Mit zweischneidigem Schwert
Nur ein einziger Lichtstrahl fiel durch ein winziges Fenster. Aber dieser war hell genug, um Fehris aus ihrem grässlichen Traum zurück in die noch grässlichere Realität zu holen. Ihr Kopf pochte mörderisch! Dazu kam der widerliche Geschmack in ihrem Mund und der Gestank nach Erbrochenem, der sie umgab. Erfolglos versuchte sie, die Sonne aus ihrem Gesicht zu blinzeln und wieder einzuschlafen, doch das aufdringliche Himmelsgestirn drangsalierte sie einfach weiter wie der Vorbote eines besonders scheußlichen Tages. Schließlich fügte sie sich in ihr Schicksal und setzte sich stöhnend auf.
Sie befand sich in einer ihr unbekannten, kleinen Kammer. Wohin zum Geier hatte Wolfram sie gebracht? Ein Freudenhaus konnte es nicht sein, dafür war die Pritsche unter ihr zu schmal und die Wände zu kahl. Um Gunthers »Herberge« für uneinsichtige Schuldner handelte es sich ebenfalls nicht, denn diese hatte eine viel niedrigere Decke und gestampften Lehmboden, der mit uraltem Stroh ausgelegt war. Schon bei ihrem ersten Besuch hatte der Pfandleiher sie einen Blick dort hineinwerfen lassen, vermutlich zur Abschreckung. Hatte Wolfram sie etwa ins Stadtgefängnis gebracht? Diese Frage war leicht zu klären, sie musste nur die Türklinke drücken und sehen, ob sie sich öffnen ließ. Fehris hievte sich hoch und schwankte zu der massiven Eichentür am anderen Ende des Raumes. Doch noch ehe sie auch nur eine Hand an den Knauf gelegt hatte, wurde ein hölzerner Schieber auf Gesichtshöhe zur Seite gezogen und ein Paar schelmisch blitzender Augen lugte durch die Öffnung. »Ahhh, aufgewacht!«, plapperte der dazugehörige Mund mit schmerzhaft schriller Stimme. Das Bürschchen, das dort draußen Wache stand, hätte sich wahrhaftig einen Namen als Kastrat auf höfischen Bühnen machen können.
»Nicht so laut!«, murrte sie mit verzerrter Miene, beide Hände auf ihre Schläfen gepresst. Sie ging näher heran, um sich die Person genauer anzusehen, die da offensichtlich zu ihrer Leibwache bestellt worden war, doch im Dunkel des dahinterliegenden Flurs konnte sie nichts erkennen außer jeder Menge lindgrünen Stoffes und diesen interessiert dreinblickenden Augen. »Wo bin ich hier?«, brachte sie hervor.
»Bereits an Ort und Stelle in der königlichen Burg, furchtlose Dame! Ein guter Freund hat Euch gestern Nacht hergebracht, ganz wie es Euer Wunsch war«, plärrte der Besitzer der unangenehmen Stimme.
Mit der Penetranz eines Paukenschlags kehrte die Erinnerung an jenes seltsame Dokument zurück, das sie letzte Nacht unterzeichnet hatte. Irgendetwas mit einer Prüfung , an der sie teilnehmen sollte, um die Siegprämie anschließend dem verfluchten Pfandleiher auszuhändigen. Danach war alles nur noch schwarz in ihrem Kopf. Wolfram, diese verräterische Schlange, musste sie in ihrem Rausch einfach hier abgeliefert haben, als wäre sie selbst nichts weiter als ein Pfand. Nun gut, alles war besser als in ein Freudenhaus gesteckt zu werden. Aus einer königlichen Burg konnte man vermutlich sehr viel leichter heimlich hinausspazieren.
»Ich habe keine Freunde«, murrte sie.
