Das Gesicht im Traum
Die Zauberer besaßen tatsächlich die Frechheit, am Abend eines ihrer pompösen Festmahle zu veranstalten. Fehris wusste nicht, was es da zu feiern gab, und zudem konnte sie sich nicht vorstellen, dass irgendjemand außer dem widerlichen Sigismund daran teilnehmen würde. Wenn sie einem ihrer Mitstreiter den Tod wünschte, dann dem blonden Schnösel, der auf so unfassbar grausame Weise seinen Gegner zerstückelt hatte. Aber leider schlugen die kältesten Herzen immer am längsten. Sie jedenfalls weigerte sich, ihre Zelle zu verlassen und ließ sich stattdessen vom Hänfling etwas Brot und Käse bringen.
»Ihr habt ehrenvoll gekämpft!«, sagte der Soldat durch das Guckloch, während sein Blick erfolglos versuchte, die Tunika verschwinden zu lassen, die sie anstelle des Brustpanzers übergezogen hatte.
»Ehrenvoll? Nun ja, zumindest erfolgreich.« Sie biss ein Stück von ihrem Brot ab und ergründete den Ausdruck in diesen grauen Augen, die sie unverwandt anstarrten. »Wie lautet dein Name?«
»Curt, furchtlose Dame.«
»Was bist du eigentlich, Curt? Mein Diener oder mein Kerkermeister?«
»Ein bisschen von beidem, würde ich sagen.«
»Also sollst du mir meine Wünsche erfüllen, aber dabei aufpassen, dass ich nicht abhaue, ja?«
»So ist es.« Entschuldigend hob er die Brauen.
Sie legte das Brot zurück auf den Teller und trat näher an das Guckloch heran, eine sachtes Wimpernklimpern im Gesicht. »Nun gut, ich habe einen Wunsch.«
Ganz eindeutig hatte Curt ebenfalls einen und der drang so auffällig aus jeder seiner Poren, wie vorhin das Blut aus den Stümpfen von Hans dem Schuhmacher. Vorbeugend leckte er sich schon mal die Lippen.
Fehris deutete auf den Eimer, der zwar unbenutzt in der Ecke ihrer Kammer stand, aber noch Spuren von früherem Gebrauch aufwies. »Ich habe nicht vor, mich in dieses Ding zu erleichtern. Bring mich zu einem richtigen Abort.«
Hänfling Curt war anzusehen, dass ihr Wunsch nicht ganz dem seinen entsprach. Er seufzte. »Die Statuten der Prüfung
sehen das leider nicht vor. Ich muss mich an die Regeln …«
»Pah, diese Regeln wurden für Männer gemacht!«, unterbrach sie ihn. »Nun komm schon, großer Wachmann. Hab ein wenig Mitgefühl für weibliche Bedürfnisse.« Bei den letzten beiden Worten schürzte sie die Lippen und schickte ihm einen Blick, der von ganz unten kam.
»Da... das darf ich nicht. Aber ... oh ja, ich verstehe Euch gut!«
»Sag Fehris zu mir!«
»Feeeehhhris«, sabberte er.
Es brauchte nicht mehr viel Überzeugungskraft, um ihn dazu zu bewegen, seinen Schlüssel hervorzukramen. Zitternd steckte er ihn ins Schloss und sperrte auf. Ein Blick auf den Flur sagte Fehris, dass er allein war. Trotz ihrer beeindruckenden Vorstellung im Schlosshof hatten die Magier darauf verzichtet, ihr eine weitere Wache vor die Tür zu stellen. Trotzdem entschied sie sich dagegen, den Hänfling direkt zu überwältigen, denn noch war er vermutlich auf der Hut. Außerdem war sie unbewaffnet und in seinem Gürtel steckte ein Schwert. Also musste sie das verachtenswerte Spiel, welches alle Welt immerzu mit ihr spielen wollte, noch ein paar Runden fortsetzen.
»Danke, Curt!«, flötete sie daher und zupfte ihn dabei scheinbar unschuldig am Arm, was ihm einen sichtbaren Schauder über den Körper jagte.
