Untiere zur Unzeit
Wütend schlug Marl die schwere Gasthaustür hinter sich zu. Das darüber hängende Schild mit der stilisierten und namensgebenden krummen Wurzel schwankte daraufhin bedrohlich, als würde es Marl für sein Verhalten tadeln wollen. Ihm war es egal. Für einen Moment genoss er einfach die kühle Nachtluft, die in einem erfrischenden Widerspruch zur stickigen, rauchigen Schwüle des Schankraums stand. Sie schaffte es sogar, das in ihm brodelnde Feuer der Wut zu löschen. Das war gut so. Wer weiß, was er sonst wieder einmal Törichtes getan hätte – beziehungsweise der Schwarze Marl. Kurz erschien das Bild des lichterloh brennenden Gasthauses vor ihm. Marl verdrängte es hastig.
Er holte noch einmal tief Luft. Was hatte er denn erwartet? Fehris und Dott blieben Schwachköpfe, wie sie im Buche standen. Was die Frau an Bösartigkeit besaß, wog der Bengel durch fast schon dümmlich anmutende Naivität auf. Als er die Söldnerin in der verruchten Wurzel entdeckt hatte, war in Marl doch tatsächlich für einen Moment ein Gefühl der Wärme aufgestiegen. Eben hatte er Dott noch einen Vortrag über Zufälle gehalten. Und nun trafen sie sich zufällig in dieser gottverlassenen Gegend. Nach Erscheinen des Ziegenjungen hatte Marl wirklich geglaubt, dass mehr als glückliche Fügung im Spiel sei – ein Fingerzeig der Lichtgöttin, die ihnen bei ihren schweren Aufgaben helfen wollte. Immerhin hatte er noch Grolli. Mit ihm zusammen würde er Arn schon finden, auch wenn er keine Ahnung hatte, wo er nach dem Jungen suchen sollte. »Scheiß auf die anderen!«
Als Marl einen Schritt von der Türschwelle wegtreten und auf den Pferdestall zulaufen wollte, durchfuhr seinen Rücken ein stechender Schmerz, der ihn aufkeuchen ließ. »Was zum …« Er drehte sich langsam um und sah eine kaninchengroße Fieberspinne an einem fingerdicken Faden vom Dach des Gasthauses herunterbaumeln. Das Vieh musste seine Kieferklauen von hinten in seinen Rücken geschlagen haben, in der Hoffnung, dass das darin befindliche Gift ihn qualvoll verenden lassen würde.
»Pech gehabt, du Miststück, bei mir wirkt das Zeug nicht mehr. Dafür hat eine deiner Schwestern gesorgt, die mich damit vor Jahren schon einmal beglückt hat. Sie hat mich nicht umgebracht und du wirst das auch nicht schaffen!« Routiniert wischte er über seinen Stab und hielt das brennende Ende gegen den dunklen Körper der Spinne. Kaum, dass das Feuer den Leib des Tieres erreicht hatte, breitete es sich rasend schnell darüber aus. Die Flammen kappten den Faden und das Wesen schlug rücklings auf dem Boden auf. Kurz zuckten seine Beine noch, um sich dann zu einer endgültigen Starre zusammenzukrallen.
Vorsichtig trat Marl mit der Fußspitze gegen den schwelenden Körper der Spinne. Das trübe Licht, das aus den schmutzigen Gasthausfenstern fiel, beleuchtete ein erschreckend großes Ungetüm. »Warum bist du nur so riesig?« Kurz musste Marl an die kapitalen Narbenkrähen denken, denen er und Grolli im Grauland begegnet waren.
Als hätte er sie mit seinen Gedanken herausbeschworen, kreischte es böse über ihm. Dazu kam das grauenvolle Tippeln von zahlreichen Spinnenbeinen, die schnell über das Dach des Gasthauses huschten.
Marls Darm gluckerte nervös. Was ging hier nur vor? Ein aggressives Grollen ließ ihn zusammenzucken. Verteidigungsbereit schwenkte er seinen Stab in die entsprechende Richtung, doch es war nur Grolli, der mit gebleckten Zähnen auf ihn zu lief. Über der Grolldrummel erschien ein schwarzer Schatten. Kurz darauf schlugen scharfe, gelbe Krallen in die Schultern von Marls neuem Freund ein. Eine Narbenkrähe machte sich daran, auf Grollis Schädel herumzuhacken.
