VERSCHWÖRUNGSPRAKTIKER

Ich sehe als eines der zentralen Probleme und als eine der größten Herausforderungen, vor der wir stehen, das Problem der Fragmentierung. Wir sind, obwohl wir so vernetzt sind, und das ist das Paradox, noch nie so fragmentiert gewesen. Diese Fragmentierung ist aber auch kombiniert mit einer unglaublichen Geschwindigkeit, einem Veränderungsprozess und wir alle wissen, wenn wir zu schnell mit dem Auto fahren, verlieren wir vollkommen die periphere Wahrnehmung. Aber die Peripherie ist nicht nur der Ort, wo das Gefährliche herkommt, sondern auch das Neue … Die Polarisierung hängt auch mit diesen kleinen Echoräumen zusammen, in denen wir uns aufgrund technischer Möglichkeiten befinden, wo wir genau das hören, was wir hören wollen.20

HARALD KATZMAIR, MACHT- UND NETZWERKFORSCHER

Wer hat sich da gegen wen verschworen? Grundsätzlich wohl keiner gegen alle und nicht alle gegen einen. Nicht eine kleine Gruppe von Superreichen gegen den Rest der Menschheit. Nicht die Alternativmediziner gegen die Pharmaindustrie, nicht die Weinhändler und Bierbrauer gegen die Kiffer. Verschwörung klingt immer so nach hinter verschlossenen Türen ausgemacht und jene, gegen die – oder auch für die – die Verschwörung geplant ist, bis zur Ausführung im Dunkeln zu lassen, oder sogar die Ausführung der Verschwörung geheimzuhalten. Das klingt so, als würden sich Interessengruppen wie Parteien hinter verschlossenen Türen in Ausschüssen zusammenfinden und Gesetzesentwürfe beschließen und dann so tun, als würden sie im Plenarsaal darüber noch diskutieren. Wer an so etwas glaubt, ist wirklich nicht dicht. Natürlich kann es einmal vorkommen, dass sich ein paar Gleichgesinnte zu einer Überraschungsparty in der Wohnung des Jubilars verschworen haben. Aus meiner Sicht beruhen sämtliche gesellschaftliche Phänomene, Verzerrungen, Verwerfungen und Blasen, die wir beobachten können, nicht auf einer Gruppe von Verschwörern, sondern auf vielen einzelnen Entscheidungen von handelnden Personen in unterschiedlichen Positionen. Oberen, mittleren und letztlich auch unteren. Diese werden nicht nur unter Zwang, sondern oftmals aus vorauseilendem Gehorsam getroffen. Ein mediale Shitstorm (ein Sturm, der Scheiße aufwirbelt) ist wohl kaum von höherer Stelle befohlen. Er beruht auf selbstständigem Handeln aus Überzeugung das Richtige zu tun und ist die Summe von vielen einzelnen übel riechenden Winden. Dahinter steckt sicher keine Verschwörung oder sonst eine Weisung von oberster Stelle, auch Androhung von Gewalt ist auszuschließen, dies passiert aus sich heraus, freiwillig. Gerade das ist es, was uns zu denken geben sollte.

