Alter schützt vor Torheit
Marl versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken, was ihm aber nur teilweise gelang. Er wusste, wie respektlos das anmutete – in Anbetracht der blutrünstigen Kämpfe, die er sich seit dem Morgengrauen anschauen musste, aber so war der Mensch nun mal: Er gewöhnte sich an alles – und wenn es sich um den widerwärtigen Anblick von Leuten handelte, die einander abschlachteten. Nichts anderes war dieser Popanz von Prüfung nämlich: Ein Schlachthaus, in dem sich gute Männer und eine Frau ohne einen für Marl erkennbaren Sinn gegenseitig töteten, nur weil eine Kugel sie einander zufällig zugelost hatte.
Marl zwang sich zuzusehen, wie ein kleiner, rothaariger Mann gerade einem anderen mit ausgestrecktem Fuß gegen die Brust trat. Der Kleine tänzelte augenblicklich davon, als er bemerkte, dass sein Angriff nicht das gewünschte Ergebnis hatte und sein Gegenüber weiter fest auf beiden Beinen stand. Marl schüttelte traurig den Kopf. Man musste kein Prophet sein, um zu wissen, wie dieser Kampf ausgehen würde. Der Rothaarige – Marl machte sich nicht die Mühe, die Namen seiner Mitstreiter im Gedächtnis zu behalten – hatte bereits seine Waffe verloren. Sie war auf Nimmerwiedersehen im Brunnen verschwunden und die abstrusen Regeln jenes Wettstreits ließen nicht zu, dass er sich eine neue vom Waffentisch holte. Noch war er schnell genug, um dem finalen Schlag zu entkommen, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sein Schicksal endgültig besiegelt war.
Sein Gegner verpasste ihm mit der von ihm gewählten Klingenpeitsche, die er – das konnte Marl ihm neidlos zugestehen – meisterlich beherrschte, kleinere und größere Wunden, egal wohin er sich wegduckte oder sprang.
»Ahh!«, schrie der Rothaarige auf, als ihn die surrende Waffe mit einem schnellen Schlag an der Schläfe traf. Blut lief hinunter und zweiteilte sein Gesicht – so, als ob die eine Hälfte schon in die Zukunft blicken würde, die andere aber noch nicht verstanden hatte, was der Hahn bereits vom Misthaufen krähte.
Mit einem feinen Zischen schnellte die Klingenpeitsche jetzt vor und wickelte sich unglaublich schnell um den Hals des Rothaarigen. Ein heftiger Ruck und die zahlreichen kleinen Messer der eisernen Peitsche gruben sich in das ungeschützte Fleisch des Mannes.
Der Rothaarige gab ein ersticktes Gurgeln von sich.
Ein weiterer Ruck und jäh fiel dessen Schädel mit einem ekelhaften Ploppen zu Boden. Er rollte einige Schritt weit und blieb mit offenen, anklagenden Augen am Rand des Brunnens liegen.
Marl wandte sich ab. Das Bild war selbst für ihn, der schon viel gesehen hatte in seinem langen Leben, schwer zu ertragen. Sein Blick fiel dabei zufällig auf den schmalen Burschen, dem er letzte Nacht die Augen geöffnet hatte, was ihn heute erwarten würde. Der saß zusammengesunken mit starr auf den Boden gesenktem Kopf an der Burgmauer und hoffte wohl, dass er diesem Massaker entkommen könnte, wenn er einfach nicht hinsah. Vor lauter Selbstmitleid hatte Marl kein Mitgefühl mehr für den Kleinen übrig. Der Tag hielt für sie beide nicht gerade rosige Aussichten bereit.
