»Das nenne ich mal eine Punktlandung.« Zufrieden stellte Tom die Kiste mit den letzten Döschen Lippenbalsam auf den Arbeitstisch in der Werkstatt. Bea folgte ihm mit einer ähnlich leeren Kiste, in der nur wenige Gläser ihrer Handcreme hin und her rollten.
Die letzten zwei Wochen hatten ihnen beiden alles abverlangt. Wenn sie an den Wochenenden nicht auf den Weihnachtsmärkten standen und verkauften, verbrachten sie ihre Tage mit dem Mischen neuer Cremes und dem Gießen von Kerzen aus den letzten Wachsresten. Tom hatte einen Großteil dieser Arbeit übernommen, denn Bea musste natürlich noch ihre Arbeit in der Klinik koordinieren. Letztes Wochenende hatte er allein auf den Markt gehen müssen, weil sie Dienst hatte. Und auch dieses Wochenende hatte sie Dienste tauschen müssen, um ihn zu begleiten.
Abends, wenn sie vor lauter Aufregung nicht schlafen konnte, stand sie in der Werkstatt und entwickelte neue Rezepte. Die von Tante Grete waren gut, sehr gut sogar. Aber Bea wollte etwas Eigenes entwickeln, das sie dann für die kommende Marktsaison zertifizieren lassen konnte. Die Rezepte von Toms Tante hatten ihr ein Gespür für die richtigen Ingredienzien gegeben, außerdem befand sie sich inzwischen in einem fast täglichen Austausch mit Alix, die bereitwillig ihr Wissen mit Bea teilte. Doch ihre Schwester musste immer häufiger zugeben, dass sie auf Beas spezielle Fragen keine Antwort hatte. »Du wächst über mich hinaus, Schwesterherz!«, hatte sie beim letzten Mal gescherzt.
»Zufrieden?«, fragte Bea. Sie schmiegte sich an Toms Brust. Er küsste sie auf den Scheitel und hielt sie fest.
»Mehr als das. Wenn wir überleben, verdanke ich das deinem Engagement.«
»Du hast auch ganz schön geschuftet.«
»Ohne dich wäre es nicht gegangen.«
Das ließ sie unkommentiert. Beide waren müde nach diesen Wochen. Welches Paar verbrachte schon die ersten Wochen der Verliebtheit damit, wie die Verrückten zu schuften? Jede freie Minute hatten sie in Zeidlers Bienenschwarm investiert, weil diese Märkte die wichtigste Einnahmequelle für Tom waren.
»Ich schiebe uns ’ne Tiefkühlpizza in den Ofen, okay?«
»Ich räume den Rest weg, sonst trifft dich ja morgen früh der Schlag.«
Sie lächelte, gab ihm einen Kuss auf den Mund und verließ die Werkstatt.
Als sie in der Küche stand und das Feuer im Ofen anfachte, konnte ihr nicht mal das Klingeln ihres Handys die gute Laune verderben.
»Hi Stefan«, begrüßte sie den Anrufer.
»Hey Bea.«
Ihr Verhältnis zu Stefan war seit ihrem plötzlichen Verschwinden aus Valencia nicht mehr ganz so gut wie zuvor. Er hatte sich nach seiner Rückkehr gemeldet, aber sie blieb reserviert. Sie spürte, dass sie mehr Abstand von ihm brauchte. Vor allem aber musste er einsehen, dass er nicht mehr jederzeit über sie verfügen konnte.
Sie blickte nach vorne. Das sollte Stefan auch langsam mal tun, fand Bea.
»Ich wollte fragen, was du an Heiligabend machst.«
»Oh, da habe ich Dienst. Leider.«
»Wie schade. Sehen wir uns dann an einem der Feiertage?«
Bea öffnete das Tiefkühlfach und zog die beiden Pizzen heraus, die sie dort für diesen Abend gebunkert hatte. Mit dem Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt versuchte sie, möglichst geräuschlos die Verpackungen aufzureißen. »Ich glaube nicht«, sagte sie.
»Ach, schade. Hast du was vor?«
»Ja, Stefan, stell dir vor. Wir fahren zu meiner Schwester Alix, meine Eltern kommen, vielleicht auch eine meiner anderen Schwestern.« Sie war müde, deshalb klang sie so genervt.
