6. September

Es ist schlimm. Richtig, richtig schlimm.

Ich ärgere mich maßlos. Wo habe ich nicht aufgepasst? Welche Anzeichen übersehen? Nach der Ernte im Juli dachte ich, alle Zeichen stünden gut für einen friedlichen Spätsommer, in dem meine Bienen sich in aller Ruhe auf den Winter vorbereiten könnten.

Aber nun sitze ich hier und heule, weil ich fürchte, ich habe alles verloren. Nächste Woche jährt sich Carls Todestag. Ich dachte, ich hätte den Dreh raus, ich käme ohne ihn zurecht. Nein, komme ich nicht.

Es wird noch ein Weilchen dauern, bis ich alles rekonstruiert habe, aber … Ach, ich war so dumm.

Schon im Frühsommer hätte ich draufkommen können. Es sind einfach zu viele Königinnen geschwärmt, ich war ja manchmal schon zweimal oder dreimal pro Woche draußen und habe sie wieder eingefangen. Und als ich im Juli bei der Stockkontrolle eine Königin fand, auf der eine ausgewachsene Varroamilbe saß? Da dachte ich noch, es wird schon nicht so schlimm sein. Zumal die Arbeiterinnen auf mich einen gesunden Eindruck machten. Keine verkümmerten Flügelchen. Dachte ich. Denn offenbar hat die Varroa trotzdem gewütet, von mir unbemerkt.

Ich bin keine gute Imkerin. Ich hätte es sehen müssen. Dabei habe ich es gesehen, wenn ich ehrlich bin.

Einige meiner Königinnen sind zu schwach, sie sind alt. Ich hätte sie im Frühjahr austauschen müssen, aber ich war zu sehr mit mir selbst beschäftigt und damit, Tom zum Mithelfen anzutreiben.

Ich habe nicht aufgepasst. Schon im August hätte ich mir Sorgen machen müssen, ich habe immer wieder nachgeschaut, mit diesem ungefähren Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Natürlich. Zu viel Drohnenbrut. Wozu um diese Jahreszeit? Nach der Drohnenschlacht im August dürften keine neue kommen; sie wird doch nur gebraucht, damit im Frühling und Frühsommer die jungen Königinnen auf ihrem Hochzeitsflug begattet werden. Und danach das alljährliche Massaker zum Ende des Bienenjahrs, mit dem die Völker ihre Drohnen töten, damit es über den Winter keine unnützen Esser gibt. Männer braucht’s da nicht bei den Bienen, die Königin ist sich selbst genug mit ihren Wintermädchen.

Ich dachte wohl, es sind ältere Königinnen. Aber nun erlebe ich, wie die Arbeiterinnen sich in andere Völker einbetteln, sie tun es von sich aus und nicht, weil ich die Völker zusammenlege. Das ist fatal, denn wenn sie aus bereits betroffenen Völkern kommen, in denen die Varroa seit Längerem wütet, tragen sie die Milbe in meine letzten gesunden Völker.

Ich habe in den letzten Tagen nichts gemacht, außer alle Völker, wirklich alle, mit Ameisensäure zu behandeln. Ich weiß, damit schade ich auch den Bienen; sie verbrennen sich ihre zarten Flügel an den Dämpfen, und wenn ich nicht vorsichtig war, werden die Königinnen ebenso in Mitleidenschaft gezogen. Es ist ein einziges Durcheinander. Jede Beute, die ich öffne, birgt eine Überraschung. Oder mehrere. Hier neu angelegte Weiselzellen, aus denen sie eine junge Königin ziehen wollen. Dort noch mehr Drohnenbrut, die ich rigoros entferne. Zwei Völker haben ihre Königin verloren. Eine Hiobsbotschaft nach der nächsten, und ich kann von Glück reden, wenn von den vierzig Völkern, die ich bis vor wenigen Wochen noch stolz mein Eigen nannte, vielleicht fünfundzwanzig oder dreißig bleiben.

Manche Völker sind noch gesund. Ich traue mich fast nicht, die Arbeiterinnen der Völker ohne Königin sich dort einbetteln zu lassen, aber was bleibt mir? Ich muss es wagen, und wenn ich alles verliere …

Ja, was dann? Ich kann nichts anderes, habe nie etwas gelernt außer das Imkern. Und selbst darin bin ich eine Versagerin, sagen wir’s, wie’s ist.

Es tut mir leid, Carl. Es tut mir so leid, dass ich dein Vermächtnis nicht besser bewahren konnte.