WIE ENTKOMMT MAN EINER EIGENEN MEINUNG

DÜRINGER: Was meinen Sie, Herr Fußi, sind unsere Politiker nichts anderes als Bioroboter, die nur die Anweisungen ihrer Politberater befolgen?

FUSSI: Nicht wirklich. Die zahlen mich gut, sehr gut, machen aber so gut wie nie das, was ich vorschlage. Jetzt werden Sie sagen: Aha, Rudi, Du machst also etwas, das eh keiner braucht und lebst trotzdem gut davon. Bingo! Und damit haben wir schon einen der Grundsätze österreichischer Politik verstanden. Es gibt natürlich Menschen wie sie, die sagen, ich sei eine Nutte. Das empört mich dann schon. Eigentlich tut es mir auch weh. Je mehr ich drüber nachdenke, desto mehr muss ich mich aufregen. Nutte? Pfah. Verdammt, ich bin eine Edelprostituierte, keine Nutte. Viele Menschen glauben ja, dass man in die Politik geht, um dort seine Meinung zu vertreten und die Welt zum Besseren zu verändern. Arme Narren, kann ich da nur sagen. Die Politik ist für Edelprostituierte der fruchtbarste Boden: Wo sonst bekommt man vom Volk dafür bezahlt, dass man es fickt …

DÜRINGER: Herr Fußi bitte, wir sind nicht unter uns.

FUSSI: Hoppala. Hab ich „ficken“ gesagt? Das können Sie sich auch gleich merken: Political Correctness. Es gibt Dinge, die man nicht sagt. Die man nicht sagen soll. Die man nicht sagen darf. Aber keine Sorge, das ist ganz einfach zu lernen, da gibts eine Liste, die lernen Sie auswendig und schon kann nichts mehr passieren.

DÜRINGER: Das klingt schon nach Kommunikationsberatung. Nehmen wir einmal an, ich möchte in die Politik gehen, was wäre da … oder sagen wir anders, nehmen wir an, ich kenne jemanden, der in die Politik gehen möchte, weil ich selber möchte ja nicht, da gehts eher darum, … das ist jetzt nicht so leicht zu erklären, ähhh …

FUSSI: Sagen sie Herr Düringer, trinken sie?

DÜRINGER: Was meinen sie, Alkohol?

FUSSI: Was meint man sonst? Wasser, Kräutertee, Limonade?

DÜRINGER: Alkohol? Eher selten.

FUSSI: Das ist schlecht. Erster Merksatz für einen angehenden Politiker: Abstinenz ist Präpotenz. Das muss in ihre DNA eindringen. Sie kommen in ein Lokal, sehen wildfremde Menschen, zahlen eine Runde – am besten dem Stammtisch. Der macht die Wählerstimmen aus! Wissenschaftlich: Opinion Leader – praktisch: der Stammtisch! Wenn wir uns nämlich anschauen, mit wem wir es eigentlich zu tun haben.

DÜRINGER: Wie meinen sie das?

FUSSI: Ui, wie meinen sie das? Ich würde ihnen wirklich ein Kommunikationstraining ans Herz legen. „Wie meinens das?“ „Das weiß ich nicht.“ Solche Sätze dürfen niemals aus ihrem Mund kommen. Das hört der Arbeitgeber nicht gerne. Wer sind für sie als Politiker ihre Arbeitgeber?

DÜRINGER: Die Wähler.

FUSSI: Richtig. Wir in der Fachindustrie sagen lieber Stimmvieh, das trifft es ganz gut. Es ist nämlich unglaublich, wie viel Mist die absondern. Den Sondermüll, den die absondern, den können wir an einer ganz zentralen Stelle einsammeln. Der Gott sei Dank aber aufgrund modernster Technik geruchsneutral gehalten wird und deshalb für alle, die wollen, leicht zugänglich gehalten wird. Sie wissen, von welchem Stall ich rede. Social Media. Soziale Medien, richtiger wäre asoziale Medien. Damit haben sie sicher auch schon ein wenig Bekanntschaft gemacht, oder?

DÜRINGER: Allerdings. Narren gibt es überall, auch in den asozialen Medien. Aber das sind sicher nur Einzelfälle.

FUSSI: Sie Sozialromantiker! Das sind keine Einzelfälle, das sind diejenigen, für die sie als Politiker da sein sollen. Alles echte Menschen. Alle wahlberechtigt und alle so, dass wir mit denen nichts zu tun haben wollen. Müssen wir auch nicht, wir müssen aber mit ihnen reden. Also nicht direkt und persönlich, aber wir müssen auch den größten Idioten das Gefühl geben, dass sie uns wichtig sind. Dafür ist dieses Social Media ganz hervorragend geeignet. Klingt komisch, ist aber so.

DÜRINGER: Weil man weiß, was der Wähler will?

FUSSI: Das fragt man sich, wenn man so etwas liest, natürlich. Was wollen die eigentlich von uns. Wenn man ständig als Arschloch beschimpft wird, was hindert einen daran, sich auch wie ein Arschloch zu benehmen. Und ganz egal, was der Wähler so sagt, was er will, was will er denn wirklich?

DÜRINGER: Ja. Was will er?

FUSSI: Er will seine Ruhe haben. Der Wähler an sich ist ein mieselsüchtiges Schwein. Er will auf der einen Seite gestreichelt werden, auf der anderen Seite regt er sich dann darüber auf, dass es zu fest gestreichelt war. Wir müssen so sein wie er. Das ist die wichtigste Regel. Ich nehme es eh nicht an, aber falls sie die österreichischen Philosophen schätzen und gelesen haben. Buber, Benedikt, Druskowitz, Kraft, Popper, Wittgenstein, Liessmann wie sie alle heißen.