All jene, die an die große Weltverschwörung glauben, Verschwörung der Bilderberger gemeinsam mit den Freimaurern und den Rothschilds. An Flughafenpersonal, das bewusst Kanister mit toxischen Substanzen in Flugzeugtanks leert, um die Bevölkerung zu vergiften, an Außerirdische, die sich mit Affen gepaart haben und daraus der Mensch entstanden ist, an das Bermudadreieck und an Atlantis, eine freie Energie, die durch ein selbstgebasteltes Gerät Autos ohne Treibstoff fahren lässt, an acht Familien, die die Geschicke jedes einzelnen Menschen in ihren Händen halten, daran glauben, dass Elvis noch lebt und Hitler eigentlich Teil einer jüdischen Weltverschwörung war, sie sind nicht verrückt. Sie sind jedenfalls nicht verrückter als Menschen, die an die Genesis, Adam und Eva, die Auferstehung von Jesus Christus, die Wiederkehr des 12. Iman aus seinem Brunnen, die unsichtbare Hand der Märkte, die Sicherheit von Atommüllendlagern, oder an die Notwendigkeit von ständig wachsendem Wirtschaftswachstum glauben. Auch Menschen, die in der Vergangenheit fest davon überzeugt waren, dass die Erde eine Scheibe sei, dass einem der Ablass die Tür zum Himmeltor öffnet, Sklavenhaltung ein angeborenes Recht des weißen Mannes ist, Saddam Hussein tatsächlich im Besitz von Massenvernichtungswaffen sei und selbst Menschen, die fest daran glaubten, dass die Sänger und Sängerinnen im Musikantenstadl tatsächlich live sangen, all diese Menschen waren nicht verrückter als wir selbst. Sie waren angewiesen auf Informationen, die für sie aufbereitet wurden, um in ihnen einen Glauben entstehen zu lassen. Ein gedankliches Konstrukt, das sie eint, ihnen Gruppenidentität verschafft und ihnen als soziale Wesen so die Möglichkeit zur Interaktion gibt. Das kann, wie bei religiösen oder ideologischen Wertegesellschaften, in die man hineingeboren wird, von Außen als Denkmatrix injiziert werden, kann aber genauso auch durch das ungefilterte Aufsaugen von medial transportierten Informationen vermeintlich „selbsterworben“ werden. Je fragmentierter der Blick auf unterschiedliche Phänomene ist, umso eingeschränkter wird die Sicht. Man kann das auch als Fachidiotie oder Betriebsblindheit bezeichnen. Noch dazu wird man oft aus ökonomischen und sozialen Zwängen heraus gezwungen, diese eingeschränkte Sicht zu verteidigen.

Das Surfen im weltweiten Netz, Google und Youtube bieten uns eine Unzahl von Informationen. Hier ließe sich das ein- und dasselbe Phänomen von unterschiedlichsten Seiten beleuchten, dies aber würde zu Kopfschmerzen führen und der Verstand wüsste nicht mehr, woran er glauben sollte, er würde seinen Glauben verlieren – und das gilt es zu vermeiden. Der Verlust des Glaubens könnte allzu schnell in den Verlust des Verstands führen. Daher sorgt ein intelligent gebautes System dafür, dass sie als gewöhnlicher User im Internet, dem angeblichen Raum der Meinungsfreiheit, automatisch mit den für sie, für ihr Weltbild passenden Informationen versorgt werden und sie gleichzeitig mit „Gleichgesinnten“ vernetzt werden. Das, was sie als eine Geschichte aufschnappten, wird so zu etwas, an das sie nun glauben und ihr Glauben wird rasch zu einer Gewissheit. Das, wofür es vor der Digitalisierung der Welt viel Zeit und Aufwand, Propagandamaschinen, unglaubliche Strukturen der Macht und auch Gewalt benötigte, passiert heute in Windeseile mit wenigen Mausklicks. Die größte Dummheit wird für eine Mehrheit zu einer Gewissheit. Wenn jemand an die große Weltverschwörung glauben will, so muss er dies tun. Wenn jemand an die unsichtbare Hand des Marktes glauben will, so muss er dies tun. Wenn jemand an vegane Ernährung als Heilmittel glaubt, so muss sie dies tun. Wenn jemand an die EU als Friedensprojekt glaubt oder an den Weltfrieden, ermöglicht durch ein bedingungsloses weltweites Grundeinkommen, sie alle müssen das tun. Er oder sie sind gefangen im eigenen Denken und realen sozialen oder virtuellen asozialen Netzwerken, die dieses Weltbild noch ständig befeuern und jede Form des Umdenkens mit sozialer Ächtung abstrafen. Kommen dann noch ökonomische Abhängigkeiten und Existenzängste – die Angst um das Überleben – dazu, dann wird wild um sich geschlagen. Was auf der Strecke bleibt, ist die gegenseitige Achtung. In einer Welt der angeblichen Meinungsvielfalt wird die tatsächliche Vielfalt in klaren Grenzen gehalten, es gibt klare rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen. Gerade jene, die von der moralischen Hochebene der Weltoffenheit Toleranz predigen, sind jene, die als erste auf Ausgrenzung setzen. Auch Parteien grenzen aus. Parteien verbinden nicht, sie trennen. Die Geschichte, die sie uns erzählen wollen, formulieren sie in ihren Parteiprogrammen. Daran soll der Wähler glauben, das politische Tagesgeschäft, die Realpolitik mit all ihren Schattenseiten hat ihn nicht zu interessieren.

