Kapitel 14

»Wird das jetzt häufiger vorkommen?«, erkundigte sich Alix, als Bea am nächsten Vormittag bei ihr auf der Matte stand.

»Wenn du nicht so schnippisch wirst, schon.«

Alix grinste. »Komm rein, du Zicke.«

»Selber.«

»Ich habe wenigstens eine Entschuldigung.« Alix trat beiseite und ließ Bea in die Küche. Auf der Bank saß Tante Barbara mit Loki auf dem Schoß, der Kater reckte sein schwarzes Näschen Richtung Lebkuchen, die auf einem Kuchengitter auf dem Tisch auskühlten. Auf dem Herd schmolz Kuvertüre in einem Wasserbad.

»Ihr habt mit der Weihnachtsbäckerei begonnen.« Fast wäre Bea neidisch geworden. Aber nur fast. Was sie vorhatte, war so viel spannender als Spritzgebäck und Kokosmakronen!

»Wir teilen nicht«, bemerkte Tante Barbara.

»Sei nicht so.« Alix gab sich friedfertig. »Also, was brauchst du?«

»Hast du noch ein paar Utensilien für mein kleines Creme-Experiment?«, fragte Bea, bevor sie der Mut verließ.

Nach einem ausgiebigen Frühstück im Bett hatte Tom sich wieder an die Arbeit gemacht und behandelte die verbliebenen Beuten mit Oxalsäure. Weil Bea nicht die ganze Zeit neben ihm stehen wollte, hatte sie beschlossen, sich um die Erweiterung seiner Produktpalette zu kümmern.

Das war allemal sinnvoller, als sich nur die Beine in den Bauch zu stehen, während er zunehmend grimmig wurde. Sie wusste, wenn er mit der Arbeit fertig war, würden sie beide eine Aufmunterung brauchen.

»Dann komm mal mit. Ich müsste sonst gleich über der Buchhaltung brüten, mir ist heute jede Ablenkung recht.«

»Läuft es nicht gut?«, fragte Bea besorgt.

Alix lachte. »Doch, bestens. Papierkram war früher immer meine Lieblingsbeschäftigung. Seit ich hier lebe, ist er mir aber herzlich egal, das könnte gern jemand anderes übernehmen.«

Noch so ein Punkt, den sie bei Tom ansprechen müsste. Denn bisher hatte Bea nirgends Papierkram gesehen. Wo lagerte er seine Unterlagen? Unter der Matratze?

Dort hatte sie heute früh noch nicht nachgeschaut – aus verständlichen Gründen, denn sie waren mit anderen Dingen beschäftigt, nachdem sie Bud Spencer vor die Tür gesetzt hatte.

Eins nach dem anderen, ermahnte sie sich. Was die Buchhaltung der Imkerei anging, dem konnte sie sich immer noch widmen, wenn die Cremes fertig waren und für den Verkauf funktionierten.

Außerdem war Tom mindestens genauso bewandert im selbstständigen Arbeiten wie sie. Zumindest nahm sie das an.

»Ich habe dir doch von den Cremes erzählt, die ich mal ausprobieren will … Ich bräuchte jetzt noch ein bisschen Zubehör dafür.«

Alix hob die Augenbrauen. »Wozu machst du die eigentlich?«

Die Antwort auf diese unvermeidbare Frage hatte sich Bea bereits vorher zurechtgelegt.

»Ich helfe einem Freund. Er will seine Produktpalette um Kosmetik auf Basis von Honig, Wachs und Propolis erweitern.«

Alix nickte nur. Sie führte Bea über den Hof zum ehemaligen Schweinestall und sperrte die Tür auf. Das Deckenlicht flackerte auf. »Ich schaue mal, was ich dahabe.«

Alix gab ihr die Liste zurück, die Bea anhand der Rezepte in Margarete Zeidlers Journal zusammengestellt hatte. Leider waren manche Angaben eher kryptisch gewesen, weshalb sie mehr oder weniger hatte raten müssen. Offenbar konnte Alix damit aber etwas anfangen. Sie holte einen leeren Karton aus der Reifekammer und begann, in ihren Schränken zu kramen und ihn mit Schüsseln, einer Plastikkanne, Spateln und mehr zu befüllen.

