2. KAPITEL
ERBE DER VERGANGENHEIT
Der Name von Captain Future, dem größten Feind alles Bösen und aller Bösewichte, war jedem Bewohner des Sonnensystems geläufig.
Dieser hochgewachsene, aufgeweckte, rothaarige junge Abenteurer mit dem sympathischen Lachen und den fliegenden Fäusten war der unerbittliche Erzfeind aller Unterdrücker und Ausbeuter menschlicher sowie planetarer Spezies des Systems. Er, der draufgängerische Verwegenheit mit unbedingter Zielstrebigkeit und unvergleichlicher wissenschaftlicher Brillanz zu verbinden verstand, schlug in seinem Kampf für die Gerechtigkeit eine ruhmreiche Bresche durch die neun Welten des Systems.
Er und seine drei nichtmenschlichen Kameraden, das lebende Gehirn, der Roboter aus Metall und der künstliche Mensch, waren im ganzen System Gesprächsthema Nummer eins. Jeder wusste, dass sich das Zuhause des Zauberers der Wissenschaften in einem Krater auf dem öden, einsamen Mond befand. Nachts blickten die Menschen zu dem kalten Gestirn hinauf und fühlten sich sicherer, denn sie wussten, dass Captain Future dort wohnte, wachsam und allzeit bereit. Sobald eine Unheil bringende Gefahr die neun Welten bedrohte, würde Captain Future nicht zögern, ihr entgegenzutreten.
Doch wer war dieser Captain Future eigentlich? Und welche Geschichte verbarg sich hinter der Herkunft seiner drei nichtmenschlichen Kameraden? Wie kam es, dass er über derart herausragende wissenschaftliche Fähigkeiten verfügte?
Das war eine Geschichte, die nur der Präsident selbst kannte. Und es war vielleicht die seltsamste Geschichte, die im Sonnensystem je erzählt worden war.
Vor fünfundzwanzig Jahren hatte ein junger Erdbewohner, ein Biologe namens Roger Newton, einen großen Traum gehabt. Sein Traum war es, Leben zu erschaffen – künstliche, intelligente Lebewesen, die logisch denken und der Menschheit dienen sollten. Er war bereits weit fortgeschritten auf diesem schwierigen Weg und spürte, dass er kurz davor stand, sein Ziel zu erreichen.
Doch ein Politiker, der für seine Skrupellosigkeit und seinen rücksichtslosen Ehrgeiz berüchtigt war, erfuhr von Roger Newtons nutzbringender Erfindung. Vergeblich unternahm er mehrere waghalsige Versuche, sie ihm zu stehlen. Falls diese Erfindung jemals in solche Hände geraten würde, befände sich die Menschheit in großer Gefahr. Deshalb beschloss Newton, nach einer sicheren Zuflucht zu suchen, wo er seine Arbeit im Geheimen fortsetzen konnte.
In einer Nacht im Juni 1990 hatte der junge Biologe seinen Entschluss seinen einzigen Vertrauten mitgeteilt – seiner Frau Elaine und seinem treuen Mitarbeiter, Simon Wright.
Sie befanden sich auf ihrer abgeschiedenen Farm in den Adirondack Mountains, wo Roger Newton mit rastlosen Schritten das große, überfüllte Labor durchmaß und sich mit der Hand nervös durch das rote Haar strich. Sein schmales, empfindsames Gesicht mit den blauen Augen sah besorgt aus, während er zu seinen Freunden sprach.
»Früher oder später werden Victor Corvos Spione uns aufspüren«, sagte er. »Gar nicht auszudenken, was meine Erfindung in seinen Händen anrichten könnte! Wir müssen die Erde verlassen und einen Ort aufsuchen, wo er uns niemals finden kann.«
»Aber wohin sollen wir gehen, Roger?«, fragte Elaine Newton angstvoll, wobei ihre sanften grauen Augen gereizt funkelten und sie mit ihren schlanken Fingern an seinem Ärmel zupfte.
