Mach zwei Kreuze
Guter Dinge machte sich Dott auf den Weg zur königlichen Burg. Die Abendsonne ließ selbst die schwarzen Mauern warm und einladend erscheinen. Dementgegen empfingen ihn die beiden Torwachen mit grimmigen Gesichtern – das schreckte Dott nicht ab, schließlich wurden sie danach ausgesucht. Die großen, rechteckigen Männer schoben ihre Piken direkt vor seiner Nase zu einem Kreuz zusammen. »Was willst du?«, grunzte der eine gereizt, als würde Dott ihn von irgendetwas ganz Wichtigem ablenken, dabei hatte er nur vor der Burgpforte zu stehen, seine Stangenwaffe senkrecht und den Blick waagrecht zu halten. Und grimmig dreinzuschauen.
»Einen guten Tag wünsche ich Euch. Dott werde ich gerufen. Hiermit melde ich mich für …«, er hielt einen Moment inne und stellte sich einen festlichen Fanfarenstoß vor, »… die Prüfung. « Der Ziegenhirte konnte nicht verhindern, dass ein wenig Stolz in seiner Stimme mitschwang.
Verdutzt sahen sich die beiden Wachmänner an. Dunkle Wolken zogen in ihren Gesichtern auf. Offenkundig hatten sie die Fanfaren nicht vernommen.
»Duuu?«, machte der eine.
»Hast du dir das gut überlegt, Kleiner?«, fragte der andere.
»Natürlich, reiflich. Das Für und Wider sorgfältig abgewogen, wie es sich gehört.«
Ungefähr einen Wimpernschlag lang. Schließlich muss ich meine Geliebte aus den Klauen des gemeinen Grafen Meinhard retten.
»Hau besser ab, Bürschlein, solange du noch kannst!«, riet ihm der eine.
»Oder weißt du nicht, was dich erwartet?«, fragte der andere.
Dott nickte eifrig. »Ja klar, ich bestehe die Prüfung , bekomme die fünfzig Goldstücke und heirate Clarissa. So lautet der Plan. Ihr seht, ich weiß genau, was ich tue.« Dott war zufrieden mit seiner Ansprache, denn es hieß: Wankelmütige und Unentschlossene wiesen die Torwachen stets ab, einfache Bürger erlangten nur mit einem begründeten Begehr Einlass in die Burg.
Der eine Wachmann rückte den Helm auf seinem Kopf gerade. »Du kommst sehr spät.«
»Daher lasst mich bitte sehr schnell durch.«
Der andere Wachmann kratzte sich im Schritt. »Die Statuten der Prüfung schreiben vor, dich einzulassen, wenn dies dein dringlicher Wunsch ist.« Er schaute seinen Kumpel an. »Einer von uns sollte ihn zum Palas geleiten.«
»Mach du das!«
»Ne, ich war letztes Mal schon dran.«
Sie stritten eine Weile, wem diese Ehre zuteilwerden sollte, dann öffnete sich das Pikenkreuz, sodass Dott passieren konnte. Das ging einfacher, als er gedacht hätte. Hocherhobenen Hauptes stolzierte er durch die Toranlage, und einer der Wachmänner marschierte strammen Schrittes an ihm vorbei. War es der eine oder der andere, er konnte es nicht sagen, von hinten sahen sie alle lindgrün aus. Zum ersten Mal betrat er die königliche Burg, die nur den ganz, ganz wichtigen Leuten vorbehalten war. Jedenfalls fühlte sich der Ziegenhirte so, als hätte er die Prüfung bereits bestanden. Sein Führer drehte sich kurz zu ihm um, beinahe erstaunt, dass er immer noch brav folgte. Der Blick des Mannes war seltsam, fast mitleidig, so als hätte er noch nie einen erfolgreichen Prüfling gesehen. Dott war es egal. Er konnte nur gewinnen, und zwar die fünfzig Goldstücke, die er für Clarissa brauchte. Welch glücklicher Zufall, dass ihr Vater genau diese Summe aufgerufen hatte. Er würde alles daransetzen, die auf ihn einstürzenden Herausforderungen zu meistern. Alles! Und wenn es wider Erwarten nicht klappen sollte, hatte er wenigstens sein Bestes gegeben und sich nichts vorzuwerfen.
»Du bist wahrlich spät dran. Jetzt werden die Tore geschlossen und keine weiteren Freiwilligen mehr zugelassen«, erklärte der Wachmann. »Die anderen sitzen bereits mit Meister Belam im Palas zusammen, ich bringe dich dorthin. Er ist für die Durchführung des Auswahlprozesses zuständig und wird dir alles erklären.«
»Ich danke Euch«, sagte Dott.