»FORT MIT EUCH! IHR MISTVIECHER!«, schrie Marl, da spürte er Federn in seinem Gesicht und Krallen, die versuchten, sich in seine Augäpfel zu bohren. Dem Rauschen der zahlreichen Schwingen nach musste es ein ganzer Schwarm von Angreifern sein. Allein hatte er keine Chance gegen diese Wesen, da machte er sich gar keine Illusionen. »Ich brauche … HIIILFE!«, brüllte er in höchster Not.
Das Nächste, was Marl bemerkte, war klebriges grünes Blut, das ihm ins Gesicht spritzte und eine Wolke Federn, die durch die Luft wirbelte. Für einen kurzen Moment sah er ein rotierendes Wurfgeschoss, das nach getaner Arbeit zu seiner Besitzerin zurückflog.
»Halt kein Maulaffen feil, Dott!«, erklang die herrische Stimme von Fehris. Fand Marl sie bisher immer eine Nuance zu hoch, von der Art, die einem nach längerem Zuhören Kopfschmerzen bereitete, glaubte er nun, noch nie etwas Wundervolleres gehört zu haben.
»Dott, du bist flink – lenk sie irgendwie ab, sodass sie nicht alle auf einmal angreifen, Ich erledige den Rest!«
Weiß wie Ziegenmilch presste der Kleine sich an die Tür des Wirtshauses. Mit zusammengepressten Zähnen nickte er und lief los.
Erneut fuhr der fliegende Stern durch den Schwarm böse krächzenden Narbenkrähen und hinterließ eine Schneise aus schwarzen Federn und grünem Blut.
Marl wusste, dass er keine bessere Chance bekommen würde. Er hielt den Stab senkrecht, rief eine große Flamme hervor und ließ sie nach oben schießen. Der Geruch von verbrannten Federn erfüllte die Luft. Das vertrieb die Krähen gerade lange genug, dass er es schaffte, in die Richtung, in der er Fehris vermutete, zu rennen.
»In was für eine Schweinerei hast du uns denn hier gebracht?«, begrüßte die blonde Söldnerin ihn, ohne den Blick von den angreifenden Bestien zu nehmen.
Marl stockte fast der Atem – so beeindruckend schön kam sie ihm in diesem Moment vor. Das lag nicht an ihrer aufreizenden Kleidung, sondern schlicht an der Art und Weise, wie sie sich der Übermacht der Untiere stellte. In einer Hand hielt sie ein vor Blut triefendes Kurzschwert, das wie eine bissige Nadel immer wieder nach vorn schnellte, um allzu aufdringliche Angreifer abzuwehren. Aus der anderen flog einer jener Sterne, die sie sich aus der Schatzkammer des Königs genommen hatte. Die Waffe verfehlte nie ihr Ziel und kehrte wie ein braver Hund stets zurück zu seiner Herrin. Diese bewegte sich mit einer geschmeidigen Anmut, gegen die die plumpen Angriffe der Kreaturen geradezu lächerlich wirkten. Das Hübscheste an ihr war aber, dass sie überhaupt keine Angst zu haben schien. Keinen einzigen Moment hatte sie gezögert, Marl zu Hilfe zu eilen und auch jetzt war sie trotz der monströsen Übermacht nicht bereit aufzugeben.
»Glotz mich nicht nur an, alter Mann, sondern hilf mit! Dir haben wir schließlich den ganzen Schlamassel zu verdanken.« Ungerührt wischte sie sich einen Spritzer Krähenblut aus dem Gesicht, um im selben Augenblick einer der Riesenspinnen die Beine abzuschlagen, die sich unablässig vom Dach abseilten.
Marl musste trotz allem lächeln. »Wie Ihr befehlt, Frau Fehris.«
Mit zusammengekniffenen Augen suchte er nach seinem pelzigen Weggefährten. Die Grolldrummel war etliche Schritte von ihm entfernt und peitschte gerade mithilfe seines Schwanzes eine Krähe vom Himmel, der er anschließend den Kopf abbiss. Der kann auf sich selbst aufpassen.
