POLITIK, EINE MÖGLICHKEIT FÜR ALLES MÖGLICHE

Aber hat sich die Politik nicht selbst ihrer Möglichkeiten beraubt? Hat sie nicht einen höchst fragwürdigen Pakt geschlossen, denn wenn die Interessen aus Politik und Wirtschaft in die gleiche Richtung laufen, dann steht das Bürgerinteresse meistens hintenan. Die derzeitigen politischen und wirtschaftlichen Systeme belohnen leider Verhalten, das die Umwelt zerstört, anderen Menschen und Wesen schadet, kurzfristigen Erfolg vor langfristige Verbesserungen stellt und häufig sinnentleert ist.

Eine Möglichkeit kann eben alles sein, sowohl eine Möglichkeit für das Gute und für das Schlechte. Ganz so wie der Mensch zugleich den Himmel und die Hölle in sich trägt. Sind unsere Politiker dann nichts anderes als unsere Spiegel, in denen wir uns selbst erkennen können? Spiegel ist nicht immer Spiegel. Waren sie schon einmal in einem Spiegelkabinett? Da kann es schon zu Verzerrungen kommen. Bevor wir uns den Kopf über die Funktion der Politiker zerbrechen, sollten wir uns mit dem Auftrag der Politik an sich befassen. Dazu gibt es sicher die unterschiedlichsten Positionen und Ansprüche. Fragen wir doch einmal, weil wir ihn gerade bei der Hand haben, einen Politiker.

DÜRINGER: Herr Naderer, was ist für sie die Aufgabe der Politik?

NADERER: Die Aufgabe wäre das Ordnen der Gesellschaft durch die Erfüllung der jeweiligen Hoheitsaufgaben, das Regeln der Angelegenheiten eines Gemeinwesens auf der entsprechenden Ebene wie Kommune, Region, Nation – auf gut Deutsch: Gemeinde, Bundesland, Staat. Mehr braucht die Politik nicht zu tun.

DÜRINGER: Mit Verlaub, das klingt jetzt ein wenig nach Politikersprech, geht es etwas konkreter?

NADERER: Ja. Dazu müssen wir uns auf die Ebene der Befindlichkeit der Gesellschaft, ja sogar der einzelnen Mitglieder dieser Gesellschaft begeben und dort bietet sich je nach Tagesverfassung, Lage, Krise oder gar Katastrophe ein ständig wechselndes Bild der Wertigkeiten in den wichtigsten Aufgaben der Politik. Ansprüche können sich ändern, politische Ansprüche können sich mitändern. Ein Beispiel: In einer Umfrage der Zeitschrift „Focus“ im Frühjahr 2015 waren die dringlichsten Probleme deutscher Bürger in dieser Reihenfolge genannt:

1. Arbeitslosigkeit

2. Renten sichern

3. Gesundheitsvorsorge

4. Soziale Gerechtigkeit

5. Niedrige Energiekosten

6. Wirtschaft ankurbeln

7. Bildung

8. Umweltschutz

9. Verbrechensbekämpfung

10. Schutz vor Terror und

11. Die Regelung des Zusammenlebens mit Migranten

Jedoch im Februar 2016 sah die Reihung völlig anders aus: 1. Ausländerpolitik vor Bildungspolitik und Arbeitsmarkt waren nach den Medienanalysen in meinem damaligen Landtagsklub dominierend. Aus dieser Pressebeobachtung folgten die Themen:

4. Flüchtlingsbetreuung (auch Abschiebung)

5. außenpolitische Krisen

6. Soziale Gerechtigkeit

7. Rentensicherung

8. Steuerreform

9. Staatsschulden

10. Familienpolitik

11. Wirtschaftswachstum

Die genaue und kritische Analyse machen unsere klugen Leserinnen und vifen Leser für sich, wir beide bemerken nur, dass das Thema Ausländer von Platz 11 auf Platz 1 vorgestürmt ist. Plötzlich macht man sich Sorgen sogar um die Staatsschulden und der Umweltschutz ist aus den Top 11 gefallen. So schnell kann es gehen.

