M ichael und Dean waren bereits im Wohnzimmer, als ich mit Sloane eintrat. In den letzten vierzehn Minuten war meine blonde Begleiterin sichtlich ruhiger geworden, wie ein Duracell-Hase, dessen Batterie immer leerer wird. Sie setzte sich neben Michael aufs Sofa und ich mich neben sie. Uns gegenüber saß Dean auf dem Kaminsockel, den Blick auf den Boden gerichtet, das Haar im Gesicht.
Sofa, Stühle, Kissen, Teppich – die Einrichtung ist wirklich gemütlich , dachte ich. Aber er sitzt lieber auf Stein.
Ich musste daran denken, wie ich ihn kennengelernt hatte – er beim Gewichtestemmen, wie er seinem Körper das Letzte abverlangte. Mein erster Eindruck von ihm war, dass er sich bestrafen wollte …
»Schön, dass ihr es alle geschafft habt!« Lia kam nicht einfach herein, sie hatte ihren Auftritt. Während alle Augen auf sie gerichtet waren, ließ sie sich zu Boden sinken, streckte die Beine aus, legte die Knöchel übereinander und breitete mein Kleid um sich herum aus. »Zu eurer Unterhaltung spielen wir heute Abend Wahrheit oder Tat! « Sie hielt inne und ließ ihren Blick über uns schweifen. »Irgendwelche Einwände?«
Dean machte den Mund auf.
»Nein«, sagte Lia.
»Du hast gefragt, ob wir Einwände hätten«, entgegnete Dean.
Lia schüttelte den Kopf. »Die sind dir nicht gestattet.«
»Und mir?«, fragte Michael.
Lia überlegte. »Hättest du denn welche?«
Michael sah erst mich an und dann wieder Lia. »Wahrscheinlich nicht.«
Sloane hob neben mir die Hand.
»Ja, Sloane?«, erkundigte sich Lia zuvorkommend. Offensichtlich hatte sie keine Befürchtungen, dass unser persönliches Nummerngirl Einwände hatte.
»Ich kenne zwar die Grundregeln des Spiels, aber eine Sache ist mir nicht ganz klar«, sagte Sloane mit funkelnden Augen. »Wie gewinnt man?«
»Ein Mädchen mit so viel Kampfgeist muss man einfach lieben.« Michael grinste schon wieder.
»Bei Wahrheit oder Tat gewinnt man nicht«, erklärte ich. Im Grunde vermutete ich, dass bei diesem Spiel eigentlich jeder nur verlieren konnte.
»Ist das ein Einwand?«, wollte Lia wissen.
Dean mir gegenüber telegrafierte die Worte »Sag Ja!« zu mir hinüber, als würde er sie mit einem Flugzeug an den Himmel schreiben lassen. Und hätte ich mich mit irgendwelchen anderen Teenagern zusammen in einem Raum befunden, hätte ich es auch getan. Aber ich war hier zusammen mit Michael, von dem ich einfach kein Profil erstellen konnte, und mit Dean, der gesagt hatte, dass Naturtalente keine aktiven Fälle mehr bearbeiteten. Das hier war die Gelegenheit, endlich mal ein paar Antworten zu bekommen.
»Nein«, sagte ich, »das war kein Einwand. Von mir aus kann’s losgehen.«
Lia begann zu strahlen und Dean schlug mit dem Hinterkopf gegen den Kaminsims.
»Kann ich anfangen?«, fragte Sloane.
»Klar«, gestattete ihr Lia. »Wahrheit oder Tat, Sloane?«
Sloane sah sie schief an. »So habe ich das nicht gemeint.«
Lia zuckte mit den Schultern. »Wahrheit oder Tat?«
»Wahrheit.«
Normalerweise – mit anderen Leuten als den anwesenden – war das bei diesem Spiel die sicherere Variante, denn falls die Frage zu peinlich war, konnte man immer noch lügen. Mit Lia war das allerdings unmöglich.
»Weißt du, wer dein Vater ist?«
Lias Frage kam für mich völlig überraschend. Ich hatte den größten Teil meines Lebens nicht gewusst, wer mein Vater war, konnte mir aber nicht vorstellen, das vor mehreren Leuten zuzugeben. Lia schien Sloane zu mögen, irgendwie, doch offensichtlich wurden bei Wahrheit oder Tat die Samthandschuhe ausgezogen.