Fehris verdrehte theatralisch die Augen, die in ihrem blutverschmierten Gesicht zu strahlen schienen.
Marl erlaubte sich, nach einigen wuchtigen Schlägen, die ihm einen Moment Atempause verschafften, einen kurzen Blick auf die anrückende Meute. Zwischen den herabstürzenden Vögeln und über den Boden kriechenden Spinnen, flitzten drei Gestalten hin und her, die alle eine ziemliche Ähnlichkeit mit einem gewissen Ziegenhirten aufwiesen. Wie flirrende Schatten bewegten sie sich durch den Wald, verfolgt von den kalten Knopfaugen der Vögel. »Ist das etwa Dott?«
»Ja, einer davon.« Fehris lachte. »Da ich diesmal nicht betrunken bin und du es auch siehst, muss es am Mantel liegen. Ein Geistzauber, der Spiegelbilder von ihm erzeugt.«
Überall, wo der Ziegenhirte auftauchte, kam der Vormarsch der Bestien für einen kurzen Augenblick ins Stocken. »Der dreifache Dott verwirrt die Biester?«, fragte Marl, ohne eine Antwort zu erwarten.
Fehris gab ihm trotzdem eine: »Vermutlich. Ebenso wie ein törichtes Herz voller Mut und Liebe. Jetzt wäre es wirklich schön, wenn du mir helfen würdest. Die Viecher versuchen, uns vom Gasthaus wegzudrängen.« Sie drehte sich um die eigene Achse, ging in einer fließenden Bewegung in die Knie und stach mit ihrem Schwert nach oben, direkt in den massigen Leib einer daraufhin herabstürzenden Narbenkrähe hinein.
Marl trat gleichzeitig einer Spinne in das geöffnete Maul, die im Begriff gewesen war, Fehris ins Bein zu beißen.
»Was machst du?«, schrie die Söldnerin, kam augenblicklich zurück in den Stand und ließ ihr Schwert auf die Spinne niederfahren. Der schwarz glänzende Panzer der Bestie knackte unter dem Hieb auf und ließ den Blick auf ein schleimig grünes Inneres erkennen. »Der Biss wird dich umbringen.«
»Nein, meine blonde Todesfee, wird er nicht.« Marl lachte und rieb versonnen über seinen Stab. Die Flamme, die er diesmal beschwor, unterschied sich von allen, die der Stab ihm bisher offenbart hatte. Sie war fast zwei Schritt lang und biegsam wie eine Peitsche. Marl gedachte, sie auch genauso einzusetzen. Wie von Sinnen schlug er auf die angreifenden Narbenkrähen ein.
Er sah ihn nicht, spürte aber Fehris’ Blick in seinem Rücken – und hoffte, dass es ein anerkennender war.
Egal wie viele der verfluchten Wesen sie auch töteten, gleich einer Flut schwappten immer mehr zu ihnen herüber. Grolli hatte es geschafft sich in den Pferdestall zu retten, in dem die panischen Tiere tobten und mit den Hufen gegen die Wände schlugen. Merkwürdigerweise ignorierten die Krähen die Reittiere, fast so, als hätten sie es nicht auf Beute, sondern nur auf die drei glorreichen Sieger der Prüfung abgesehen. Marl und Fehris waren während des Kampfs etwa zehn Schritt vom Gasthaus weggedrängt worden und mussten sich nun gegen alle Seiten verteidigen. Rücken an Rücken taten sie das erstaunlich effektiv und einträchtig. Trotz der Umstände kam Marl nicht umhin, Fehris’ strammen Hintern zu genießen, der sich vertraulich an seinen eigenen – nicht mehr ganz so knackigen – drückte.
Die drei Dotts rannten nach wie vor todesmutig durch die Reihen der Untiere und sorgten damit für so viel Ablenkung, dass Marl und Fehris nicht gänzlich überrannt wurden. Der Ziegenhirte hatte wohl sogar seinen Frieden mit der Grolldrummel gemacht, zumindest rannte ein Dott gerade zum Pferdestall, schaute kurz hinein und kam dann mit Grolli wieder heraus. Gemeinsam versuchten sie, sich zu Marl und Fehris durchzukämpfen.