»Ja, wohin sollen wir gehen?«, fragte auch Simon Wright mit seiner metallisch klingenden Stimme. »Auf einen der von Menschen besiedelten Planeten?«
»Nein, wenn wir uns in einer der planetaren Kolonien niederlassen, finden uns Corvos Agenten irgendwann«, erwiderte Newton.
»Wo ist dann diese Zuflucht, von der du sprichst, wenn die Erde oder einer der anderen Planeten nicht infrage kommen?«, wollte Simon Wright wissen, und seine künstlichen Linsenaugen richteten sich fragend auf Newton.
Simon Wright war kein Mensch. Einst war er ein Mensch gewesen; ein berühmter, älterer Wissenschaftler, dessen Körper von einer unheilbaren Krankheit heimgesucht wurde. Um seinen herausragenden Intellekt vor dem Tod zu bewahren, hatte Newton der Bitte des alten Mannes nachgegeben, Wrights lebendes Gehirn aus seinem Körper entfernt und es in einen Serum-Kasten eingeschlossen, wo es auf unbestimmte Zeit weiterleben konnte.
*
Dieser Kasten ruhte nun auf einem Tisch zwischen Newton und seiner Frau. Es handelte sich um ein durchsichtiges Metallgefäß mit etwa dreißig Zentimeter Seitenlänge. Es bestand aus einer geheimen Metalllegierung und war unempfindlich gegen Stöße, Hitze und Kälte. Außerdem enthielt der Kasten eine winzige Batterie, welche die Perfusionspumpe und den Serumfilter ein Jahr lang mit Strom versorgte.
An den Seiten eingelassene Mikrofone sorgten dafür, dass Simon Wright über ein ausgezeichnetes Gehör verfügte. Sprechen konnte er mithilfe eines Resonators, der an der Vorderseite des Kastens befestigt war, und dank seiner künstlichen Linsenaugen, die sich auf kleinen, beweglichen Metallstielen hin- und herbewegten, konnte er sehen. In diesem Kasten lebte das genialste Gehirn der Wissenschaftsgeschichte.
»Wo können wir einen sicheren Unterschlupf finden, wenn nicht auf der Erde oder einem der anderen Planeten?«, fragte Wright noch einmal mit seiner metallischen Reibeisenstimme.
Newton ging zu einem der Fenster und zog den Vorhang beiseite. Draußen lagen die nächtlichen Hügel friedvoll im silberfarbenen Glanz des majestätischen Vollmonds, der sich gerade am Himmelszelt erhob.
Die weiße Scheibe des großen Erdsatelliten, dessen Antlitz von dunklen Gebirgsketten und Tiefebenen durchzogen war, leuchtete in schonungsloser Klarheit vom Himmel herab. Newton deutete hinauf zum Mond, während das Gehirn und das Mädchen ihn verwundert ansahen.
»Dort oben werden wir unsere Zuflucht finden«, sagte Roger Newton. »Dort oben, auf dem Mond.«
»Auf dem Mond?«, rief Elaine Newton und rang nach Luft. »O nein, Roger – das ist unmöglich!«
»Warum sollte es unmöglich sein?«, entgegnete er. »Eine interplanetare Rakete hat die Strecke schnell zurückgelegt. Außerdem haben wir noch genug Geld aus dem Erbe meines Vaters übrig, um uns eine solche Rakete zu kaufen.«
»Ausgerechnet der Mond!«, rief Elaine, in deren Augen ein Ausdruck tiefer Abscheu lag. »Diese unfruchtbare, luftlose Kugel, zu der sich niemals ein Mensch verirrt! Wer könnte dort leben?«
»Es wäre sehr einfach, dort zu leben, Liebes«, erwiderte ihr Ehemann mit ernster Stimme. »Wir werden Werkzeug und Ausrüstung mitnehmen, um uns ein unterirdisches Zuhause einzurichten, mit einer Glasitkuppel, sodass wir freie Sicht auf Sonne und Sterne haben. Mithilfe von Atomgeneratoren wird es uns möglich sein, zu heizen und zu kühlen und außerdem Gestein in Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff umzuwandeln, um Atemluft und Trinkwasser zur Verfügung zu haben. Und natürlich werden wir genügend konzentrierte Nahrungsmittel mitnehmen, sodass wir bis an unser Lebensende gut versorgt sind.«
»Ich halte das für einen guten Plan, Roger«, sagte Simon Wright bedächtig. »Auf dem Mond wird uns Corvo sehr wahrscheinlich nicht suchen. Wir werden dort in Ruhe arbeiten können, und ich bin überzeugt, dass es uns gelingen wird, ein lebendes Geschöpf mit künstlicher Intelligenz zu erschaffen. Sobald unsere Aufgabe vollbracht ist, können wir zurückkehren und der Menschheit eine neue Spezies künstlicher Diener an die Seite stellen.«
Elaine lächelte tapfer.
