandelt hatte –, doch sein Hauptziel war die Rückeroberung des Herzogtums Mailand, wo Karl in Kürze Francesco Sforza als Habsburger Marionette einsetzen wollte. Außerdem wollte er auf dem anstehenden französisch-päpstlichen Treffen den Herzog von Orléans mit der Nichte des Papstes verheiraten, nicht nur verloben – ohne Heinrich darüber zu informieren.[9]
Zurück in London äußerte de Dinteville zwar Verständnis für Heinrich und Anne, doch verhielt er sich zurückhaltender als die beiden es wahrnahmen. Der Gesandte hatte starke reformatorische Neigungen: Als Kritiker des bürokratischen Apparats und der Korruption der römischen Kirche war er im Herzen ein Anhänger Lefèvres, doch sein Schirmherr war, wie bei seinen diplomatischen Vorgängern Jean du Bellay und Gilles de la Pommeraye, der moralisch konservative Herzog von Montmorency, der Großmeister Frankreichs.
Der Herzog, ein Verwandter de Dintevilles, der ihn durchgehend als «mon cousin» ansprach, war nicht bereit, Frankreichs Beziehungen zu Rom aufs Spiel zu setzen, indem er Anne mehr als unbedingt nötig entgegenkam. Sowohl er als auch de Dinteville fürchteten einen Ansturm der lutherischen Häresie in England und potenziell auch in Frankreich, wenn man den Boleyns ihren Willen ließ. Die jüngsten Instruktionen de Dintevilles von Montmorency lauteten, Heinrich zu drängen, seine Hoffnungen auf das Gespräch in Nizza zu setzen, während er selbst in allen Angelegenheiten eng mit dem Duke of Norfolk zusammenarbeiten solle, mit dem er Informationen austauschen könne und dessen Rat er suchen solle. Sowohl Montmorency als auch de Dinteville befürchteten, dass Heinrich unter dem Einfluss der Boleyns Franz auffordern werde, sich gemeinsam mit ihm von Rom loszusagen.[10]
De Dinteville teilte seine Befürchtungen mit seinem Bruder François, ebenfalls ein Anhänger Lefèvres und amtierender französischer Botschafter beim Vatikan. Beide glaubten, dass sich Heinrich, indem er Schritte unternahm, aufgrund derer immer stärker ein Schmisma drohte, selbst als glaubwürdiger, konstruktiver Kritiker des Papsttums und Fürsprecher jener Art der Kirchenreform disqualifiziere, die die französische evangelische Partei befürwortete. «Sagtest du mir nicht», fragte de Dinteville François und klammerte sich an ein Strohhalm, «du hättest vor einiger Zeit den Gesandten dieses Königs [Heinrich] mitgeteilt, dass du den Papst hättest sagen hören, dass es, was die ‹große Angelegenheit› dieses Königs angehe, für alle besser wäre, wenn er einfach weitermachte und sie heiratete?» «Wenn dem so war», fuhr er fort, «ist es eine Sache, die [Heinrich] ausgezeichnet dienen würde.» Er könnte behaupten, dass er mit der Heirat Annes auf Clemens’ Rat hin gehandelt habe, der zuvor im privaten Gespräch erteilt worden sei.[11]
Indirekter äußerte de Dinteville seine Besorgnis, indem er Holbein beauftragte, eines der berühmtesten und rätselhaftesten Meisterwerke des 16. Jahrhunderts zu malen. Das Gemälde Die Gesandten ist angeblich nicht mehr als ein prächtiger Schnappschuss eines kurzen Wiedersehens zwischen de Dinteville und seinem guten Freund Georges de Selve, dem Bischof von Lavaur und einem weiteren Anhänger Lefèvres, nachdem König Franz I. de Selve mit einem Auftrag nach London geschickt hatte. Allerdings existieren überzeugende Hinweise, die nahelegen, dass es sich zu einem beträchtlichen Grad um einen instinktiven politischen Kommentar zu der Katastrophe handelte, die de Dinteville (und damit auch Montmorency) für die Christenheit und Frankreich vorhersahen, falls es den Boleyns gelingen sollte, Franz dazu zu überreden, sich in der Zurückweisung des Papstes an die Seite Heinrichs zu stellen.
