Der Ernst des Sterbens
Kaum ein Auge – geschweige denn beide – hatte Dott in der Nacht zugemacht. Die Stunde der Entscheidung rückte näher und damit ein Zweikampf auf Leben und Tod. Hätte er nicht doch versuchen sollen zu fliehen? Nein, Selbstzweifel brachten ihn jetzt nicht weiter. Er durfte nicht zulassen, dass sein Glaube an eine gemeinsame Zukunft mit Clarissa bereits vor dem Kampf starb.
Dott erhob sich von seinem Strohbett. Begrüßte er zum letzten Mal einen neuen Tag? Die Nacht hatte er in einer schlichten Kammer in einem schlichten Bett verbracht. Und mit schlichtem Gemüt , dachte er und ärgerte sich über sich selbst. Wie hatte er in eine solche Situation geraten können? Hunger hatte er keinen, er schenkte sich aus dem Krug auf dem Tischchen einen Becher Wasser ein. Stimmen lockten ihn zu dem schmalen Fenster, mit Blick auf den Burghof. Dort versammelten sich die ersten Probanden rund um den Brunnen. Muskelbepackte, kampferprobte Männer, wo Dott auch hinsah. Ritter, Krieger, Soldaten, Söldner, viele Jahre Ausbildung, um zu töten. Und dann gab es da zur Abwechslung noch einen Ziegenhirten, der feuchte Augen bekam, wenn er versehentlich auf einen Maikäfer trat.
Es donnerte an der Kammertür. »Macht Euch bereit. Der erste Tag der Prüfung steht an«, erklang die Stimme eines Wachmannes.
Wenig später hatten sich alle Beteiligten auf dem Kampfplatz zusammengefunden. Eine große Familie, deren Mitglieder sich anschickten, ein noch größeres Gemetzel zu veranstalten.
Als der Zauberer Belam die Vorgehensweise erläuterte, hörte der Ziegenhirte gar nicht richtig hin, sondern überlegte fieberhaft, wie er seinen Kopf aus der Schlinge ziehen konnte. Zwanzig aufmerksame Bogenschützen zählte er, die den Kampfplatz überwachten, dazu kamen acht Soldaten, die im Hof für den reibungslosen Ablauf der Prüfung sorgten. Zwei Namen waren bereits ausgelost, somit stand das erste Gefecht fest. Ausgerechnet die einzige Frau durfte beginnen – und zwar gegen den schmierigen Weiberhelden vom gestrigen Festbankett. Dott konnte kaum hinsehen. Aber immerhin dauerte es nicht lange, denn der Recke unterschätzte seine Gegnerin. Die Kriegerin schlitzte ihm mit einem geschickten Angriff die Kehle auf wie dem Vieh auf der Schlachtbank. Schon war der Recke verreckt.
Anhand der Namenskugeln loste der Zauberer Belam das nächste Pärchen aus. Den ganzen Vormittag schlugen sich die Probanden im Burghof gegenseitig die Köpfe ein – oder ab, was kaum einen Unterschied machte.
Irgendwann hatte sich Dott voller Grauen abgewendet. Die miterlebten Gemetzel reichten ihm für den Rest seines Lebens, wie lange Letzteres auch immer währen mochte. Widerlich, sinnlos, barbarisch. Warum nur mussten so viele Menschen sterben für einen Kampf, der angeblich für eine gute Sache ausgetragen wurde?
Nun saß der Ziegenhirte abseits der Kampfhandlungen im Schatten der Burgmauer. Die Zuschauer nebenan stöhnten voller Entsetzen. Wenn das hartgesottene Publikum sich zu solchen Gefühlsregungen hinreißen ließ, musste schon außergewöhnlich Grässliches geschehen. Dott wollte es gar nicht wissen, er hielt sich die Ohren zu.