»Dieser Freund … Das ist dieser nette, überaus gutaussehende Holzfällertyp von Zeidlers Bienenschwarm, oder? Woher kennt ihr euch?«

Bea spürte, wie sie rot wurde. »Das weiß ich selbst nicht so genau«, sagte sie, weil es ihr peinlich war, zugeben zu müssen, dass sie sich Tom für ihre Verhältnisse förmlich an den Hals geworfen hatte.

Inzwischen war sie von dreierlei überzeugt. Erstens: Margarete Zeidler hatte ihr das Journal zugespielt, damit sie Tom näher kennenlernte. Zweitens: Sie hatte vielleicht sogar darauf spekuliert, dass ihr Neffe und ihre Ärztin gut miteinander auskommen würden. Drittens: Nichts daran fand Bea irgendwie unangenehm. Nur halt ein bisschen peinlich, dass die alte Imkerin sich im Nebenfach als Kupplerin betätigt hatte und die Sorge zweier Menschen um ihr Wohlergehen so schamlos ausnutzte.

»Ach, ist ja auch nicht wichtig.«

Alix summte fröhlich vor sich hin und zeigte Bea, was sie im Karton zusammengestellt hatte.

»Das Olivenöl hast du gestern ja schon mitgenommen, aber ich habe noch mehr Döschen gefunden. Willst du die auch haben?«

»Klar, danke.«

Sie spürte, wie diese neue Aufgabe sie in ihrer Komplexität zu überwältigen drohte. Himmel, sie machte das ja neben ihrer normalen Arbeit. Am Wochenende die Bienen behandeln, die Rezepte raussuchen und mit Tom Pläne schmieden. Cremes rühren und abfüllen. Sie wusste, dass er sich unter der Woche um die Kerzenproduktion kümmern wollte. Es gab so unfassbar viel zu tun, bis er am nächsten Wochenende wieder auf einem Weihnachtsmarkt stand. Und dann war Weihnachten nicht mehr weit. Dieses Jahr war es so früh winterlich kalt geworden, dass Bea das Gefühl bekam, das Alte Land sei in einem ewigen Eis gefangen.

Für die Bienen war das gut, hatte Tom ihr erklärt, denn erst bei Frost stellten die Königinnen ihre Legetätigkeit zuverlässig ein. Nur so hatten sie eine Chance gegen die Varroa. Solange die Königinnen nicht neue Eier legten, konnten auch die Milben sich in der verdeckelten Brut nicht vermehren.

Und Bea … ach, sie hätte am liebsten auch Winterruhe gehalten, hätte sich eingerollt und ganz klein gemacht. Auch jetzt war da noch diese Müdigkeit tief in ihrem Innern, die selbst die Wärme am Kachelofen oder Toms Umarmung nicht zu vertreiben vermochte.

Aber zugleich hatte sie sich lange nicht mehr so lebendig gefühlt. So richtig. Ein bisschen hatte sie von diesem Gefühl kosten dürfen, als sie vor einigen Monaten die Stelle als Chefärztin angetreten hatte, aber das hatte sich rasch im Klinikalltag abgeschliffen, in den vielen Überstunden, die sie allein in ihrem Büro saß oder von einem Termin zum nächsten hetzte, ohne Pause oder Snack. Kein Wunder, dass sie irgendwann dieses Gefühl beschlich, dass nichts von dem, was sie machte, genug war.

Tom aber gab ihr dieses Gefühl zurück. Sie war genug.

»Ich schau mal, was ich noch habe. Ansonsten kann ich die Sachen für euch beim Großhändler bestellen.«

Bea nickte. Sie nahm ihrer Schwester den Karton ab und trug ihn zum Auto.

»Ich bin nicht krank, nur schwanger«, bemerkte Alix überflüssigerweise, denn ihr Bauch schien jedes Mal, wenn sie sich sahen, schon wieder gewachsen zu sein.

