Ach, es ist ein Kreuz mit der Arbeit. Und alles hängt an mir. Carl, du fehlst. Aber das sage ich schon seit letztem Herbst, und seitdem fällt mir nichts Besseres ein, als zu jammern. Ich könnte mir ja Hilfe suchen. Nachdem Tom abgehauen ist, habe ich aber auch was das angeht alle Hoffnung verloren.
Also allein weiter. Die Sommertracht. Regelmäßige Stockkontrolle. Es geht den Völkern gut, die Ernte war dieses Jahr reichhaltig. Aromatisch. Sie haben viel Raps gefunden, das mögen die Leute. Ich hoffe auf die späte Tracht, dann vielleicht wieder Lindenblüte?
Außerdem habe ich die Werkstatt umgebaut. Ich habe ein paar Rezepte im Kopf, die ich ausprobieren möchte. Honig ist schön und gut, auch die Wachskerzen verkaufen sich recht anständig auf den Weihnachtsmärkten, aber übers Jahr hinweg ist das zu wenig. Ich möchte mehr anbieten können. Seifen. Eine Brandsalbe auf Honigbasis. Honigbonbons? Es gibt so viele Möglichkeiten. Man muss sie nur ausprobieren. Leichter wär’s, wenn jemand hier wäre, mit dem ich über all meine Ideen reden könnte. Der sie abklopft oder mir den Vogel zeigt, wenn es Quatsch ist, was ich mir da ausdenke.
Merke: Imkern sollte kein einsames Geschäft sein. Nichts sollte man allein machen müssen, eine zweite Stimme schadet nie. Ich hätte mir gewünscht, dass Tom diese zweite Stimme wird. Sicher. Er ist sehr jung, unerfahren, nicht so zuverlässig, wie ich es mir wünschen würde. Und ja, ich geb’s zu – seine Ansichten, seine Meinung, das alles stößt mich vor den Kopf, weil ich im ersten Moment denke, er hat doch keine Ahnung, woher soll er wissen, wie man mit einer Imkerei sein Brot erwirbt?
Und das ist der Punkt. Er hat keinerlei Erfahrung, aber mit allem, was er sagt und denkt, bringt er neue Impulse. Und ich habe zu spät gemerkt, wie gut mir das im Grunde tut, wenn er mich zum Nachdenken bringt. Das macht mich auch zu einer besseren Imkerin.
Vielleicht habe ich nicht gut genug aufgepasst, vielleicht habe ich es drauf ankommen lassen, weil Tom mir so viel reingequatscht hat. Als Blau-4 vor drei Wochen plötzlich schwärmte, habe ich sie ziehen lassen, die Königin und ein großer Teil ihres Volks sind fort. Ich hoffe, sie haben ein schönes Plätzchen gefunden. Der Stock war danach so erschreckend leer. Ich hätte eine der bestellten Königinnen reinsetzen können, habe dann aber darauf verzichtet. Die Königinnen waren schon anderweitig verplant, und ich wollte sehen, was passiert.
Wenn eine Königin schwärmt, nimmt sie viele Arbeiterinnen mit – zwei Drittel der Population, heißt es. Erstaunlich ist, was danach im Stock passiert, denn eine der Arbeiterinnen – eine Ammenbiene, sonst dafür zuständig, dass sie die Larven füttert und pflegt – legt Eier. Verrückt, nicht wahr? Wie das wohl im Bien bestimmt wird, wer da nun die Weiselzellen baut und wer die Eier ablegt, also vorher von den anderen Bienen mit Gelée Royale gefüttert werden muss …? Die Mysterien eines Bienenvolks sind so zahlreich. Und auch wenn Carl mir so viel beigebracht hat – alles weiß ich noch immer nicht.
Blau-4 wird also überleben – und vielleicht ist das Verschwinden der alten Königin nicht nur der natürliche Lauf der Dinge, sondern gar notwendig, damit das Volk gestärkt aus dieser Krise hervorgehen kann.
Ich werde das beobachten. Und ich hoffe sehr, dass schon bald die erste Königin schlüpft. Die Königin ist tot – lang lebe die Königin!