»Du solltest mich eher verfluchen«, entgegnete die Wache.
Bevor sich Dott Gedanken über die Bedeutung dieser Worte machen konnte, hielten sie auf das Haupthaus der Burg zu. Ein riesiger, viergeschossiger Bau mit weißer Fassade und schmiedeeisernen Verzierungen unter jedem Fenster sowie Beeten voller Blüten links und rechts des Eingangs. Was für eine Pracht! Als sie näher kamen, fiel Dott der bröckelnde Putz und das viele Unkraut in den Beeten auf, doch selbst dies tat seiner Begeisterung keinen Abbruch. Sie traten ein. Allein die Empfangshalle war hundert Mal so groß wie sein ganzes Zuhause. Dott staunte über die edlen Wandteppiche, den erlesenen Holzboden und die detailgetreuen Statuen, die alle paar Schritte Spalier standen – Meisterwerke der Steinmetzkunst. Edelmänner mit ernsten Gesichtern, Edelfrauen mit hübschen Gesichtern blickten auf ihn herab. Danach folgten Skulpturen von Männern mit Kronen, Rittern mit Schwertern, Gelehrten mit Folianten. Einen Ziegenhirten mit Wanderstab suchte Dott vergeblich.
»Wir sind da.« Die Wache zeigte auf eine Doppelpforte, durch die zwei Kutschen nebeneinander passen würden. »Warte hier«, befahl er und verschwand im Saal. Durch den offenen Türspalt schwappte Stimmengewirr zu Dott heraus. Kurze Zeit später winkte ihn die Wache heran. »Du hast es nicht anders gewollt«, sagte er missmutig und verschwand, ohne Dott noch einmal in die Augen zu blicken.
Der Ziegenhirte stieß die Pforte auf und trat ein. Schließlich wollte er nicht wie ein Beutelschneider in den Saal schlüpfen.
Neun Männer auf der einen, neun auf der anderen Seite und einer in einem blauen Gewand am Kopf der festlichen Tafel starrten ihn an.
Das macht neunzehn , stellte Dott auf den ersten Blick fest. Vielleicht besteht ja ein Teil der Prüfung aus Rechnen oder Zählen.
Sechs lindgrün livrierte Mundschenke, drei junge Männer und drei junge Frauen, liefen um den Tisch herum und bedienten die Gesellschaft.
Der ältere Herr am Kopf der Tafel winkte Dott zu. »Willkommen im Bund der Prüflinge. Nehmt Platz, junger Freund! Mit Eurem Erscheinen komplettiert Ihr den Ring der Probanden.«
Probanden? Das kam bestimmt von probieren. Der Wohlgeruch der Speisen stieg dem Ziegenhirten bereits in die Nase, und ein mächtiger Hunger wühlte in seinem Bauch.
»Gesellt Euch zu uns«, forderte ihn der Alte auf, wobei er ein wenig nachdenklich seinen Spitzbart kraulte.
Dott erspähte einen freien Platz direkt bei der Eingangspforte, die aller Erfahrung nach auch als Ausgangpforte diente – einer seiner Instinkte sorgte stets für die Nähe zu einem Fluchtweg. Dabei hatte er hier nichts zu befürchten, ganz im Gegenteil, die meisten Prüflinge musterten ihn und schienen regelrecht angetan über das, was sie sahen.
Auch seine Sitznachbarn begrüßten ihn freudig.
»Du machst also auch bei der Prüfung mit«, fragte ein Recke in einer Kettenweste von der anderen Seite des Tisches herüber. Er grinste und presste die Handflächen gegeneinander, sodass seine ohnehin schon beträchtlichen Armmuskeln noch mehr hervortraten.
»Ich hoffe, sie losen mich dir zu«, meinte ein Mann mit einer Glatze zu seiner Linken.
»Nein, ich will ihn«, entgegnete der Nebenmann, dessen Gesicht von furchtbaren Narben entstellt war.
Dott freute sich über seine Beliebtheit. »Wir bilden also Pärchen?«
»Ganz recht! Bis dass der Tod uns scheidet.« Der Recke grinste immer noch schief, und es lag nicht daran, dass er schräg gegenübersaß.
»Das wollen wir nicht hoffen«, antwortete Dott leichthin.
»Du siehst noch sehr jung aus. Was für Kampferfahrung hast du?«, fragte der mit der Glatze.