»Und wann holst du Bud Spencer wieder ab? Er fragt schon nach dir.«
Sie seufzte. Vier Wochen hatte sie den Hund jetzt nicht gesehen, und ja, natürlich vermisste sie ihn. »Können wir das später besprechen?«
»Na klar.« Er klang betont munter, doch Bea ließ sich davon nicht täuschen. Natürlich war er ein wenig gekränkt. Das verstand sie auch, vor ein paar Wochen hatte sie ja selbst versucht, mit ihm eine Freundschaft jenseits ihrer Ehe zu retten.
Irgendwann in naher Zukunft würde sie ihm erzählen, dass sie einen Freund hatte. Dass ihr Leben sich verändert hatte – nein, dass sie sich verändert hatte.
Es fühlte sich gut an. Als wäre sie sich selbst endlich nähergekommen.
* * *
Erster Feiertag, morgens um zehn. Gerade hatte Bea die Übergabe an die Kollegin gemacht. Sie packte ihren Rucksack und wollte ihr Büro verlassen, als sie in der Tür fast mit Carsten Holler zusammengestoßen wäre. Er trug bereits seinen Kittel über dem weißen Polohemd – also hatte er heute Dienst.
»Hoppla«, sagte sie. »Was verschafft mir die Ehre?«
»Ich hab da was läuten gehört«, kam er direkt zur Sache. Bea lächelte. Klar hatte er was läuten gehört, er war ja nicht doof, sondern hielt das Ohr immer am Flurfunk. Und es war kein Geheimnis, dass auf der Onkologie einige Veränderungen anstanden.
»So, hast du das?«
»Notfallmedizin war nie mein Spezialgebiet«, fing er an. »Als Oberarzt war ich auch mal in der Onko.«
»Schon klar«, sagte sie.
»Also stimmt es? Dass du deine Arbeitszeit reduzierst und den Chefarztposten aufgibst?«
»Was du nun wieder alles hörst …«
»Ich frage nur, ob ich zwischen den Jahren meine Bewerbungsunterlagen auf Vordermann bringen soll.«
Bea zuckte mit den Schultern, sie schob sich an ihm vorbei und lächelte. »Tu, was du nicht lassen kannst, Carsten.«
»Wäre es dir recht? Wenn wir zusammenarbeiten?«
»Mir ist alles recht, solange ich in Teilzeit gehen kann«, warf sie über die Schulter. »Frohe Weihnachten, Carsten!« Sie winkte, tänzelte in Richtung Fahrstuhl und nahm dann doch die Treppe.
Auf dem Heimweg summte sie leise vor sich hin. Ach, das war ein gutes Gefühl. Sie hatte darüber in den letzten Wochen immer wieder nachgedacht. Dass sie nicht länger diejenige sein wollte, die sich im Job völlig aufrieb. Warum sollte sie auch? Bei den Bienen, da blühte sie auf – bei ihnen und bei Tom. Und natürlich, niemand gab ihnen eine Garantie, dass es auf Dauer gutgehen würde.
Aber das brauchte sie auch nicht mehr.
Früher hatte sie anders darüber gedacht. Dass Sicherheit im Job, im Privaten, einfach überall … ihr Kontrolle ermöglichte. Über ihr Leben, ihre Beziehungen, darüber, wie sie lebte, was sie dachte. Ihr Vorankommen war klar definiert. Sie wollte mit einem Mann glücklich sein, der mit ihr auf Augenhöhe war. Mit dem sie sich messen konnte. Überraschung: Nicht jeder Mann hielt das aus. Stefan hatte damit offensichtlich Probleme gehabt, anders konnte sie sich sein Verhalten nicht erklären.
Anders Tom. Da waren sie beide ebenbürtig, denn in der Arbeit mit den Bienenvölkern, sagte er, lernte auch er nicht aus, das würde er vielleicht nie. Und er sah ein, wenn sie mit ihrem angelesenen Wissen einen kleinen Vorsprung hatte. Sie zogen an einem Strang, sie kannten nur ein Ziel: Die Bienen heil durch den Winter bringen, die Imkerei vor dem Ruin retten.
Die vergangenen zwei Wochen waren nur ein Anfang. Keine Gewähr dafür, dass es ihnen letztlich gelingen würde, aber ein erster Schritt in die richtige Richtung. Sie machte sich nichts vor: Auch die »alte« Bea, die sie nun langsam abstreifte wie eine Schlange ihre zu eng gewordene Haut, auch die war sie einst gewesen. Aber als sie in diesem Spätherbst bei den Bienen saß oder Cremes mischte, als sie ihre Schwester besuchte und begriff, dass sie sich auch emotional aus der Ehe mit Stefan lösen musste, da hatte sie gemerkt, wie sie über sich selbst hinausgewachsen war. Und nicht immer ging es ihr gut damit, aber das war okay. Das waren diese Wachstumsschmerzen, da musste jede im Leben immer mal wieder durch.