Briefe in der Bibliothèque nationale in Paris erklären, dass de Selve, der irgendwann zwischen Ende Februar und Ostern nach London gekommen war und kurz vor Annes Krönung im Juni wieder abreiste, nur deshalb kam, weil Franz ihn gebeten hatte, de Dinteville eine geheime Botschaft zu überbringen, von der Montmorency nichts erfahren durfte.[12] Für gewöhnlich heißt es, die Nachricht (die nicht erhalten ist) betreffe Annes öffentliche Anerkennung. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Nachricht, noch nachdrücklicher, eine dringende Bitte erneuerte, die Franz einige Wochen zuvor bereits vorgebracht hatte, dass nämlich Heinrich persönlich an den Gesprächen in Nizza teilnehmen solle, damit die beiden Könige gemeinsam «alle diese großen Angelegenheiten beschließen» könnten. Das Letzte, was Franz wollte, war ein Bruch zwischen seinem englischen Verbündeten und Rom, doch im Gegensatz zu Montmorency war er davon überzeugt, dass direkte Gespräche mit Clemens in Anwesenheit von Heinrich die beste Möglichkeit wären, ebendies zu verhindern. Montmorency wollte seinerseits, dass nur sein Verbündeter, der Duke of Norfolk, teilnahm.[13]
Das Gemälde spielt in mehrfacher Hinsicht auf Anne an. Da wäre etwa der Fußboden, auf dem de Dinteville und de Selve stehen. Er entpuppt sich als eine beinahe exakte Kopie eben jener Stelle des einzigartigen Cosmati-Pflasters vor dem Hochaltar in der Westminster Abbey, an der sie gekrönt werden sollte. Auf den Brettern des Regals zwischen den beiden befinden sich unterdessen etliche Objekte von symbolischem Wert. Die zylindrische Skala an einem Ständer (eine tragbare Variante einer Sonnenuhr) neben dem Himmelsglobus auf der linken Seite des oberen Regalbretts, auf das die beiden Freunde ihre Arme gelegt haben, zeigt ein Datum zwischen dem 10. und 15. April 1533 an, dem Osterfest, an dem Anne zum ersten Mal mit vollen königlichen Ehren zur Chapel schritt.[14] Der Himmelsglobus ist so eingestellt, dass er den 42. irdischen Breitengrad Nord anzeigt, was nach zeitgenössischen Berechnungen dem Breitengrad Roms entsprach, wo Clemens zur Zeit der Entstehung des Gemäldes gespannt auf Nachricht vom Urteil des Gerichts in Dunstable wartete.[15]
Auf dem unteren Regal präsentiert ein halb aufgeschlagenes Buch, das in rotes Leder gebunden und vor einer Erdkugel – die genial eigens so gestaltet ist, dass sie de Dintevilles Heimatort Polisy zeigt – platziert ist, eine Seite aus der zweiten Auflage des beliebten deutschen Rechenlehrbuchs Kauffmanns Rechnung. Bei genauer Betrachtung mithilfe hochauflösender Fotografie ist die gemalte Seite, die im Buch hinter den Abschnitten zu Addition, Subtraktion und Multiplikation positioniert ist, aus dem Abschnitt ausgewählt worden, der sich mit Division befasst, und sie beginnt mit dem Wort «dividirt» («teile»).[16]
Rechts davon liegt eine Laute, die nicht gespielt werden kann, weil eine Saite gerissen ist. Sie steht für eine Form der gestörten Harmonie: So gut wie alle Experten, die über Die Gesandten geschrieben haben, verweisen auf das 1531 veröffentlichte Emblematum des Italieners Andrea Alciati, welches die Aufrechterhaltung eines Bündnisses mit der Stimmhaltung einer Laute vergleicht. Der Autor merkt an, wie leicht doch eine Saite reißen kann. Schräg neben der Laute am rechten Rand des Regals befindet sich in einem Lederetui eine Reihe hölzerner Flöten mit unterschiedlichen Durchmessern und Tonlagen. Den wenigsten ist allerdings aufgefallen, dass in dem Satz eine Flöte fehlt. Wenn man das Etui also Spielern überreichen würde, wäre auch hier die Harmonie gestört.[17]
Vor der Laute präsentiert ein weiteres Buch Seiten aus Johann Walthers Geystlich Gesangk Buchleyn, das erstmals 1524 erschien. Luther war dessen Co-Autor, der teils den Liedtext lieferte. Zwei Hymnen, die aus einer Ausgabe des Tenor-Stimmbuchs stammen, werden auf gegenüberliegenden Seiten präsentiert. Sie wurden eindeutig aus ganz bestimmten Gründen ausgewählt und nebeneinander gestellt, weil sie weder in dieser noch in einer der späteren Ausgaben direkt aufeinander folgen, geschweige denn so wie hier nummeriert sind.[18] Auf der linken Seite findet sich «Veni, Sancte Spiritus» («Komm, Heiliger Geist»), das Bittgebet zum Pfingstfest, dem Tag, an dem Anne gekrönt wurde; auf der rechten steht Luthers gekürzte Fassung der Zehn Gebote. Als Werke, die sowohl der katholischen als auch der protestantischen Konfession vertraut sind, bilden sie den Ausgangspunkt für eine Debatte, wodurch religiöse Spaltungen geheilt und ein Schisma der Christenheit vielleicht hätte vermieden werden können.[19]