Dumpf drang dennoch ein Brüllen zu ihm hindurch. »Bring es doch endlich zu Ende!«
Einer der Streiter schrie wie am Spieß. Dott erhöhte den Druck auf seine Ohren. Als er glaubte, der Kampf wäre vorüber, nahm er die Hände wieder herunter, gerade rechtzeitig, um diesen blonden Schönling nebenan rufen zu hören: »Das ist für Meribor und Kandoria!«
Eine Welle, geschäumt von Blutgier und Entsetzen, schwappte zu Dott herüber. Die Zuschauer konnten sich kaum beruhigen.
Die Stimme des Zauberers ging dazwischen, kühl und geschäftstüchtig: »Hendro, genannt der Brecher.«
Aha – die nächste Auslosung.
Schon sagte Belam: »Marl van Tellenkamp.«
Demnach begann nun der Auftritt des alten Stinkers, der Dott am Vorabend reinen Wein eingeschenkt hatte. Der Ziegenhirte erhob sich. Aus unerfindlichen Gründen wollte er sich diesen Kampf dann doch nicht entgehen lassen. Vielleicht, weil der Alte ebenfalls ein Außenseiter war, so wie er selbst. Er drängelte sich zwischen zwei Dienern hindurch, sodass er in die behelfsmäßige Arena blicken konnte. Mit finsterer Miene stand Marl vor dem Waffentisch und fragte etwas, das Dott nicht verstand. Es dauerte eine Weile, bis ein Stallbursche mit einem verbeulten Dreschflegel angelaufen kam und ihn dem Alten in die Hand drückte. Was wollte er denn damit? Sein Gegner, ein muskulöser, drahtiger Kämpfer mit zwei Dolchen, beäugte den Opa höhnisch.
Schon ging es los. Himmel, dieser Marl entpuppte sich als versierter Kämpfer. Wie er mit dem alten Flegel umgehen konnte! Direkt der erste Angriff saß. Obwohl der Gegner flink und gewieft agierte, erwischte Marl ihn dort, wo es besonders wehtat. Nicht ehrenhaft, aber effektiv. Danach donnerte er ihm auch noch den nagelgespickten Schlagkopf auf den Schädel.
Dott schloss die Augen. Jubel brandete auf, der Außenseiter hatte tatsächlich gewonnen.
Die Kampfunterbrechung währte nicht lange, schon zog der Zauberer zwei fremde Namen aus dem Beutel.
Dott setzte sich wieder am Rand des Burghofes in den Schatten, wo er an der Mauer gelehnt seine Füße betrachtete, während er mit den Zehen wackelte. Das beruhigte ihn. Nebenan begann das nächste Duell. Innerlich zuckte Dott mit den Schultern und ordnete seine Gedanken. Was konnte er tun? Die Auslosung seines Gegners spielte im Grunde keine Rolle. Die waren ihm sowieso alle turmhoch überlegen. Für einen Sieg und somit fürs Weiterleben mussten am heutigen Nachmittag gleich zwei Wunder geschehen: Erstens, der Feind durfte ihn nicht töten. Zweitens, Dott musste den Feind töten. Wie sollte das gehen, zumal er dieses Blutvergießen hasste? Er erschrak über den tiefen Seufzer, der seiner Kehle entfleuchte.
Ein Todesschrei ertönte. Dott ließ den Kopf gesenkt, er wusste, was jetzt geschah. Ein weiterer Kampf endete, es gab einen Gewinner und einen Toten. Letzterer wurde von zwei Dienern an seinen Füßen durch den Sand aus dem Hof geschleift. Ein Proband weniger. Gestern Abend hatten sie noch zusammen gespeist. Dotts Wut auf den kühlen Belam stieg. Passend dazu ertönte just in diesem Moment die Stimme des Zauberers: »Der vorletzte Kampf der ersten Prüfung steht an.«
Als Nächstes würde der Magier einen Namen aus dem Beutel ziehen. Wenn Dott richtig gezählt hatte, dürften sich darin nur noch vier Steine befinden. Eine vage Hoffnung schlich sich in sein Gemüt. Was ist, wenn sie ihn vergessen hatten? Wenn aus irgendeinem Grund sein Name überhaupt nicht mehr auftauchte?