Sie fuhr nicht auf direktem Weg zur Imkerei, sondern machte einen Abstecher auf einen Obsthof, der ein paar Kilometer entfernt zwischen den langen Reihen der Apfelbaumplantage lag.
Hierher hatte sich Margarete Zeidler zurückgezogen. Sie hatte ein Gästezimmer bei einer Freundin bezogen, die sich Tag und Nacht um sie kümmerte, unterstützt von den anderen Freundinnen, die stets wie ein Schwarm Winterbienen um ihre Königin kreisten, mit den Flügeln Wärme erzeugten und keine Langeweile aufkommen ließen.
Erfahren hatte Bea davon, als sie Margarete Zeidler ein zweites Mal bei ihrer ambulanten Chemotherapie aufsuchte.
»Ich will nicht zurück«, sagte sie heftig, als Bea andeutete, sie könne doch wieder ins Imkerhaus ziehen. »Das ist jetzt seine Sache, nicht mehr meine. Da lasse ich auch nicht mit mir diskutieren.«
»Dann kommen Sie wenigstens an Weihnachten zu uns. Wir besuchen meine Schwester. Es wird ein großes Familienfest.«
Margarete Zeidler stimmte zu – aber nur unter der Bedingung, dass sie spätestens bei der Gelegenheit mit »’nem ordentlichen Schluck Doppelkorn« besiegelten, dass sie sich zukünftig duzen würden.
Bea wäre in diesem Moment mit fast allem einverstanden gewesen.
Und nun parkte sie vor dem Haus des Obstbauern und stieg aus. Die Deelentür ging auf, Margarete Zeidler schlüpfte hindurch, als hätte sie sich weggeschlichen. In der Hand trug sie einen Leinenbeutel, den sie sich partout nicht von Bea abnehmen ließ. »Geschenke«, verkündete sie. »Da wirst du dich noch etwas gedulden müssen.«
Bea gab sich geschlagen.
Dünn war Toms Tante geworden, dennoch bildete Bea sich ein, dass die Müdigkeit, die ihr damals bei Margarete Zeidlers Klinikaufenthalt aufgefallen war, nicht mehr so sehr in diesem alten Körper steckte. Da war wieder mehr Energie, woher auch immer die kam.
»Willst du hier noch lange rumstehen? Mir wird kalt, und ich habe Hunger. Ich hoffe, deine Verwandten bringen einen ordentlichen Weihnachtsbraten auf den Tisch.«
Bea lachte. Sie stiegen ins Auto und rollten vom Hof.
Schön war das. Zu wissen, dass es viele Menschen gab, mit denen sie das Fest feiern konnte.
* * *
Kein Mensch ist eine Insel.
Das dachte Bea, während sie neben Tom auf dem Sofa in der Wohnstube saß. Tante Grete (»Nenn mich nie wieder Margarete, für dich immer noch Tante Grete!«) tanzte mit Tante Barbara zu den Weihnachtsliedern, die Hannes aufgelegt hatte. Mama Claire und Papa Gustav hockten vor Alix, die auf einem Sessel thronte und ihren kleinen Bauch streichelte. Max verteilte Punsch in alten Bowlegläsern und Rosa verschwand in der Küche und murmelte, sie müsse dringend abwaschen, so viel Harmonie ging ihr nun wirklich auf die Nerven.
»Schön?«, fragte Tom sie leise in ihr Ohr. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. Ja, wunderschön. Sie war reich beschenkt worden, jeder hatte sich etwas Besonderes für sie ausgedacht. Das schönste Geschenk war sicher das Lederarmband mit drei silbernen Bienen, das Tom ihr gemacht hatte. Knapp vor der schwarzen Kladde mit weichem Deckel, die von Tante Grete kam.
»Damit du deine eigene Bienengeschichte schreiben kannst.«
Das hatte sie sehr gerührt.
»Ich hole uns noch was von dem Punsch, ja?«
Sie nickte. Ob die beiden Tanten, die so ausgelassen kicherten und stampften, wohl wussten, dass da kein Alkohol drin war?