Auch wenn manche Interpreten Die Gesandten als eines der ersten säkularen Gemälde im England Heinrichs VIII. ausgeben, sprechen der verzerrte, anamorphe Schädel am unteren Rand und ein am äußersten linken Rand oben verstecktes silbernes Kruzifix dagegen. Mit dieser Ikonographie verknüpfte Abzeichen wurden gemeinhin als Warnung vor Eitelkeit und Stolz getragen, und auf dem Gemälde hat de Dinteville ein kleines silbernes Abzeichen mit einem Schädel an seinen Hut gesteckt. Die Art der Verzerrung, die angewandt wurde, um den größeren Schädel zu verbergen, die sogenannte schräge Anamorphose, war den Künstlern seit der Zeit Leonardo da Vincis bekannt: Die Bilder werden in den normalen Proportionen wiederhergestellt, wenn sie von der Seite her, oder in manchen Fällen durch ein teleskopartiges Gerät, das an einer Seite des Rahmens befestigt wird, betrachtet werden.[20] In Kombination mit dem Schädel stellt das Kruzifix – das in einem rechten Winkel von der Seite des grünen Hintergrundstoffs absteht – die Sünde und weltliche Ambitionen infrage und präsentiert den wahren Glauben als Heilmittel. Nimmt man alles zusammen, so deutet diese Ikonographie sicherlich an, in welchem Maße de Dinteville Heinrichs und Annes Drohung, sich von Rom loszusagen (und wenn möglich Frankreich hineinzuziehen), für einen gewaltigen Fehler hielt, von dem sich der Frieden und die Sicherheit einer einigen Christenheit womöglich nie wieder erholen würde: Nur den Gesandten selbst bot sich eine Chance, alles zusammenzuhalten.
Der Hochsommer rückte rasch näher und der Termin für die Konferenz mit dem Papst wurde in den September und dann erneut auf Oktober verschoben. Clemens hatte die Absicht, den Seeweg zu nehmen, doch zuerst musste Montmorency, in dessen Galeeren er segeln wollte, türkische Piraten vor der italienischen Küste vertreiben. Der Ort wurde nach Marseille verlegt, nachdem der Herzog von Savoyen, aus Angst vor Karl, übertriebene Berichte über die Pest in Nizza veröffentlicht hatte.
Da Annes accouchement Anfang September erwartet wurde, ließen seine Befürchtungen Heinrich keine Ruhe. Am 14. Juni erteilte er Norfolk, der sich in Amiens die Beine in den Bauch stand, neue Anweisungen: Er sollte die Delegation nach Paris führen und von dort an den französischen Hof, wo er Franz «kurz und bündig» das Treffen mit dem Papst ganz ausreden sollte. Wenn Franz darauf bestand, sollte Norfolk ihn bitten, sich auf keine Vereinbarungen mit Clemens einzulassen, solange mit Heinrichs Scheidung noch nicht alles in trockenen Tüchern war. Falls Norfolk bei der Ankunft in Marseille jedoch feststellte, dass Clemens direkt mit ihm reden wolle, so sollte er erklären, dass er lediglich als «Zeuge des vollkommen Einvernehmens und der Freundschaft zwischen uns» nach Frankreich geschickt worden sei, und die Verhandlung Franz überlassen, den man eindringlich an seinen Beistandspakt mit Heinrich erinnern solle.[21]
In Paris hatte Norfolk zwei Begegnungen mit Margarete von Navarra, die beide «mindestens fünf Stunden» dauerten. Der Brief, in dem er über diese Gespräche berichtete, ist von Wasser und dem großen Appetit von Nagetieren schwer beschädigt. Was man noch lesen kann, birgt allerdings Sprengstoff. Margarete sei, so Norfolk,
eine der klügsten offenherzigen Frauen und die beste Durchsetzerin ihrer Ziele, mit der ich gesprochen habe, und ebenso Eurer Majestät zugeneigt, als wäre sie Eure eigene Schwester, und genauso auch der Königin [Anne]. Sir, im Gespräch mit mir, sagte sie, sie habe verschiedene wichtige Angelegenheiten, die sie mir eröffnen wolle, sodass [wenn] ich ihr bei meiner Wahrheit verspräche, keinen Teil derselben zu enthüllen, außer nur Eurer Hoheit oder der Königin, was ich ihr versprach.