Es gibt kaum etwas Dünneres, Zerbrechlicheres, Zarteres als Hoffnung. Und dennoch beißen sich die Menschen daran fest wie die Zecken an ihrem Wirt.
»Dott!«, rief Belam der Zauberer, dann stutzte er. »Mehr steht weder auf dem Stein noch auf der Liste. Einfach nur Dott.«
Das langt ja wohl, jeder weiß, wer gemeint ist.
»Es ist so weit. Euer Auftritt steht bevor«, sagte ein Wachmann neben ihm. Dott sah auf und erkannte das Gesicht – es war der andere vom Burgtor. Mit hämmerndem Herzen erhob sich der Ziegenhirte und begab sich zum Kampfplatz, wo der Magier auf der Balustrade wartete. Gespenstische Stille trat ein, nicht einmal Flüstern oder Raunen kam aus den Mündern der Umstehenden.
An vielen Stellen hatte sich der Boden rot gefärbt, daran konnten auch die frischen Häufchen Sägespäne nichts ändern. Drei Finger einer abgeschlagenen Hand lugten anklagend aus dem Sand hervor. An diesem verfluchten Ort hatten bereits acht Menschen ihr Leben gelassen, zwei sollten noch folgen. Dott beschloss, alle Veranstalter des Gemetzels abgrundtief zu hassen, was diese leider nicht einmal erfahren würden, vor allem dann, wenn sich gleich sein Blut dem Sand beimengte.
Links vom Brunnen standen die Streiter, die noch auf ihren Kampf warteten, die letzten drei. Allesamt sahen sie absolut tödlich aus, einer davon grunzte hämisch in seine Richtung. Der Ziegenhirte musste den Kopf in den Nacken legen. Der Hüne mit den riesigen Händen! Prompt knackten und krachten Knochen in Dotts Kopf.
Wertes Glück, sieh zu, dass du dir nicht ausgerechnet den als Gegner aussuchst.
»Willkommen im Kreis der erlauchten Probanden, Dott. Nun werden wir Euch einen Gegner für die erste Prüfung zuweisen!« Ohne sichtbare Gefühlsregung griff Belam in den Beutel und zog einen Stein heraus. »Der Name Eures Mitstreiters lautet: Ritter Bertram Tadeus Grevendorm zu Hohenwald.«
Wer mochte das sein?
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Der Krieger, so lang wie sein Name, erhob sich. Der Hüne! Wer sonst, noch dazu ein Ritter. Der frisch gekürte Gegner fletschte die Zähne und leckte sich über die Lippen, so als würde er ihm damit in Kürze die Kehle aufreißen, um dann sein Blut zu trinken. »Für diese kleine Krabbe lohnt es sich kaum, eine Waffe in die Hand zu nehmen«, grunzte er. »Ich beeile mich und lasse dich nur wenig leiden«, versprach er so großzügig wie großmütig.
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um Angst zu bekommen , befand Dott.
Dott bekam Angst. Er empfand es als Hohn des Schicksals, ausgerechnet gegen den Hünen antreten zu müssen.
Wobei es eigentlich kaum einen Unterschied macht, gegen welchen Gegner ich keine Chance habe , beruhigte er sich.
»Wählt eine Waffe, Dott«, befahl Belam.
Der Ziegenhirte biss sich auf die Lippen und schritt zum Tisch, auf dem sorgfältig aneinandergereiht die Mordwerkzeuge warteten. Im Grunde spielte es keine Rolle, welches er ergriff, handhaben konnte er keines davon. Ihn ekelten die Spitzen, Schneiden und Spieße regelrecht an. Ein kleiner runder Schild fiel ihm ins Auge – ein Buckler, der passte zu ihm. Jetzt noch was für die andere Hand. Auf den ersten Blick wirkten alle Waffen furchtbar klobig. Auf den zweiten auch. Dott griff nach einem Dolch mit einer langen, schmalen Klinge, dann musste er wenigstens nicht schwer tragen.