»Also gut, Roger«, sagte sie zu ihrem Ehemann. »Dann gehen wir eben dorthin. Vielleicht werden wir dort genauso glücklich sein, wie wir es hier auf der Erde gewesen sind.«
»Wir?«, wiederholte der junge Biologe überrascht. »Aber du kannst nicht mitkommen, Elaine. Als ich ›wir‹ gesagt habe, meinte ich Simon und mich. Du kannst doch unmöglich an diesem wilden, einsamen Ort leben!«
»Glaubst du wirklich, ich lasse dich allein dorthin gehen?«, rief sie. »Nein, wenn du gehst, dann werde ich dich begleiten.«
»Aber was wird aus unserem Kind ...?«, widersprach er und runzelte besorgt die Stirn.
»Unser Kind kann ebenso gut auf dem Mond geboren werden wie auf der Erde«, erklärte sie. Zögernd fügte sie hinzu: »Wenn du mich hier zurücklässt, dann wird Victor Corvo mich finden und mich zwingen, ihm deinen Aufenthaltsort zu verraten.«
»Sie hat recht«, warf das Gehirn mit seiner ausdruckslosen, schneidenden Stimme ein. »Wir müssen Elaine mitnehmen.«
»Wenn das so ist, dann habe ich keine Wahl«, sagte Newton schicksalsergeben und sichtlich besorgt. »Dennoch ist es ein furchtbarer Ort, um einen geliebten Menschen dorthin mitzunehmen – und ein furchtbarer Ort für ein Kind, um dort geboren zu werden ...«
Zehn Wochen segelten Newton, Elaine und Simon Wright – Mann, Frau und Gehirn – in einer großen Rakete, die vollgestopft war mit wissenschaftlichen Ausrüstungsgegenständen und Vorräten, in geheimer Mission zum Mond.
Unter der Oberfläche eines Kraters namens Tycho errichteten sie sich ein unterirdisches Zuhause, und schon bald wurde dem Mann und der Frau ein Sohn geboren – ein rothaariger Junge, den sie Curtis nannten.
Und dort unten, in dem Labor auf dem abgeschiedenen Mond, der nun ihre Heimat war, erschufen Newton und Simon Wright ihr erstes künstliches Geschöpf: einen gewaltigen Roboter aus Metall.
*
Grag – so nannten sie den Roboter – war über zwei Meter groß, eine kräftige, menschenähnliche Gestalt aus Metall mit unfassbar starken Gliedmaßen. Seine Augen und sein Gehör waren über die Maßen empfindlich; sein Gehirn bestand aus metallischen Neuronen, und somit war er intelligent genug, um sprechen, arbeiten, denken und primitive Gefühle empfinden zu können.
Doch auch wenn Grag, der Roboter, sich als zutiefst loyaler, treuer Gehilfe erwies, waren seine Geisteskräfte nicht groß genug, um Newton zufriedenzustellen. Der junge Biologe erkannte, dass, wenn er ein menschenähnliches Wesen erschaffen wollte, dieses aus Fleisch und Blut – und nicht aus Metall – bestehen musste. Nach mehreren Wochen intensiver Arbeit stellten sie eine weitere künstliche Kreatur fertig: einen Androiden aus synthetischem Fleisch.