Auf dem Weg zum Abort ging er neben ihr, die rechte Hand abwechselnd auf seinem Schwertgriff und schlackernd neben sich, um die eine oder andere Berührung zwischen ihnen zu provozieren. Alle paar Meter fasste Fehris ihn kurz an der Schulter oder am Arm an, damit er sich daran gewöhnte. Dabei sah sie sich unauffällig nach einem passenden stumpfen Gegenstand um, mit dem sie ihn niederschlagen konnte, aber dieser Abschnitt der Burg hatte weder eine brauchbare Ritterrüstung in einer Ecke stehen noch zumindest einen dekorativen Dreschflegel an der Wand hängen, mit dem man durchaus sein Überleben sichern konnte, wie der dreckige Alte heute Nachmittag eindrucksvoll bewiesen hatte. Der Abort war schnell erreicht und Fehris musste sich eingestehen, dass ihr keine andere Wahl blieb als der Nahangriff. Sie hasste den Nahangriff!
»Warte, Curt!«, murmelte sie, fasste nach seiner Hand und zog ihn in eine Nische in der Wand. Nur allzu bereitwillig ließ er es geschehen. Sie drückte den Hänfling gegen das Mauerwerk und sich gegen ihn. Seine Lider flatterten, sein Mund spitzte sich zu einem Kuss. Da zog sie mit einer geübten Bewegung ihr Knie nach oben und verwandelte den Liebeskranken in ein wimmerndes Stück Fleisch, das japsend zu Boden sank. Ein gezielter Tritt gegen seine Schläfe machte auch dem letzten Stöhnen ein Ende. »Merk dir eines, du Kanalratte: So leicht bin ich nicht zu haben!«, wisperte sie dem ohnmächtigen Mann zu.
Und jetzt nichts wie weg!
Sie musste ein Seil finden, um über die Mauer zu flüchten. Der Weg durch das Haupttor der Burg war von zu vielen Wachen gesichert. In jedem Fall würde Curts Waffe ihr eine Hilfe sein, falls sie bei ihrem Ausbruch auf Widerstand stieß. Sie hatte sich gerade gebückt, um das Schwert aus seiner Scheide zu ziehen, da traf sie wie aus dem Nichts ein heller Lichtstrahl. Fehris wurde so weit zurückgeschleudert, dass sie mit dem Rücken gegen die hinter ihr liegende Wand knallte. Ein schmerzerfülltes Stöhnen entfuhr ihr und vor ihren Augen tanzten Sterne. »Was zum Henker …«
»Ihr wollt fliehen? Ich hätte mehr Mut von Euch erwartet«, ertönte eine weibliche Stimme von rechts. Fehris blinzelte die Sterne weg und erkannte Novicia Helikon, die so steif und kerzengerade mitten auf dem Flur stand, als hätte sie einen Stock verschluckt. Ihr Gesicht war blass wie immer, die unvorteilhafte Topffrisur artig gekämmt und ihr reizloser Körper in eine schlabberige Kutte gehüllt. Die Göttin des Lichts – an die Fehris nicht ansatzweise glaubte – hatte sich bestimmt einen Scherz erlaubt, als sie ungefähr zur selben Zeit Helikon und Fehris erschaffen hatte. Denn was auch immer sie der einen an Gaben verliehen hatte, war der anderen versagt geblieben. Vermutlich gab es kaum unterschiedlichere Frauen als sie beide auf der Welt, dachte Fehris. Ob man das Mauerblümchen mit einem Schwert besiegen konnte? Oder mit einem gezielten Tritt? Ein lasziver Augenaufschlag würde vermutlich ins Leere laufen – obwohl, man wusste ja nie.
»Denkt gar nicht erst darüber nach«, sagte Helikon, als hätte sie ihre Gedanken erraten. »Ich sehe vielleicht nicht so aus, aber ich bin um so vieles mächtiger als Ihr.«
Einschüchtern zählte nicht. »Wieso erledigt Ihr den Schattenstaub dann nicht selbst?«
Die Novizin zog eine Augenbraue hoch. »Glaubt mir, furchtlose Fehris, das würden wir tun, wenn wir eine Chance hätten. Doch wir sind nicht dazu bestimmt.«
Aber du meinst, ich sei dafür bestimmt? Soll ich dem Schattenstaub etwa in die Nüsse treten? Schnapp dir doch lieber den blonden Metzger, der zerhackt den Staub wie kein anderer. Oder wie wäre es mit dem einfältigen Ziegenhirten? Bestimmt rennt der schneller weg als der Staub wabern kann.