Im ersten Fall warnte sie ihn, sich vor dem Herzog von Montmorency zu hüten, der ihn an der Nase herumführe. Absolut unzuverlässig, was Anne anging, sei de Montmorency ein Anhänger Habsburgs und ein heimlicher Verehrer von Karls Schwester Eleonore, inzwischen französische Königin. «Es gibt in Frankreich keinen so kaiserlichen Adligen wie den besagten Herzog …; sie versicherte mir, ich würde [ihn] mit Worten freundlicher als mit Taten antreffen, falls die Sache irgendetwas betreffe, das sich gegen den Kaiser richte». Bei Franz sei der Fall ganz anders gelagert, und Norfolk solle nur ihm vertrauen. Er habe Verständnis für Heinrichs missliche Lage: Seine eigene Ehe mit Eleonore habe sich als eine schwere Enttäuschung erwiesen. Laut Margarete passe das Paar nach dem Temperament und den sexuellen Vorlieben nicht zusammen. Eleonore sei «im Bett sehr heiß». Sie «sehne sich danach, allzu sehr umarmt zu werden», und gehe Franz auf die Nerven, der einfach nur Sex wolle.[22]
Norfolk holte Franz schließlich in Riom ein, der Hauptstadt der Auvergne, und danach in Lyon, wo er und George Boleyn zum ersten Mal die Neuigkeit erfuhren, die Heinrich und Anne am meisten fürchteten. Nach einer Abstimmung im Konsistorium am 11. Juli hatte Clemens Heinrich getadelt, seine Ehe mit Anne für ungültig erklärt und ihn angewiesen, zu Katharina zurückzukehren. Auf massiven französischen Druck hin erklärte sich der Papst zu einer vorübergehenden Aussetzung des Urteils bereit, um Heinrich Zeit zu geben, ihm Folge zu leisten. Falls der englische König sich weigere, werde er exkommuniziert und das Land mit einem Bann belegt. Der Erlass des Papstes billigte ausdrücklich den Einsatz militärischer Gewalt, und unter vier Augen sprach Clemens davon, Franz dazu aufzustacheln, sich in einem päpstlichen Kreuzzug gegen Heinrich mit Karl zu vereinen, indem er ihm versprach, Calais an Frankreich zurückzugeben.[23]
Norfolk war so schockiert, dass er beinahe in Ohnmacht gefallen wäre, und auch für Franz war die Nachricht ein schwerer Schlag. Nachdem der Duke sich wieder gefasst hatte, schickte er Annes Bruder schnurstracks nach Hause, um neue Instruktionen einzuholen. Die knapp 1000 Kilometer lange Reise in weniger als einer Woche zurücklegend, traf George Heinrich am 28. Juli in Windsor und ritt von dort nach Guildford, wo der König eine Krisensitzung der Räte für den nächsten Tag einberief. Annes Flitterwochen waren von einem auf den anderen Tag zu Ende. Heinrich – der noch nicht wagte, ihr den wahren Grund zu sagen – reiste entschlossen ab, um sich unter dem Vorwand eines Jagdausflugs mit ihrem Bruder zu treffen. Seinen Hofbeamten sagte er (wie Chapuys von seinen Spionen erfuhr), dass er «ihr jeden Kummer oder Enttäuschung ersparen wolle, die das Leben ihres Kindes vermutlich gefährden könnte».[24]