Diesen künstlichen Menschen nannten sie Otho. Er war ein leichenblasses Geschöpf, dessen gummiartiges, synthetisches Fleisch so geformt war, dass es menschenähnlich aussah, doch der haarlose, weiße Schädel und das Gesicht mit den langgezogenen Schlitzaugen sowie sein außergewöhnliches körperliches Reaktionsvermögen und seine überdurchschnittliche Auffassungsgabe waren fast schon unmenschlich. Newton und Wright stellten bald fest, dass Otho, der künstliche Mensch, viel schneller lernte als der Roboter Grag.
»Othos Training kann als abgeschlossen betrachtet werden«, erklärte Newton schließlich. Und als er weitersprach, leuchteten seine Augen triumphierend: »Es ist nun an der Zeit, zur Erde zurückzukehren und das Resultat unserer Forschungen zu präsentieren. Otho wird der erste einer ganzen Spezies von Androiden sein, die der Menschheit hilfreich zur Seite steht.«
Elaines Gesicht strahlte vor Glück.
»Zur Erde zurück! Aber können wir das wirklich wagen, wenn Victor Corvo dort auf uns wartet?«
»Corvo wird sich nicht trauen, uns zu belästigen, wenn wir als Wohltäter der gesamten Menschheit zurückkehren«, entgegnete ihr Mann voller Zuversicht.
Er wandte sich an die beiden nichtmenschlichen Geschöpfe.
»Grag«, befahl er, »du und Otho, ihr geht hinaus und entfernt die Felstarnung von der Rakete, damit wir den Rückflug zur Erde vorbereiten können.«
Nachdem der riesige Metallroboter und der gummiartige Androide das unterirdische Gewölbe durch die Luftschleuse verlassen hatten, brachte Elaine Newton ihren kleinen Sohn in das große Labor.
Sie deutete hinauf zur Glasitkuppel, durch die ein kreisförmiger Ausschnitt des Nachthimmels zu erkennen war. Unter all den Sternen stach die wolkenverhangene, blaue Erdkugel hervor, die halb im Schatten lag.
»Sieh nur, Curtis«, sagte sie fröhlich zu dem Kind. »Dorthin werden wir nun zurückkehren – zurück zur Erde, unserem Heimatplaneten, den du noch nie gesehen hast!«
Der kleine Curtis Newton blickte mit weisen, grauen Kinderaugen hinauf zu der großen Kugel und streckte seine plumpen Ärmchen aus.
Newton hörte, wie die Tür der Luftschleuse zugeschlagen wurde. Überrascht drehte er sich um. »Grag, Otho – ihr seid schon zurück?«
Da schnarrte Simon Wrights warnende Stimme. »Das sind nicht Grag und Otho – ich weiß, wie ihre Schritte klingen«, rief das lebende Gehirn. »Das sind Menschen!«
Elaine stieß einen Schrei aus, und Newton erbleichte. In der Türöffnung standen vier Männer in Raumanzügen, die mit langen Strahlenpistolen bewaffnet waren.
Als sie ihre Helme absetzten, kam das Gesicht ihres Anführers zum Vorschein, ein Gesicht wie das eines Raubvogels und auf geheimnisvolle Weise anziehend.
»Victor Corvo!«, rief Newton entsetzt, als er den skrupellosen Mann wiedererkannte, der es auf seine Erfindungen abgesehen hatte.
»Ja, Newton, hier bin ich!«, frohlockte Corvo. »Sie dachten wohl, hier wären Sie sicher – aber am Ende habe ich Sie doch aufgespürt!«
Newton sah, dass in den triumphierenden schwarzen Augen des Mannes eine tödliche Drohung stand. Als er das bleiche Gesicht seiner Frau und ihren entsetzten Blick sah, entschloss sich der junge Biologe zu einer verzweifelten Tat.
Mit einem waghalsigen Sprung hechtete er zu dem Stahlschrank in der Ecke, in dem er seine Strahlenpistolen aufbewahrte. Doch er sollte ihn nie erreichen. Feuerzungen schossen aus den Pistolen von Corvos Männern und trafen ihn mitten in der Bewegung. Leblos sank er in sich zusammen.