Die sonore Stimme des alten Zauberers fesselte Marls Aufmerksamkeit. Der alte Furz hantierte mit seiner gichtverkrümmten Pfote schon wieder in dem verfluchten Beutel mit den Kugeln herum. »Hans der Schuhmacher«, präsentierte er den nächsten Kandidaten, »tritt an gegen …«
Marls Herzschlag setzte einen Moment aus. Jedes Mal, wenn sein Name nicht genannt wurde, war er gleichzeitig erleichtert und enttäuscht. Es war eine elende Qual zu wissen, dass man sich im Laufe des Tages auf jeden Fall einem Kampf auf Leben und Tod stellen musste, aber nicht wusste, wann. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand schon eine Weile hinter sich gelassen. Marls Magen knurrte – wie die meisten hatte er bei dem herrlich reichhaltigen Frühstück nichts herunterbekommen. Dafür hatte sich sein Darm endlich mal beruhigt – man musste auch mit kleinen Dingen zufrieden sein. Sein Blick war starr auf den Beutel des Zauberers gerichtet. Der Alte hatte darin bereits eine Kugel umklammert, ließ sie urplötzlich aber wieder los und griff eine andere. Mit herrschaftlicher Miene zog er das verfluchte schwarzglänzende Teil hervor und las den eingravierten Namen: »Sigismund Freiherr von Biedenfeld.«
Hans der Schuhmacher konnte ein erschrecktes Keuchen nicht unterdrücken. Taumelnd ging er zu dem ausladenden Waffentisch.
Der adelige Angeber, mit dem Marl schon gestern unangenehme Bekanntschaft gemacht hatte, grinste über das ganze Gesicht und folgte seinem Gegner mit solch federnden Schritten, als würde er seine Braut zum Altar führen. Oder zur Hochzeitsnacht.
Der Schuhmacher studierte einen kurzen Augenblick die vielfältige Waffenauswahl und ergriff dann überhastet ein großes Schwert mit allerlei unnützem Zierrat am Griff, das er mit zwei Händen hochheben musste, obwohl es im eigentlichen Sinne kein Bidenhänder war.
Ganz falsche Wahl, Schuster. Derartige Schwerter erforderten jahrelange Übung. Marl wusste, dass er einen lebenden Toten vor sich sah.
Nun war es an Sigismund zu wählen. Fröhlich inspizierte er die Waffen und machte über die ein oder andere sogar eine abfällige oder belehrende Bemerkung. Er ließ sich ungewöhnlich viel Zeit mit seiner Auswahl. Hans der Schuhmacher kam währenddessen schon ins Schwitzen, weil er die ganze Zeit sein schweres Schwert halten musste.
Marl war davon überzeugt, dass das auch genau Sigismunds Absicht gewesen war. Schlaues Arschloch , dachte er angewidert und beeindruckt zugleich.
»Sigismund, es ist an der Zeit zu wählen«, forderte Belam mit sonorer Stimme.
»Natürlich, Meister«, entgegnete der Adelige mit demütigem Ton und schnappte sich blitzschnell ein sehr langes, schlankes Schwert und einen kleinen Rundschild, den er routiniert am linken Unterarm befestigte. Ein kurzer Probeschwung bewies, dass die Waffe perfekt in seinen Händen lag.
Die hast du verlogener Bastard dir doch schon ausgesucht, als die Blonde mit den drallen Titten ihren beeindruckenden Kampf bestritten hat , war Marl überzeugt.
Die beiden Kontrahenten wurden von zwei Burgwachen zum Kampfplatz vor dem Brunnen eskortiert. Hans der Schuhmacher war so blass, dass zu befürchten war, dass er schon vor dem Kampf zusammenbrach.
Marl war schleierhaft, warum sich dieses Kerlchen für die Prüfung gemeldet hatte. Vielleicht war er gezwungen worden, oder auf ihm und seiner Familie lasteten so hohe Schulden, dass er keinen anderen Ausweg mehr gefunden hatte. Oder der Idiot hatte im letzten Moment seinen Kopf vom Richtblock gezogen.