»Dieser war bestimmt einer, denn er hat Eure ganze Ausrüstung mitgebracht. Und mit Verlaub … Ihr habt sie nötig.« Nun arbeitete sich ein dürrer Zeigefinger durch das Guckloch hindurch, der nur zu gut zu der schrillen Stimme passte. Fehris’ Blick folgte seiner Richtung zur gegenüberliegenden Ecke, wo frische Kleidungsstücke auf einem ordentlichen Haufen lagen. Definitiv handelte es sich dabei nicht um ihr eigenes Hab und Gut, denn dieses trug sie am Körper. Es war trotzdem nicht das schlechteste Abschiedsgeschenk, das der Häscher ihr hätte machen können, denn wenn sie an sich hinunterblickte, verstand sie, was der Wachmann mit Ihr habt sie nötig gemeint hatte. Vermutlich roch sie wie eine Kümmelbrennerei und ganz sicher sah sie aus, als hätte sie schon wieder eine Woche mit den Schweinen im selben Pferch gelebt. Fehris hasste nichts mehr als das: Flecken auf ihrer Tunika, Gestank auf ihrer Haut. An normalen Tagen, wenn sie nicht gerade von aufgebrachten Pfandleihern verscherbelt wurde, wusch sie sich mehrmals täglich und nahm zwei- bis dreimal pro Woche ein Bad in einem Zuber. Wer einen Spottnamen wie den ihren trug, tat gut daran, der Welt da draußen so oft wie möglich zu beweisen, dass daran kein Wörtchen Wahrheit klebte. Die wenigsten Bürger dieser sterbenden Stadt ließen ihrem Körper so viel Pflege angedeihen.
»Schieb dein dummes kleines Fenster zu, dann hol mir etwas Essig und ein Kaustäbchen«, wies sie die Wache an.
»Sehr wohl, werte Dame, aber denkt daran: Eure erste Prüfung beginnt schon in einer Stunde. Und die Wetten stehen nicht gerade zu Euren Gunsten.« Er schloss die Luke, bevor sie nachfragen konnte, welcher Natur und Anzahl die auf sie zukommenden Prüfungen waren.
Fehris schwankte zu dem Stapel mit den Kleidungsstücken hinüber und besah sich jedes einzelne Teil ganz genau. Ihre Waffen waren verschwunden, doch dafür hatte man ihr einen einfachen, aber zweckmäßigen Brustpanzer mitgegeben. Zweckmäßig deshalb, weil er nicht allzu hochgeschlossen war, was zwar ihren Hals unbedeckt ließ, jedoch ihr Dekolleté großzügig herzeigte – ihre stärkste Waffe. Wenn Gunther ihr einen solchen Ausrüstungsgegenstand zugestand, dann deutete das auf zwei Dinge hin. Erstens: Sie würde kämpfen müssen. Und zweitens: Ihr Gläubiger hatte wahrhaftig ein Interesse daran, dass sie diesen Kampf gewann. Also war sie nicht zum Sterben zurückgelassen worden, sondern es gab noch Hoffnung.
»Eines Tages drehe ich dir deinen fetten Hals um, du widerliche Kanalratte«, murmelte sie, um jegliches Gefühl von Dankbarkeit gegenüber dem Pfandleiher im Keim zu ersticken.
Einen Eimer Wasser und ein Stück Seife hatte man ihr glücklicherweise ebenfalls zugestanden. Sie legte ihre gesamte Kleidung ab und wusch sich penibel von oben bis unten, ehe sie in ein recht kurzes Lederröckchen, wadenhohe Stiefel und den Brustpanzer schlüpfte. Die neue Tunika ließ sie kurzerhand weg. Wenn es stimmte, was die Wache sagte, dann musste sie schon bald einem Gegner gegenübertreten. Und das tat man am besten mit allen Waffen, die man hatte – in ihrem Fall also mit möglichst wenig Stoff am Leib.
Sie war immer noch damit beschäftigt, umständlich die Rückengurte ihrer Rüstung festzuzurren, als die Tür aufging und der Wachmann hereinkam. Genau wie sie geahnt hatte, handelte es sich um ein schmalbrüstiges Kerlchen mit mausgrauem Haar und lindgrünem Rock. Als er Fehris in der äußerst überschaubaren Menge an Bekleidung erblickte, leuchteten seine Augen wie die eines Hundes im Angesicht eines randvollen Fressnapfs. Sollten sie, solange er nicht anfing mit dem Schwanz zu wedeln! Er hatte sich allerdings noch gut genug im Griff, um nicht zu sabbern, was der jungen Frau klarmachte, dass sie weitere Waffen wetzen musste.
»Gib das her!«, brummte sie, nahm ihm den Tonkrug mit dem Essig sowie das Kaustäbchen aus der Hand und stellte beides auf den Boden. »Garantiert hat ein hübscher Jüngling wie du einen Kamm in seinem Beutel.«
Er nickte irritiert.
»Dann raus damit!« Sie vollführte eine winkende Geste mit einer Hand.