Elaine Newton schrie auf und legte das Kind auf den Tisch, außerhalb der Reichweite der Waffen. Dann stürzte sie hastig an die Seite ihres Mannes.
»Elaine, sei vorsichtig!«, rief das Gehirn.
Doch sie drehte sich nicht um. Die Flamme aus Corvos Pistole traf sie seitlich, und sie sank neben ihrem Mann zu Boden.
Der kleine Curtis auf dem Tisch begann zu schluchzen. Corvo würdigte ihn keines Blickes, sondern schritt an den beiden reglosen Körpern vorbei zu dem quadratischen Serumkasten aus Metall, der das lebende Gehirn von Simon Wright enthielt. Triumphierend blickte er in die funkelnden Linsenaugen.
»Und nun zu Ihnen, Wright«, sagte er lachend. »Wenn ich mit Ihnen fertig bin, wird alle Macht, die in diesem Labor verborgen ist, mir gehören.«
»Corvo, Sie sind ein toter Mann«, entgegnete das Gehirn tonlos. »Dafür werden Sie bezahlen, und zwar bald. Der Tod ist bereits unterwegs.«
»Wagen Sie es nicht, mir zu drohen, Sie armseliges, körperloses Gehirn!«, höhnte Corvo. »Ich werde Ihnen das Maul stopfen ...«
In diesem Moment kamen zwei Gestalten in das Laboratorium gestürmt.
Corvo und seine Männer fuhren erschrocken herum und starrten entsetzt die beiden fremdartigen Geschöpfe an, die den Raum betreten hatten. Sie wollten ihren Augen nicht trauen. Der riesige Metallroboter und der gummiartige Androide! Unbeweglich standen sie da und betrachteten mit nichtmenschlichen Augen den Schauplatz des Todes.
»Grag! Otho! Tötet sie!«, rief die metallische Stimme des Gehirns. »Sie haben euren Herrn ermordet! Tötet sie! Tötet sie!«
Unter dem dröhnenden Wutgebrüll des Roboters und mit einem grimmigen, zischenden Schrei aus dem Mund des Androiden stürzten sich die beiden auf die Angreifer.
In weniger als einer Minute lagen Corvo und seine Männer am Boden – der Roboter hatte ihnen mit seinen Metallhänden den Schädel eingeschlagen, der Androide hatte ihnen mit seinen flinken Händen den Hals umgedreht. Nachdem sie ihre Feinde überwältigt hatten, standen Grag und Otho unbeweglich da und musterten ihre Umgebung mit blitzenden Augen.
»Stellt mich neben euren Herrn und eure Herrin!«, drängte Simon Wright. »Vielleicht leben sie noch.«
Der Roboter setzte den Kasten neben den beiden versengten Gestalten ab. Wrights Linsenaugen untersuchten sie.
»Newton ist tot, aber Elaine lebt noch«, erklärte das Gehirn. »Grag, heb sie hoch!«
Mit seinen Metallarmen richtete der gewaltige Roboter das sterbende Mädchen auf, bis sie aufrecht saß. Nach einem kurzen Moment hoben sich ihre Lider. Mit weit geöffneten, dunklen Augen, in denen düstere Schatten zu treiben schienen, betrachtete sie Gehirn, Roboter und Androide.
»Mein ... Kind«, flüsterte sie. »Bringt mir Curtis.«
Otho reagierte als Erster auf ihre Bitte. Behutsam setzte der Androide das schluchzende Kleinkind neben sie. Die sterbende Frau betrachtete es zärtlich; ihr erlöschender Blick war von Liebe erfüllt.
»Ich vertraue ihn euch an, Simon«, keuchte sie. »Ihr drei seid die Einzigen, bei denen ich Curtis in guten Händen weiß.«
»Wir werden für den kleinen Curtis sorgen und ihn beschützen!«, rief das Gehirn.