»Sie werden es nicht schaffen«, schrie Marl Fehris über die animalischen Laute der Bestien hinweg an und drosch zwei Spinnen gleichzeitig mit einem peitschenden Flammenschlag entzwei. Er hätte es vor der jungen Frau nicht zugegeben, aber seine Oberarme brannten bereits erbärmlich und er musste sich zu jedem weiteren Schlag zwingen. Lange würde er das nicht mehr durchhalten. »Kannst du ihnen mit einem deiner Sterne helfen?«
Fehris pflückte sich eine schwarze Feder aus den Haaren und schrie plötzlich schrill auf.
Aus ihrer linken Schulter sickerte Blut. Jetzt rächte sich die aufreizende, aber nicht besonders wehrhafte Rüstung. Trotzdem warf sie geschmeidig ihren Stern in die Richtung, aus der Dott und Grolli versuchten, zu ihnen zu kommen.
Die Wurfwaffe schien tatsächlich verstanden zu haben, was ihre Aufgabe war. In einem mörderischen Zickzack flog sie auf die beiden zu und fällte hierbei Spinnen und Krähen rechts und links.
»Danke«, keuchte Dott, nachdem er es gemeinsam mit Grolli durch die sich schnell wieder schließende Schneise der Untiere zu ihnen geschafft hatte. Sein schäbiger Mantel und er selbst hatten nicht einen Kratzer abbekommen.
Kurz kam in Marl Neid auf und er stellte sich die Frage, ob er wirklich das richtige Artefakt in der Schatzkammer gewählt hatte. Als sein Stab aber im selben Moment einen kleinen Feuerball in die Luft schoss und daraufhin einen halben Schritt neben ihm eine stattliche Narbenkrähe zu Boden schlug, deren Hals noch an der Stelle rauchte, an der die Flammen ihren Kopf abgetrennt hatten, bereute er diesen ketzerischen Gedanken sofort.
Grolli umklammerte glücklich Marls Bein, grollte aber hoffnungslos. Dem felligen Wesen war es nicht so gut wie Dott ergangen. Es blutete aus unzähligen Wunden, die die Narbenkrähen ihm beigebracht hatten und sein Fell starrte von Blut und den anderen Überresten der Feinde, die es getötet hatte. Zum Glück, so wusste Marl, konnte das Gift der Fieberspinnen Grolldrummeln wenigstens nichts anhaben.
»Tja, nun kämpfen wir Seite an Seite, ich bin mir nicht mehr so sicher, ob ich mir das wirklich hätte wünschen sollen.« Dott zuckte entschuldigend mit den Schultern und setzte das schiefe Lächeln auf, das Marl bisher so genervt hatte, von dem er aber nun erkannte, dass es ehrlich und freundlich gemeint war. Ein Lächeln eines Kindes, etwas, das die meisten Erwachsenen im Laufe ihres Lebens verlernten.
Der Junge hätte dank seines Mantels einfach fliehen können. Marl betrachtete den Ziegenhirten mit einem Mal in ganz anderem Licht.
Hastig bildeten sie eine neue Formation und stellten sich zu viert Rücken an Rücken.
»Vielleicht könnten uns deine Freunde helfen, Fehris? Sie schienen mir mit Waffen alle recht erfahren.« Dott fuchtelte ungeschickt mit einem kleinen Messer hin und her, das er wohl aus dem Gasthaus mitgenommen hatte. Das Glück des Jungen wollte es doch tatsächlich, dass er damit einer Spinne ein Auge ausstach, die daraufhin böse die Krallen erhob und sie in eine angreifende Narbenkrähe schlug, die kreischend zu Boden ging und die Spinne unter sich begrub.