Jetzt machten sich die Zuschauer bemerkbar. Ihr buntes Stöhnen war die Kurzfassung von: Wie kann man nur so blöd sein? Innerhalb dreier Herzschläge ist er tot .
»Nehmt Eure Positionen auf den Kreuzen ein!«
Dott trottete hinter den Brunnen.
»Beginnt!«, befahl Belam.
Ein Fanfarenstoß ertönte. Ein wahrhaftiger, nicht nur einer in Dotts Kopf.
Der Kampf Ritter Bertram Tadeus Grevendorm zu Hohenwald gegen Dott ging los. Oder besser gesagt, der Ziegenhirte lief los, während der Hüne auf ihn zustürmte – in der linken Hand einen Stachelschild, in der rechten ein Bastardschwert, in den Augen pure Mordlust. Was konnte Dott dem entgegensetzen? Rennen, was sonst. Der Ziegenhirte drehte eine Runde um den Brunnen. Knurrend lief der Hüne hinter ihm her, dabei wirbelte er seine Klinge kunstfertig ums Handgelenk und schwenkte im passenden Rhythmus dazu den Igelschild. Eindrucksvoll! Währenddessen klammerte sich Dott verkrampft an seinen Langdolch. Was wollte er eigentlich damit? Ach ja, den Menschen ermorden, der ansonsten ihn ermorden würde. Ein Hoch auf die Prüfung sowie die konkreten Ziele im Leben.
Man muss sich auch an den kleinen Dingen erfreuen. Immerhin hatte er nun schon länger als drei Herzschläge überlebt.
Er ließ den Hünen etwas herankommen, erhöhte dann jedoch wieder die Brunnenumlaufgeschwindigkeit. Er war definitiv flinker als der Ritter, doch wie lange konnte das gut gehen?
Clarissa, steh mir mit deinen Gedanken und deiner Liebe bei.
In diesem Augenblick hörte er ein Flüstern. Eine sanfte Frauenstimme in seinem Kopf, jedoch nicht Clarissas. »Lass dich nicht einholen. Lauf fort von ihm. Halte Abstand!«
Die Idee hatte ich auch schon , dachte Dott. Zumal ihm nichts anderes übrigblieb, als den Kreislauf des Lebens fortzusetzen.
Abrupt änderte der Hüne seine Richtung und hetzte ihm nun entgegen. Lächerlich, auf so etwas Plumpes war Dott schon als Dreijähriger beim Fangenspielen nicht hereingefallen. Folglich drehte auch er sich um die eigene Achse und gab Fersengeld.
Ein unwilliges Raunen ging durch den Zuschauerkreis. Natürlich fanden sie den Ringelpiez ohne Anfassen langweilig. Immerhin nutzten Wachen und Bedienstete sowie ein Teil jener, die es bereits hinter sich hatten, die Gelegenheit, um Wetten zu platzieren.
»Wer setzt auf den Ziegenzwerg?«, hörte Dott jemanden rufen. »Ich biete eins zu zehn!«
Er vernahm keine Meldung.
»Eins zu zwanzig!?«
Keiner bot dagegen.
Währenddessen flitzte und schwitzte Dott im Kreis. Drei seiner Schritte entsprachen einem des Hünen.
Ab eins zu hundert setze ich auf mich , kam es dem Ziegenhirten in den Sinn. Ich kann nur gewinnen, denn wenn nicht, ist es nicht weiter tragisch. Doch dann fiel ihm Clarissa wieder ein. Er musste ihr die Trauer ersparen.
Die Umstehenden erkannten, dass keine Wette auf den Ausgang des Kampfes zustande käme. Dott galt bereits als tot. Daher rief ein besonders Pfiffiger: »Der Ziegenzwerg schafft keine zehn Runden mehr.«
»Ich halte dagegen«, hielt einer dagegen.