»Bringt ihn nicht zur Erde«, flüsterte sie. »Sie würden ihn euch wegnehmen. Sie würden es nicht richtig finden, dass ein Menschenkind von einem Gehirn, einem Roboter und einem Androiden aufgezogen wird. Behaltet ihn hier auf dem Mond, bis er erwachsen ist.«
»Das werden wir«, versprach das Gehirn. »Grag, Otho und ich werden ihn hier aufziehen, wo er in Sicherheit ist.«
»Und wenn er erwachsen ist«, flüsterte Elaine, »dann erzählt ihm von seinem Vater und seiner Mutter und davon, wie sie gestorben sind – wie seine Eltern von Menschen getötet wurden, die die Wunder der Wissenschaft für ihre eigennützigen Zwecke missbrauchen wollten. Sagt ihm, dass er immer gegen diejenigen kämpfen soll, die großartige Erfindungen für finstere, ehrgeizige Ziele benutzen wollen.«
»Ich werde es ihm sagen«, versprach das Gehirn, und fast schien ihm die tonlose, metallische Stimme zu stocken.
Kraftlos hob das Mädchen die Hand und strich dem schluchzenden Kind über die Wange. In ihre sterbenden Augen trat ein seltsamer Ausdruck, als würde sie in eine weit entfernte Zukunft blicken.
»Fast sehe ich den kleinen Curtis als ausgewachsenen Mann vor mir«, flüsterte sie, und ihre Augen leuchteten. »Einen solchen Mann hat das System noch nie gekannt – er wird den Feinden der Menschheit entgegentreten ...«
*
Und mit diesen Worten starb Elaine Newton. Ihr kleiner Sohn blieb in dem einsamen Mondlabor zurück – zusammen mit dem Gehirn, dem Roboter und dem künstlichen Menschen.
In den Jahren, die folgten, handelten Simon Wright, Grag und Otho getreu dem Versprechen, das sie Elaine Newton gegeben hatten. Sie zogen den kleinen Curtis auf, bis er das Mannesalter erreichte, und seine drei nichtmenschlichen Lehrer und Hüter ließen dem Heranwachsenden eine Erziehung angedeihen, wie sie kein Mensch zuvor genossen hatte.
Das Gehirn mit seinem einmaligen Schatz an wissenschaftlichen Fachkenntnissen überwachte die Erziehung des Jungen. Er war es, der Curtis Newton in allen Bereichen der Wissenschaft ausbildete und ihn auf diese Weise innerhalb weniger Jahre zu einem Mann machte, der alle Fachgebiete beherrschte. Gemeinsam vertieften sich das körperlose Gehirn und der brillante junge Mann in Forschungen, die weit über die Grenzen der Wissenschaft hinausgingen, und konstruierten Instrumente, die noch nie da gewesen waren.
Der Roboter gab dem Jungen etwas von seiner unglaublichen Stärke und Ausdauer mit auf den Weg, indem er ihn einem anspruchsvollen Körpertraining unterzog, das streng eingehalten wurde. In Übungskämpfen griff der rothaarige junge Mann den Metallriesen an, der ihn – wenn er es gewollt hätte – in Sekundenschnelle hätte zerquetschen können. Auf diese Weise entwickelte Curt mit der Zeit immense Körperkräfte.
Der Androide lehrte den Jungen seine eigene, unfassbar große körperliche und geistige Reaktionsfähigkeit. Die beiden verbrachten viele Stunden auf der öden Mondoberfläche, wo sie sich in sonderbaren Spielen übten, in denen der Junge versuchte, sich mit der Beweglichkeit des Androiden zu messen.
Als er älter wurde, begann Curt Newton in dem kleinen Superraumschiff, das er und Simon Wright entworfen und gebaut hatten, Ausflüge zu unternehmen. Die vier besuchten heimlich alle Planeten, vom versengten Merkur bis hin zum arktischen Pluto, und so kam es, dass Curt nicht nur die irdischen Kolonien kennenlernte, sondern auch die unerforschten Dschungel vieler anderer Welten. Mit seinen nichtmenschlichen Kameraden flog er zu Monden und Asteroiden, die vor ihm kein Mensch je betreten hatte.