»Hey.« Alix ließ sich neben ihr auf dem Sofa nieder. »Haben wir auch mal ein bisschen Zeit für uns.«
»Es ist ein wunderschönes Weihnachtsfest. Danke.«
»Ach, ist doch selbstverständlich. Ich freu mich, dass du da bist. Wirklich.« Alix drückte Beas Hand. »Und dass du ihn mitgebracht hast. Er ist nett.«
»Ja, das ist er wohl.«
»Ihr habt Pläne, oder?«
»Oh ja. Für die Imkerei.«
»Und privat?«
Bea lächelte fein. »Nichts Besonderes. Zusammensein, das reicht uns.«
»Ich freue mich sehr für euch. Ihr seid ein hübsches Paar.«
»Ich habe überlegt«, fing Bea an, »wie ich die Cremes und anderen Pflegeprodukte verbessern kann. Vorher ging das nicht, weil … na ja. Die Zeit drängte, die Rezepte waren ja zertifiziert. Aber ich möchte auch was Neues schaffen.«
»Verstehe ich gut. Meld dich, wenn du was brauchst.«
Eine Sache verstand Bea nicht. »Du könntest das doch selber machen. Also Cremes und andere Kosmetika neben der Seife. Warum hilfst du mir?«
Alix lächelte. »Weil mir auch geholfen wurde, als ich ganz am Anfang stand. Meine französische Freundin Agnès hat mir ihre erprobten Seifenrezepte geschickt. Anders hätte ich nicht anfangen können – oder nicht so schnell. Ohne Riechsinn, ohne Erfahrung und da die Seifen ja acht Wochen Reifung brauchten, war ich heilfroh, dass sie mir half. Für sie war ich keine Konkurrenz – sie hatte mit ihrer Seifenmanufaktur genug damit zu tun, die Geschäfte und das Museum in Grasse zu versorgen. Ich habe ihr jetzt zu Weihnachten ein paar meiner eigenen Rezepte geschickt, die ich im Herbst entwickelt habe. Die kann sie verwenden oder auch nicht. Und ihre sind inzwischen für mich einfach nur eine Grundlage, auf der ich meine ganz eigene Kollektion entwickle.« Sie winkte Max, damit er ihr Punschglas auffüllte. »Aber es geht vor allem um eines: Wir können nur eine bestimmte Menge herstellen. Ich mache Seifen, du machst Kosmetika auf Basis von Honig und Bienenwachs. Das passt gut zusammen, klar. Aber ich nehme dir nichts weg, und du nimmst mir auch nichts weg. So einfach ist das.«
So hatte sie noch nie darüber nachgedacht, aber es klang logisch. »Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid. Ich bin ja jetzt in der Nähe.«
»Ist das so?« Tom war zurückgekommen. Er quetschte sich zu ihnen aufs Sofa und legte den Arm um Beas Schultern. »Also, ich wusste davon bisher nichts.«
»Du Spinner.« Sie küsste ihn sanft auf die Nase. »Wo soll ich denn sonst hin?«
»Auch wieder wahr.« Er wirkte sehr zufrieden mit sich.
Bea verstand ihn. Ihr ging es genauso.
* * *
Sie fuhren nach der Weihnachtsfeier heim. Bea hielt Toms Hand, die auf dem Schaltknüppel ruhte. Sie spürte diese besonders tiefe Müdigkeit, kurz bevor man zu frieren anfing.
Es war ein so wunderschöner Tag gewesen. Das schönste Weihnachten ihres Lebens. Vor wenigen Wochen noch hatte sie sich davor gefürchtet, und dann war’s doch ganz einfach gewesen, zu ihrer Schwester zu fahren.
»Es ist alles gut«, stellte sie überrascht fest.
Tom lächelte sie von der Seite an. »Ja, das ist es wohl.«
»Werden wir auch so wie deine Tante und dein Onkel?«, fragte sie und drehte ihren Kopf ein wenig, damit sie ihn besser ansehen konnte. Weil sie es niemals müde werden würde, dieses Gesicht zu betrachten. Den leichten Bartschatten. Die verwuschelten, etwas zu langen Haare. Das leise Silber, das sich an den Schläfen einschlich und das ihr am liebsten war; es erzählte davon, dass auch er keine achtzehn mehr war, dass sie beide schon viel erlebt hatten.
Ab hier dann gemeinsam, hast du verstanden?
Aye, aye, my captain!
Bea lächelte.
»Was denn?«, fragte er und warf ihr einen kurzen Blick zu. Er schaltete runter, bog in die schmale Zufahrt zur Imkerei ein. Vor den Scheinwerfern tanzten einzelne Schneeflocken über die Straße. Fast so etwas wie weiße Weihnacht, dachte sie.
