Ein Lächeln und eine Ohrfeige
Kaum dass Fehris mit der Strickgrolldrummel und dem Kristall aus der Fischerhütte getreten war, entstand ein hell glänzendes Portal direkt vor der Haustür. Was diese Magie so plötzlich hervorgerufen hatte, konnte sie sich nicht erklären. War etwa die seltsame Träne der Auslöser dafür? So wenig sie auch von all den Unwägbarkeiten verstand, die derzeit über sie hereinbrachen, so wusste sie eines gewiss: Sie würde Gordyn finden, egal wohin er gebracht worden war – und egal von wem. Ohne Zögern ging sie auf das Portal zu, dessen Ränder wie Flammen züngelten, während in der Mitte bereits der düstere Turmkeller mit seinem Trampelpfad aus Fußspuren zu sehen war. Ein letztes Mal sog Fehris den Duft des Meeres in sich auf, spürte die Wärme der Sonne in ihrem Rücken, dann machte sie einen Schritt nach vorn und nahm es wieder mit dem Winter des Nordlandes auf.
Sie fand den Turm unverändert vor. Draußen stand immer noch Hott angebunden, den Kopf gesenkt und den Hintern in Richtung des klirrend kalten Nordwinds gestreckt. Pferde waren gut im Aushalten, musste Fehris zugeben. Unangenehme Situationen ertrugen sie schicksalsergeben und still – immerhin etwas, das sie miteinander verband. Ausnahmsweise knacksten ihre Gelenke nicht, als sie sich in den Sattel schwang, doch die letzte Sommerwärme schwand bereits aus ihren Gliedern, noch ehe sie eine Meile zwischen sich und den Turm gebracht hatte. Die zitternden Hände um die Zügel gekrallt, einen Wunsch auf den blauen Lippen, trieb sie den alten Wallach in den Galopp.
»Möge es die richtige Richtung sein!«
Es gab nicht viele Möglichkeiten, wohin sie sich nun wenden konnte. Die erfolgversprechendste war vermutlich die Lichtbogenfeste, denn wenn überhaupt jemand wusste, weshalb die Zieheltern von Gordyn sich in ein Messer gestürzt hatten und was hinter dem Kristall in der Grolldrummelpuppe steckte, dann Belam. Er musste
es einfach wissen, etwas anderes kam gar nicht in Frage. Und bei dieser Gelegenheit würde er vielleicht auch den Fluch des tödlichen Schlangengifts von ihr nehmen, so hoffte Fehris zumindest.
Also kämpfte sie sich auf demselben Weg zurück, auf dem sie hergekommen war. Nun ja, nicht ganz derselbe, denn diesmal wählte sie einen Pfad westlich des Nebelhain-Hauptweges, um kein weiteres Mal Philipp und seinen Männern in die Arme zu laufen. Der silberne Wurfstern schwebte nun immer öfter über ihr in der Luft und sie lernte, dass es möglich war, seine Magie zu beherrschen. Wenn sie sich konzentrierte, schaffte sie es, ihren Geist minutenlang in ihrem Körper zu halten und nur bei Bedarf auf die Vogelperspektive zu wechseln, welche das Artefakt ihr beständig anbot. Das war eine wichtige Erkenntnis, denn es bedeutete, dass sie ihren Körper nicht schutz- und bewegungslos zurücklassen musste, sobald der Stern im Einsatz war. Sollte sie also in einen Kampf verwickelt werden, würde sie abwechselnd von unten und von oben die Lage überblicken können. Beides gleichzeitig gelang ihr jedoch nicht. Außerdem riss der Stern ihren Geist sofort an sich, sobald ihre Konzentration nachließ. Entsprechend verbissen übte sie damit.