Fehris gab ein freudloses Lachen von sich und schlug mit ihrem Schwert zwei gelbe Krähenfüße ab, die sich an Grollis Fellohren vergriffen hatten. »Die Scharfen Dolche? Die sind in dem Moment hinten raus, als wir vorn durch die Tür sind. Verlasse dich niemals auf einen Räuber, Dott.«
Marl hörte heraus, dass sie wusste, wovon sie sprach. Fehris die Räuberbraut. Der Gedanke amüsierte ihn, kam ihm aber auch nicht so abwegig vor. Was wusste er schon über seine Mitstreiter? So gut wie gar nichts. Er schlug mit der Feuerpeitsche einen Halbkreis und zerschmetterte ein halbes Dutzend Spinnen. Trotz seiner Erschöpfung wurde er langsam mit dieser Waffe immer treffsicherer und tödlicher. Kurz darauf schoben sich aber schon die haarigen Beine ihrer Artgenossen über die toten Körper. Grolli zupfte wieder brummend an seiner Hose. »Tut mir leid, Fellknäuel. Auch wenn ich noch so beeindruckend kämpfe, selbst ich kann dich, die hilflose Frau und den kleinen Jungen hier nicht raushauen.«
Fehris konnte ein Lachen nicht unterdrücken: »Du und dein Rubbelstab.«
Lautes Krähen erscholl über ihren Köpfen, die sie alle gleichzeitig in Richtung des dunkler werdenden Himmels wandten.
Dott sprach die tödliche Wahrheit aus. »Oh nein, noch ein Schwarm!«
»Wir müssen ins Gasthaus zurück, das ist unsere einzige Chance.« Fehris’ Stimme klang kraftlos.
»Die Tür ist zu weit weg. Niemals können wir uns durch die Biester bis dahin zurückkämpfen. Sie haben uns eingeschlossen.«
Wieder zog Grolli an seinem Bein.
»Ich werde dich auf gar keinen Fall wieder tragen. Erinnere dich, was beim letzten Mal passiert ist. Ich habe immer noch einige Stacheln in meinem Allerwertesten stecken.«
Die Grolldrummel gab ein beleidigtes Grollen von sich und begann mit den Füßen zu scharren wie ein Hund vor dem Fuchsbau, dass die Erde nur so flog.
»Was macht dein Haustier? Es will doch jetzt hier nicht ein Ei legen oder sowas?«, schrie Dott verwirrt, dem gerade eine ganze Ladung Dreck ins Gesicht geflogen war.
»Natürlich«, rief Fehris. »Die Wildererkammern! Philipp hat mir …« Merkwürdigerweise unterbrach sie sich selbst und fuhr dann fort: »… ein entfernter Bekannter hat mir mal von diesem Versteck vor der Krummen Wurzel erzählt. Dott, hilf Grolli graben!«
Nun schaufelte auch Dott mit beiden Händen die Erde beiseite. Sie stießen auf Bretter im Boden. Grolli riss sie eilig nach oben und sprang als Erster in das dunkle Erdloch hinein, das sich darunter auftat.
»Ist das wirklich eine gute Idee?«, fragte Marl skeptisch, als Dott der Grolldrummel folgte. »Die Spinnen können da auch reinklettern, nur dass wir nicht wieder hinauskommen.«
»Vertrau mir, alter Mann.« Fehris lächelte ihn gewinnend an.
Verliebe dich bloß nicht in sie, du seniler Trottel!
Plötzlich verzerrte sich ihr schönes Gesicht zu einer Maske des Schmerzes. »Verdammt!«, schrie sie auf. »Eine der verfluchten Spinnen hat mich gebissen.«
Das Gift der Fieberspinnen ist tödlich . Er brauchte es nicht auszusprechen. Fehris wusste das so gut wie er selbst. Es würde ihr bald immer schwerer fallen, sich zu bewegen. Beim Morgengrauen würde sie sich gar nicht mehr regen können und am Abend ... Marl zwang sich, nicht darüber nachzudenken. Er sprang …
… und landete auf feuchtem Waldboden, der intensiv nach Erde roch.
»Hör auf damit, deswegen sind wir nicht hier unten«, erklang aus der Dunkelheit des erstaunlich tiefen Lochs Dotts Stimme. Gefolgt von einem Grollen.