»Mit Verlaub. Ich habe im Kreise der Probanden niemanden gesehen, von dem ich glaube, dass er ein Auserwählter sein könnte – egal wofür! Was auch immer Ihr mit uns vorhabt: Ich habe niemals eingewilligt, dabei mitzumachen. Habt ein Herz und lasst mich gehen.«
Helikon seufzte. Zumindest war damit schon mal klar, dass sie so etwas wie Mitgefühl besaß, ganz im Gegenteil zu den beiden männlichen Magiern. Doch Fehris’ aufkeimende Hoffnung wurde enttäuscht, denn nach kurzem Zögern schüttelte die Novizin den Kopf.
»Ich begleite Euch zu Eurer Kammer. Versucht nicht, mich zu überwältigen, denn ich möchte Euch nicht wehtun.«
Fehris blieb nichts anderes übrig. Dieser Lichtstrahl, den Helikon auf sie geschleudert hatte, war vermutlich nur eine Warnung gewesen. Sich mit ihr anzulegen stellte garantiert ein riskanteres Unterfangen dar, als sich einer weiteren Prüfung
zu unterziehen. Fehris dachte pragmatisch, also ließ sie es bleiben. Mit jedem Schritt, den sie an der Seite der Magierin zurück zu ihrer Zelle ging, schwand ein Körnchen mehr Hoffnung aus ihrem Herzen, bis nichts mehr übrig war außer grauer Resignation. Ohne Flucht würde die nächste Prüfung
höchstwahrscheinlich ihren Tod bedeuten – nicht mal der dümmste unter den anderen Probanden würde ein weiteres Mal auf ihre Masche hereinfallen.
»Mutlosigkeit steht Euch nicht an«, bemerkte Helikon, während sie die Treppe nach unten nahmen. »Stattdessen solltet Ihr Euch daran erinnern, wer Ihr wirklich seid.«
»Ich bin niemand«, murmelte Fehris.
»Meister Belam hat eine andere Gewissheit über Euch erlangt.«
»Der gefühlskalte Spitzbart? Woher will er das wissen? Er kennt mich nicht.«
Ein mildes Lächeln erschien auf dem farblosen Gesicht der Novizin. »Er ist ein Meister der drei Säulen und blickt tiefer in Eure Seele, als Ihr selbst es vermögt. Glaubt mir, Fehris, er weiß, weshalb Ihr hier seid.«
»Weil ich einen Würfelbecher zu viel geschüttelt habe?«
»Nein, weil Ihr Euch falsch entschieden habt, damals im Nebelhain.«
Abrupt blieb Fehris stehen und starrte die Magierin an. »Ihr wisst von …«
»Aber natürlich«, säuselte Helikon. »Nachts geistert sein Gesicht durch Eure Träume. Doch es fehlt Euch an Hingabe, um Euch am nächsten Morgen daran zu erinnern. Ihr seid so … verstockt und abgebrüht. Zu taub, um die Schreie Eurer eigenen Seele zu vernehmen.«
»Ihr Arschbacken wühlt in meinen Träumen herum?«, entrüstete sich Fehris. Nie hätte sie Derartiges für möglich gehalten. »Warum, verdammt?«
»Weil wir wissen müssen, wer Ihr wirklich seid.« Weitere kryptische Worte kamen nicht mehr über die Lippen der Novizin. Sie starrte lediglich nach vorn, wo das Treppenhaus nun in jenes Stockwerk überging, das Fehris so gerne verlassen hätte.
An der Zelle angekommen, nahm Helikon die Hände aus den weiten Ärmeln ihrer Kutte und hielt Fehris die Tür auf. »Ruht Euch aus! Die Nacht ist kurz. Vielleicht seht Ihr Euren Liebsten heute zum letzten Mal.«
»Er ist nicht mein Liebster!«, zischte Fehris, während sie über die Schwelle trat. »Und ich sehe ihn nicht im Traum, denn er ist mir vollkommen gleichgültig.«
Erneut flackerte das hintergründige Lächeln über das Gesicht der Magierin. Sie schüttelte den Kopf wie Mütter es bei ihren uneinsichtigen Kindern zu tun pflegten, dann fiel die Tür zu und Fehris hörte, dass der Schlüssel sich im Schloss drehte. So weit also zu ihrem Plan, vor der nächsten Prüfung
zu verschwinden.