Hott gab alles, was ein Pferde-Opa geben konnte. Große Strecken brachten sie im Trab hinter sich, was Fehris Muskelkater in den Oberschenkeln bescherte, die dadurch aber nur noch knackiger werden würden, so tröstete sie sich. Nachts schlief der Wallach im Stehen, vermutlich weil er befürchtete, am nächsten Morgen nicht mehr hochzukommen, wenn er sich erst einmal hingelegt hatte. In diesem Tempo – und ohne eine weitere Räuberbegegnung – kamen sie deutlich schneller voran als beim Hinweg. Bereits am Abend des folgenden Tages hatte sie ein gutes Stück des Nebelhains durchquert.
Auf einer Lichtung am Rand des Pfades tauchte eine kleine Gastwirtschaft auf, die Fehris in Anbetracht ihrer Geldnot eigentlich hätte links liegen lassen müssen. Doch die orangeroten Strahlen der untergehenden Sonne fielen so warm auf das Schindeldach und der Duft nach gesottenem Fleisch und heißem Rübenstampf drang so intensiv aus den Fenstern, dass sie einfach nicht vorbeireiten konnte.
Einen Würfelbecher und den passenden Augenaufschlag – mehr brauchst du nicht für eine warme Mahlzeit, ein Bier und ein Bett.
Nur dieses eine Mal! Kein mühsames Jagen und Sammeln, keine harte Schlafstatt auf dem Boden, sondern eine weiche Matratze oder zumindest einen ordentlich gestopften Strohsack. Entschlossen lenkte sie ihr Pferd zum Gasthaus. »Zur Krummen Wurzel« stand auf einem verwitterten Schild über dessen Eingang.
Im Stall fand sie vier andere Pferde vor, was dafür sprach, dass die gleiche Anzahl von Reitern in der Schankstube herumlungerte oder bereits zu Bett gegangen war. Also nur eine Handvoll potenzieller Opfer, die man erwählen konnte, um später ihre Zeche zu bezahlen. Sie würde sich anstrengen müssen.
Im Gasthaus selbst fand Fehris genau die Szenerie vor, mit der sie gerechnet hatte. Die Schankstube war äußerst bescheiden eingerichtet, was vermutlich von der armseligen Lage mitten im Wald herrührte. Nur Gesetzlose und Wegelagerer machten in einer solchen Spelunke Halt, während die Adeligen und Bürger zumeist im Schutz von Soldaten auf dem Hauptweg reisten. In dem kleinen Raum drängten sich drei fettverschmierte Tische nebeneinander, jeweils mit den passenden wackeligen Stühlen. Wandbehänge oder dekorative Elemente fehlten völlig. Der Wirt, ein hagerer Alter in einem mehrfach geflickten Hemd, stand hinter dem Tresen und pulte sich in der Nase herum, während er mit der freien Hand ein Bier einschenkte. Am Tisch vor ihm saßen alle vier Gäste beisammen, nagten an Rebhuhnkeulen herum und spülten mit reichlich Hopfensaft nach. Es waren ungepflegte Haudegen, die Fehris anhand der überlangen spitzen Stichwaffen an ihrem Gürtel auf den ersten Blick als Mitglieder der Schnellen Dolche
identifizierte. Bei diesen Räubern handelte es sich um ehrlose Schurken, die sogar andere Banden ausraubten und gemeinhin als unbarmherzige Bastarde galten. Es gab nur einen einzigen positiven Umstand, den Fehris der Anwesenheit dieser vier Kerle abgewinnen konnte: Neben Grausamkeit und schlechter Körperpflege sagte man ihrer Sippe nämlich auch Dummheit nach.
Sie alle blickten interessiert auf, als sie ihrer gewahr wurden.
»Na, holde Maid«, grölte einer von ihnen, dessen Gesicht hinter einem wild wuchernden Zauselbart verschwand.
»Na, Dolch-Strolch
«, antwortete sie scheinbar ungerührt und setzte sich an den gegenüberliegenden Tisch.