»Kampf? Ach ja, ich habe mal den Ringwettbewerb der Knabenschaft gewonnen. Ich bin nämlich sehr flink.« Er nickte bekräftigend.
Der fassungslose Blick seines Sitznachbarn wollte nicht recht zu dem großartigen Triumph passen, an den Dott gern zurückdachte.
Ein Mundschenk füllte Rotwein in den silbernen Becher vor ihm. Der Duft gebratenen Fleisches ließ dem Ziegenhirten das Wasser im Mund zusammenlaufen. Kein Wunder – zwei riesige Platten mit Geflügel und Wild lockten in der Mitte. Die meisten Männer bedienten sich bereits. Dott beugte sich weit vor, wählte mit seiner Gabel einige besonders dicke Stücke aus und türmte sie auf seinen Teller.
»Du lässt dir den Appetit nicht verderben«, stellte der rechts von ihm fest. Ein wenig Neid schwang in seiner Stimme mit, denn auf seinem Teller wartete nur eine Spatzenportion auf den Verzehr.
»Niemand kann wissen, wann es das nächste Mal derlei Leckerbissen gibt«, erklärte Dott fröhlich. Hierbei zitierte er seinen Bettlerfreund Micha. Was hätte der für einen riesigen Spaß hier, denn bei solchen Gelegenheiten konnte Micha den Platz in seinem Magen verdoppeln und Unmengen in sich hineinschaufeln wie kein zweiter. Warum hatte Micha sich nicht auch für die Prüfung angemeldet?
»Wohl wahr«, knurrte der Recke. »Du scheinst mir für dein Alter verflucht abgebrüht zu sein.«
»Nein, nein – das macht der Hunger«, erklärte Dott. Er konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was der Kerl mit abgebrüht meinte.
Dott kaute drauflos. Ihm gegenüber stand ein Krieger, der nicht einmal zum Essen den Helm vom Kopf genommen hatte. Wieso setzte der sich nicht? Der Ziegenhirte sah genauer hin. Hoppla! Der Kerl hatte bereits Platz genommen, nur war er von solch hünenhafter Gestalt, dass er – auf dem Stuhl sitzend – den stehenden Dott locker überragte. Nun knackte der Hüne mit seinen Fingergelenken, sodass es krachte, als zerbrächen Arm- und Beinknochen.
Ein älterer Herr mit einem Spitzbart, vermutlich dieser Meister Belam, unterhielt sich flüsternd mit einem auffällig blonden Mann. Beide schauten zu ihm herüber. Dott winkte ihnen zu, bevor er seine Zähne in eine knusprige Gänsekeule vergrub. So hervorragend hatte er lange nicht mehr gespeist. Ob er hier schmatzen durfte? Der Ziegenhirte löste den Blick von den vielen Kostbarkeiten auf dem Tisch. Trotz des Prachtmahls wirkte die Stimmung der Gäste gedämpft, wenn nicht sogar angespannt. Natürlich gab es tausende Gründe, sich ständig Sorgen zu machen. Auch Dott musste nicht lange überlegen: Der Schattenstaub drohte in Bälde die ganze Stadt zu verschlingen, ein Großteil der Bevölkerung sowie der König waren bereits geflohen, Clarissa würde in wenigen Monaten den adeligen Popanz heiraten, und es gab keine Gänsekeulen mehr auf der Geflügelplatte. Doch im Moment konnte er an all diesen Problemen nichts ändern. Folglich hieß es, sich so gut wie möglich für die anstehenden Aufgaben zu stärken. Er beugte sich weit vor, angelte sich ein Stück Hirschbraten und schüttete aus einer länglichen Tasse ordentlich dunkle Sauce darauf.
Die Blicke der Männer bezupften ihn. Wie das Festmahl waren auch ihre Gesichtsausdrücke reichhaltig – amüsiert, misstrauisch, überheblich, ängstlich und hoffend.
Was haben die bloß?
»Es ist noch genug da«, erklärte Dott und deutete auf die zu Dreiviertel gefüllten Platten.
»Der Kleine ist unglaublich«, flüsterte der mit der Glatze seinem Nachbarn zu.