Dotts Brustkorb hob und senkte sich immer schneller. Natürlich spürte er die Anstrengung in seinen Lungen brennen, doch auch sein Gegner schnaufte inzwischen wie ein zerschlissener Blasebalg. Der Hüne hielt an, somit blieb natürlich auch der Ziegenhirte stehen – genau gegenüber, auf der anderen Seite des Brunnens. Ritter Bertram Tadeus Grevendorm zu Hohenwald funkelte ihn listig an. Er hob eines seiner langen Beine und kletterte auf den Brunnenrand. Dort balancierte er auf Dotts Seite hinüber, lauernd wie eine Wildkatze. Ziegenkacke! Mit einem beherzten Sprung könnte der Krieger nun sein Schwert in Reichweite des Gegners bringen. In Windeseile kam Dott ein Gedanke: Das Gleiche galt auch für ihn.
Ich muss diesen Moment nutzen, um etwas Unerwartetes zu tun.
Einem kühnen Gedanken folgte eine kühne Tat: Anstatt zurückzuweichen, um mehr Platz zwischen sich und den Todfeind zu bringen, machte Dott zwei schnelle Schritte auf den Hünen zu und hieb ihm den Buckler vor das rechte Knie. Mit ein wenig Glück würde er mit diesem Manöver den Hünen in den Brunnen schubsen. Der Ritter wankte auf dem Rand, verlor tatsächlich das Gleichgewicht und stieß einen Schrei aus. Dotts Herz bebte – unerwartet hatte sich eine Chance zum Sieg aufgetan. Im letzten Moment hielt sich der Hüne an der Brunnenwinde fest. Mit der Körperbeherrschung eines geschulten Kämpfers fing er sich und vollführte eine Drehung auf dem Standbein, um im nächsten Augenblick in Dotts Richtung zu springen. Mit einem Wutschrei ließ der Ritter das Bastardschwert im Flug auf Dotts Schädel niedersausen. Instinktiv riss der Ziegenhirte den Buckler über den Kopf – die Klinge krachte auf das Holz, der Rundschild zersplitterte in mehrere Teile. Dotts linker Arm fühlte sich taub an, als sei er bereits abgefallen; sein ganzer Oberkörper vibrierte. Unfähig, den kümmerlichen Rest des Bucklers weiterhin festzuhalten, ließ er ihn in den Sand plumpsen.
Als der Hüne zum tödlichen Schlag ausholte, hechtete Dott zur Seite und rollte sich ab. Es knirschte. Der Stahl des Schwertes fraß sich nur eine Daumenbreite neben ihm in den Sand. Im nächsten Augenblick stand der Ziegenhirte wieder auf den Beinen. Den Langdolch hielt er nach wie vor in der rechten Hand, nur was sollte er damit? Nicht einmal zum Abwehren eines Schwerthiebes taugte die Klinge. Erneut wirbelte eine Idee durch seinen Schädel. Ein letzter Versuch aus Verzweiflung geboren, das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden. Er holte aus und warf den Dolch in Richtung des gegnerischen Halses. Wohlgezielt oder Zufall, egal, jedenfalls drehte sich die Klinge einige Male in der Luft und landete genau unterhalb des Kehlkopfes des Hünen. Die Menge raunte. Ein Volltreffer. Leider kein Wirkungstreffer, denn nicht die Spitze, sondern nur der Knauf des Dolches hatte den Hünen getroffen. Der Ritter schüttelte sich kurz und lachte. »Was für ein Wurf, Kleiner. Jetzt bist du fällig.«
Nicht nur in Dotts Kehle wurde es eng. Das erneute Rennen um den Brunnen erachtete er als wenig sinnvoll, denn der Hüne würde sich mit Sicherheit wieder auf den Rand stellen und diesmal auf der Hut sein.
Passend dazu fanden auch die Wetteinsätze ihr jähes Ende.