»Und du siehst wunderschön aus«, sagte Bea, obwohl sie fand, dass ihre Schwester irgendwie müde wirkte.

Alix’ Lächeln geriet etwas schief. »Ich fühle mich nicht so«, gestand sie.

»Doch, bist du. Deine Superheldinnenkraft? Du machst kleine Menschen.« Sie stellte den Karton auf die Motorhaube ihres Wagens und tastete nach dem Autoschlüssel.

Erst wusste Bea nicht, wie ihr geschah, als Alix ihr plötzlich um den Hals fiel; Gefühlsausbrüche dieser Art war sie von ihrer Schwester nicht gewohnt. Vielleicht nicht, weil sie selbst immer sorgfältig darauf achtete, dass ihr niemand zu nahekam.

»Das hast du toll gesagt«, flüsterte Alix dicht an ihrem Ohr. Dann war sie schon wieder von Bea abgerückt, gerade so, als wäre es ihr peinlich. Sie schniefte und wandte sich kurz ab.

»Hey«, sagte Bea. »Alles okay bei euch?«

Alix nickte erst leicht, dann heftiger, als müsste es doch wahr sein, wenn sie es nur genug wollte. »Ich bin so müde«, räumte sie dann ein. Ganz leise, als wäre diese Art Schwäche nicht zulässig.

»Kein Wunder«, sagte Bea. Sie stellte den Karton in den Kofferraum. »Du leistest so viel, Schwesterchen.«

»Ach, findest du?« Alix’ Stimme klang belegt. »Kommt mir gar nicht so vor. Du hast doch immer gesagt …«

Ja. Bea wusste, was sie immer gesagt hatte. Dass Alix ihr Talent verschwendete.

Aber sie verstand nun allmählich, warum ihre Schwester das tat. Erlebte sie doch selbst, wie die Bienen ihr ein anderes Leben zeigten.

Und Tom. Vor allem Tom.

Sie atmete tief durch. Das, was sie jetzt sagen wollte, war wichtig, und sie wollte es auf keinen Fall vermasseln. »Ich weiß, was ich früher behauptet habe. Du würdest dein Talent verschwenden. Solltest Medizin studieren. Das tut mir leid, Alix. Es war falsch von mir.«

Ihre Schwester hatte die Arme vor der Brust verschränkt und hörte ihr aufmerksam zu.

»Ich wusste doch selbst nicht, was richtig ist. Dass Medizin so gut zu mir passt, war vielleicht einfach Glück. Und du hattest gar doppeltes Glück: Erst erfolgreich als Parfümeurin, und nun hast du dich selbst neuerfunden. Bewundernswert. Du darfst müde sein. Du hast ein Unternehmen gegründet, vor gerade mal einem Dreivierteljahr deine alte Lebensgrundlage verloren und bist mit Zwillingen schwanger. Sogar Wonder Woman wäre müde, und niemand könnte es ihr verübeln.«

»Bist du jetzt fertig?«, fragte Alix leise.

»Entschuldige. War das zu viel?«

Ihre Schwester lachte. »Nein, gar nicht. Oder doch, irgendwie schon. Ich bin das nicht von dir gewohnt, dass du lobst.«

»Mh«, machte Bea. »Vielleicht haben sich die Umstände geändert.«

»Vielleicht hast du dich auch geändert.«

Sie umarmten sich zum Abschied, und das fühlte sich erstaunlich gut und vor allem richtig an.

Ich sollte das häufiger machen, dachte Bea, als sie wieder im Auto saß. Nette Dinge zu den Menschen in ihrem Leben sagen. Weil sie es konnte. Weil es nichts kostete. Weil es allen guttat.

So einfach war das?, überlegte sie. Was Nettes sagen, und schon war der Tag etwas heller?

Wie zur Bestätigung brach die Sonne hinter den Wolken hervor, die schon den ganzen Tag schwer und düster über dem Hamburger Umland hingen. Sie schaltete das Radio ein und sang leise mit, ohne den Text zu kennen.