Als Curtis Newton schließlich zu einem jungen Mann herangewachsen war, erzählte ihm Simon Wright, wie sein Vater und seine Mutter gestorben waren. Auch den letzten Wunsch seiner Mutter verschwieg er ihm nicht, dass er immer gegen jene kämpfen möge, die wissenschaftlichen Fortschritt zu ihrem eigenen Vorteil missbrauchten.
»Es ist nun an der Zeit zu wählen, Curtis«, schloss das Gehirn feierlich. »Du musst entscheiden, ob du dein Leben der Aufgabe widmen möchtest, die Menschheit vor Ausbeutern und Unterdrückern zu beschützen – oder ob du lieber nach persönlichem Glück streben willst, das in einem normalen, bequemen Leben zu finden ist.
Wir drei haben dafür gesorgt, dass dir die Erziehung und das Training zuteilwurden, die dich auf einen solchen lebenslangen Kreuzzug vorbereiten. Wir werden dir beistehen und an deiner Seite kämpfen. Aber die Entscheidung können wir dir nicht abnehmen.«
Curt Newton blickte durch die Glasitkuppel über ihren Köpfen hinauf zum sternenübersäten Himmelszelt, in dem auch die wolkenumkränzte Erdkugel zu sehen war. Das fröhliche Gesicht des hochgewachsenen jungen Mannes wurde plötzlich ernst.
»Simon, ich glaube, dass es meine Pflicht ist, mich dem Kampf zu stellen, von dem du gesprochen hast«, sagte er bedächtig. »Männern wie jenen, die meine Eltern auf dem Gewissen haben, muss Einhalt geboten werden, oder sie werden die Zivilisation der neun Welten auslöschen.«
*
Curt Newton holte tief Luft.
»Das ist eine gewaltige Aufgabe, und es ist durchaus möglich, dass ich an ihr scheitere. Doch solange ich lebe, werde ich mich ihr widmen.«
»Ich wusste, dass du dich so entscheiden würdest, mein Junge!«, rief das Gehirn. »Du wirst für die Zukunft des gesamten Sonnensystems kämpfen!«
»Für die Zukunft?«, wiederholte Curt, und in seinen grauen Augen funkelte wieder der Schalk. »Dann werde ich mich auch so nennen – Captain Future!«
In derselben Nacht war Curt in geheimer Mission vom Mond zur Erde geflogen, um den Präsidenten aufzusuchen und ihm seine Dienste im Kampf gegen das interplanetare Verbrechen anzubieten.
»Ich weiß, dass Sie jetzt noch keinen Grund haben, mir zu vertrauen«, sagte er zum Präsidenten. »Aber es könnte eine Zeit kommen, in der Sie mich brauchen. Wenn es so weit ist, dann entzünden Sie ein Signalfeuer am Nordpol. Ich werde es sehen und herbeieilen.«
Nur wenige Monate später terrorisierte ein mysteriöser Verbrecher, dem die Planetenpolizei nicht gewachsen war, die sonnennahen Planeten, und der Präsident erinnerte sich an den rothaarigen jungen Mann, der sich als »Captain Future« vorgestellt hatte. In einem letzten verzweifelten Versuch, der Gefahr Herr zu werden, wandte er sich Hilfe suchend an ihn.
Captain Future und seine drei nichtmenschlichen Kameraden hatten den Verbrecher und seine Komplizen innerhalb weniger Wochen unschädlich gemacht. Seitdem war das Signalfeuer am Nordpol wieder und wieder entzündet worden – und jedes Mal waren Captain Future und seine Kameraden herbeigeeilt. Jeder siegreiche Kampf gegen einen gefährlichen Kriminellen hatte dazu beigetragen, dass sich sein Ruf als mysteriöser Feind alles Bösen weiter im Sonnensystem verbreitete.
Doch dieses Mal war Captain Future gerufen worden, um dem größten und tödlichsten Feind entgegenzutreten, dem er je gegenübergestanden hatte – einem geheimnisvollen Wesen, das die Menschen auf dem Jupiter mit einer grauenerregenden Krankheit heimsuchte und sie in primitive Tiere zurückverwandelte!