ROLLEN UND BESETZUNG

Wenn wir eine kritische Masse kritisch Denkender erreichen, dann könnte sich durchaus etwas ändern, dann würden wir auch andere Menschen erreichen, als die, die heute in der Politik sind, wobei es da auch heute schon genügend fähige Menschen gibt, aber es könnte dann Politiker geben, die dem folgen können, was sie selbst denken und nicht dem, was ihnen ein PR-Berater vorsagt.24

IRMGARD GRISS

Eine Geschichte lebt von ihren handelnden Personen. Ihr Tun, die Entscheidungen, die sie treffen, treiben die Handlung vor sich her. Meine Rolle in dieser Geschichte ist die des Autors, und auch einen Teil der Regie werde ich übernehmen und als Co-Regisseur inszeniere ich mich selbst in einer bewegenden Rolle. Als Taxler, der das Taxi in Bewegung halten soll. Die politische Partei übernimmt die Rolle des Taxis und die potentiellen Wählerinnen und Wähler übernehmen die Rolle des Treibstoffs. Wer aber können die Charaktere sein, die als Fahrgäste die Reise ins Ungewisse wagen werden. Geschichten bieten uns unterschiedliche Charaktere an, mit denen wir uns als Beobachter identifizieren sollen. Der tragische Held, der barmherzige Krieger, die aufopfernde Mutter, der junge Liebhaber, die liebreizende Prinzessin, der Killer mit dem guten Herzen und viele mehr. Sie kennen sie, sie haben ihre Geschichten schon verfolgen dürfen. Dazu braucht es natürlich all die dunklen Gestalten, die unseren Identifikationsfiguren das Leben schwer machen und an denen sie wachsen können. Die Bösewichte, die durch ihr Handeln dem Sieg des „Guten“ im Wege stehen und die es am Ende der Geschichte zu besiegen gilt. Erzählte Geschichten enden zumeist in der Regel damit, dass das Gute über das Böse siegt. Gelebte Geschichten können solche Erwartungen oft nicht erfüllen, böse Taten bleiben oftmals ungesühnt und die Ausführenden kommen damit durch. Das Leben ist eben nicht so gerecht, wie wir es uns in unseren Geschichten erträumen. In der Geschichte von G!LT gibt es keine Guten und Bösen. Es gibt uns als eine inhomogene Einheit und aus dieser gilt es stellvertretend für uns Charaktere, mit denen wir uns identifizieren können, zu extrahieren. Stellvertretend für alle Nicht-, Weiß und Protestwähler, für all jenen, die aus dem demokratischen Prozess hinausgedrängt wurden oder freiwillig ausgestiegen sind. Charaktere, die der Unzufriedenheit und den Sorgen und Ängsten ein Gesicht verleihen. Bürger und Bürgerinnen, die mit dem, was sie sind, ein realeres Bild der Bevölkerung zeichnen als unsere Berufspolitiker dies tun. Wo sitzen im Parlament die Arbeitslosen, die Obdachlosen, die Kleinunternehmer, die alleinerziehende Mutter von drei Kindern, wo sitzen die Maturanten, die Naturschützer, die chronisch Kranken, die Ausgegrenzten, die Empfänger von Mindestpensionen, wo die Systemkritiker? Sollten sie nicht als Charaktere eine Rolle spielen dürfen? Haben sie sich nicht eine Gratisfuhre mit dem Taxi verdient. Also mir sind die Ansprüche an die Charaktere, die es zu besetzen gilt, relativ klar, selbst wenn sie heute noch nicht im Detail festgelegt sind. Das Rollenprofil ist klar definiert. Bürgerinnen oder Bürger, die als Vertreter der Menschen dieses Landes ein Mandat annehmen wollen und dabei nur ihrem Gewissen verpflichtet sind. Keine Partei, kein Programm, kein Klubzwang. Menschen, die die politischen Verhältnisse aus einem anderen Blickwinkel betrachten, sich nicht mit den Informationen von inseratenfinanzierten Medien zufrieden geben, sich nicht am öffentlichen Parteienhickhack und auch nicht am inoffiziellen „Packeln“ beteiligen wollen. Bürger und Bürgerinnen, die unantastbar sind und nicht käuflich, bereit sind zu dienen und die eigenen Interessen hinten anstellen. Kein Streben nach Posten, keine Profilierungsneurosen, keine Vereinsmeierei, bereit eigene Positionen zu vertreten, aber auch auf die Befindlichkeiten der Bevölkerung zu hören. Zugleich aber den Mut zu haben, sich nicht der Mehrheitsmeinung anzubiedern.

Zu viel verlangt, meinen Sie? Eine sozialromantische Utopie? Das glaube ich nicht, ich bin fest davon überzeugt, dass es diese Frauen und Männer gibt, man wird sie nur suchen müssen. Vielleicht werden sie sich aber auch zeigen. Natürlich wird es die geben, die sich anbiedern und jene, bei denen der finanzielle Anreiz im Mittelpunkt steht. All jene muss ich enttäuschen: In dieser Geschichte ist nichts für euch zu holen. Es wartet kein Abgeordnetengehalt auf euch. Wer sich mit einem Facharbeiterlohn zufrieden gibt, bereit ist, seine gewonnenen Ansprüche mit anderen zu teilen und dieses auch beim „Casting“ vor laufender Kamera all seinen Freunden und seiner Familie verspricht, der wird dem Rollenanspruch gerecht.