Sloane begegnete Lias Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ja, weiß ich.«
»Das war ja eine knappe Antwort«, murmelte Michael.
Lia sah ihn finster an.
»Du bist dran«, sagte sie zu Sloane, und ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen erwartete sie eine Retourkutsche – aber Sloane wandte sich an mich.
»Cassie, Wahrheit oder Tat?«
Ich versuchte, mir vorzustellen, was für eine Tat mir Sloane wohl auferlegen könnte, doch mir fiel nichts ein.
»Statistisch gesehen wird am häufigsten verlangt, dass man etwas Unappetitliches isst, Scherzanrufe tätigt, einen anderen Spieler küsst, etwas Unhygienisches ableckt oder sich auszieht«, half mir Sloane.
»Wahrheit.«
Sloane überlegte ein paar Sekunden.
»Wie viele Menschen liebst du?«
Die Frage verschlug mir den Atem. Sie war unerwartet und unerwartet brutal, aber als Sloane mich mit ihren blauen Augen forschend ansah, hatte ich den Eindruck, als sei das eine Zahl, die ihr für ihre Statistik wichtig war. Sie fragte nicht, um mich zu demütigen.
Vielmehr wollte sie Daten sammeln, die sie mit ihren eigenen vergleichen konnte.
»Wie viele Menschen ich liebe?«, wiederholte ich. »Auf welche Weise?«
Ich war noch nie verliebt gewesen, wenn sie also danach fragte, war die Antwort leicht.
»Wie viele Menschen liebst du insgesamt?«, fragte Sloane. »Damit meine ich alle Arten von Lieben, einschließlich Familie, Kinder, Liebhaber und aller anderen Bezugspersonen.«
Am liebsten hätte ich einfach nur eine Zahl gesagt. Fünf klang doch ganz gut. Oder zehn. Zu viele, um sie zu zählen, klang noch besser, aber Lia beobachtete mich sehr ruhig.
Meine Mutter hatte ich geliebt. So weit war es leicht. Und Nonna und meinen Vater und den Rest – ich liebte sie alle. Oder nicht? Sie waren meine Familie. Sie liebten mich. Nur weil ich es nicht zeigte, bedeutete das nicht, dass ich sie nicht auch liebte. Ich hatte getan, was ich konnte, um sie glücklich zu machen. Ich hatte versucht, ihnen nicht wehzutun.
Aber liebte ich sie wirklich so, wie ich meine Mom geliebt hatte? Konnte ich je wieder jemanden so lieben?
»Einen Menschen.« Ich brachte die Worte kaum über die Lippen. Ich starrte Lia an und hoffte, sie würde mir sagen, das wäre eine Lüge, damit ich eine Bestätigung dafür bekam, dass der Verlust meiner Mutter nicht etwas in mir zerbrochen hatte und ich den Rest meines Lebens nicht dazu verdammt war, meine Familie nie so innig zu lieben wie sie mich.
Lia erwiderte einen Moment lang meinen Blick, sagte aber nichts, sondern zuckte nur mit den Schultern. »Du bist dran, Cassie.«
Ich versuchte, mich daran zu erinnern, warum ich dieses Spiel für eine gute Idee gehalten hatte.
»Michael«, sagte ich schließlich, »Wahrheit oder Tat?«
Auch wenn er mir auf der Fahrt zum Flugzeug gönnerhaft ein paar Fragen gewährt hatte, gab es immer noch so vieles, was ich über ihn wissen wollte – was er wirklich von der Akademie hielt, wie sein Vater abgesehen von dem Steuerbetrug war, ob seine Beziehung zu Lia schon mal über den Austausch von Spitzfindigkeiten hinausgegangen war. Doch ich bekam keine Chance, eine dieser Fragen zu stellen, denn Michael neigte sich vor und grinste mich teuflisch an. »Tat.«
Tatsächlich überraschte mich das nicht. Natürlich wollte er nicht zulassen, eine persönliche Frage beantworten zu müssen. Natürlich ließ er mich die erste Tat des Spiels bestimmen. Ich zermarterte mir das Hirn nach etwas, das nicht lahm klang, aber das auch nichts mit Küssen, Nacktsein oder irgendetwas in dieser Richtung zu tun hatte. Oh, bloß das nicht.