DÜRINGER: Damit stellt sich die nächste Frage ja fast von selbst: Wie erfüllt die Politik – konkret die Politikerinnen und Politiker – ihre Aufgaben?

NADERER: Objektive – obwohl natürlich nur Summe von subjektiven Befindlichkeiten – Antwort: praktisch gar nicht! Aber diese Antwort kennen sie, oder? Politiker erfüllen ihre Aufgaben in unserer Wahrnehmung nur unzureichend, dafür aber sind sie Meister im Suggerieren von Pflichterfüllung. Politik suggeriert die Erfüllung ihrer Aufgaben, also ihre weiblichen und männlichen Akteure, die Politmoderatoren und so weiter tun nur so, als würden sie ihre politischen Aufgaben erfüllen. Die meiste Zeit verwenden sie damit, sich zu überlegen, wie sie ihre Handlungen, Entscheidungen und Projekte an die Bevölkerung, die Wähler vermarkten. Die tägliche und die zentrale Frage des Profipolitikers am Morgen lautet: Was kampagnisiere ich heute? Dazu wäre es gut zu wissen, wie Politik hierzulande überhaupt funktioniert und warum daher der soziale Wohlfahrtsstaat zum Scheitern verurteilt ist. Ein kluger Mann hat einmal gesagt: „Ein Staatskonstrukt, das sich in seinem Selbstverständnis nur mehr als siamesischer Zwilling aus Politik und Verwaltung definiert, ist zum Untergang verurteilt, weil es damit seinen ausgegrenzten Bürgern nicht auf Dauer eine heile Welt verordnen kann, in der Politiker und Beamte hausen wie die Maden im Speck und die Bürger nur zur Beschaffung neuen Specks verdonnert werden!“

DÜRINGER: Welcher kluge Mann hat das gesagt? Helmut Schmidt? Karl Marx? Ludwig von Mises? Albert Schweitzer? Albert Einstein?

NADERER: Nein. Walter Naderer im Dezember 2015.

DÜRINGER: Sapperlot.

NADERER: Die Quelle ist in diesem Fall zweitrangig. Merken genügt! Wenn wir als gelernte Österreicher über Politik nachdenken, fallen uns gleich Dinge ein wie Parteibuch, Parteifreund, Parteilinie, Klubzwang und die Unfähigkeit der Akteure bei der Problemlösung.

DÜRINGER: Nicht nur. Da fallen mir noch ganz andere Dinge ein.

NADERER: Lassens mich raten: Die Sachzwänge der einzelnen Mandatare? Die endlosen Ausreden auf frühere Fehler politischer Gegner? Dieser ständige Blick in die Vergangenheit verbunden mit den Investitionen in dieselbe über das Pensionssystem? Die Selbstbeweihräucherung der Regierer? Die kurze Leine der inseratenabhängigen Regional- und auch der anderen Medien?

DÜRINGER: Das ständige Zanken um eine Bildungsreform, ohne zu thematisieren, dass wir kein Bildungs-, sondern ein reines Ausbildungssystem für zukünftige, systemabhängige und unkritische Konsumenten finanzieren.

NADERER: Richtig, aber das beschreibt ihre persönliche Wahrnehmung. Letztendlich, bei aller Kritik, beschreiben sie doch demokratisch gewählte Frauen und Männer, die als Moderatoren Vertreter einer politischen Gesinnung sind, oder?

DÜRINGER: Ja. Das macht die Sache aber nicht besser.

NADERER: Die Frage ist nun: Belassen wir es dabei oder wollen wir diesen Blick auf die Politik nun ein wenig „objektivieren“?