G!LT hat kein Programm. Was bringt ein Programm, wenn man sich nicht daran hält, so wie alle anderen Parteien auch? Wir maßen uns nicht an zu wissen, was für andere Menschen gut ist und was nicht, wir geben Meinungen keine allzu große Bedeutung, wir konzentrieren uns mit unserer Kritik nicht auf politische oder gesellschaftliche Meinungen; sondern auf das Tun und ich hoffe, dass das, was wir eines Tages tun werden, klüger ist als die Meinungen, die wir mit uns herumtragen und wo auch immer verbreiten.

Ein anderer mir bekannter Chefredakteur, Horst-Günther Fiedler, sieht das Projekt G!LT nüchterner als viele seiner Kollegen:

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Im Bundesministerium für Inneres sind aktuell über 1.000 Satzungen politischer Parteien hinterlegt. Das heißt, es gibt offiziell ebenso viele Parteien. Bedeutung davon (im Sinne von im Nationalrat vertreten, im Europäischen Parlament oder wenigstens in einem Landtag) immerhin ein Dutzend. Weitaus mehr, als ich bisher dachte. Umso mehr verwundert mich die aktuelle, stellenweise in einen soliden Kreuzzug ausgeartete mediale Erregung, weil jetzt eine dazukommt. Roland Düringer … hat eine gegründet: „Meine Stimme gilt“ möchte bei der nächsten Nationalratswahl antreten – na, mehr hat der 53-Jährige nicht gebraucht. Journalisten, Blogger, kabarettistische B-Liga-Kollegen und deren ergebene Nachheuler haben sich von der ersten Minute an auf Düringer eingeschossen. All jene, die gern und oft gegen Vorurteile predigen, haben reflexartig den heiligen Kreuzzug der Inhaber alleiniger politischer Deutungshoheit gegen den „Politclown“ mit den komischen Kugerln im Bart ausgerufen. Man setzt sich auf Halbsätze oder darauf, noch viel zu wenig vom Programm zu wissen. Und wenn alle Stricke reißen, genügt das Mantra „und überhaupt hab ich den nie lustig gefunden!“ als Lizenz zum Shitstorm. Alles in allem weder ein Ruhmesblatt für die Medien noch für die Demokratie. Denn es gibt wohl wenig, was demokratischer ist, als das Risiko einzugehen, sich mit seinen Ansichten einer Wahl zu stellen. Bitte keine Missverständnisse – ich bin kein Fan von Roland Düringers Partei, nur von seiner Schauspielkunst. Doch ich habe tiefen Respekt vor diesem Schritt …21

Werter Herr Fiedler, auch ich bin kein Fan von der Partei „Meine Stimme G!LT“, aber ich bin ein Fan von all jenen, die verstanden haben, worum es bei G!LT geht: Nämlich nicht um die Partei, sondern um uns selbst und unser Verständnis von Demokratie und Rechtsstaat und ob wir bereit sind, einen öffentlichen Diskurs darüber zu akzeptieren. Das ist die Idee hinter G!LT.