* * *

»Ich habe uns was mitgebracht!«, begrüßte sie Tom. Er stand in seiner Werkstatt am Tisch und bereitete das Wachsgießen vor. Mit den Behandlungen war er offensichtlich fertig, die leere Flasche lag im Eimer, in dem sie die Oxalsäure angerührt hatten.

»Meine Schwester hatte fast alles da, was wir für die Kosmetika brauchen. Ich kann gleich anfangen.«

Er hob den Kopf, als sie den Karton auf die Arbeitsplatte schob. »Schön«, sagte er knapp. »Wo willst du das machen?«

»Na ja, hier?« Sie schaute sich um. Wenn er seine Oxalsäure wegräumte, wäre mehr als genug Platz, dass sie sich mit der Feinwaage und den verschiedenen Behältern und Zutaten ausbreiten konnte. Dank Deckenlicht und Bullerjan wäre es hell und warm genug, sie konnte bis spätabends werkeln.

»Sie hat mir auch die hier mitgegeben.« Sie holte aus dem Karton eines der Döschen, die Alix ihr überlassen hatte. Ursprünglich hatte ihre Schwester geplant, so verpackt Haarseifen anzubieten, aber bisher war sie nicht dazu gekommen. »Die gibt’s auch in etwas kleiner für den Lippenbalm, aber die bekomme ich erst Ende der Woche.«

»Hier ist kein Platz dafür«, murrte er.

»Aber …«

»Bitte, Bea. Ich muss Kerzen gießen. Wo soll ich das deiner Meinung nach machen? In der Küche drüben im Haus? Du weißt, wie es da aussieht.«

Sie starrte ihn mit offenem Mund an. Was war denn plötzlich mit ihm los? Als sie vor einer Stunde zu ihrer Schwester gefahren war, hatte sie noch das Gefühl gehabt, Tom und sie würden an einem Strang ziehen, sie wären gemeinsam stark für seine Imkerei. War das nicht ihr Plan gewesen?

Und die Nacht davor? Was passierte hier gerade? Dachte er etwa, dass es ein Fehler gewesen war?

Dann sollte er das einfach aussprechen und nicht seine miese Laune vor sich hertragen, gerade so, als wäre allein ihre Gegenwart für ihn eine Belastung.

Sie hatte sich das so schön ausgemalt. Wenn sie ein paar Dienste tauschte und im Dezember zusätzlich versuchte, ein paar Überstunden abzubauen, könnte sie Tom problemlos zur Hand gehen. Am kommenden Wochenende war der nächste Adventsmarkt – es blieben nunmehr drei bis Weihnachten –, und sie wollte ihn unterstützen, wo es nur ging.

»Ich habe nachgedacht«, sagte Tom. »Und ehrlich – deine Mitarbeit freut mich total. Aber ich glaube, ich schaffe das auch ohne dich.«

Bea ließ die Hände sinken. Gerade hatte sie noch eine Überraschung hervorzaubern wollen: Tannenzweige, aus denen sie mit getrockneten Orangenscheiben, Zimtstangen und Kiefernzapfen kleine Gestecke binden wollte. Alix hatte sie auf die Idee gebracht und auch gleich ein paar Zweige Tannengrün vom Kranzbinden zur Hand gehabt. Die von Tom gegossenen Kerzen würden sich perfekt darin machen!

»Oh«, sagte sie leise. »Ist das so?«

»Du hast mir schon so geholfen. Und hast doch deinen Job, der ist so viel wichtiger als meine Bienen. Wir schaffen das auch ohne dich.«

Sie ließ die Zweige zurück in den Karton fallen. Fühlte sich vor den Kopf gestoßen. »Ja, dann«, sagte sie leise.

»Es gibt doch so viele, denen es wie Tante Grete geht. Die brauchen dich. Nicht ich.«

»Bist du jetzt fertig?«, fragte sie.

Er schüttelte grimmig den Kopf.