Die Nacht brachte keinerlei Traum mit sich, nur einen steifen Rücken vom Liegen auf der schmalen Pritsche sowie einen schalen Geschmack im Mund, den Fehris unbedingt loswerden wollte. Der leere Wascheimer gähnte sie an und von der Seife war nur noch ein fingernagelgroßes Stück übrig. Gegen die Tür zu hämmern, brachte zunächst keinen Erfolg. Erst nach einer ganzen Weile wurde das Guckfenster aufgezogen.
»Was denn, du Metze?«, spuckte Curt ihr entgegen. Seine linke Gesichtshälfte war dick angeschwollen und von seiner Schläfe aus zog sich ein satter Bluterguss bis unters Auge. Ihr Tritt hatte wahrhaftig gesessen. Der erste ebenso wie der zweite.
Fehris spürte keinerlei Schuldgefühle. »Bring mir frisches Wasser und …«
»Ich bringe dir überhaupt nichts! Stirb dreckig, so wie du geboren wurdest.« Mit Schwung flog der Schieber wieder zu.
Eine andere Frau hätte vielleicht einen Funken von Verständnis für die Reaktion des Hänflings hervorgebracht, doch Fehris kochte vor Wut. Männer wie Curt, die sich erst sabbernd vor ihr auf den Boden warfen und dann beim kleinsten Widerstand den Schwanz einzogen, lösten nichts als Verachtung in ihr aus. Ja, wenn sie eines im Überfluss hatte, dann Verachtung. Aber damit konnte man sich weder waschen noch über die Burgmauer flüchten. Leise vor sich hin fluchend säuberte sie sich so gut wie möglich mit dem restlichen Wasser, dann setzte sie sich auf die Pritsche und dachte nach.
Wenn die Magier so viel Aufwand betrieben, um die tiefsten Geheimnisse ihrer Probanden herauszufinden, hatte eine der nächsten Prüfungen
womöglich damit zu tun. Ein erneuter Kampf auf Leben und Tod wartete also vermutlich nicht auf sie. Aber was auch immer der heutige Tag mit sich brachte – erneut würde des Abends eine blutrote Sonne hinter den Zinnen der Burg untergehen. Und der Kreis der Menschen, die hier um ihr Leben kämpften, noch kleiner sein.
Es verging eine gute Stunde, bis draußen auf dem Flur Stimmen erklangen und schließlich die Tür wieder geöffnet wurde. Wie Fehris erwartet hatte, standen die drei Magier auf der Schwelle – mit ernsten Gesichtern aber ohne den Lederbeutel voller Kugeln. Demnach gab es diesmal wohl keine Gegner. Oder der Feind war weitaus schlimmer als ein schürzenjagender Recke im Kettenhemd.
»Die zweite Prüfung
erwartet Euch, Fehris Büdner«, verkündete Meister Belam mit seinem immer gleichen eiskalten Tonfall. »Folgt uns!«
Sie strafte den Zauberer mit Missachtung – die einzige Waffe, die ihr noch blieb. Flankiert von zwei fremden Wachen und vorwärts gestoßen von Curt, wurde sie ein weiteres Stockwerk nach unten in den Keller der Burg geführt. Die Luft roch hier stickig wie in einem Kerker, obgleich nirgendwo entlang der schmalen Flure Verliese zu sehen waren. Es ging stetig bergab und alle paar Meter musste ein eisernes Tor geöffnet und wieder geschlossen werden. Mit jeder weiteren Tür, die krachend hinter ihr ins Schloss fiel, mehrte sich in Fehris das Gefühl, in ihr eigenes Grab hinabzusteigen. Was war das nur für ein seltsames Gewölbe, in dem die Dunkelheit aus allen Ritzen zu kriechen schien? Selbst die Fackeln an den Wänden erweckten den Eindruck, verzweifelt nach Luft zu schnappen.
Belam löste das Rätsel auf, als sie vor einer weiteren verschlossenen Pforte stehen blieben. »Dies sind die Wirkstätten der Lichtpriester von Meribor. Nachdem der Schattenstaub unseren Tempel im Südosten des Kontinents zerstört hat, fanden die Überlebenden sich hier zusammen.«
»Aha. Und es muss so dunkel sein, um die Lichtgöttin anzubeten?«
Ein Hauch von Verärgerung erschien auf Belams Gesicht. »Nein. Es muss dunkel sein, um ihn zu erforschen und hinter seine Geheimnisse zu gelangen.«
»Wessen Geheimnisse?«
»Die des ärgsten Feindes, des Schattenstaubs natürlich, du dumme Büdnerin«, knurrte Novicius Lantbert.
