Wunder über Wunder. Oder soll ich mich gar nicht mehr wundern?
Erstes Wunder: Meine Bienen. Warum habe ich an ihnen gezweifelt, als sie vor gut drei Wochen ausflogen? Warum befürchtet, sie könnten ihre erste Brut zu früh legen, so dass sie dann zu viele verlieren? Sie haben mich wieder mal eines Besseren belehrt. Die Stockkontrolle heute früh zeigte: Nur in dreien sind erste Bienen kurz vor dem Schlüpfen, und das geschieht nur bei den robustesten Völkern. Bei denen mit einem guten Vorrat, die – man könnte es so sagen – gut gewirtschaftet haben über den Winter. In den anderen setzte die Bruttätigkeit erst nach und nach ein, so dass ich nun denke, sie werden alle gesund und voller Tatkraft in den Frühling starten.
Und dann das zweite Wunder, gestern Abend. Da saß einer vor der Tür, verwildert könnte man sagen, einen schmutzigen Rucksack geschultert, die Schnürbänder an den dünnen Segeltuchschuhen (er belehrte mich später: Chucks heißen die) ausgefranst, die Hose zerrissen (das trägt man wohl so, aha). Jedenfalls, die Hauptsache an diesem Jungen ist: Er ist ein Zeidler, Carls Neffe, Sohn seines Bruders, der ein gutbürgerliches und wohlsortiertes Leben im Rheinland führt, aus dem der Junge nun ausgebrochen ist. Er erzählte mir das alles bei einem Teller Suppe, zu dem er drei trockene Brötchen verschlang. Schule abgebrochen, keine Ausbildung, keinen Bock auf nichts, da ist ihm wohl die alte Tante im Norden eingefallen. Viel konnte ich ihm nicht aus der Nase ziehen am Abend (und jetzt schläft er noch, zur Mittagsstunde!), habe aber mit seiner Mutter telefoniert, die hat die Lücken gefüllt. Er will nicht mehr zur Schule, gar nichts will er. »Ja, und was soll ich nun mit ihm machen?«, fragte ich sie. Da hörte ich Ina seufzen, sie wisse es doch selbst nicht so genau.
Gerade hörte ich ihn im Haus und ging rein. Er stand in der Küche und versuchte sich einen Kaffee zu kochen. Da habe ich ihm mal geholfen, und dabei unterhielten wir uns ein bisschen. Schule will er nicht, muss er ja auch nicht, habe ich ihm gesagt. Er ist seit ein paar Monaten achtzehn, eigentlich kann ihm keiner mehr was sagen. Ich ahne, Carl hätte ihm eine Menge zu sagen gehabt, aber nun ja.
Ich habe ihm angeboten zu bleiben, eine Zeit lang zumindest. Dann aber muss er auch mitarbeiten, ohne geht’s nicht. Ich füttere keinen durch, der sich nur bedienen lässt. Wenn er das sucht, soll er heim zu seiner Mutter.
Wir einigten uns, dass wir’s miteinander probieren. Ich schlug ihm vor, die Stunden, die er arbeitet, zu vergüten. »Sieben pro Stunde«, sagte ich, und er starrte mich an. »Euro oder D-Mark?«
Also bitte. So senil bin ich nun auch wieder nicht, dass ich ihm D-Mark anbiete. An die Währungsumstellung habe selbst ich mich mittlerweile gewöhnt.
Also sieben Euro pro Stunde. Na, mal sehen, ob er überhaupt fürs Arbeiten taugt. Gerade ging ich durch den Hausflur – ich habe ihm das Gästezimmer gegeben – und ein süßlicher Rauch zog herunter. Muss ich noch ein ernstes Wort mit ihm reden. Rauchen im Haus geht mal gar nicht.