»Willst du wirklich, dass ich gehe?« Ihr schnürte sich der Hals zu. Er schickte sie fort. Das konnte ja nur eines heißen: dass er dachte, die vergangene Nacht sei ein großer Fehler.

Tom drehte sich zu ihr um. »Du musst dich entscheiden, Bea«, erklärte er ernst. »Was erwartest du vom Leben? Dass es einfach ist? Gut. Dann bleib bei deinem Krebs, der ist ein klar definierter Gegner, und du bist gut darin, gegen ihn zu kämpfen. Oder willst du etwas anderes vom Leben? Willst du etwas für dich erreichen? Etwas, das über die Befriedigung hinausgeht, wieder ein Leben gerettet zu haben?«

»Aber …«

»Nein, sag es mir. Dieses Leben, das ich führe, ist kein leichtes. Du siehst, was es mit mir macht. Und ich verliere vielleicht gerade alles, dann gibt es diese Bienenromantik nicht länger, die dich so anzieht.«

»Willst du denn, dass ich aufgebe?«, rief sie verzweifelt.

»Nein!«, schrie er. Hielt inne, er merkte wohl selbst, dass er übers Ziel hinausschoss. Mit beiden Händen fuhr er sich durch die Haare. »Nein, verdammt. Ich will doch nur, dass du die richtige Entscheidung für dich triffst.«

»So. Und du meinst, wenn ich mich für dich entscheide, für dein Leben …« Bisher hatte sie ja nicht mal einen Gedanken daran verschwendet, dass dieses Leben etwas war, für das sie sich bewusst entscheiden konnte oder zu diesem Zeitpunkt musste. Eine Nacht, verflixt! Mehr nicht! Konnten sie nicht beide einfach nur genießen, was war? Abwarten? Es auf sich zukommen lassen?

»Es gibt hier kein Leben, für das du dich entscheiden könntest, Bea.«

Das klang sehr endgültig. Sie hätte gern gefragt. Was wird aus uns? Was wird aus dem, was wir heute Nacht waren? Ist das auch vorbei?

Ihr war das Herz zugeschnürt und der Mund wie verklebt. Sie biss die Zähne zusammen, versuchte diese Frage zu verdrängen, damit sie nicht aus ihr herausbrach, denn wer fragte, bekam ja Antworten, und sie wusste nicht, ob sie diese Antworten tatsächlich aushielt.

»Okay«, sagte sie leise. Sie schluckte schwer.

Es tat weh. Er schickte sie weg, und sie konnte gar nicht anders – sie dachte nur daran, wie sehr das schmerzte.

* * *

Sie ging. Ihr Hund sprang neben ihr her, er hüpfte und streckte sich, um ihre Hand mit der Schnauze zu berühren. Tom vergewisserte sich, dass sie in ihr Auto stieg und davonfuhr.

»Du bist so ein jämmerlicher Feigling«, murmelte er. Dann schloss er die Tür zu der Werkstatt und machte sich wieder an die Arbeit.

»Wer war das?«

Die Tür wurde aufgestoßen, ein Schwall kalter Luft drang herein.

Tom drehte sich nicht um, konzentrierte sich stattdessen darauf, die letzten Kerzenformen mit Wachs zu füllen. »Ach, niemand.«

»Wieder diese Nachbarin?«

Er spürte Dana direkt hinter sich. Sie schmiegte sich an seinen Rücken, und eine Hand kroch unter seinen Pullover, berührte ihn am Bauch.

»Eine Bekannte.«

Es fühlte sich wie Betrug an. Dass er nicht sagte, was Sache war, sondern lieber schwieg.

Tom redete sich ein, dass er Bea damit schützte. Vor Dana und ihren Angriffen. Ihrem Talent, jede andere Frau schlechtzureden.

Dana zog die Hand zurück, gerade so, als spürte sie, dass seine Bemerkung nicht der ganzen Wahrheit entsprach. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Arbeitsplatte und strich sich die dunkelroten, langen Haare mit beiden Händen aus dem Gesicht.