Dott ließ sich nicht beirren und genoss kauend den Moment. Das Glück war ein scheuer Geselle. Es schaute selten vorbei und schon gar nicht, wenn man es rief oder dringend benötigte, sondern oftmals in Augenblicken, in denen man nicht damit rechnete. Dann galt es, das Glück willkommen zu heißen, dafür zu sorgen, dass es sich wohlfühlte und möglichst lange blieb. Doch die meisten Menschen bemerkten es nicht einmal, wenn es an die Tür klopfte. Dott überlegte, ob Glück herstellbar war. Warum nicht? So wie ein Sattler einen Sattel, ein Wagner einen Wagen und ein Bogner einen Bogen fertigen konnte, wollte Dott eines Tages, wenn er des Ziegenhütens müde geworden war, Glück erschaffen. Das schwebte ihm vor. Clarissa würde ihn sicherlich darin bestärken. Dieser schrullige Gedanke wehte ein sanftes Lächeln auf seine Lippen, was ihn jedoch nicht davon abhielt, davon zu träumen, wie er als glücklicher Glückner in seiner Glücksschmiede stand. Kunden würde es zuhauf geben, schließlich waren alle auf der Suche nach einem solchen Angebot.
»Jetzt grinst er auch noch selbstgefällig«, knirschte einer weiter hinten an der Tafel, was nur zu verstehen war, da alle anderen schwiegen.
»Vielleicht ist er gefährlicher, als er aussieht«, antwortete der Recke.
Eine merkwürdige Gesellschaft, befand Dott. Verkniffen und verknöchert. Davon wollte er sich jedoch nicht stören lassen und nahm einen weiteren Schluck Rotwein. Er konnte sich nicht erinnern, jemals einen solch edlen Tropfen gekostet zu haben. Trübsal hatte hier keinen Platz. In seiner Begeisterung hob er den Silberbecher und rief laut in die Runde: »Auf die Prüfung
Stille.
Selbst die Bediensteten blieben stehen und hielten den Atem an. Das Stirnrunzeln der Männer knisterte rundherum.
Mit kalter Stimme prostete der blonde Schönling dem Spitzbärtigen an seiner Seite zu: »Meister Belam, was habt Ihr nur für einen erbärmlichen Haufen zusammengestellt? Egal, ich trinke darauf, dass es mir völlig egal ist, welche von den Jammergestalten ich als Erstes den Dreck der Arena schmecken lasse.«
»Genug ist genug.« Dotts rechter Nachbar erhob sich. »Ich ziehe mich zur Nachtruhe zurück. Wir sehen uns morgen«, murrte er und verschwand.
Der Ziegenhirte schielte auf den zurückgebliebenen Teller mit der Spatzenportion. Denn was sah er da in der Mitte? Wieder stellte er sich den festlichen Fanfarenstoß vor. Eine Gänsekeule, nicht einmal angeknabbert. Na also – schon eine Sorge weniger. Mit einer schnellen Bewegung wanderte der Leckerbissen auf Dotts Teller.
Im weiteren Verlauf des Abends konzentrierte er sich auf das Verspeisen der Delikatessen vor ihm. Gerade als er seinen Teller leergegessen hatte, servierten die Bediensteten die Nachspeise. Datteln, kandierte Früchte, süße Crème in den Farben gelb, rot und braun – all diese Köstlichkeiten in Mengen, die für eine ganze Armee reichen würden.
Eine der Mundschenke goss den Männern auf der gegenüberliegenden Tischseite Wein nach. Der gierige Blick des Recken versank in ihrem Ausschnitt. »Ich sehe es dir an. Du willst mir die heutige Nacht versüßen«, grölte er und versuchte, sie auf seinen Schoß zu ziehen.
»Verzeiht, ich muss neuen Wein holen«, kiekste die junge Frau und machte, dass sie fortkam, wobei der Recke ihr zum Abschied auf den Hintern klatschte. »Am Anfang zieren sich die Weiber immer. Sonst wäre es ja auch langweilig«, erklärte er und leckte sich die Lippen.
Derweil probierte Dott den gelben Pudding.
»Gleich musst du kotzen«, warnte sein linker Sitznachbar. »Wie kannst du vor dem morgigen Tag nur so viel essen?«
Dott sah ihn erstaunt an. »Ach was. Ein Mann muss auch mal zehn gerade sein lassen.«
Niemand lachte – vermutlich verstanden die meisten den Scherz nicht. Einer flüsterte irritiert: »Warum gerade zehn?«
Ein ungepflegter alter Kerl mit einem Schmerbauch in einer schmierigen Mönchskutte setzte sich auf einmal auf den frei gewordenen Platz neben Dott. Mit ernstem Gesicht betrachtete er den Ziegenhirten und sagte leise: »Sag mal – ich habe den Eindruck, du hast keinen Schimmer, wo du hier reingeraten bist.«
Dott spürte, dass der Mann es ehrlich mit ihm meinte. »Dann erklärt es mir«, bat er in freundlichem Ton.