DÜRINGER: Weil sie schon wieder „objektiv“ sagen: Objektiv gesehen haben wir nicht nur Gesinnungsvertreter, sondern auch Gesinnungsvertreterinnen. Sie sind natürlich noch ein Politiker vom alten Schlag, aber sie sollten darauf achten, unsere weibliche Fangemeinde nicht zu vergrämen?

NADERER: Mit Verlaub, ich denke, diese Fangemeinde ist zahlenmäßig überschaubar.

DÜRINGER: Ein wenig mehr Ernsthaftigkeit, wenn ich bitten darf?

NADERER: Gut, keine dummen Witze mehr, die Republik ist in Gefahr! Habe schon verstanden. Gendern wir jetzt den ganzen Dialog, oder nur wenn es wirklich notwendig ist?

DÜRINGER: Wir könnten uns darauf einigen, dass alle folgenden Äußerungen als geschlechtsneutral zu betrachten sind. Nicht Manderl, nicht Weiberl …

NADERER: Nicht Fisch, nicht Fleisch?

DÜRINGER: Sondern Flisch. Also fahren wir fort mit der Rettung der Politik, indem wir den Versuch wagen, gemeinsam mit das Leser ein politisches Verständnis, vielleicht sogar ein politisches Bewusstsein zu erarbeiten.

NADERER: Ich glaub, Herr Düringer, von außen verstehen sie die Dinge ja ganz gut. Ich erklär ihnen jetzt, wie Politik im Inneren funktioniert und warum meine Form der Umsetzung nicht immer nur Begeisterung auslöst. Und genau dann, wenn ich keine Begeisterung auslöse, steigt meine Begeisterung für Politik.

DÜRINGER: Und die geneigte Leserschaft wäre begeistert, wenn sie ohne Umwege und ohne Selbstbeweihräucherung von einem Insider erfahren würde, wie Politik im Inneren funktioniert.

NADERER: Das kann ich ihnen anhand der ÖVP-Unter-organisationen beschreiben. Die Unterorganisationen der ÖVP bezeichnet man als Bünde: Bauernbund, Arbeiter- und Angestelltenbund, Seniorenbund, Wirtschaftsbund, dann gibt es auch noch die Junge VP. Parteien haben eben in ihren Strukturen Interessensebenen, die Partikularinteressen vertreten sollen. Im Gefüge der Partei wird aber nicht nach Anteilen in der Bevölkerung repräsentiert, sondern nach der Dominanz innerhalb der Gruppierungen und der Macht ihrer Akteure. Das spiegelt sich brutal wieder in unseren gesetzgebenden Körperschaften. Diese Formen sind eben gewachsen und bilden in den alten Parteien ein Gerüst, mit Patina versteht sich. Insgesamt sitzen 11 Bauernvertreter im NÖ Landtag, 11 von 56, das sind 20 %, obwohl auch in NÖ die landwirtschaftliche Bevölkerung unter 4 % liegt. So funktioniert eben Politik und hier zeigt sie diese typisch österreichische Eigenheit: In letzter Konsequenz wird Österreich von Machthabern und weniger von demokratischen Einrichtungen regiert! Als gelernter Demokrat und angehender Politiker sollte man sich hinter die Ohren schreiben: „Es kommt auf die Wahlvorschläge an, nicht auf die Wähler!“

DÜRINGER: Was habe ich mir unter einem Wahlvorschlag vorzustellen?

NADERER: Am demokratiepolitischen Diskurs teilzunehmen steht im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Am demokratiepolitischen Gestaltungsprozess teilzunehmen erfordert die Gründung einer Wahlbewegung, das Erstellen von Wahlvorschlägen in den jeweiligen Wahlkreisen, die dann von den sogenannten „Zustellungsbevollmächtigten“ gemeinsam mit den erforderlichen Unterstützungsunterschriften eingebracht werden müssen und schon ist man auf einem Wahlzettel wählbar und kann, wenn alles ideal läuft, eine legislative Ebene regieren.