»Gib dein Bestes, Colorado.« Michael machte das viel zu viel Spaß. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er auf eine Tat hoffte, die ein wenig gefährlich war. Nervenkitzel, darauf war er aus. Er wollte seinen Adrenalinspiegel in die Höhe treiben.
Etwas, was Briggs gutheißen würde.
»Ich verlange«, begann ich langsam, in der Hoffnung, dass mir etwas Gutes einfiel, »dass du Ballett tanzt.« Selbst ich war mir nicht sicher, woher das kam.
»Was?«, rief Michael. Zum ersten Mal seit ich ihn kannte hatte er kein Grinsen im Gesicht, als er mich ansah. Schachmatt.
»Ballett«, wiederholte ich ungerührt und deutete auf den Teppich. »Gleich hier. Worauf wartest du?«
Lia begann zu lachen und selbst Deans Mundwinkel zuckten.
»Ballett ist eine Form von klassischer Bewegungskunst und geht bis in die frühe Renaissance zurück«, erzählte Sloane hilfsbereit. »Besonders beliebt ist es in Russland, Frankreich, England und den Vereinigten Staaten.«
Michael bremste sie, bevor sie die gesamte Kunstgeschichte von sich gab. »Schon kapiert.« Dann stand er ernst auf, ging in die Mitte des Raumes und stellte sich in Pose.
Ich hatte Michael aalglatt erlebt, ich hatte ihn verbindlich erlebt. Ich hatte mir von ihm das Haar aus dem Gesicht streichen lassen – aber das hier? Das war unbeschreiblich. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, drehte sich im Kreis, ging in die Knie und streckte den Hintern vor. Doch das Beste war sein Gesichtsausdruck: Er zeigte feste Entschlossenheit, ohne auch nur ansatzweise die Miene zu verziehen.
Mit einer Verbeugung schloss er seine Vorstellung.
»Sehr hübsch«, urteilte ich kichernd. Er setzte sich wieder aufs Sofa und durchbohrte Lia mit seinen Blicken.
»Wahrheit oder Tat?«
Niemanden überraschte es, dass Lia Wahrheit wählte. Von uns allen war sie wahrscheinlich die Einzige, die mit einer Lüge durchkommen würde.
Michael lächelte sie spöttisch an. »Wie lautet dein richtiger Name?«
Lia zeigte sich einige Sekunden lang verletzt, dann wurde sie zornig.
»Du heißt gar nicht Lia?« Sloane klang seltsam angegriffen – als wäre es wesentlich schlimmer, Lias Namen nicht zu kennen, als unangenehme Fragen über ihren Vater beantworten zu müssen.
»Doch«, antwortete Lia, »schon.«
Michael starrte Lia an und zog leicht die Augenbrauen hoch.
»Aber vor langer Zeit einmal«, sagte Lia und klang mit jedem Wort weniger wie sie selbst, »war mein Name Sadie.«
Lias Antwort warf Fragen in mir auf. Ich versuchte, sie mir als Sadie vorzustellen. Hatte sie ihren alten Namen ebenso leicht abgelegt, wie sie ihre Kleidung wechselte? Warum hatte sie ihn geändert? Und woher wusste Michael das?
»Wahrheit oder Tat …« Lia ließ ihren Blick über jeden Einzelnen von uns schweifen, und ich spürte, dass sich in ihr langsam etwas Düsteres ausbreitete. Das verhieß nichts Gutes.
»Cassie!«
Es schien mir nicht fair, dass schon wieder ich an der Reihe sein sollte, schließlich hatte Dean noch nicht gespielt, doch ich diskutierte nicht. Wäre eh zwecklos gewesen.
»Tat.« Ich wusste nicht, was mich geritten hatte, diese Option zu wählen, außer dass mich Lias Gesichtsausdruck dazu gebracht hatte. Im Gegensatz zu dem, was sie vorhatte, mich zu fragen, war Sloanes Frage sehr wahrscheinlich so persönlich gewesen wie eine Frage nach dem Wetter.
