Fallen ihnen so auf die Schnelle ein paar heimische Politskandale der Vergangenheit ein? Also mir fallen da in der Sekunde ein: Der AKH-Skandal, der Lucona-Skandal, der BUWOG-Skandal, der Noricum-Skandal, der Strasser-Skandal, der Hypo-Skandal sowieso, äh, äh … jetzt müsste ich dann schon genauer nachdenken … gab es da nicht irgendeinen Skandal mit Sekanina, dem Bautenminister? Waldheim, natürlich. Meischberger. Der Schüssel-Skandal, wo Wolfgang Schüssel als Dritter, anstatt wie versprochen in die Opposition zu gehen, sich mit Haider verbündete. Wobei, wird das schon als Skandal gewertet? Sonst? Der eigentliche Skandal ist ja, wie schnell man diese medial zelebrierten Skandale zum großen Teil vergisst. Politik baut eben auch auf die Vergesslichkeit der Wähler. Googelt man „Politskandale in Österreich“ so stößt man auf eine Seite in der „Presse“. Hier werden die wichtigsten heimischen Politskandale aufgelistet. Von Mayerling bis Haider. Dazwischen der Fall Olah, die Kreisky-Wiesenthal-Affäre, Waldheim, Grasser-Homepage, der Fall Herwig Haidinger und viele andere. All diese Skandale haben eines gemeinsam, sie wurden aufgedeckt und damit öffentlich. Wäre dies nicht passiert, gäbe es auch keinen Skandal, dann wäre es politisches Tagesgeschäft. Wie hoch ist die Dunkelziffer, glauben Sie? Ähnlich wie bei den Alkoholikern dieses Landes, denke ich, oder? Aber was ist der wahre Skandal am politischen Skandal?
Nehmen wir jetzt einmal konkret den Fall Strasser. Herr Strasser war ÖVP-Innenminister von Februar 2000 bis Dezember 2004 unter der Regierung Schüssel, als solcher verantwortlich für die innere Sicherheit und Chef der Exekutive. Er wurde als ÖVP-Delegationsleiter im Europäischen Parlament wegen Bestechlichkeit vor Gericht gestellt. Er war zugleich Parlamentarier und Lobbyist, und bot als Geschäftsmodell an, für 100.000 Euro jährlich gewünschte Anträge auf Gesetzesänderungen in EU-Ausschüssen zu unterstützen. Er flog auf und trat zurück, um, wie er sagte, der Partei nicht zu schaden. Bald danach wird er zu einer unbedingten Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und so wandert unser ehemaliger Innenminister ins Gefängnis. Was für ein Skandal? Nach acht Wochen erhält er Freigang, um für eine Beraterfirma tätig zu sein. Nach sechs Monaten erhält er Fußfesseln und verlässt das Gefängnis. Was genau ist der Strasser-Skandal? Ist es die Tatsache, dass Herr Strasser bestechlich war? Es wurde viel über die Causa berichtet, Videoaufzeichnungen des Bestechungsversuchs veröffentlicht, seine faulen Ausreden abgedruckt, über den Prozess berichtet, das Urteil des Gerichts kommentiert. Ich hätte mich zum Beispiel Folgendes gefragt:
War Herr Strasser zeit seines Lebens eine ehrliche Haut und wurde er erst in Brüssel aufgrund von ungeahnten Möglichkeiten schwach und zu einem bestechlichen Büttel der Lobbyisten? Das wäre ein Skandal. Sind es die Gepflogenheiten im EU-Parlament, die aus einem redlichen Mann in kurzer Zeit einen Kriminellen machen? Das wäre erst recht ein Skandal. Oder, aber …
War Herr Strasser schon immer korrupt und damit in Brüssel, das ihm ohne Zweifel neue „Märkte“ eröffnete, gut aufgehoben? Er prahlte ja damit, schon ein gutes Netzwerk aufgebaut zu haben. Hat also ein EU-Parlamentssitz eine besondere Anziehungskraft auf Kaliber wie Strasser. Na, das wäre wirklich skandalös. Wenn dem so wäre …
Warum ist Strassers kriminelle Energie keinem seiner Parteifreunde und Freundinnen aufgefallen? Gelang es ihm über die vielen Jahre, sein wahres Gesicht so geschickt zu verbergen? Wenn ja, zeugt das nicht von schlechter Menschenkenntnis innerhalb dieser Partei. Werden Menschen, denen man ein Ministeramt anvertraut, nicht einer genauen Prüfung unterzogen. Kann es ein offenbar krimineller Geist tatsächlich zum Innenminister schaffen. Also das wäre doch wirklich ein unglaublicher Skandal. Oder aber …
War Herr Strasser mit seinem Hang zur Korruption in seiner politischen Heimat gut aufgehoben und in guter Gesellschaft. Er war nur dämlicher als andere und ließ sich dabei auch noch erwischen. Also das wäre doch in allerhöchstem Maße skandalös. Wenn es denn so gewesen wäre, versteht sich.