In den Gremien aller etablierten Parteien gibt es bei internen Wahlen immer nur einen – ich wiederhole EINEN (1) – Wahlvorschlag, dem zugestimmt oder der abgelehnt werden kann. Über die Besetzung entscheiden die sogenannten „Gremien“, das ist meist EIN (1) grimmiges Gesicht und einige Vasallen.

DÜRINGER: Das kann ich jetzt aber nicht glauben?

NADERER: Das glauben sie nicht? Wer ist der mächtigste Mann in der ÖVP? Es ist der NÖ Landeshauptmann. Niemand, der ihm nicht passt, wird Bundesparteichef oder Minister. Er selber versteht sich natürlich als Bauernbündler.

DÜRINGER: Jetzt verzetteln wir uns aber nicht in den Niederungen der niederösterreichischen Landespolitik.

NADERER: Obwohl damit die eine Regierungspartei schon verständlich erklärt wäre. Die vereinfachte Veranschaulichung von Politik funktioniert halt oft mit der Erwähnung markanter Persönlichkeiten. Weniger einfach zur Veranschaulichung sind dann die Institutionen hinter politischen Entscheidungen, nicht nur die Regierung oder das Parlament. Das hat, zugegeben, alles seine Berechtigung und auch Wertigkeit, aber Politik fängt schon im Kleinen an. Sogar schon dort, wo man sich in der Öffentlichkeit zu einem Thema, zu einem Sachverhalt äußert. Die Institutionen sind dann entsprechend die Gemeinderäte, Landtage und das Parlament.

DÜRINGER: Wie kommt es nun zu demokratisch legitimierten Körperschaften, zu Gemeinderäten, Landtagen, Nationalrat?

NADERER: Unsere Republik ist ja per se eine Demokratie, sogar Wikipedia bestätigt uns das: Österreich ist nach der Bundesverfassung von 1920 in der Fassung von 1929, die 1945 wieder in Kraft gesetzt wurde, eine föderale, parlamentarischdemokratische Republik, bestehend aus neun Bundesländern. Das bedeutet in der Praxis, dass viele Menschen bei Wahlgängen einige wenige Menschen, die Mandatare, also ihre Politmoderatoren wählen. Es gibt somit das aktive Wahlrecht des Wählenden und das passive, das ist jenes, das gestattet, sich für eine Wahl auf einem Wahlvorschlag zu bewerben. Und bereits hier gehts ans Eingemachte. Am besten erkläre ich es praktisch, oder? Ich skizziere zuerst einmal den Zugang zum demokratiepolitischen Prozess, die Motive, den Frust, eben all das, das Menschen antreibt, nicht nur miteinander zu kebbeln, sondern tatsächlich in den demokratischen Ring zu steigen. In der Regel beginnt es mit einer Interessengemeinschaft bestehend aus nahezu Gleichgesinnten.

DÜRINGER: Jetzt kommen sie mir gleich wieder mit Partei, Bürgerbewegung, Initiative und schon schläft mir wieder das Gesicht ein.

NADERER: Na, was dann? Widerstandsbewegung? Freiheitskämpfer? Koalition der Willigen? Revolution? Solche Kampfbegriffe ziehen in der Regel auch all jene Tilos an, mit denen man nicht in Berührung kommen sollte und deren Motivation in der Regel die feindliche Übernahme einer von anderen erarbeiteten Idee ist. Was halten sie von „Politwerkstatt“, Herr Düringer? Das klingt doch nach etwas zum Angreifen, nach Bohren, Hämmern, Schweißen – auf alle Fälle nach Hackeln! Mir gefällt das, Herr Kollege! Gründen wir doch mit ein paar Gleichgesinnten unsere Politikwerkstatt. Ein Politkollegium sozusagen. Grundsätze und Codex können wir definieren, Programmatik lassen wir in jedem Fall weg.

DÜRINGER: Das klingt nach viel Arbeit.