Kaum war das Ratstreffen vorüber, da schickte Heinrich George zurück nach Frankreich, wo er und Norfolk einmal mehr versuchen sollten, Franz zu einer Absage des Treffens zu überreden: Falls sie keinen Erfolg hatten, sollten er und seine Kollegen die Veranstaltung boykottieren und nach Hause zurückkehren. Heinrichs Ängste und sein Wunsch, die absolute Kontrolle auszuüben, waren so groß, dass er, wenn er konnte, lieber die Diplomatie zum Erliegen brachte, als einen ungewissen Ausgang zu riskieren. Nach dieser Entscheidung schickte er Gesandte nach Rom mit der Anweisung, gegen die päpstlichen Sanktionen bei einem Generalkonzil der Kirche Berufung einzulegen, was von Clemens’ Warte aus die ultimative Beleidigung und der Point of no Return war.[25]
Norfolk traf sich Mitte August in Montpellier unter vier Augen mit Franz. Der König weigerte sich, seine Meinung zu einem Treffen mit dem Papst zu ändern, drängte den Duke, aus der Reihe zu tanzen und dennoch an dem Treffen teilzunehmen, und behauptete, wenn Norfolk dies tue, werde Clemens sanfter werden. Es war eine unannehmbare Forderung: Norfolk schwankte zwei Tage lang, erwiderte dann aber, dass er den dringenden Befehl erhalten habe, nach Hause zurückzukehren, und es nicht wage, ihn nicht zu befolgen.[26]
Als Norfolk am 30. August mit leeren Händen nach London zurückkehrte, müsste Anne eigentlich klar gewesen sein, dass ihre zentrale, frankophile Politik grundlegend überdacht werden musste. Doch sie sah keinen Grund zur Panik oder an der Stärke ihrer Beziehung mit Heinrich zu zweifeln – wenn überhaupt, wirkte sie eher noch stahlhärter als zuvor. Laut George Taylor, inzwischen Generalverweser der Mitgiftländereien, die sie von Katharina übernommen hatte, war das Paar «in guter Gesundheit und so glücklich, wie ich sie jemals in meinem Leben gesehen habe».[27] Sir John Russell und Richard Page, die das Geschehen aus ihren Positionen in der privy chamber beobachteten, sagten dasselbe: «Seine Hoheit der König ist glücklich und wohlauf, und ich sah ihn seit langem nie glücklicher als jetzt.»[28] Nachdem Heinrich beschlossen hatte, der Konferenz fernzubleiben, verschloss er die Augen vor der Gefahr, die von Clemens’ Exkommunikations-Drohung ausging, und stellte klar: Dem Ansinnen, «irgendetwas zu widerrufen oder rückgängig zu machen, das hier entweder in Form der Ehe, des Statuts, Urteils oder der Proklamation geschah … haben, werden und sollen wir mit allen Mitteln und Wegen ‹Nein› entgegnen und werden unser ‹Nein› in einer solchen Weise erklären, dass die ganze Welt es hören und der Papst es spüren soll».[29]
Seine Hingabe an Anne war so groß, dass Heinrich bereit war, ihr zuliebe Franz I., Karl V., dem Papst und der ganzen Welt die Stirn zu bieten. Er meinte auch in internationalen Angelegenheiten so viel Erfahrung zu haben, um zu wissen, dass Franz, sobald er sich erneut von Karl bedroht fühlte, den Irrtum seiner Handlungsweise erkennen und Heinrichs Beistand suchen werde. Heinrich glaubte immer noch, dass er und Anne den Lauf der Dinge zu ihrem eigenen Vorteil gestalten konnten. Und zumindest ein Gutes könnte die Begegnung in Marseille haben, falls und wenn sie denn stattfand: Es hätte nicht länger den Anschein, dass Clemens entschlossen war, als Kaisertreuer «zu leben und zu sterben». Von nun an schienen er und Franz gemeinsam an einer gegen Habsburg gerichteten Allianz zu arbeiten, die Karl aus Italien vertreiben würde.