Es geht nur noch darum, ob der Ziegenzwerg gleich tot oder mausetot ist.
Schon stieß der Hüne mit kreisendem Schwert vorwärts. »Dafür, dass du feige weggerannt bist, werde ich dich leiden lassen. Mal sehen, wie oft deine Gedärme um den vermaledeiten Brunnen passen.«
»Zweimal, darauf wette ich«, rief ein Geschäftstüchtiger.
Immerhin hielt keiner dagegen.
Dott schlug einen Haken, um auf die andere Seite des Kampfplatzes zu gelangen. Leider nur ein Ablenkungsmanöver, die Ideen waren ihm ausgegangen. Er stapfte durch den Sand, der sich mit jedem Schritt tiefer anfühlte. Ein elender Sumpf, in dem seine Kampfeskraft langsam versank. Nur eine Handbreite fehlte, um ungeschoren vorbeizukommen – jedenfalls erwischte ihn der Hüne mit dem Rand seines Schildes. Kein schlimmer Treffer, der den Ziegenhirten dennoch von den Beinen riss. Sofort kniete der Hüne über ihm, bereit zum tödlichen Hieb.
»Es ist vorüber, kleine Krabbe!«, zischte der Hüne. »Jetzt lasse ich dich bluten.«
So endete es also. Dott sah an der hässlich triumphierenden Grimasse seines Gegners vorbei und das liebliche Antlitz Clarissas erschien ihm im Geiste. Der Ziegenhirte konnte sich nichts vorwerfen, er hatte alles versucht, was seine Möglichkeiten hergaben. Und mit ein wenig Glück hätte er es beinahe geschafft. So war das mit dem Glück – genauso zerbrechlich wie die Hoffnung.
Die tödliche Klinge senkte sich auf seinen Hals zu, ein kehliges Geräusch wie von einem wilden Tier ertönte. Der Kopf des Hünen leuchtete rot, mit weit aufgerissenem Mund schnappte er nach Luft. Schweiß tropfte ihm von der Nasenspitze auf Dotts Wange. Die Augäpfel traten hervor. Das Bastardschwert fiel ihm aus der Hand, der Ritter krallte all seine Finger in die eigene Brust, dort, wo das Herz saß. Eine Ewigkeit verharrte er wie eine Steinstatue, während Dott ihn so ungläubig anstarrte, dass die Augen schmerzten. Auch die Zuschauer im Rund blickten schweigend auf das Geschehen. Mit einem hässlichen Röcheln kippte der Hüne zur Seite um wie ein gefällter Baum. Seine Beine zuckten noch einmal, dann blieb er bewegungslos liegen.
Der Lärm um Dott herum wurde lauter, Stimmen dröhnten von allen Seiten. Zunächst verstand der Ziegenhirte es nicht. Hilflos wie eine Schildkröte auf dem Rücken lag er nach wie vor im Sand des Kampfplatzes. Fassungslos betrachtete er den leblosen Körper neben sich. Es war, als hätte Ritter Bertram Tadeus Grevendorm zu Hohenwald der Schlag getroffen. Ein Herzschlag. Oder Kopfschlag. Nirgendwo konnte er eine Wunde entdecken, sämtliches Leben war mit einem Mal aus dem großen Krieger herausgerauscht.
Die Zuschauer konnten sich kaum beruhigen – offenkundig waren sie ebenso erstaunt.
Dott rappelte sich hoch und klopfte den Sand aus den Kleidern. Schlussendlich stand nur noch er in der Arena und hatte die nächste Runde der Prüfung erreicht. Wie er das geschafft hatte, fragte sich nicht nur der Ziegenhirte selbst.
Der Zauberer Belam runzelte die Stirn. Auch in seinem Gesicht war die Verwunderung deutlich abzulesen und ein misstrauisches Funkeln glomm in den dunkeln Augen.
Für den Moment konnte Dott alles um ihn herum egal sein. Der Glückner lebte noch …