Lia strahlte erst mich an und dann Michael. Sie sann auf Revanche, das war nicht zu übersehen.
»Ich verlange«, begann Lia und kostete jedes Wort genüsslich aus, »dass du Dean küsst.«
Dean reagierte, als hätte man ihn mit einem Elektroschocker bearbeitet, und setzte sich ruckartig auf.
»Nein, Lia!«, rief er scharf.
»Ach, komm schon, Dean«, entgegnete Lia. »Hier geht es um Wahrheit oder Tat. Tu es für das Team.« Und ohne auf seine Antwort zu warten, wandte sie sich wieder zu mir. »Küss ihn, Cassie.«
Ich wusste nicht, was schlimmer war – dass Dean sich nicht zwingen lassen wollte, mich zu küssen, oder die plötzliche Erkenntnis, dass mein Körper anscheinend überhaupt nichts dagegen hatte, seine Lippen mit meinen zu berühren. Ich dachte an unsere Stunden mit Locke, an das Gefühl seiner Hand in meinem Nacken …
Lia sah mich erwartungsvoll an, doch als ich zu Dean hinüberging, spürte ich nur Michaels Blick, der sich mir in den Rücken bohrte.
Ich musste das nicht tun.
Ich konnte Nein sagen.
Dean schaute mich an und ganz kurz sah ich etwas anderes in seinen Augen aufblitzen als vehemente Ablehnung. Seine Miene wurde weicher, seine Lippen teilten sich, als wolle er etwas sagen.
Ich kniete mich neben den Kamin, legte ihm eine Hand an die Wange und drückte meine Lippen auf seine. Es war ein keuscher Kuss. Ein europäischer Begrüßungskuss. Unsere Münder trafen sich nur für eine Sekunde, doch ich spürte es wie einen Stromstoß bis hinab in meine Zehen.
Ich wich zurück, unfähig, meinen Blick von seinen Lippen abzuwenden. Einen Moment lang sahen wir uns nur gegenseitig an, er, am Kamin sitzend, und ich, auf dem Teppich davor kniend.
»Du bist dran, Cassie.« Lia klang höchst selbstzufrieden.
Ich zwang mich aufzustehen und ging zurück zum Sofa. Als ich mich hinsetzte, konnte ich noch den Druck von Deans Lippen auf meinen spüren. »Wahrheit oder Tat, Dean?«
Das war nur fair, schließlich war er der Einzige, der noch nicht auf dem Schleudersitz gesessen hatte. Erst glaubte ich schon, er würde sich weigern und das Spiel beenden, doch das tat er nicht.
»Wahrheit.«
Dies war die Gelegenheit, die ich bei Michael nicht bekommen hatte. Ich hatte Fragen. Dean hatte Antworten. Darauf konzentrierte ich mich und nicht auf das, was gerade zwischen uns passiert war.
»Neulich, als Locke gesagt hat, dass Lia nicht mitkommen könne zum Tatort, hast du erwähnt, darum würde es hier in der Akademie nicht mehr gehen.« Ich hielt inne. »Was meintest du damit?«
Dean nickte, als sei es vollkommen vernünftig, eine derartige Frage zu stellen, nachdem man gerade jemanden geküsst hatte.
»Ich war der Erste«, erzählte er. »Bevor es ein Programm geschweige denn eine eigens eingerichtete Akademie gab und bevor sie begannen, den Begriff Naturtalente zu verwenden. Da gab es nur Briggs und mich. Ich wohnte noch nicht bei Judd und die oberen Bosse des FBI wussten nichts von mir. Briggs brachte mir Fragen. Und ich gab ihm Antworten.«
»Fragen über Killer.« Da ich keine weiteren Fragen stellen durfte, formulierte ich es als Statement. Dean nickte, aber Lia unterbrach uns und verhinderte alle weitere Konversation.
»Er war zwölf«, erklärte sie knapp. »Du bist dran, Dean.«
»Cassie«, sagte Dean. Das war alles. Kein »Wahrheit oder Tat?«. Er sagte einfach nur meinen Namen.
Michael neben mir presste die Kiefer aufeinander. Lias Revanche hatte ihr Ziel gefunden. Mehr als treffsicher.