Schattenstaub!
Wollten sie ihr damit etwa sagen, dass ein Teil der giftigen, todbringenden Substanz hinter diesen Mauern wallte? Fehris hatte den grauen Tod
bislang nur aus der Ferne gesehen, doch ganz Meribor war der Angst vor ihm verfallen. Es hieß, der Staub ernähre sich von lebenden Wesen, denen er die Seelen aussaugte und sie für immer und ewig in seinem Schatten barg. Tausende waren ihm bereits zum Opfer gefallen und ganze Landstriche versanken in seiner nebelhaften Dunkelheit. Fehris’ Blutbahn füllte sich mit einem Gemisch aus Panik und höchster Alarmbereitschaft. Ihr Herzschlag pochte in ihren Ohren und ihr Atem ging ganz von selbst schneller.
»Angst?«, höhnte Lantbert. »Wenn du dir jetzt schon in die Hosen machst, wie willst du dann erst das Rätsel lösen?«
Das also war die nächste Gemeinheit aus der Schmiede der Lichtmagier – sie sollte im Angesicht des größten Feindes der Menschheit eine kniffelige Aufgabe lösen. Verdammt! Fehris hatte nicht ohne Grund stets den Würfelbecher gewählt, um ihren Geldbeutel zum Klimpern zu bringen. Das Glück war ihr gelegentlich hold, doch im Rätseln hatte sie noch nie einen Blumentopf gewonnen.
Die Wachen schoben schwere Riegel zur Seite und öffneten die Tür. Gemeinsam traten sie in einen hell erleuchteten Raum. Nach der drückenden Dunkelheit des Kellers stach das Licht nun in Fehris’ Augen und brachte sie zum Tränen. Urheber dieser unheimlichen Helligkeit waren nicht etwa Fackeln, sondern drei helle Lichtkugeln, die wie kleine Sonnen an der niedrigen Decke schwebten. Hätte ihr Puls nicht derart gegen ihre Schläfen gehämmert, wäre Fehris beeindruckt gewesen.
Belam zeigte auf den einfachen Hocker in der Mitte des Raumes, der von einer kreisrunden Rinne voller Wasser umgeben war. »Sobald das Licht erlischt, wird der Schattenstaub von allen Seiten nach Euch greifen. Das Wasser hält ihn zurück, doch je länger Ihr braucht, um das Rätsel zu lösen, desto mehr davon läuft ab. Ist die Rinne leer, seid Ihr verloren. Ihr dürft nur eine Antwort geben. Liegt Ihr damit richtig, entflammt das Licht von Neuem und treibt den Staub zurück. Liegt Ihr falsch, werdet Ihr verschlungen.«
Fehris fiel kein Fluch ein, der diesem perfiden Plan auch nur annähernd gerecht geworden wäre. Was für eine abscheuliche Grausamkeit, sie dem Schattenstaub zu opfern! Hätte sie die Wahl gehabt, so wäre sie liebend gerne in die Arena von gestern zurückgekehrt.
»Wie lautet das Rätsel?«, brachte sie hervor.
»Du wirst es hören, sobald wir den Raum verlassen haben.«
Mehr als ein Nicken brachte sie nicht zustande. Novicia Helikon rückte den Schemel zurecht und gab ihr einen Wink, darauf Platz zu nehmen. Als Fehris sich setzte, drückten die warmen Hände der Frau kurz ihre Schultern. »Erinnert Euch, wer Ihr seid!«, sagte sie dabei. Es klang wie ein ritueller Spruch, den jeder Prüfling zu hören bekam. Oder war er tatsächlich auf sie selbst gemünzt? Verwirrt suchte sie den Blick der Novizin, doch diese kehrte ihr bereits den Rücken zu und verschwand mitsamt den anderen Magiern und Wachen durch die Tür. Donnernd schloss sich die Pforte. Riegel schabten. Gleichzeitig nahm die Helligkeit der drei Lichtkugeln beständig ab, bis nur noch die Umrisse des Raumes zu erkennen waren. Fehris’ Atem ging viel zu schnell. All ihre Muskeln waren zum Zerreißen gespannt und dennoch hatte sie den Eindruck, auf diesem Schemel festgewachsen zu sein wie ein lahmer Krüppel.
Dann hörte sie die Stimme: Es war Meister Belams sonorer Tonfall, doch er schien direkt in ihrem Kopf zu sprechen. Und was er sagte, klang nach ihrem endgültigen Untergang:
Zum Ziele führt das erste Stück.