Widerspruchslos zog er einen sauberen Knochenkamm aus seinem Beutel und reichte ihn Fehris, woraufhin sie ihr Haarband löste und die blonde Pracht ausschüttelte. Noch während sie sich ausgiebig kämmte, stellte sie zufrieden fest, dass der Mund des Wachmanns jetzt offenstand.
»Wie viele von diesen Prüfungen gibt es?«, fragte sie beiläufig.
»Drei«, hauchte der Hänfling.
»Und der Gewinner bekommt jede Menge Geld, ja?«
»Fünfzig Goldstücke.«
Das war weit mehr als der Betrag, den sie Gunther schuldete! Sogar genug, um dem Schattenstaub davonzurennen und auf eine Insel überzusiedeln, wie die Reichen es taten. Dummerweise hatte sie ihr Zeichen unter diesen verfluchten Vertrag gesetzt, was sie über alle Maßen ärgerte. Sie gab der Wache den Kamm zurück und widmete sich stattdessen dem Essig, welchen sie in kleinen Schlucken zu sich nahm, um die Kopfschmerzen zu vertreiben, zwischendurch putzte sie mit dem ausgefransten Ende des Stäbchens ihre Zähne. »Die erste Prüfung ist ein Kampf?«
Eifriges Nicken. Der Mund blieb offen.
»Mann gegen Mann?«
»Nun ja, also … eigentlich schon. Nur in Eurem Fall wird es wohl Frau gegen Mann sein.« Er nutzte diese Feststellung für einen ungenierten Blick über ihre Rundungen und lächelte entschuldigend.
Sein Verhalten war nichts wirklich Neues für Fehris. Immerhin gab es kaum weibliche Söldnerinnen. In der Regel begnügten ihre Geschlechtsgenossinnen sich mit einem freudloseren Dasein: harte Arbeit auf dem Feld oder in irgendeiner Spelunke, ein grober, nach Knoblauch stinkender Gemahl, dem die Faust allzeit locker saß, und dazu jede Menge Bälger an ihrem Rockzipfel. Auch Fehris hätte so enden können, nachdem sie Götz von Heimsberg davongelaufen war, doch sie hatte sich für einen anderen Weg entschieden. Das Kämpfen hatte sie vom Sohn eines Räubers gelernt, ihren legendären Augenaufschlag von einer alternden Hure aus Kandoria. Beides zusammen war wie ein doppelseitiges Schwert, das bislang noch jeden Gegner irgendwie und irgendwo getroffen hatte. Heute würde es nicht anders sein. Und falls doch, so würde Gunther wohl auf sein Geld verzichten müssen und sie des Nachts mit einigen blauen Flecken im Gepäck über die Schlossmauer klettern, um auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.
»Gegen wen werde ich antreten?«, fragte sie leichthin.
Der Hänfling musste erst den Mund wieder schließen und den Sabber hinunterschlucken, ehe er antworten konnte. »Das steht noch nicht fest, werte Dame. Aber ich hoffe für Euch, dass es der alte Sack oder der kleine Naivling ist.«
»Warum? Willst du, dass ich gewinne?«, fragte sie und testete damit ihre Waffen.
»Es täte mir leid …, wenn sowas Hübsches wie Ihr … in Stücke gehauen würde.«
»In Stücke gehauen?« Sie blinzelte ihm zu. »Wer würde mich denn in Stücke hauen?«
Ein theatralisches Seufzen, eine hochgezogene Augenbraue, ein allzu tiefes Einatmen und schon hing der Hänfling-Blick genau dort, wo er hingehörte. Jetzt hätte sie ihn entwaffnen oder an die richtige Stelle treten können. Sie war also kampfbereit. Selbst die Kopfschmerzen verblassten angesichts dieser Erkenntnis.
Der Wachmann zwang sich, ihr wieder ins Gesicht zu sehen. »Alle anderen wollen das tun. Alle neunzehn. Denn morgen wird die Gruppe der Probanden nur noch halb so groß sein.«
»Es ist ein Kampf auf Leben und Tod?«, entfuhr es Fehris etwas zu schrill. Sie traf dabei beinahe die Stimmlage des Wachmannes. Ihr Körper versteifte sich reflexartig und für die Dauer eines Herzschlags wich ihre aufgesetzt überhebliche Miene dem panischen Ausdruck des kleinen Mädchens im Schweinepferch. In was für einen riesigen Misthaufen habe ich mich diesmal nur wieder katapultiert?, fügte sie innerlich hinzu. Sie fing sich aber schnell wieder und besann sich ihrer Stärke und der Erfolge, die sie als Kämpferin bereits gefeiert hatte. Das hier war nichts anderes als ein weiterer gefährlicher Söldnerauftrag. Der Tod war Teil ihrer Profession und bisher war sie ihm noch immer von der Schippe gesprungen.