Augenblicklich hörten alle vier Räuber auf zu kauen. Es dauerte eine Weile, bis sich die Beleidigung von ihren Ohren bis zum Gehirn vorgearbeitet hatte. Als es so weit war, fuhr Zauselbart von seinem Stuhl hoch. »Wie nennst du mich?«, brüllte er, wobei ihm die Hälfte dessen, woran er gerade kaute, aus dem Mund fiel. Der Wirt umklammerte sein Bier und zog sich hastig in die letzte Ecke des Schankraums zurück.
»Dolch-Strolch. Wenn du das fehlerfrei zehnmal hintereinander sagen kannst, ohne dich zu verhaspeln, spendiere ich dir ein Bier.«
Die Räuber glotzten. Fehris fügte einen Augenaufschlag hinzu. Zauselbarts Gehirn schaffte es, seine Lippen zu öffnen und die Stimmbänder ein zweites Mal in Gang zu setzen. »Wer bist du, Miststück?«, drang durch das Gestrüpp auf seinem Kinn. »Woher kennst du die Schnellen Dolche, was treibt dich in diesen Wald und wo willst du hin?«
»Das sind aber viele Fragen auf einmal«, säuselte Fehris, während sie den gestohlenen Wollmantel ablegte, um ihren Brustpanzer in Szene zu setzen. »Ich beantworte sie dir bei einem Würfelspiel, nachdem du dein Bier gewonnen hast.« Wimpernklimpern.
Noch ehe Zauselbart sich überlegt hatte, wie ein wahrer Räuber einer solchen Situation gerecht zu werden hatte, schaltete sich der junge Kerl neben ihm ein, ein mausgraues Bürschchen, lang und dürr wie eine Bohnenstange. »Also ich nehme die Wette an! Ich gewinne das Bier und danach zeigst du mir den Heuboden über dem Pferdestall, abgemacht?«
Das war der Moment, um etwas mehr Nähe aufzubauen. Mit einem koketten Seufzen auf den Lippen rückte Fehris ihren Stuhl an den Nachbartisch und setzte sich verkehrt herum darauf, die Arme auf die Rückenlehne gestützt. »Hör zu, Bürschchen«, sagte sie. »Wetten funktionieren niemals einseitig. Wenn du gewinnst, kriegst du dein Bier. Willst du den Heuboden sehen, braucht es eine neue Wette oder ein neues Spiel. Nicht zu vergessen, den passenden Einsatz.«
»Ah!«, machte die Bohnenstange. »Natürlich, das Würfelspiel!« Das zumindest schien er nun begriffen zu haben.
»Ah«, wiederholten die übrigen zwei Räuber in beeindruckender Synchronität. Sie sahen auch fast gleich aus, wie Fehris auffiel, vermutlich Geschwister oder sogar Zwillinge. Innerlich nannte sie die beiden Schlamphans und Stinkmatz.
»Also gut!«, beschloss der junge Räuber. »Ich kann so etwas, pass auf: DolchstrolchDolchstrolchDolch … strolch… StolchStorch. Verdammt!«
Schlamphans und Stinkmatz grölten, bis ihnen die Augen tränten.
Zauselbart zauselte sich durch seinen Bart. »Das ist eines wahren Räubers unwürdig!«, befand er und Fehris glaubte schon, er hätte sie durchschaut. Doch sein verärgerter Blick richtete sich stattdessen auf Bohnenstange. »Bist du zu blöd, um zehnmal das gleiche Wort zu sagen?«
»Das ist wahnsinnig schwer! Mir bricht fast die Zunge«, verteidigte sich der Junge und streckte sie wie zum Beweis auch noch heraus.
»Versager!«, urteilte der andere, dann holte er einmal tief Luft, brachte die spärliche Armee seiner Gehirnzellen in Stellung und posaunte heraus: »DolchstrolchDolchstrolchDoichstroich« – gefolgt von einem wütenden Urschrei.