Die Auserwählten mussten sich mit dem Beginn des Zweikampfes noch ein wenig gedulden, da einige willfährige Diener erst die improvisierte Arena rund um den Brunnen zu säubern hatten. Einer von ihnen steckte gerade den abgeschlagenen Kopf des Rothaarigen in einen Sack und ein anderer streute großflächig Sägespäne auf die riesigen Blutflecken, die den ockerfarbenen Sand des königlichen Burghofs dunkel gefärbt hatten. Ganz so, als ob dann niemand bemerken würde, welch stattliche Anzahl an Männern dort bereits hingemetzelt worden waren.
Mit einer übertriebenen einladenden Geste erlaubte Sigismund dem armen Schuhmacher, seine Seite zu wählen. Der zuckte nur unsicher mit den Schultern und blieb schlussendlich einfach stehen, wo er war.
Sigismund klopfte ihm anerkennend auf die Schulter und ging dann zu dem zweiten Kreuz hinüber, das die Diener zum gefühlt hundertsten Mal an diesem Tag in den Sand gezeichnet hatten. 
Marl seufzte und drückte den Rücken durch. Der schlecht gegerbte und leider sehr steife Lederharnisch, den man ihm und allen anderen zur Verfügung gestellt hatte, die kein eigenes Rüstzeug mitgebracht hatten, knarzte dabei protestierend. Das Mistding drückte an den unmöglichsten Stellen und Marl war nicht sicher, ob es ihm wirklich nützen oder ihn eher behindern würde. Sein Rücken und die Füße schmerzten von der zermürbenden Warterei, aber er würde nicht wie der Kleine zur Burgmauer gehen und sich anlehnen, um dem Elend zumindest für den Augenblick zu entkommen, sondern jeden Kampf bis zu dessen bitterem Ende anschauen. Die Männer, die dort ihr Leben verlieren würden, hatten niemand anderen, der sich noch für sie interessierte.
»Beginnt!«, rief Belam laut. Sofort erklang der Fanfarenstoß, der den Kampf freigab.
Überraschenderweise bewegte sich keiner der beiden.
Marl zog die Stirn kraus. Er war davon ausgegangen, dass der adelige Schnösel kurzen Prozess mit dem bemitleidenswerten Schuhmacher machen würde.
»Bitte, guter Mann. Ich weiß, dass Ihr nicht über so herausragende kämpferische Fähigkeiten wie ich verfügt, daher will ich, um der Gerechtigkeit Genüge zu tun, Euch den ersten Angriff erlauben«, plapperte der stattdessen großmütig und so übertrieben laut, damit auch jeder seinen scheinbar ehrenhaften Vorschlag mitanhören konnte.
Hans ließ sich das einen kurzen Augenblick durch den Kopf gehen, dann hievte er sein schweres Schwert hoch, an dessen Spitze etwas Sand vom Boden klebte, und rannte damit auf Sigismund zu. Ungeschickt ließ er die Waffe auf den Adeligen hinabsausen.
Der machte sich einen Spaß daraus, erst im allerletzten Moment zur Seite zu springen.
»Sehr gut, mein braver Schuhmacher«, lobte er höhnisch, »jetzt bin ich aber dran.« Behände hinterlief er seinen Gegner, der noch damit beschäftigt war, das Schwert wieder hochzuheben und stach ihm in einer flirrenden Bewegung, die so schnell war, dass man genau hinschauen musste, um sie zu sehen, in die ungeschützte Stelle unter der Achsel. Der Stich war so heftig ausgeführt, dass die lange Klinge in einem schier unmöglichen Winkel auf Höhe des Brustbeins des Schuhmachers wieder austrat.
Ungläubig schaute Hans auf die blutverschmierte Waffenspitze. Er taumelte, fiel aber nicht.
Sein Gegenüber zog das blutige Schwert heraus und machte sich einen Spaß damit, ihm sein unausweichliches Schicksal noch ein Weilchen vorzuenthalten. Immer wieder verpasste er seinem eigentlich schon toten Gegner kleinere und größere Wunden.