Die ÖVP reagierte jedenfalls mit voller Härte gegen die eigene Partei. Herr Spindelegger präsentierte der Presse einen ÖVP-Verhaltenskodex für Politiker:
Du sollt nicht stehlen, du sollst nicht lügen, du sollst nicht begehren deines Parteifreunds Tochter und keine Kinder mit ihr zeugen, du sollst bei Gesellschaftsjagden nicht wahllos auf alles feuern, was sich bewegt, du sollst keine heimischen Banken auf Geheiß von oben ohne Not verstaatlichen, du sollst nur dann die Hand aufhalten, wenn es sich auch wirklich auszahlt und du jederzeit einen Sündenbock parat hast, der dafür gerade steht.
Braucht es verpflichtende Ethik-Seminare, um Arschlöcher auf ihr Verhalten aufmerksam zu machen und sie zu integren Politikern zu machen? Ist diese Scheinheiligkeit nicht ein Skandal? Oder aber, ist nicht die Tatsache, dass die heimische Presse über diesen Verhaltenskodex überhaupt berichtet, der eigentliche Skandal. Wäre es nicht an der Zeit, dass die Pressesprecher der Parteien von den Journalisten dieses Landes in einem offenen Brief davon in Kenntnis gesetzt werden, dass sie von nun an nicht mehr über jeden Schwachsinn berichten werden, der aus den Löchern der Parteizentralen den Weg in die Gehirnwindungen der Bevölkerung sucht. So ein Brief, das wäre natürlich auch ein Skandal. Und ist nicht der größte Skandal, dass die Wählerinnen und Wähler gelernt haben, Skandale zu vergessen und ungeduldig auf neue Skandale – zum Zwecke der Unterhaltung und zum Zwecke der allgemeinen Aufregung über diese „Politikergfraster – zu hoffen? Schon bahnt sich in der Bahn der nächste „Politskandal“ an. Im verspäteten Regionalexpress Richtung Wien kommt anscheinend einiges ins Rollen.
Im REX Richtung Wien ist heute früh ganz schön was los. Man merkt, dass uns nach den Ferien der Alltag wieder eingeholt hat. Eine ganze Schulklasse hat den zweiten Wagon besetzt, es sieht nach Schulausflug aus. Kleine Rucksäcke, Kappen, Sportschuhe. Es schnattert und zwitschert. Das Lehrpersonal mahnt vereinzelt nach etwas mehr Ruhe im Zug. Mit wenig oder nur kurzem Erfolg. Der Wagen lebt. Keine Handys in der Hand, noch keine Handys, die Kinder sind noch zu klein. Kein „Heute“, kein „Österreich“, dafür viel Lachen und Aufregung. Ein kleines Abenteuer. Ein Mädchen hat Krücken dabei und trägt einen Gips. Wobei Gips heute nicht mehr aus Gips ist, sondern eine Schiene aus Kunststoff. Ihr gegenüber sitzt ein Mann, ihr Vater. Ich kenne ihn, er ist Journalist. Chefredakteur eines Wiener Stadtmagazins, jetzt gerade ist er der fürsorgliche Vater des Mädchens. Er grüßt mich, ich grüße ihn. Er erklärt, dass die Kinder der Klasse heute die ÖBB kennenlernen dürfen. Das tun sie wirklich, denn der Zug hat zehn Minuten Verspätung. Den Kindern ist es egal, der Chefredakteur und ich finden das witzig. „So lernt man die ÖBB richtig kennen, mit einer Verspätung,“ meint er. Verspätete Züge sind fixer Bestandteil des Schienenverkehrs, genauso wie Bad News fixer Bestandteil des Informationsverkehrs sind. Kurz überlege ich, ob ich den Chefredakteur mit brandaktueller Information versorgen soll, aber ich lasse es und wir führen Smalltalk. Wien West. Wir wünschen uns einen schönen Tag und ich mache mich auf den Weg zur U-Bahn.