»Pass auf«, murrte er. Ein Frauenhaar wollte er nur ungern in die Kerzen gießen.

»Woher kennst du sie?«

Wenigstens da konnte er bei der Wahrheit bleiben. »Sie ist die Ärztin von Tante Grete.«

»Und warum war sie schon wieder hier? Ich dachte, sie hat letztes Mal nur den Honig abgeholt?«

Er seufzte.

Aber so war Dana. Neugierig, gewitzt, ein kleines bisschen neurotisch – und leider bei alldem verdammt liebenswert. Seit fünf Jahren führten sie etwas, das beide nur in schwachen Momenten eine Beziehung nannten und das immer wieder aufflackerte. Besonders dann, wenn Dana glaubte, Tom wolle sich gänzlich von ihr lösen, reagierte sie meist mit einer doppelten Attacke – einer an ihn gerichteten Charmeoffensive, gepaart mit einem ziemlich hässlichen Verhalten der Frau gegenüber, der er eventuell sein Herz schenken wollte.

Und bisher hatte er jedes Mal früher oder später erkannt, dass sie recht hatte. Dass sie zusammengehörten. Er passte nicht zu der Investmentfondsmanagerin Nadya, auch nicht zu der veganen Verlagslektorin Liz und schon dreimal nicht zu der Musicalsängerin Rena, die schon morgens um halb sieben ihre Tonleitern sang.

Keine dieser Frauen passte zu ihm. Das dachte zumindest Dana, seine beste Freundin. Oder auch Freundin »mit Benefits«, wie sie das gerne bezeichnete. Er wusste selbst nicht so genau, wie er das nennen würde. Bea gegenüber hatte er von einer »alten Freundin« gesprochen, und je länger er darüber nachdachte, umso mehr entsprach es genau dem, was er für Dana empfand. Die Sache mit Dana war für ihn seit letzter Nacht endgültig vorbei. Und als er heute früh zu den Bienen ging, hatte er sich fest vorgenommen, ihr das bei nächster Gelegenheit mitzuteilen.

Er hatte auch geglaubt, er hätte noch Zeit, denn vor ihrem Besuch Anfang der Woche hatte sie sich monatelang gar nicht bei ihm gemeldet. Warum sollte sie jetzt so schnell wieder auftauchen?

Aber das war Dana. Unberechenbar.

Bisher war es ihm ganz recht gewesen, wenn sie für ihn da war – ohne Forderungen, ohne Verpflichtungen. Manchmal war sie auch nicht da, und dann vermisste er es weniger, dass sie nachts dicht aneinandergekuschelt schliefen, sondern eher ihren Humor, ihre anpackende Art und die geradezu schmerzhafte Ehrlichkeit. Sie hatte ihn im Sommer davon überzeugt, dass er hierhergehörte. Und das nicht nur, weil sie selbst in Berlin lebte und sie sich deshalb häufiger sahen, als wenn er weiter wie ein moderner Nomade alle paar Monate seinen Jobs über den Kontinent und darüber hinaus nachzog.

Und so vertrieb sie meist früher als später jede andere Frau – einfach weil sie da war. Weil keine Frau anders konnte, als sich mit dieser geballten Power zu vergleichen. Und dann hatten sie sich alle irgendwann zurückgezogen.

Aber Bea sollte das nicht. Und weil er wusste, dass Dana wie ein Frühlingssturm war – erst warm und tröstend, voller Sonnenschein und Fröhlichkeit, nur um kurz vor dem Abschied ihm doch noch einen schmerzenden Stich zu versetzen –, wartete er. Lange konnte es nicht dauern.

»Nun? Was sucht Tante Gretes Ärztin hier?« Dana ließ nicht locker. »Läuft da was?«

Sie lächelte, nahm der Frage damit die Schärfe. Aber wem machte sie etwas vor? Sie wollte Tom weiter für sich haben. Es gab keinen Platz zwischen Dana und Tom. Auch wenn sie reichlich Platz ließ, sobald sie wieder mal verschwand.

»Das geht dich nichts an«, erklärte er.