Die gellenden Schreie des Handwerkers drangen in bis in die letzte Ecke des Burghofs.
Marl konnte sich das Ganze nicht länger mit ansehen: »Bring es doch endlich zu Ende!«, brüllte er.
»Opa, keine Sorge, du kommst noch schnell genug selbst an die Reihe«, antwortete Sigismund. Aber er legte tatsächlich seine bisher zur Schau gestellte Zurückhaltung ab und trat dem Mann ins Kreuz.
Der schwerverletzte Schuster kippte vornüber.
Sigismund stellte einen Fuß auf den Rücken des Handwerkers und stach ihm mit dem Schwert mehrmals brutal in die Lenden.
Hans röchelte schmerzgepeinigt, als die Klinge immer wieder in und aus seinem Körper fuhr. Grellrotes Blut floss aus seinem Mund und wurde gierig von den frischen Sägespänen aufgesogen.
Sigismund begann jetzt seinem bereits besiegten Gegner erst die linke Hand und dann den Rest des Armes abzuhacken. Blut spritzte dabei auf seine bisher so makellose Plattenrüstung.
Marl wurde übel.
Das Blut schoss aus dem Stumpf, wie die Fontänen der städtische Zierbrunnen, mit denen der Stadtpark Kandorias gesäumt war.
Hans’ Schreie wurden zu einem furchtbaren Jammern.
Marl konnte nicht fassen, dass die Zauberer Derartiges zuließen. Er schaute zu ihnen hoch, aber allenfalls die Frau zeigte einen Anflug von Entsetzen. Die beiden Männer blickten kühl auf das Schauspiel herunter.
Eine gnadenbringende Ohnmacht erlöste Hans endlich, zumindest gab er keinen Ton mehr von sich. Sein Körper zuckte dennoch unter jedem von Sigismunds Schlägen.
Der widmete sich jetzt dem Kopf des armen Schuhmachers. Mit wenigen gezielten Schlägen hatte er diesen vom Körper getrennt. Triumphierend hob er ihn an den Haaren hoch. Sigismunds Gesicht war über und über mit Blut befleckt. Er präsentierte Hans’ Haupt in Richtung der Zauberer. »Das ist für Meribor und Kandoria!«
Marl spuckte angewidert aus und drehte sich von dem unwürdigen Gemetzel weg. Er blickte auf seine verbliebenen Mitstreiter – allesamt Kerle, die auch niemanden mit Samthandschuhen anfassen würden, aber das, was der adelige Mistkerl gerade abgezogen hatte, verschlug sogar ihnen die Sprache. Selbst der Hüne mit den baumdicken Armen, von dem jeder hoffte, ihn nicht zugelost zu bekommen, sah schockiert aus.
Einzig Belams Gesicht blieb die immergleiche Maske. Schon hatte er wieder seinen Lederbeutel hervorgekramt und wühlte darin herum.
Ich wünschte, ihm würden die Finger abfaulen , dachte Marl resigniert.
Die erste Kugel tauchte in der altersfleckigen Hand des Zauberers auf. »Hendro, genannt der Brecher.«
Ein stiernackiger Bursche stand auf und boxte motiviert in die Luft. Sein Gesicht wurde von einer langen Narbe durchteilt und die Nase war so schief, dass es einem Wunder gleichkam, dass er dadurch noch Luft holen konnte. Ganz offensichtlich ein Kämpfer mit reichlich Erfahrung.
Bevor Marl denken konnte: Was für ein bescheuerter Name , glitt die Hand des Magiers erneut in den Lederbeutel.
»Marl van Tellenkamp.«
Marl machte sich mit einem schwerfälligen Seufzen bereit. Irgendwie war er nun doch froh, dass er endlich an der Reihe war und die ewige Warterei ein Ende hatte. Er nickte seinem Kontrahenten zu. Marl fand es unnötig, zu jemandem unfreundlich zu sein, nur weil man gegeneinander auf Leben und Tod kämpfen musste – das war der Unfreundlichkeit schon genug.