Marl zog die Stirn kraus. Stritten die beiden nach all dem, was sie da draußen erlebt hatten, etwa immer noch? Er beschwor eine kleine Flamme und blickte sich um. Überall lagen große Bündel an Fellen, Geweihen und anderem, was Wilderer zu Geld machen konnten. Das Bild, das sich vor ihm auftat, als er den Ziegenhirten und die Grolldrummel entdeckte, war allerdings an Groteske kaum zu überbieten: Grolli saß besitzergreifend auf einer großen Kiste und kaute auf irgendetwas herum, das Dott ihm aus dem Mund ziehen wollte.
»Das Vieh hat uns nur hier heruntergeführt, um sich den Magen mit getrocknetem Wildfleisch vollzuschlagen«, breitete Dott seinen Vorwurf vor Marl aus. »Außerdem ist es ein Dieb!«
»Kann schon sein«, kam es von Fehris, die als Letzte gesprungen war, »aber es war trotzdem eine gute Idee. Kommt, es gibt einen Tunnel, der uns in den Keller des Gasthofs bringt!« Zügig verschwand sie in der Schwärze des Wildererverstecks.
Die Ruhe, die im Keller der Krummen Wurzel herrschte, war im Vergleich zum Lärm der kreischenden Bestien vor der Tür, geradezu ohrenbetäubend.
Marl und Dott hievten ein großes Bierfass auf die Falltür, die von hier aus in das Versteck der Wilddiebe führte.
»Lange wird das die Spinnen vermutlich nicht aufhalten.«  
Fehris nickte und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß aus dem Gesicht. Sie war bleich und zitterte bereits leicht. Das Gift der Fieberspinne verrichtete sein furchtbares Werk. »Hoffen wir, dass wir bis dahin auf Nimmerwiedersehen von hier verschwunden sind.«
Grolli, der intensiv und laut schmatzend seine vielen Wunden leckte, griff sich plötzlich aus einem der Vorratsregale des Wirts einen schrumpeligen Apfel und hielt ihn Dott hin.
»Ich bin kein Dieb so wie du«, zischte der Ziegenhirte die Grolldrummel an.
»Nimm ihn. Das ist seine Art, sich für euer erstes Zusammentreffen zu entschuldigen.«
Dott verschränkte die Arme vor der Brust.
Grolli scharrte verlegen mit den Füßen über den Holzboden und hinterließ dabei tiefe Kratzer. Seine großen Augen blickten den Jungen flehend an.
»Na gut.« Dott nahm den Apfel und biss herzhaft hinein. Etwas Saft lief ihm das Kinn herunter. »Der schmeckt gar nicht schlecht. Schön süß.«
Grolli brummte zufrieden und beförderte von irgendwoher noch ein weiteres Stück Trockenfleisch zutage, das er sofort zu verschlingen begann.
Gemeinsam zu essen, kann verbindend sein , stellte Marl fest.
Sie stiegen eine knarrende Treppe nach oben in den Gastraum hinauf. Von den Wänden kam ein dumpfes Scharren, Kratzen und Pochen – von den zahlreichen Körpern der Kreaturen, die frenetisch daran arbeiteten, ins Innere zu gelangen.
Fehris ließ sich kraftlos auf einen Stuhl fallen. »Einen kurzen Moment, bitte. Gleich geht es wieder.«
Grolli setzte sich einfach auf den Boden und schnupperte vermutlich nach noch mehr Essbarem. Plötzlich krabbelte er wie ein Baby über die ausgetretenen Holzdielen und verschwand hinter dem langen Tresen.
Ein schrilles Kreischen ertönte.
Verteidigungsbereit erhob Marl seinen Stab und stellte sich schützend vor Fehris.
»Jetzt auch noch Grolldrummeln?«, stöhnte die. »Bei der Lichtgöttin, bleibt mir denn gar nichts erspart?«
Marl ließ seinen Stab sinken. »Kommt raus, Wirt! Grolli – im Gegensatz zu den Kreaturen vor der Tür – wird Euch nichts tun.«
Blass und zitternd kam der Besitzer der Krummen Wurzel hinter dem Tresen hervorgeschlichen. Ein dunkler Fleck hatte sich in seinem Schritt ausgebreitet.
Ein schwerer Schlag ließ die Eingangstür erzittern. Gleichzeitig erklang ein dumpfes Wummern aus dem Keller.
»Sie geben nicht auf«, stöhnte Fehris. »Wir sitzen hier in der Falle.«