»Ich bete zur Lichtgöttin, dass sie Euch einen schwachen Gegner zulost«, sagte der Hänfling und klang dabei auf einmal wie ein Bruder, der sich Sorgen um seine kleine Schwester machte.
Fehris gefiel diese Entwicklung ganz und gar nicht, zumal sie es hasste, bemitleidet zu werden. »Bete lieber für den, den sie mir zulosen.« Zeit, um weiter darüber nachzudenken, blieb ihr nicht, denn in dem Moment wurde die Tür zu ihrer Kammer ganz aufgestoßen und zwei weitere Wachen traten ein, gefolgt von einem älteren Herrn mit Umhang und Spitzbart sowie einem Mann und einer Frau, die so etwas wie die Gehilfen des Alten zu sein schienen. Spitzbart trug ein ledernes Säckchen in der Hand, in dem etwas herumklimperte. Dieses öffnete er nun und hielt es ihr entgegen, ohne auch nur einen einzigen Blick auf ihr Dekolleté zu werfen. »Willkommen im Kreis der erlauchten Probanden, Fehris Büdner. Ich habe Euren Gegner für die erste Prüfung ausgelost.«
»Moooooment!«, widersprach sie. »Wer zum Geier seid Ihr und was geschieht, wenn ich mich weigere?«
»Es ist nicht erlaubt, die Prüfung abzubrechen!«, zischte der zweite Mann. Es war ein kleiner, feister Kerl, dem Fehris problemlos auf den Kopf hätte spucken können. Einer dieser Prinzipienreiter, die anderen Menschen gegenüber weder Mitgefühl noch Zuneigung empfanden.
»Beruhigt Euch, Mädchen. Mein Name ist Meister Belam«, erklärte Spitzbart in aller Ruhe. »Und so sehr ich es auch bedauere, aber Novicius Lantbert hat recht: Mit Eurem Erscheinen gestern Abend in der Lichtbogenfeste seid Ihr einen bindenden Vertrag mit den Magiern von Meribor eingegangen. Es gibt genau zwei Möglichkeiten diesen aufzukündigen: Euren Sieg oder Euren Tod.«
»Ich habe niemals zugestimmt, eine Prüfung auf Leben und Tod abzulegen!«, ereiferte sich Fehris.
»Doch, das habt Ihr. Mit Eurem Zeichen auf dem Dokument des Pfandleihers Gunther. Sein Diener hat es uns gezeigt, als er Euch in unsere Obhut gab.« Belam verzog keine Miene. Einzig das graue Geschöpf neben ihm runzelte in einem Anflug von Mitleid die Stirn. »Meister, womöglich ist die junge Dame durch unlautere Mittel hier gelandet«, gab sie zu bedenken.
»Euer gutes Herz in allen Ehren, Novicia Helikon, doch Probandin Fehris wurde nicht übler mitgespielt als vielen anderen. Und ebenso wie diese anderen wird sie zu ihrer Prüfung antreten.«
Es klang endgültig. Eine von vielen Erkenntnissen, die Fehris in ihren vierundzwanzig Lebensjahren gewonnen hatte, lautete: Dinge, die von oberster Stelle beschlossen worden waren, ließen sich nur selten abwenden. Man konnte sie nur aushalten und auf ein Schlupfloch warten, das sich in der Regel nach einigen Tagen oder Wochen auftat. Irgendwann entkam man jedem Schweinepferch. »Na schön«, sagte sie mit fester Stimme. »Wer also ist mein Gegner?«
Anstatt ihr einfach den Namen zu nennen, hielt Belam ihr eine Kugel entgegen, die vermutlich aus seinem klimpernden Säckchen stammte. Fehris drehte den glattgeschliffenen Stein zwischen ihren Fingern und entdeckte einen eingravierten Namen: Ulrich von Baumburg. Keiner der Magier zeigte eine Reaktion. Also blieb ihr nur zu hoffen, dass es sich bei diesem Ulrich um einen Kerl handelte, der wenigstens einer Seite ihres zweischneidigen Schwertes zum Opfer fallen würde.