Die anderen beiden probierten es nicht einmal. Stattdessen klopften ihre dreckigen Pranken anerkennend auf Fehris’ Schultern. Der Wirt wurde aus seinem Versteck gerufen, eine Flasche Schlehenschnaps kam auf den Tisch, das Bier ging an Fehris über und sogar die Reste der Rebhuhnkeulen wanderten in ihren hungrigen Magen. Wenn sie es jetzt noch schaffte, ein abschließbares Zimmer zum Schlafen zu ergattern, anstatt Bohnenstange beim Stelldichein auf dem Heuboden einen Kopf kürzer machen zu müssen, dann war der Abend gerettet.
Während sie gemeinsam die Schnapsflasche leerten, entspannten die Räuber sich zunehmend. Es wurden neue Wetten abgeschlossen und Würfel geschüttelt. Dabei erzählte Fehris eine hanebüchene Geschichte von einer angeblichen adeligen Reisegesellschaft, die sie allein im Wald ausgesetzt haben sollte. Und das nur, weil der Dienstherr ein paar Blicke zu viel in ihren Ausschnitt geworfen und seine eifersüchtige Gemahlin daraufhin beschlossen hätte, die störende Söldnerin kurzerhand als Futter für die Narbenkrähen zurückzulassen. »An einen Baum haben sie mich gefesselt, die verdammten Strohjunker. Dachten wohl, ich sei nicht in der Lage, mich zu befreien!«, berichtete Fehris, überzeugend aufgebracht.
»Verfluchte Burgratten. Die Scharfen Dolche würden so etwas niemals tun!«, brummte Zauselbart.
»Sssie Storchdorsche auch nischt«, kicherte Bohnenstange, der den Schnaps überhaupt nicht zu vertragen schien.
Nein, ihr hättet mir gleich die Kehle durchgeschnitten und mir meine Rüstung geklaut!
»Natürlich nicht!«, sagte Fehris lächelnd, während sie den Schnapsbecher des Jungen nachfüllte. Noch ein bisschen mehr davon und er kam nicht mehr hoch – weder aufs Heulager noch auf die männliche Art. Dann war auch ihr letztes Problem gelöst.
Die Lichtgöttin schien es gut mit ihr zu meinen, denn als Nächstes spuckte ihr Würfelbecher fünf Sechsen aus. Triumphierend lehnte Fehris sich zurück und die Räuber verfielen in kollektives Maulen. Schlamphans behauptete sogar, sie hätte die Würfel gezinkt. Genau in diesem Moment ertönte ein schrilles Wiehern aus dem Stall nebenan. Mehrere Pferde schlugen mit den Hufen und einige rissen offenkundig so heftig an ihren Anbindestricken, dass die an die Schankstube angrenzende Holzwand gefährlich zu wackeln begann.
Zauselbart sprang auf. »Was ist da los?« Im Nu waren auch die anderen Räuber auf den Beinen, nur Bohnenstange brauchte etwas länger, um sich zu erheben. Alle vier zogen ihre schwarzen Dolche hervor.
»Hoffentlich nicht wieder Fieberspinnen! In letzter Zeit werden die Biester immer aggressiver und größer!«, jammerte der Wirt.
»Da sind unsere Pferde drin. Wir sehen nach!«, beschloss Zauselbart.
Nicht nur eure, auch meines!
Hott. Der alte Klepper hatte es im Grunde längst hinter sich. Aber aus irgendeinem Grund wollte Fehris nicht, dass ihm etwas geschah. Er war hilflos wie Gordyn – mit ihr als einzigem Schutzschild gegen die Attacken des Lebens. Sie musste ihm helfen! Ihr Kurzschwert gezückt, den Beutel mit den Artefakten aufgeschnürt, folgte sie den Räubern, die bereits alle vier durch die Tür der Gaststätte rannten – oder, im Fall von Bohnenstange, stolperten.