»Wir haben uns nicht zum Spaß versammelt. Morgen werden Pärchen unter den anwesenden Prüflingen gebildet, die dann in einem Kampf auf Leben und Tod gegeneinander antreten müssen.«
Die Gedanken drehten sich in Dotts Schädel wie ein Strudel. Somit ist morgen Abend die Hälfte von uns tot. Das erklärt die Mordsstimmung hier.
Der Alte sah die Erkenntnis in Dotts Augen. »Du bist zwar ein naiver Scheißer, aber wenigstens nicht hoffnungslos verblödet.«
Was für ein Lob. Wie auch immer – plötzlich wandelte sich das Traumschloss in eine Todesburg, das Festmahl in einen Galgenschmaus. In was für eine üble Klemme hatte er sich nur bugsiert? Doch Dott wäre nicht er selbst, wenn er der neuen Situation nicht noch etwas Gutes abgewänne: Immerhin kannte er nun den Haken an der Prüfung . Zugegeben – ein gewaltiger Haken, der drohte ihn wie einen Angelköder aufzuspießen und zu verfüttern, doch noch war nicht aller Tage Abend.
Dadurch, dass nun auch der verbliebene Unbedarfte aufgeklärt worden war, verbesserte sich die Stimmung rund um die Tafel nicht unbedingt. Wozu diente dieses Aufeinandertreffen überhaupt? Dott machte sich Gedanken über die Gesinnung des Zauberers mit dem Spitzbart.
Er wandte sich dem Alten neben ihm zu. »Danke für Euer offenes Wort. Seid Ihr ein Mönch?«
»Wenn du mich als einer sehen willst«, knurrte es.
»Mein Name ist Dott. Wie heißt Ihr?«
»Spielt das eine Rolle?«
»Für mich schon«, antwortete der Ziegenhirte.
»Marl«, ertönte es knapp. »Vier einfache Buchstaben für die Inschrift auf dem Grabstein.«
»So wie bei mir«, antwortete Dott. Lesen und Schreiben beherrschte er zwar nicht, doch für seinen Namen reichte es. Seine Großmutter hatte es ihm beigebracht. Er hörte sie singen: Male einen Lachmund auf der Seite, dann ein Ei und am Schluss mache zwei Kreuze.
Wenn ich hier lebend rauskomme, mache ich sogar drei Kreuze.
»Denk nicht einmal daran, abzuhauen. Die Tore sind geschlossen und Bogenschützen überwachen alle Prüflinge. So wie es aussieht, werden Marl der Alte und Dott der Junge morgen dran glauben.« Er zog die Nase hoch. »Es sei denn, wir müssen gegeneinander kämpfen. Dann nichts für ungut, Kerlchen.«
Dott schluckte. Nun hatte der süße Wein doch einen bitteren Nachgeschmack bekommen. »Wie soll der Kampf ablaufen?«
»Wurde uns noch nicht gesagt. Ich denke, jeder bekommt eine spitze, scharfe Waffe in die Hand gedrückt, um damit seinen Gegner ordentlich bluten und sterben zu lassen. Du hättest dich niemals darauf einlassen dürfen. Schade um dich, morgen wirst du mehr verlieren als ein Ohrläppchen, Junge.«
Schon wieder jemand, der ihn Junge nannte. Dott musste sich eher Gedanken machen, wie er aus dem Schlamassel wieder herauskam. Einen Zweikampf auf Leben und Tod konnte er nicht gewinnen, selbst wenn er bereit wäre, einen Menschen zu töten. Als Kind hatte er sich mit den Nachbarsjungen mit Holzschwertern gebalgt. Er glaubte kaum, dass ihm diese Kampferfahrungen gegen die anwesenden Haudegen, Söldner und Krieger nützlich sein würde. Und wenn er nun Meister Belam erklärte, dass es sich bei seiner Meldung zur Prüfung um ein großes Missverständnis handelte? Vermutlich würden sie ihn nicht mehr gehen lassen und falls doch, wie sollte er dann an die fünfzig Goldstücke kommen? Sein Leben stand auf dem Spiel, doch ohne Clarissa war es ohnehin nichts mehr wert. Er musste da durch – irgendwie. Inniglich und ewiglich. Er hatte es ihr versprochen.
Was für eine gewaltige Ziegenkacke!