Aber jetzt war keine Zeit dafür, die Implikationen dieser Entwicklungen abzuwägen. Die letzten Schwangerschaftswochen waren für Anne schwierig, und Heinrich bestand darauf, dass ihr alles so bequem wie möglich gemacht wurde.[30] Die Niederkunft sollte in Greenwich erfolgen, wo auch er das Licht der Welt erblickt hatte und wo er und seine Mutter einst so glücklich gewesen waren. Alles sollte perfekt sein, also schickte er Anne einen seiner prachtvollsten Bettvorhänge für ihr Wochenbettzimmer – einen Vorhang, der einst Teil des Lösegelds für Jean II., den Herzog von Alençon, war, der 1424 im Hundertjährigen Krieg in Gefangenschaft geraten war. Unterdessen setzten Beamte im Siegelamt der Königin Dutzende von Rundbriefen mit der Überschrift «By the Queen» auf, die nur darauf warteten, die frohe Botschaft «von der Entbindung und Geburt eines Prinzen» zu verkünden. Das königliche Paar war nach der Befragung von Ärzten und Astrologen so sicher, dass ihr Kind ein Junge würde, dass man das Wort «Prinz» bereits eingefügt hatte.[31]
Anne dachte selbst bereits an etwas Anderes. Als Katharina nach England gekommen war, hatte sie ein wunderschön besticktes, spanisches Taufgewand mitgebracht, das sie für die Taufe von Prinzessin Mary benutzt hatte. Jetzt verlangte Anne, dass Heinrich dieses Gewand für ihr Kind beschaffe. Entsetzt darüber, dass die Frau, die Katharina für nichts weiter als eine Hure hielt, so etwas auch nur vorschlagen konnte, weigerte diese sich prompt. Zwischen zwei Stühlen sitzend beschloss Heinrich, die Angelegenheit nicht weiter zu verfolgen – ein kleiner, aber süßer Sieg für Katharina über die Frau, die ihrer Meinung nach ihr Leben ruiniert hatte.[32]
Daraufhin ging Anne auf Heinrich los. Niemals lag ihr jemand mehr am Herzen als das Kind, das sie in Kürze bekommen sollte; und in ihren Augen war es logisch, dass Katharinas Taufgewand an sie als die neue Frau des Königs übergehen müsse. In Momenten wie diesen hatten die Eifersucht, Verletzlichkeit und Frustration, die sie bei dem Widerstand, auf den sie stieß, empfand, das Potenzial, zu unbeherrschten Äußerungen oder kleinlichen oder boshaften Handlungen überzukochen.
Wenige Tage nach dem Vorfall mit dem Taufgewand meldete Chapuys in einer Depesche an Karl hämisch einen anderen Streit. Anne habe, sagte er, ihren Gatten beschimpft, weil er eine andere Frau angesehen habe. Vor Ärger über diese Rüge griff Heinrich sie demnach an und sagte ihr, sie müsse die Augen verschließen und dies ebenso «ertragen wie jene, die besser als sie wären, es [vor ihr] ertragen hätten». Dann erinnerte er sie daran, dass er sie ebenso rasch fallen lassen konnte, wie er sie erhoben hatte. Zwei oder drei Tage lang sprachen die beiden kein Wort miteinander.
Der Zeitpunkt dieser Episode ist allerdings infrage gestellt worden: Angeblich habe ein moderner Herausgeber die Depesche um ein Jahr vordatiert, aber weil gegen Ende die übereilte Heirat des kürzlich verwitweten Duke of Suffolk mit seinem jungen Mündel, der vierzehnjährigen Lady Katherine Willoughby, angesprochen wird, ist eine falsche Datierung unwahrscheinlich. Diese Hochzeit fand mit Sicherheit im September 1533 statt. Glaubwürdiger ist die abschließende Bemerkung des Botschafters: «Zweifellos sind diese Dinge Zankereien unter Geliebten, denen wir nicht allzu viel Bedeutung beimessen dürfen.» Der Liebesstreit hielt gewiss nicht lange an: Ein Dienstmädchen von Anne sollte Chapuys wenig später versichern, dass Heinrich in einer vielgepriesenen Prahlerei behauptet habe, er würde lieber «von Tür zu Tür um Almosen betteln», als von seiner Frau getrennt zu werden, so sehr liebe er sie.[33]
Als sich Anne auf die Wehen vorbereitete, war der Streit schon wieder vergessen. Gemäß dem Royal Book und den Anweisungen, die Heinrichs Großmutter Margaret Beaufort niedergeschrieben hatte, verdunkelten Dienstmädchen bis auf eines alle Fenster von Annes Wochenbettzimmer, behängten die Wände und Decke mit blauen Teppichen aus feiner Seide und mit Goldfäden gewoben, und riefen nach der Hebamme. Männliche Diener sollten Speisen und andere Waren an der äußersten Tür abstellen, aber nicht eintreten, denn die Geburt eines Kindes galt als Frauensache. Die warmen, dick mit Teppichen ausgelegten und mit Daunenkissen sowie einem «reichen Altar» ausgestatteten Gemächer Annes waren luxuriös. Sie wurden dunkel gehalten, weil Luftzug und Tageslicht als Gefahr angesehen wurden. Ein Gewölbe wurde gezimmert und, «um es zu versiegeln», sorgfältig bezogen. Tischler wurden eigens dafür bezahlt, dass sie «diverse Risse in Türen und Fenstern klammerten [schlossen, befestigten], um den Wind fernzuhalten».