NADERER: Was haben sie geglaubt? Der Herr Düringer schreibt ein Buch, alle Politikenttäuschten folgen seinem Ruf, kriegen den Arsch in die Höhe, organisieren sich selber und besetzen als gewählte Volksvertreter gewaltfrei das Parlament?

DÜRINGER: Halt! Es geht ja, wie schon weiter oben erwähnt, nur darum eine Möglichkeit in den Raum zu stellen.

NADERER: Wissen sie, wie viele Möglichkeiten überall rund um uns im Raum stehen? Jede und jeder hätte die Möglichkeit, weniger zu fressen und sich mehr zu bewegen, aber …

DÜRINGER: … aber die Mehrheit entscheidet sich dafür, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen dahinzuvegetieren, schon klar.

NADERER: Bingo.

DÜRINGER: Kann man aus ihrer Sicht die sogenannte schweigende Mehrheit ohnehin vergessen.

NADERER: Das fragen Sie mich? Sind nicht sie der Experte, der dem Volk seit Jahrzehnten aufs Maul und in die Seele schaut? Und weil sie ja, wie sie sagen, seit Jahrzehnten ohne Zweifel gut und offenbar aber auch gerne das Arschlochverhalten erforschen, eine Frage: Sie haben einmal auf ihrem Blog „gueltigestimme.at“ live von einem Stau auf der Westautobahn berichtet. Und ziemlich fassungslos darüber informiert, dass die Hohlköpfe rund um sie nicht in der Lage waren, eine Rettungsgasse zu bilden.

DÜRINGER: Ich erinnere mich. Ich habe am nächsten Tag erfahren, dass bei dem Unfall eine Frau an der Unfallstelle verstorben ist und ihr Mann dabei lebensgefährlich verletzt wurde. Kann jetzt aber nicht mehr sagen, ob diese Frau überlebt hätte, wäre die Zufahrt für die Hilfskräfte frei gewesen. Möglich wäre es …

NADERER: … aber sie wissen es nicht. Was sie wissen, weil sie es selbst beobachtet haben, dass die Rettungsgasse ganz einfach nicht funktioniert hat.

DÜRINGER: Ich frage mich gerade, ob die Rettungsgasse überhaupt eine gute Idee ist. Ob es nicht besser wäre, so wie früher den Pannenstreifen freizuhalten?

NADERER: Herr Düringer. Was wenn aber der Pannenstreifen durch ein Fahrzeug mit Panne blockiert ist? Und ganz ehrlich, hat das mit dem Pannenstreifen damals funktioniert.

DÜRINGER: Nicht immer.

NADERER: Und warum?

DÜRINGER: Weil es immer wieder ein Arschloch gegeben hat, das sich nicht an die Regeln gehalten hat und auf dem Pannenstreifen an der stehenden Kolonne vorbeigerollt ist.

NADERER: Ja, und was passiert, sobald der erste am Pannenstreifen vorbeirauscht?

DÜRINGER: In zwei Minuten kommt der nächste und dann passiert es im Sekundentakt. Sobald einer den Bann gebrochen hat, befinden wir uns im gesetzlosen Raum.

NADERER: Und wer ist jetzt das Arschloch? Der Erste, der am Pannenstreifen überholt oder die Nachahmungstäter?

DÜRINGER: Warum der erste fährt, wissen wir ja nicht. Vielleicht ein Notfall, seine Frau liegt bereits im Kreissaal und er möchte die Geburt seines Sohnes miterleben, oder der Vater liegt im Sterben und er möchte sich noch von ihm verabschieden.

NADERER: Oder das Auto hatte eine Panne und der Flug nach Australien zur Hochzeit der Tochter hat bereits mit dem Boarding begonnen. Einigen wir uns darauf, der erste, der das Gesetz bricht, hat einen guten Grund oder er macht es ganz einfach, weil er es kann und es sich traut. Eben, weil er ein Arschloch ist! Die anderen, die seinem Beispiel folgen, aber tun es nur, weil sie glauben, sie dürfen, weil es die anderen auch machen.