Das zweite ist der Edlen Zier.
Man schenkt’s und will es nicht zurück.
Und hättest du’s, wärst du nicht hier.
Sie verstand überhaupt nichts. Nur, dass die leuchtenden Kugeln über ihr fast vollständig erloschen waren, genau wie bald ihr eigenes Lebenslicht. Ein Wallen, staubstill und doch unüberhörbar, breitete sich von allen Seiten aus. Im Dunkel der letzten Lichtfetzen sah Fehris ihren Feind. Er drang aus einer Vielzahl senkrechter Ritzen an den Wänden ringsum, tastete sich vor, ballte sich pulsierend zusammen und streckte seine trüben Finger nach ihr aus. Ganz langsam und doch unaufhaltsam arbeitete er sich in ihre Richtung vor, eisige Kälte nach sich ziehend. Das schwache Glimmen der Lichtkugeln reichte gerade so eben aus, um dem Feind beim Vorrücken zuzuschauen.
Zum Ziele führt das erste Stück
, überlegte Fehris panisch. Was denn für ein Stück? War die Prüfung
von gestern gemeint? Und die zweite von heute? Aber wieso dann der Edlen Zier
?
Die Augen panisch auf die Rinne vor ihren Füßen gerichtet, fühlte sie nur reine Leere in ihrem Kopf. Das Wasser darin begann, gluckernd abzulaufen. Prüfend, ob man gefahrlos hinübergleiten konnte, leckte die graue Zunge des Schattenstaubs am Randstein und waberte dann nach oben, wie an einer Glasscheibe entlang. Nun war ein furchterregendes Wispern aus seinem Inneren zu hören. Tote Stimmen, deren körperlose Seelen nach Erlösung schrien. Gemarterte Kreaturen, verschlungen von der ewigen Dunkelheit. Sie flüsterten, geiferten, gierten nach ihr.
Man schenkt’s und will es nicht zurück. Und hättest du’s, wärst du nicht hier.
Was war es denn, was sie nicht hatte? Geld? Geduld? Und vor allem die Fähigkeit, dieses beschissene Rätsel zu lösen! Verzweiflung stieg in ihr auf – und ein Teil des Gesprächs mit Helikon gestern Nacht.
Glaubt mir, Fehris, er weiß genau, weshalb Ihr hier seid.
Weil ich einen Würfelbecher zu viel geschüttelt habe?
Nein, weil Ihr Euch falsch entschieden habt, damals im Nebelhain.
Vielleicht war es die Panik in ihrem Kopf, die den Teil ihres Herzens öffnete, der für gewöhnlich fest verschlossen war. Da sah sie sein Gesicht. Bärtig, wettergegerbt und bedrohlich, nur die funkelnden Augen sprachen eine andere Sprache. »Philipp«, flüsterte sie.
Immer dichter ballte sich der Schattenstaub an allen Seiten der Rinne. Mittlerweile war Fehris von einem Ring aus grauem, eiskaltem Nebel umgeben, der ihr alle Hoffnung aus den Knochen zog. Das Wasser stand kaum mehr einen Fingerbreit hoch.
Nachts geistert sein Gesicht durch Eure Träume. Doch es fehlt Euch an Hingabe, um Euch am nächsten Morgen daran zu erinnern.
Hätte sie sich damals für ihn und nicht für die Freiheit entschieden, so wäre sie jetzt nicht hier.
Zum Ziele führt das erste Stück.
Das zweite ist der Edlen Zier.
Wie ein Knüppel hieb ihr die Lösung auf den Kopf! Helikon hatte sie ihr bereits gestern auf einem silbernen Tablett mit vier Kerzen darum präsentiert, doch sie hatte es nicht verstanden.
Man schenkt’s und will es nicht zurück.
Und hättest du’s, wärst du nicht hier.
»Hingabe!«, brüllte Fehris.
Einen schrecklichen Herzschlag lang geschah gar nichts. Dann jedoch stoppte das Gluckern des Wassers und mit der Vehemenz einer Explosion entflammten die drei Lichtkugeln an der Decke. Kreischend wich der Schattenstaub zurück, wie eingesogen von den Ritzen, aus denen er gekrochen gekommen war.
Fehris stieß die Luft der Erleichterung aus. Es war der tiefste Atemzug ihres Lebens.