Es gab zwei Betten für Anne, das eine für den Tag und als solches halb Thron, halb Bett, überdacht von einem Baldachin aus karmesinrotem Samt, und das «königliche» oder Alençon-Bett. Es gab sogar ein eigens aufgestelltes Buffet mit tiefen Regalbrettern, auf denen Annes Gold- und Silberteller präsentiert wurden. Ein französischer Leibarzt merkte später an: «Die Frauen werden nicht alle nach einer Art entbunden; denn manche werden in ihrem Bett entbunden; andere auf einem Stuhl sitzend; manche im Stehen gestützt und von den Dabeistehenden gehalten oder sich an die Seite des Bettes, einen Tisch oder Stuhl anlehnend; wieder andere im Knien, wobei sie an den Armen gehalten werden.» Die «beste und sicherste Methode» sei jedoch «in ihrem Bett», wie auch Anne die Geburt geplant hatte.[34]
Heinrich wartete angespannt, die Tage vergingen. Endlich kam, nach einer relativ leichten Entbindung, das lang ersehnte Kind am Sonntag, dem 7. September, zwischen zwölf und dreizehn Uhr zur Welt. Doch das Kind war, nach allem was man getan hatte, damit in diesem Moment ein Traum wahr wurde, ein Mädchen. Annes Rundbriefe mussten eilends korrigiert werden, sodass anstelle eines «Prinzen» eine Prinzessin verkündet wurde. Dennoch gelang es, die Briefe noch am Tag der Geburt zu versenden, wie Anne es beabsichtigt hatte. Weil der Platz zwischen den Wörtern jedoch zu knapp war, musste man «princes» schreiben. Mehr war nicht möglich – es gab einfach nicht genügend Platz für mehr als ein «s». Chapuys fand die ganze Sache urkomisch.[35]
Heinrich schüttelte die Enttäuschung ab. Für jemanden, der nach dem Tod von Katharinas Sohn im Jahr 1511 so lange auf einen legitimen lebenden Sohn gewartet hatte, war er bemerkenswert gefasst. Wie bei seiner früheren Reaktion, nachdem Katharina Prinzessin Mary zur Welt gebracht hatte – oder der von Franz I. bei den ersten beiden Kinder Königin Claudes –, fand er Trost in der Tatsache, dass seine Frau bewiesen hatte, dass sie ein gesundes Baby zur Welt bringen konnte. Für ihn, sagte er, zähle allein das. Er war zuversichtlich, dass sie in wenigen Monaten bereits wieder schwanger sein werde. Er ließ in St Paul’s ein Te Deum singen, wiederum die Aufgabe von Sir Stephen Peacock, und arrangierte eine üppige Tauffeier. Es stimmt, dass er das zweitägige Turnier absagte, das er ursprünglich geplant hatte – doch damit hielt er sich lediglich an das Protokoll, weil Töchter niemals auf diese Weise geehrt wurden. Dennoch wusste Anne, dass sie auf der Hut sein musste. Heinrich mochte ihr weiterhin seine unendliche Hingabe versichern, doch sie musste umsichtig vorgehen. Das heißt, bis sie einen Sohn bekam.[36]
Heinrich inszenierte persönlich die Taufe seiner Tochter als ein großartiges Schauspiel der Einigkeit, indem er die Anhänger Katharinas zwang, sich die Aufgaben mit den Boleyns zu teilen. Die Zeremonie fand am Mittwoch, dem 10. September, um vier Uhr nachmittags in der Franziskanerkirche in Greenwich statt, in der Heinrich selbst getauft worden war. Da Könige nach der Tradition nicht an den Taufen ihrer Kinder teilnehmen durften und eine frisch entbundene Frau nach dem Kirchengesetz keine Kirche betreten durfte, bis sie rituell gereinigt worden war, hatte der Duke of Norfolk den Vorsitz. Jean de Dinteville war Ehrengast. Die Taufe wurde von dem neuen Bischof von London, John Stokesley, vollzogen, der das Kind nach Heinrichs geliebter Mutter Elizabeth nannte. Gertrude Blount, eine enge Freundin Katharinas, wurde gezwungen, die Rolle der Taufpatin zu übernehmen.[37]