Hendro grinste ihn zufrieden an und ließ sein Gebiss aufblitzen – ihm fehlten zwei Schneidezähne. Marl wusste, warum der junge Mann frohlockte: Er hatte den Tattergreis abbekommen.
»Wählt die Waffen und macht schnell«, zischte sie eine der lindgrünen Wachen an, die sie zum Auswahltisch eskortierten. »Der Himmel sieht nach Regen aus und mein Dienst endet in Kürze.«
Der arme Kerl … Marl verkniff sich jede Art von bissiger Bemerkung, obwohl ihm einige davon auf der Zunge brannten. Er musste sich auf das konzentrieren, was nun folgen würde.
Hendro hatte als Erster die Wahl der Waffen. Er inspizierte den Tisch nicht sehr lange – sie alle hatten dazu den gesamten Tag reichlich Zeit gehabt – und entschied sich zielgerichtet für zwei lange Parierdolche mit lederumwickelten Griffen. Genau die Waffen, die ein Meuchelmörder wählen würde – und schon wusste Marl, mit welcher Art von Gegner er es zu tun hatte.
Marl überblickte die Waffen, die teilweise schon blutbeschmutzt waren. Niemand machte sich die Mühe, sie nach den Kämpfen zu reinigen. Er wusste bereits, dass die Waffe, die ihm vorschwebte, nicht dabei war, deswegen machte er das Sinnvollste, was ihm einfiel, um das Problem zu lösen: Er fragte einfach danach. »Gibt es hier keinen Fléau d’armes?«
Die Burgwachen schauten ihn an, als wären ihm gerade Flammen aus dem Hintern geschlagen.
Marl hatte genau auf diese Verwirrung gebaut, um seinen Wunsch erfüllt zu bekommen. »Oh entschuldigt, manchmal verfalle ich in den Dialekt der Westlande. Ich meine einen Scorpion.«
Noch immer blickten sie ihn an wie zwei Esel, die auf eine Möhre warteten.
Da bekam Marl überraschende Hilfe vom Schlächter Sigismund. Der hatte mittlerweile einen Schlauch mit Brandwein in der Hand, war aber immer noch voller Blut. »Der Bauernlümmel will einen Flegel. Tut ihm doch den Gefallen. Vielleicht gibt es in den Ställen einen, durch den ihr noch schnell ein paar Nägel schlagen könnt. Wird bestimmt ein amüsanter Kampf.« Er trug es mit so viel Selbstbewusstsein und dem Habitus eines Adeligen, der sein Leben lang andere herumkommandiert hatte, vor, dass die beiden Wachen hilfesuchend zu den Zauberern blickten, anstatt Marl zu befehlen, sich mit dem zu begnügen, was vorhanden war.
Belam nickte, winkte aber mit der Hand zur Eile.
Nach einer Weile kam ein Stallbursche mit der bestellten Waffe zurück.
Augenblicklich bereute Marl seine Wahl. Es war kein richtiger Streitflegel mit einer eisernen Kette am Schlagstab, sondern einer von denen, die man zum Strohdreschen nutzte. Das Verbindungsband zwischen Griffstück und dem Schlagkopf bestand aus einem festen Lederriemen. Zwar war der Schlagkopf mit fingerlangen Nägeln durchstoßen, aber Hendro brauchte nur einen geschickten Treffer mit seinen Dolchen zu landen und schon würde Marl mit nichts mehr als einem Knüppel dastehen.