DÜRINGER: Da sind wir wieder am springenden Punkt. Der Pannenstreifen ist die Möglichkeit, der erste, der die Regel bricht, ist das Arschloch und der Rest kopiert das Arschlochverhalten und fühlt sich dazu vielleicht noch berechtigt.

NADERER: Ja, aber gibts da nicht noch eine weitere Form von Arschlochverhalten. Was ist mit denen, die dann für Recht und Ordnung sorgen wollen, sich als moralische Instanz gebärden und so weit nach rechts ausscheren, um den Pannenstreifen unpassierbar zu machen und damit mit Sicherheit einen Stau am Pannenstreifen verursachen?

DÜRINGER: Aber soll man passiv bleiben? Ist es nicht wichtig sich einzumischen?

NADERER: Natürlich. Allerdings am rechten Ort zur rechten Zeit.

DÜRINGER: Und wo ist der rechte Ort, wo ist die rechte Zeit?

NADERER: Immer und überall! Wir müssten eine Gesellschaft anstreben, in der aufkeimendes Arschlochverhalten sofort und an Ort und Stelle von den anderen sanktioniert wird. In der Arschlöcher nicht nachgeahmt, sondern geächtet werden.

DÜRINGER: Würde bedeuten, der erste, der am Pannenstreifen entlangfährt, fährt alleine, keiner folgt ihm und wenn er sich wieder in die Kolonne einreihen möchte, kann er sicher sein, dass er dort eine feste Fotzn kriegen wird.

NADERER: Oder zumindest, dass ihn keiner in die Kolonne einordnen lässt und er dort steht, bis sich der Stau aufgelöst hat.

DÜRINGER: Entscheidend ist aber, dass das Arschloch alleine bleibt und keiner hinterhertrottet. Ein frommer Wunsch. Aber unrealistisch, oder?

NADERER: Absolut. Aber das wäre die Aufgabe von Politikern. Visionen zu haben, wie sich das gesellschaftliche Leben in fünfzig Jahren gestalten könnte. Nicht sollte, aber könnte. Ziel sollte es sein, dass eine Autobahn kein Tatort mehr sein darf.

DÜRINGER: Was nicht heißt, dass keine Unfälle mehr passieren können, aber dass niemand mehr Unfälle provoziert und das nicht nur auf Autobahnen, sondern überall, in allen Bereichen des Lebens.

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Heute bin ich Studiogast bei einer Aufzeichnung für eine „Pro und Contra“-Sendung zum Thema: Regieren die Banken die Welt?7

Der ehemalige Investmentbanker Rainer Voss ist einer der Diskussionsteilnehmer. Ich denke, der Mann weiß, wovon er spricht, denn er war tätig für die Deutsche Bank. Er bestätigt, was ich als außenstehender Beobachter nur vermuten kann: Es gibt da keine Verschwörung von ein paar Gangstern – auch Bankster genannt –, die nichts Besseres zu tun haben, als die Welt in einen lange geplanten Finanzcrash zu steuern, sondern es ist eine Summe von vielen menschlichen Entscheidungen innerhalb eines Systems. Es ist das ganz normale Arschlochverhalten, das von einem aus den Fugen geratenen Bankensystem unterstützt und gefördert wird. Nach der Aufzeichnung plaudern wir noch ein wenig. Er meint: „Was für mich nicht verständlich ist, warum zurzeit in Deutschland alle über die Zuwächse der AfD diskutieren, über ein paar tausend Flüchtlinge mehr oder nicht, aber kein Mensch spricht über den Zustand der Deutschen Bank. Das wäre das Einzige, was uns interessieren sollte. Wenn die Deutsche Bank kippt, wäre das in Kürze das Ende der Infrastruktur. Nicht nur in Deutschland.“ Ich lade ihn in die Sendung „Gültige Stimme“ ein und er sagt zu.