Sie hatten den Stall noch nicht erreicht, da vernahm Fehris eine Stimme, von der sie gehofft hatte, ihren Klang nie wieder hören zu müssen. »Komm endlich raus, die Pferde drehen sonst durch!«
Zauselbart öffnete die Tür zum Stall und da stand er tatsächlich: Marl! Es war offenbar nicht genug, dass Fehris den Abend mit vier stinkenden Räubern verbringen musste – nein, der alte Furzer kehrte genau heute in der einzigen Wirtschaft des westlichen Nebelhains ein. Und offensichtlich hatte er es geschafft, sein Kind zu retten, denn er redete mit jemandem, der sich noch bei seinem Pferd im hintersten Ständer befand.
»Schwing deinen Arsch hier raus! Sofort!«
»Wie gehst du denn mit ihm um?«, rief Fehris entrüstet.
Marl drehte sich zu ihr um und rollte mit den Augen. »Oh weh, die blonde Kuh! Womit habe ich das verdient?« Theatralisch hieb er sich mit der Faust gegen die Stirn. Die vier Räuber mit ihren gezückten Dolchen schienen ihm völlig egal zu sein. Fehris entging allerdings nicht, dass sich seine Hand bei deren Anblick etwas fester um seinen seltsamen Spazierstock schloss.
Die Pferde hörten nicht auf zu toben. Mit weit aufgerissenen Augen und panisch schlagenden Schweifen versuchten sie immer noch, zu entkommen. Sogar der alte Hott war außer sich. Eines der Räuberpferde lehnte sich nun so heftig nach hinten, dass das Seil, an dem es angebunden war, zu reißen drohte. »Wenn du nicht augenblicklich rauskommst, schneide ich dir ein Ohr ab!«, schrie Marl nach hinten, wo sein Wallach merkwürdigerweise als einziges Pferd ganz ruhig dastand.
Nun reichte es Fehris. Wer hatte bloß die dumme Idee gehabt, diesen Grobian auf die Suche nach einem einsamen Kind zu schicken? Vermutlich war es komplett verängstigt, was angesichts des Tonfalls, den Marl ihm gegenüber anschlug, auch kein Wunder war.
»Wie behandelst du nur das arme Kleine? Geh zur Seite!«, fuhr sie Letzteren an und drängte sich an ihm vorbei. Er hielt sie nicht auf, stieß sogar ein seltsames Lachen aus, das irgendwie hinterlistig klang. Fehris wich den schlagenden und stampfenden Hufen der Pferde aus, bis sie den grauen Wallach erreichte. Dort ging sie in die Hocke, um das Kind nicht zu erschrecken, und setzte ein gewinnendes Lächeln auf. Ein dunkler Schatten löste sich aus der Ecke. Die Statur passte zu einem achtjährigen Jungen, allerdings war er sehr viel breiter geraten, als Fehris angenommen hatte.
Ein Lidschlag später kam der Schatten auf sie zugestürmt: ein fauchendes, haariges Knäuel mit spitzen Klauen und geiferndem Maul. Geistesgegenwärtig warf Fehris sich zur Seite und hielt das Wesen mit ihrem Schwert auf Abstand. In Anbetracht ihrer Wehrhaftigkeit brach dieses seinen Angriff sofort ab, doch die scharfen Reißzähne waren weiterhin gebleckt. Ein bösartiges Grollen entwich seiner Kehle.
»Du bringst eine Grolldrummel mit? Bist du irre?«, schrie Fehris Marl an.
Auch die dummen Räuber hatten die Gefahr nun durchschaut und setzten alle vier Dolche an Marls Kehle.
»Immer mit der Ruhe! Das fellige Biest ist genauso nett wie ich«, behauptete der. »Nein, sogar netter!«
»Ja, das habe ich gerade gemerkt!«, giftete Fehris zurück.