Sie erstarrte mitten in der Bewegung. Ließ von ihm ab, sie trat zwei Schritte zurück.

Das hatte er so noch nie zu ihr gesagt. Bisher hatte er sich immer auf dieses Geplänkel eingelassen, hatte freimütig erzählt, was die andere ihm bedeutete. Aber nein, diesmal nicht. Bea schützte er. Weil er wollte, dass es etwas bedeutete. Dass es blieb, nicht nur für ein paar Wochen oder Monate.

Komisch. So etwas war ihm nie passiert. Aber vielleicht war das jetzt eben so – er kam nicht nur in seinem Leben als Imker an, sondern er merkte auch, was wirklich zählte.

Wer zählte.

Er konzentrierte sich aufs Wachs. Dana nahm eine der kleinen Wachsbienen, die er später in die gegossenen Bienenkorbkerzen stecken wollte. Bevor er sie davon abhalten konnte, hatte sie ihr die zarten Wachsflügel ausgerissen.

»Lass das«, sagte er ärgerlich. »Die kosten Geld.«

»Ach ja. Das Thema schon wieder.« Sie legte die Flügel und die flügellose Biene nebeneinander auf die Arbeitsfläche.

Tom seufzte. »Wann reist du wieder ab?«, fragte er.

»Sei doch nicht so empfindlich.«

Er schwieg verbissen und widmete sich weiter den Kerzen. Eigentlich hatte er keine Lust mehr auf die Arbeit, und wäre Dana nicht, hätte er alles stehen und liegen gelassen.

Wäre Dana nicht, könnte er mit Bea Kaffee trinken, Pläne schmieden und sich über den goldenen Kerzenschein einer gerollten Bienenwachskerze hinweg vorsichtig anlächeln. Sie könnten die Köpfe zusammenstecken, einander berühren, sie könnten noch mal ins Bett gehen und den Hund vor dem Schlafzimmer aussperren …

Ja, das hätte ihm gefallen.

»Ich frage nur, weil ich die Märkte vorbereiten muss«, sagte er.

»Ja, ich habe schon gemerkt, dass du wenig Zeit für mich hast.« Dana schwang sich auf den Arbeitstisch und warf dabei fast die Kerzengussformen um. »Aber sei ganz unbesorgt. Morgen geht’s heim zu Mann und Kind.«

Er atmete auf.

Wenn Dana morgen heimfuhr, konnte er Bea anrufen und sich entschuldigen, weil er sich heute wie ein Idiot benommen hatte. Und es ihr erklären.

Er hoffte, sie hörte ihm dann auch zu.

»Ich möchte nicht, dass du wiederkommst«, hörte er sich sagen.

Darauf sagte sie erst mal nichts. Tom sah sie an. Sie schaute zurück, ihre dunkelbraunen Augen so unergründlich wie immer. Dann lächelte sie zaghaft. »Okay«, sagte sie sanft. So zahm, dass er dem Frieden nicht traute.

»Wirklich?«, fragte er.

»Ja klar.«

Okay, das war einfacher als gedacht.

»Ich habe schließlich Familie. Ich muss das hier nicht machen. Es war schön, aber … Na ja. Schön eben.« Sie sprang vom Tisch und legte den Arm um seine Hüfte, ihr Mund war dicht an seinem Ohr. »Ist es wegen der Ärztin?«, flüsterte sie.

Tom erstarrte.

»Ist schon okay. Sie macht auf mich einen netten Eindruck.«

Die Tür schlug hinter ihr zu. Er trat ans Fenster. Sie überquerte den Hof, betrat das Haus. Licht flammte auf, erst im Wohnbereich, dann oben in seinem Schlafzimmer.

War das alles? Packte sie etwa ihren Koffer?

Tom ließ alles stehen und liegen und ging ihr nach.

Das war zu einfach. Seit Jahren waren sie wie aneinandergekettet, und jetzt ließ sie ihn einfach so gehen? Nur weil er sagte, dass es da eine andere Frau für ihn gab?