»Nichts«, sagte sie. »Es ist nur so schön.«
»Das ist es wohl.« Er nahm ihre Hand, hob sie an die Lippen, küsste sie. »Und zu deiner Frage – wir werden sicher nicht wie Tante Grete und Onkel Carl. Ein bisschen schrullig vielleicht. Aber du wirst weiterhin deine Arbeit in der Klinik haben, während ich mich auf die faule Haut lege.«
Sie wollte schon protestieren. Sie hatten doch noch so viele Pläne!
»Werde ich natürlich nicht. Weiß doch, dass ich dann Ärger bekomme. Ein Hund wäre schön«, fügte er hinzu. »Was meinst du?«
Bea dachte kurz an Bud Spencer, dem es hier draußen sicher auch gut gefallen hätte. Aber Bud Spencer war eben auch Teil ihrer Vergangenheit, und bei der Trennung hatten sie entschieden, dass er zu Stefan gehörte. Sie konnte ihn immer noch gelegentlich zu sich holen.
»Einer, der bei uns im Bett schläft?«, neckte sie ihn.
Tom grinste nur. Gerade so, als könnte ihm nichts die gute Laune verderben.
Im Licht der Scheinwerfer tauchte das kleine Bauernhaus unter den Eichen auf. Tom parkte neben dem Gebäude, und sie blieben noch kurz sitzen, während der Motor leise tickte.
»Kein Hund im Bett«, sagte er in der Dunkelheit. »Sonst kannst du wirklich alles von mir haben.«
Bea beugte sich zu ihm herüber. Sie küsste ihn, weil sie gerade einfach nicht wusste, wie sie ihre Gefühle sonst ausdrücken konnte.
»Vielleicht darf er sonntags ins Bett«, murmelte er.
»Blödmann«, schalt sie ihn leise.
Sie liefen zum Haus, der Schneefall wurde stärker. Beas Hand strich über den Bienentürknauf, als sie eintraten, während Tom bereits die Schuhe abgestreift hatte und in der Küche verschwand, um den Ofen einzuheizen. Die Stube war während ihrer Abwesenheit merklich ausgekühlt.
Sie schlüpfte in die dicke Strickjacke, die nun für solche Fälle immer neben der Garderobe auf der alten Kommode lag. Lief zum Fenstersofa und kroch unter eine der Decken. »Magst du noch einen Kakao?«, rief Tom aus der Küche.
Sie antwortete nicht, denn zwischen den Büchern auf dem Kaffeetisch hatte sie die schwarze Kladde entdeckt. Tante Gretes Vermächtnis.
Als Tom wenig später zwei Becher Kakao und eine kleine Flasche Rum auf einem Tablett ins Wohnzimmer balancierte, blätterte sie in dem Journal. Obwohl sie manche Passagen schon auswendig kannte, blieb sie immer wieder hier und da hängen, sie las, als wäre es das erste Mal.
»Neue Erkenntnisse?«, fragte er.
»Warum bist du zurückgekommen?«
»Du meinst, nachdem ich mich ein Jahr in der Weltgeschichte herumgetrieben hatte, total blank war, meine Eltern mir erklärt hatten, dass ich von ihnen auf keinen Fall Hilfe zu erwarten habe und mich gefälligst endlich mal wie ein Erwachsener aufführen sollte, wenn ich glaubte, ich wäre schon so erwachsen?«
Sie nickte. Tom gab in beide Kakaobecher einen ordentlichen Schwapp Rum, hielt dann inne und fügte bei seinem noch einen zweiten hinzu.
»Zählt ›ich war jung und brauchte das Geld‹?«
»Nur bedingt.«
Bea nahm ihm die Flasche aus der Hand und schenkte sich auch noch einen zweiten Schuss ein.
»Vielleicht hat sie recht«, murmelte Tom. »Ich hab’s. Diese Liebe zu den Bienen. Ohne kann man das doch gar nicht. Beim zweiten Mal lief es besser, oder?«
»Klingt fast so.«
»Ich bin zwei Jahre geblieben. Danach hat es mich nirgends so lange gehalten, spätestens nach fünf, sechs Monaten war ich wieder unterwegs.«
»Und als sie anrief …«
»Ja, da wusste ich, wonach ich die ganze Zeit gesucht habe. Was ich nicht wusste, war, dass ich dir begegnen würde. Das war eine Überraschung. Eine schöne.«
Er stellte den Kakaobecher ab, breitete die Arme aus. Bea kuschelte sich zu ihm, er zog die Decke über sie beide. So ließ es sich aushalten, dachte sie.