»Du bist selbst schuld, denn du hast ihm deine Zähne gezeigt.«
»Meine Zähne?«
»Ja, du hast ihn angelächelt.« Marl grinste nun ebenfalls. Dabei hob er entschuldigend die Arme, doch es wirkte eher wie eine Drohung. Fehris glaubte, Rauch zu riechen. Lag das etwa an dem magischen Spazierstock? Wenn dieses Artefakt auch nur ansatzweise so mächtig war wie ihre Sterne, dann wollte sie sich lieber nicht die Finger daran verbrennen.
»Lasst ihn!«, wies sie die Räuber an, um zu verhindern, dass der ganze Stall gleich in Flammen aufging. »Er ist nur ein alter Stinker auf der Durchreise, der jetzt mit seinem Pferd und seiner Grolldrummel weiterreiten wird.«
»Das könnte dir so passen!«, sagte Marl. »Mir steht der Sinn nach Bohnen mit Speck und einer weichen Schlafstatt. Aber ihr fünf dürft eure Reise gerne fortsetzen.«
Sie alle starrten sich an wie Narbenkrähen, die noch nicht recht wussten, wo sie mit ihrem spitzen Schnabel zuerst hinhacken sollten. Der dürre Räuberjunge unterbrach ihren gegenseitigen Belagerungszustand schließlich, indem er seinen Dolch von Marls Hals nahm und – für seinen Zustand recht nüchtern – beschloss: »Mir ist das alles zu kompliziert. Ich will noch einen Schlaftrunk und dann ins Bett.«
»Ich auch«, sagte Zauselbart, dem der Schlehenschnaps wohl ebenfalls zu Kopf gestiegen war. »Aber die Grolldrummel bleibt draußen – außerhalb von Haus und Stall!«
»In Ordnung«, befand Marl. Er klatschte sich mit den Händen gegen die Oberschenkel, so wie andere einen Hund zu sich lockten. »Komm, Grolli, wir gehen jetzt raus.«
Unter Knurren und Grummeln setzte das Vieh sich in Bewegung. Es war so dick und hatte so kurze Beine, dass es beim Laufen wie ein Stehaufmännchen hin und her wackelte. Fehris traute ihren Augen kaum. Auch die Räuber verzogen sich vorsichtshalber aus seiner Reichweite. Marl nickte dem kleinen Monster zu, dann begleitete er es ganz selbstverständlich durch die Tür. Es hätte nur noch gefehlt, dass er es an der Hand nahm!
Verwirrt hievte Fehris sich hoch und zupfte das Stroh aus ihrem Rock. Wäre sie doch nie in dieses Gasthaus eingekehrt!
Die Räuber waren bereits wieder im Schankraum verschwunden, als sie Marl mitsamt seinem biestigen Begleiter vor dem Eingang traf. Er redete auf die Grolldrummel ein, als verstünde sie jedes Wort. Fehris ging auf ihn zu und packte ihn am Arm. »Hast du Trottel das hässliche Vieh mit deinem Kind verwechselt?«, zischte sie ihm zu.
»Immerhin habe ich etwas gefunden, doch wo ist deines?«, höhnte er zurück.
Sie presste die Lippen aufeinander, unsicher, ob sie mit dem alten Furzer über die wirklich bedeutsamen Themen reden sollte oder nicht.
»Hast du noch etwas von den dreißig Silberlingen übrig?«, fragte sie stattdessen.
Marl schmunzelte. »Ja, aber heimtückische Weiber, die meine Grolldrummel erschrecken, kriegen nichts davon ab. Hast du deinen Anteil schon verspielt? Dann sieh zu, ob du für ein warmes Abendessen einen der Räuber glücklich machen kannst. Oder alle vier.«
Es schien lange her zu sein, dass Marl eine Ohrfeige von einer Frau erhalten hatte. Diejenige nämlich, die Fehris ihm nun zuteilwerden ließ, zauberte nicht nur einen roten Handabdruck auf seine Wange, sondern überraschenderweise auch ein Lächeln. Was für ein seltsamer Kerl er doch war.