Eskortiert vom Hänfling und den beiden Wachen der Magier wurde sie in den Innenhof der Burg geführt, wo sich bereits etliche Leute versammelt hatten – eng an die Wände der Mauern und Gebäude gedrückt, um nur ja keinen verirrten Schwerthieb abzubekommen, und zurückgedrängt von weiteren grünen Soldaten. Ulrich von Baumburg wartete schon auf seinen Gegner. In Kettenhemd und Waffenrock stand er neben einem ausladenden Tisch voller Waffen, von dem er längst eine herausgepickt hatte: ein beeindruckendes Langschwert. Er war ein breitschultriger Recke mit seidig glänzendem Haar und gepflegtem Bart. Auf den ersten Blick ein gut trainierter und ausgebildeter Kämpfer, der Fehris haushoch überlegen zu sein schien. Sie kannte aber jenes lüsterne Blitzen nur zu gut, welches sich in seinen Augen spiegelte. Gewiss hatte er die letzten Stunden damit verbracht, den Mägden nachzustellen. Wenn ihn überhaupt irgendetwas belastete, dann wohl einzig der Gedanke, dass er sie, Fehris, nicht mehr in sein Bett zerren konnte, nachdem er ihr das Herz durchbohrt hatte. »Was für eine Verschwendung!«, urteilte er, wobei sein Blick genüsslich von oben bis unten über ihren Körper glitt. An ihren Beinen blieb er am längsten hängen.
»Wieso hast du nicht meinen Namen aus dem Beutel gefischt?«, schrie ein anderer aus der Reihe der Zuschauer, bei dem es sich wohl ebenfalls um einen Prüfling handelte.
»Oder meine Kugeln! Die dürfest du auch gerne rausholen, alle beide!«, brüllte ein anderer, woraufhin die Meute in lautes Gelächter ausbrach.
»Wählt Eure Waffe!«, wies eine der Wachen Fehris barsch an.
Sie warf ihr Haar in den Nacken und schritt an dem Waffentisch entlang. Sie wusste längst, welche davon sie wählen würde, doch sie brauchte noch etwas Zeit, um diesen Ulrich zu beobachten – und um ihn in Sicherheit zu wiegen, und zwar mit ihren Hüften. Ein paarmal tänzelte sie vor dem Tisch auf und ab, bis der Recke schließlich theatralisch sein Schwert in die Luft hob und in Richtung des Publikums schrie: »Wie soll ich diesem Prachtstück nur den Kopf abschlagen?«
Lachen, Grölen, Feixen ringsum. Fehris zog ihren Brustpanzer noch ein Stück nach unten und den Rock nach oben, dann nahm sie ein Kurzschwert sowie den dazugehörigen Schild vom Tisch.
»Damit kommst du nie durch das Kettenhemd!«, erkannte ein Hüne von einem Kerl.
»Und in seine Reichweite auch nicht!«
»Beide Kämpfer haben ihre Waffen gefunden!«, ertönte die sonore Stimme Meister Belams vom Wehrgang herab, wo er von seinen Gehilfen flankiert an der Brüstung stand. »Mögen sie nun ihre Startpositionen einnehmen!«
Jemand hatte in kurzem Abstand zum Brunnen zwei Kreuze in den Sand gezogen. Mit schnellen Schritten ging Fehris auf das vordere der beiden zu, denn dort würde die Sonne hinter ihr stehen und sie wollte nicht geblendet werden. Ulrich wusste genau, dass sie sich dadurch einen Vorteil verschaffte, doch sowohl seine Überheblichkeit als auch seine Ritterlichkeit einer Frau gegenüber verboten ihm, auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Also stellte er sich ihr gegenüber auf und fing sofort zu blinzeln an.
»Was soll ich jetzt mit ihr machen? Soll sie lange zappeln?«, schrie der Recke den anderen Prüflingen zu.
»Zeig ihr dein Langschwert!«, rief ein blonder Schnösel zurück und vollführte dabei eine obszöne Geste.
Ein Fanfarenstoß kündigte den Beginn des Kampfes an, woraufhin Ulrich sich wieder auf das Wesentliche konzentrierte und versuchte, so um den Brunnen herumzukommen, dass die Sonne nicht mehr direkt in sein Gesicht schien.