»Wahrheit«, sagte ich und verdrängte jeden Gedanken an Michaels Reaktion oder was sie bedeuten könnte.
»Warum bist du hergekommen?«, fragte Dean und sah dabei Lia an, seine eigenen Hände – alles, nur nicht mich. »Warum bist du der Akademie beigetreten?«
Auf diese Frage gab es eine Menge Antworten, die im Grunde genommen alle der Wahrheit entsprachen. Ich hätte sagen können, ich wollte den Leuten helfen. Oder dass ich immer gewusst hätte, dass ich nicht ganz in die normale Welt passen würde. Doch ich sagte weder das eine noch das andere.
»Meine Mutter wurde ermordet.« Ich räusperte mich und versuchte, es auszusprechen, als seien es nur ganz normale Worte. »Vor fünf Jahren. Die Polizei hat die Leiche nie gefunden, aber da war jede Menge Blut. Sie glauben, sie wurde erstochen. Mit mehreren Messerstichen.«
Dean reagierte nicht sichtbar auf dieses Geständnis – Lia und Sloane schon. Michael hatte von meiner Mutter gewusst, aber gegenüber den anderen hatte ich nie ein Wort darüber verloren.
Wahrheit oder Tat, Dean? , wollte ich gerne sagen, doch ich konnte nicht nur Dean Fragen stellen. Wir spielten dieses Spiel schon zu lange nur zu zweit.
»Wahrheit oder Tat, Lia?«
»Wahrheit.« Lia stieß das Wort aus wie eine Herausforderung.
Ich fragte sie, ob sie ordentlich oder schlampig war. Sie senkte das Kinn, zog die Brauen hoch und sah mich an.
»Im Ernst?«, fragte sie. »Das ist deine Frage?«
»Das ist meine Frage«, bestätigte ich.
»Bei mir ist alles in Unordnung«, sagte sie. »Im wahrsten Sinne des Wortes.« Sie ließ mir keine Zeit, darüber nachzudenken, dass ich sie richtig eingeschätzt hatte, bevor sie in der nächsten Runde Michael ansprach. Ich hätte erwartet, dass er wieder die Tat wählte, aber er sagte:
»Wahrheit.«
Lia strich sich mit zierlichen Händen über das Kleid und sah ihn mit großen Unschuldsaugen an. Dann fragte sie ihn, ob er eifersüchtig gewesen sei, als Dean mich geküsst hatte. Michael zuckte nicht einmal mit der Wimper, doch ich hatte das Gefühl, dass Dean Lia am liebsten erwürgt hätte.
»Ich werde nie eifersüchtig«, erklärte Michael. »Ich räche mich.«
Was zum …?
Aber auch diesmal schaffte ich es nicht, länger darüber nachzudenken, denn keiner meiner neuen Mitbewohner neigte dazu, den anderen eine Atempause zu gönnen. Und es überraschte niemanden, dass Michael die nächste Frage an Dean richtete.
»Wahrheit oder Tat, Dean?«
»Wahrheit.« Dean runzelte die Stirn, und ich musste an Lias Worte denken, als Dean von der Hantelbank aufgesprungen war und aus der Garage verschwand. Ach komm, Michael, wenn Dean einen Wutanfall hätte, wärst du jetzt tot. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen und trockener Kehle wartete ich darauf, dass Michael Dean eine gemeine Frage stellte.
Aber das tat er nicht.
»Hast du schon mal Böse Saat gesehen?«, fragte er höflich. »Den Film?« Darin ging es um ein achtjähriges Mädchen, das immer wieder Morde beging. Schon ihre Großmutter war eine Massenmörderin gewesen, von der die Kleine diese fatale Neigung geerbt hatte.
In Deans Kiefer zuckte es. »Nein.«
Michael grinste. »Ich schon.«
Dean stand auf. »Ich bin hier fertig.«
»Dean …« Lias Ton lag irgendwo zwischen Klagen und Betteln, doch er brachte sie mit einem Blick zum Schweigen. Zwei Sekunden später ging er aus dem Zimmer und gleich darauf hörte ich die Haustür zuknallen.
Dean war fort, und man musste kein großer Gefühlsleser sein, um den zufriedenen Ausdruck in Michaels Gesicht zu erkennen.