Sigismund nickte ihm erhaben zu. »Ich lese den Dank aus deinen Augen ab, alter Mann. Gern geschehen. Ich habe mich den einfachen Leuten immer sehr verbunden gefühlt und wer würde einem Sterbenden nicht gern den letzten Wunsch erfüllen.« Er zwinkerte Hendro verschwörerisch zu, trank noch einen langen Schluck und schlenderte davon. Zurück blieb nur ein herber Geruch nach Schweiß, Blut und Schnaps.
»So, nun aber los«, befahl die Wache und drückte Marl den improvisierten Streitflegel in die Hand.
»Wo willst du stehen, alter Mann?«, fragte Hendro nicht unfreundlich. Er machte wohl ebenso keine persönliche Sache aus diesem Kampf, sondern erledigte – wie immer – schlicht seine Arbeit.
Marl blinzelte zum Himmel. Die Sonne lugte zwischen grauen Wolkenfetzen hervor. Er entschied sich für die gegenüberliegende Seite, weil er sie dort im Rücken haben würde. Vielleicht war der Himmelskörper ja auf seiner Seite und blendete seinen Gegner ein wenig. Er stützte sich auf seinen Flegel auf und schlich mit krummem Rücken zu dem Sandkreuz.
Kaum, dass er dort stand, rief Belam auch schon: »Beginnt!« Umgehend folgte der Fanfarenstoß zur Freigabe der Kampfeshandlung.
Hendro verlor keine Zeit. Er wollte die Sache offensichtlich nur schnell hinter sich bringen – vielleicht dachte er an die armen Wachen und deren Mehrarbeit. Er spurtete leichtfüßig und ohne Hast auf Marl zu. Den Dolch in der linken Hand mit der Klinge über dem Unterarm, um sich damit verteidigen zu können und den in der anderen zum Zustechen bereit.
Marl holte tief Luft. Für einen kurzen Moment hörte er Möwen schreien, schmeckte Salzwasser und spürte fast das schwankende Deck unter seinen Füßen. Eigentlich hatte er diesem Leben abgeschworen, aber was man einmal erlernt und so viele Jahre ausgeübt hatte, daran erinnerte sich der Körper einfach, ohne dass man viel dazutun musste. Er täuschte einen ungelenken Schlag mit dem Nagelkopf des Flegels an, der Hendro einen halben Schritt nach rechts ausweichen ließ. Mit dem Handgelenk brachte er gleichzeitig die Haltestange geschickt so in Bewegung, dass der Kopf der Waffe sich zu drehen begann. Schneller und schneller.
Hendro ließ sich von alldem nicht beeindrucken und ging lauernd weiter auf Marl zu.
Marl wusste, dass er keine Chance hatte, sollte sein Gegner beschließen, einen der Dolche auf ihn zu werfen. Er war keine Zwanzig mehr und konnte nicht katzenhaft ausweichen, sondern sich höchstens zur Seite fallen lassen wie der sprichwörtliche alte Sack.
Hendro war etwa noch drei Schritte von Marl entfernt, beide Dolche zum Zustechen bereit.
Jäh drehte sich Marl zur Seite, richtete seinen sich drehenden Flegel nach unten und ließ ihn in das ungeschützte Gemächt des Mannes fahren. Die Nägel verrichteten ihr grausames Werk und bohrten sich tief in das Fleisch seines Gegners.
Hendro schrie schmerzerfüllt auf. In seinem Schritt breitete sich dunkles Blut aus. Er kam ins Stolpern, ließ aber selbst im Fallen keine seiner Waffen los.
Marl verlor keine Zeit. Er riss den Flegel nach oben und ließ ihn auf den ungeschützten Hinterkopf Hendros hinabfahren. Ein widerliches Knacken, das an zerbrechende Eier erinnerte, erklang, als der Schädel des jungen Mannes unter dem brachialen Schlag barst.
Marl schlug zur Sicherheit noch ein weiteres Mal zu, aber Hendro sollte sich nie wieder rühren. »Tut mir leid, Mann, das war nichts Persönliches«, murmelte er und ließ die besudelte Waffe fallen.