DÜRINGER: Nicht alle. Aber Fromm, Watzlawick …

FUSSI: Schön für sie, aber bleiben wir am Boden. Thomas Brezina hat viele Millionen Bücher verkauft, mehr als alle österreichischen Philosophen zusammen. So schauts aus. Das ist die Bildungsgerade Österreichs. Von Gabalier zu Brezina. Und irgendwo stehen wir am Straßenrand, halten den Daumen raus und sagen – „Ihre Stimme bitte!“ Da simma wieder mal beim Kernpunkt. Damit die uns ihre Stimmen geben – und wir das Geld kassieren können –, müssen wir leider mit ihnen reden. Damit wir das aber richtig machen, gibt es ein paar wichtige Regeln.

DÜRINGER: Also reden kann ich, das habe ich, glaub ich, bewiesen.

FUSSI: Ja, vielleicht, aber halt nicht so, wie sie das in Zukunft als Politiker tun werden. Wichtig ist dabei eine Grundumkehr der Kommunikation. Grundsätzlich wollen wir ja eine ruhige Kugel schieben, das möchte ich immer wieder erwähnen, aber es wird sich nicht vermeiden lassen, dass sie als Politiker sehr viel gefragt werden. Und da ist es ja normalerweise so, dass man reflexartig auf eine Frage eine Antwort gibt. Weil es auf den ersten Blick ganz einfache Fragen sind, mit denen wir konfrontiert werden. Sind sie gegen Mindestsicherung? Sind sie für Mindestsicherung?

DÜRINGER: Dafür.

FUSSI: Ganz schlechte Antwort.

DÜRINGER: Na dann halt dagegen.

FUSSI: Ganz schlecht: Bei beiden Antworten verlieren sie die Hälfte ihrer Wähler. Sie dürfen NIX sagen! Niemals!!! Wenn sie eine Position haben, die sie wirklich vertreten, sind sie verloren. Wenn sie etwas sagen, was 50 % super finden, dann sind 50 % DAGEGEN!!!! Das ist fatal! Das wollen wir nicht.

DÜRINGER: Aber wenn das meine Position ist. Meine persönliche Meinung …

FUSSI: Wichtig ist, wie entkommt man einer eigenen Meinung! Wo man ja auch sagen muss, Flucht wird vielleicht für ihre weitere Karriere sowieso ein Thema werden.

DÜRINGER: Wie meinen sie das?

FUSSI: Prinzipiell ehrlich. Das ist etwas, was sie in Zukunft vermeiden sollten.

DÜRINGER: Soll ich Lügen oder was?

FUSSI: Lügen ist ein hartes Wort. Sagen wir so: Wie sag ich es, ohne dass ich was sag. Das kommt ihnen jetzt vielleicht anfangs schwieriger vor als es ist. Für die Frauen ist es etwas leichter als für uns Männer. Wir müssen uns ein bisserl umlernen. Wir müssen reden. Also nicht nur „Jo, eh“ oder „Eh gut“, sondern wirklich reden. Keine Sorge. Das kann man lernen! Im Großen und Ganzen gibt es rund 20 bis 30 Sätze, die sie beherrschen müssen. Eines kann dabei immer dabei sein …

DÜRINGER: … das Gemeinwohl!?

FUSSI: Richtig. Sie lernen schnell. Das Gemeinwohl. Es geht ganz gemein um MEIN WOHL. Haha. Nein, aber jetzt wirklich. Da muss ich sie aufwecken können um Fünf in der Früh, zack, die Phrasen müssen sitzen. Aber damit kommen sie dann aber auch wirklich durch. Ich gebe ihnen ein paar Beispiele:

image „Was sie da in der Theorie sagen, klingt sehr gut, ist in der Praxis aber fast nicht umsetzbar.“

image „Ich glaub, das sind wir den Leuten schuldig dass wir uns damit befassen.“

image „Das ist eine wunderbare Anregung, die nehmen wir gerne auf.“

image „Ich finde, sie haben das Recht darauf, dass wir das ernstnehmen.“

image „Wir werden umgehend zu diesem Thema einen Arbeitskreis einberufen.“

image „Ich glaube, dass wir an einem Punkt angekommen sind, wo Polemiken dieser Art nicht angebracht sind.“

image „Eine Gesellschaft kann nur dann funktionieren, wenn sie gemeinsam an Lösungen arbeitet.“

image „Ich glaube, dass es mit Oberflächlichkeit alleine nicht gehen wird.“

image „Es geht nicht nur um uns, es geht auch um die kommenden Generationen.“

image „Wir dürfen uns nicht in Kleinigkeiten verlieren, wir müssen das große Ganze sehen.“

image „Ich glaube, man kann nicht erwarten, dass wir in allen Dingen gleicher Meinung sind.“

Wenn sie das intus haben, dann wissen sie schon, wie sie welche Inhalte transportieren. Unabhängig von der Farbe der Partei.

DÜRINGER: Aber gibt es keine Prinzipien?

FUSSI: Doch. Wie der SPÖ-Abgeordnete Christian Faul einmal festgestellt hat. „Ich hab nur ein Prinzip. Ich sauf kan Wein aus einem Tetrapak.“ Das ist schon genug – fast zu viel. Mehr brauchts nicht.3