Fehris verhinderte es, indem sie ihm den Weg abschnitt. Auf keinen Fall durfte sie es auf einen längeren Nahkampf mit dem stärkeren und besser gerüsteten Mann ankommen lassen. Zwei oder drei seiner Schläge auf ihren Schild konnte sie vielleicht abfangen, ehe ihre Muskeln ermüdeten. Daher musste eine schnelle Lösung her oder sie war tot.
Die Lider leicht zusammenkniffen polterte Ulrich auf sie zu. Im Laufen hob er sein Schwert, doch es war ein reiner Test. Er wollte sehen, ob und wie sie seinen Hieb parierte, was für sie bedeutete: Sie musste sich entsprechend dumm anstellen, damit er sie noch weiter unterschätzte. Obgleich sie genau wusste, dass sein Schlag von oben rechts nach unten links ausgeführt war, ließ sie ihren Schild erst in die falsche Richtung zucken, bevor sie ihn abfing. Das riesige Schwert krachte gegen das Holz, dass die Späne nur so flogen. Fehris’ Arme vibrierten und Ulrich grinste. »Was für ein Jammer, Mädchen!«
Erneut wollte er die Richtung wechseln, um besser sehen zu können, doch sie versperrte ihm mit einem katzenhaften Sprung den Weg, was die Rundungen unter ihrem Brustpanzer in Wallung brachte. Ihr wahrer Trumpf aber waren ihre Beine, wie sie sich vorhin gemerkt hatte. Sie spannte die Muskeln auf ihren Oberschenkeln an, ehe sie den Schild aufreizend zur Seite tanzen ließ. Ulrich glotzte, gierte und stieß ein tiefes Seufzen aus. Das war der unaufmerksame Moment, auf den Fehris gewartet hatte. Mit der linken Hand stieß sie dem überraschten Recken den Schild entgegen, während sie darunter hindurchtauchte und ihre Klinge von unten in seinen Hals trieb. Ein verblüfftes Gurgeln drang aus der Kehle des Kriegers, gefolgt von einem Schwall Blut. Fassungslos starrten seine blauen Augen sie an, dann brach sein Blick und er sackte in sich zusammen.
Kein Laut durchschnitt die Luft, während Fehris sich aufrichtete und den Schild zu Boden warf. Mit dem besudelten Schwert stand sie da, ekelte sich vor dem Blut, dem Schmutz, dem Tod, und hielt die Blicke all derer, die einfach nicht glauben konnten, was sie gerade gesehen hatten. Ein zweiter Fanfarenstoß kündete vom Ende des Kampfes.
»Fehris Büdner besiegte Ulrich von Baumburg«, erklang die ausdruckslose Stimme Belams.
Erst bei diesen Worten schafften es die übrigen Probanden, sich von der jungen Söldnerin abzuwenden und aufgeregt miteinander zu tuscheln.
Fehris hoffte, dass sie nun zurück in ihre Zelle durfte, wo vielleicht ein neuer Eimer Wasser stand, um sich zu waschen. Sie wollte niemandem mehr beim Sterben zusehen, auch wenn offenbar jeder einzelne »Proband« in der Lichtbogenfeste eine potenzielle Gefahr für sie darstellte. Leider scheuchten die Wachen sie direkt zu den Zuschauern hinüber, anstatt ihr die dringend benötigte Erholungspause zu gönnen. Was auch immer der Sinn und Zweck dieser Veranstaltung war, eines wurde ihr langsam bewusst: Die Prüfung war ein Gemetzel, aus dem kaum jemand lebend herauskommen würde. Typen wie der breitschultrige Hüne oder der blonde Schnösel hatten vielleicht eine reelle Chance, sich durch pure Kraft oder fiese Tricks durchzusetzen, doch im Kreise der Auserwählten befanden sich auch ein ungepflegter Alter in einer Mönchskutte und ein junger Kerl, in dessen Blick sich bereits beim Anblick des toten Ulrichs reines Entsetzen spiegelte. Wie sollten solche Männer einen Kampf auf Leben und Tod gewinnen? Keiner von ihnen würde mehr die Sonne aufgehen sehen. Und was am nächsten Tag auf sie zukam, wollte Fehris gar nicht wissen. Sie musste fliehen, am besten noch heute Nacht. Dummerweise ahnte aber nun jeder, dass sie kein hilfloses Weib war. Und vermutlich würde nicht nur der sabbernde Hänfling dafür sorgen, dass der Riegel ihrer Zellentür in den kommenden Stunden genau dort blieb, wo er war.
Hätte sie doch bloß die Finger von diesem verfluchten Würfelbecher gelassen!