Nach dem Ende der Zeremonie entzündeten die yeomen of the guard, die in den Seitenschiffen standen, ihre Fackeln. Das plötzlich aufflackernde Licht war das Stichwort für einen Herold zu verkünden: «Gott sende in seiner unendlichen Güte der hohen und mächtigen Prinzessin von England Elizabeth ein glückliches und langes Leben.» Die Trompeten ertönten, wonach Cranmer, ein weiterer Taufpate, sie zum Hochaltar trug, um sie einzusegnen. Anschließend wurde das Baby in sein Kinderzimmer gebracht, wo zwei Wiegen auf es warteten – eine kleinere für den alltäglichen Gebrauch und eine «Staatswiege» für Gelegenheiten, wenn sie Besuchern präsentiert werden sollte –, und die teuren Geschenke, die Anne erhalten hatte, wurden für eine Bestandsaufnahme an die Tür ihres Wochenbettzimmers gestellt. Schließlich traf eine Botschaft Heinrichs ein, der anordnete, süßen Wein und Konfekt zu servieren.[38]
Ungeachtet Heinrichs Protesten fand im Oktober das französisch-päpstliche Treffen statt. Die Neuigkeiten von Annes Cousin, Francis Bryan, den Heinrich mit Stephen Gardiner nach Marseille geschickt hatte, unter der Bedingung, sich «niemals dem Papst zu zeigen», hatten lediglich zur Folge, dass er sich aufregte. Die Sitzungen hätten, erzählte Bryans Brief unter reichlichen Klagen über die «schlechten Weine», die er in der Stadt vorgefunden habe, feierlich begonnen, als Franz Clemens die Füße geküsst und sich vor ihm niedergeworfen habe. Danach heiratete der Herzog von Orléans Caterina de‘ Medici. Der Papst persönlich vollzog die Trauung.
Für Heinrichs Anliegen gab es jedoch keine Lösung. Nach dem Lesen knüllte Heinrich Bryans Depesche zusammen und warf sie auf den Boden. Auf und ab gehend nannte er Franz einen Verräter, Schurken und eine Marionette des Papstes. In den giftigen Korrespondenzen, die darauf folgten, beschimpfte er Franz, der sich wiederum über Heinrichs Undank beschwerte und ihn daran erinnerte, dass es allein der französischen Lobbyarbeit in Rom zu verdanken sei, dass Cranmer Erzbischof von Canterbury geworden sei. De Dinteville versuchte, Heinrich zu besänftigen, und wandte sich vergeblich an Annes Familie um Unterstützung. Als seine Gesundheit unter der Belastung litt, zog er sich nach Frankreich zurück.[39]
Die einzige Genugtuung erfuhr Heinrich aus Berichten von einer Farce, in der ein junger Edmund Bonner, ein Schützling Cromwells, der sich in Rom aufgehalten hatte und dem Papst nach Frankreich gefolgt war, vor der Abreise von Clemens aus Marseille im November die Sache selbst in die Hand nahm. Er verschaffte sich Zutritt zu den Gemächern des Papstes, als Clemens gerade beim Frühstück saß, und bedrängte diesen, während er sich gleichzeitig auf zweifelhafte Art für sein unhöfliches Benehmen entschuldigte. Eine oder zwei Stunden später gelang es ihm, den Papst über Heinrichs Berufung vor einem Generalkonzil zu informieren. Empört über diese Beleidigung seines Ehrengastes ließ Franz Bonner ausweisen.[40]
In dem Bestreben, erneut gute Beziehungen zu Heinrich zu knüpfen, sobald Clemens abgereist war, schickte Franz Annes Lieblingsdiplomat Jean du Bellay, inzwischen Bischof von Paris, mit einem Sonderauftrag nach London. Er kam dort eine Woche vor Weihnachten an, und Anne begrüßte ihn in ihrer Freude nach französischer Art mit einem Wangenkuss. Da du Bellay steif und fest behauptete, eine Last-minute-Diplomatie in Rom könne immer noch eine Versöhnung mit Clemens erreichen, wurde das Christfest «mit großer Festlichkeit» gefeiert. Das Königspaar schlief regelmäßig miteinander, und Anne war überzeugt, es werde nicht lange dauern, bis sie wieder schwanger sei. Heinrich würde seinen Sohn bekommen, und die Dynastie wäre gesichert. Sie hatte etliche Rückschläge einstecken müssen, aber dieses Mal war sie entschlossen, dass am Ende alles gut werden würde.[41]