GRÜN, BLAU ODER DOCH TÜRKIS

Als ich in die Schule kam, schenkten mir meine Eltern Buntstifte. Jolly-Schulstifte in einer Blechbox. Weiß, Rot, Gelb, Blau, Grün und Schwarz. Die Grundausstattung des Tafel- klasslers. Ich zeichnete und malte viel und gerne. Es dauerte nicht lange, da waren die Stifte am Ende, zu Tode gespitzt. Selbst meine kleinen Kinderhände konnten sie nicht mehr greifen. Ich benötigte neue und weil ich so ein braves Kind war – so ändern sich die Zeiten –, schenkten mir meine Eltern die unglaublich fette 36-teilige Jolly-Buntstiftbox inklusive Gold und Silber. Dazu ein dickes Flippermalbuch (das war der freundliche Delphin, der immer grinste).

Ich war also wirklich von nun an farbenfroh, man könnte auch von einem ersten Überangebot und der Qual der Wahl sprechen. Für welche Farbe soll man sich entscheiden. Welche Farbe sollte das Wasser habe. Flipper war silber und schimmerte am Rücken ein wenig golden – klar, wenn man die Möglichkeit hat. Aber das Wasser? Ist Wasser blau, leben wir wirklich an der schönen blauen Donau. Hat Wasser nicht auch etwas Grünes an sich? Ich entdecke einen Stift, der mir geeignet erscheint. Die Farbe nennt sich Türkis und Flipper scheint sich sichtlich wohl in ihr zu fühlen, er grinst wie ein lackiertes Hutschpferd. Türkis begeistert mich, es ist für mich die Neuentdeckung des Jahres. Meine Mutter steht in der Küche und kocht, ich zeige ihr das türkise Wasser. „Du Mama, schau einmal das Wasser. Weißt du, was das für eine Farbe ist?“ „Ich würd’ sagen hellblau,“ meint meine Mutter nach einem unaufgeregten Blick ins Malbuch. „Nein. Das ist Türkis.“ „Aha. Ja, eh. Es ist halt bläulich, wie Wasser so ist. Brav, schön. Sag dem Papa, wir essen bald, er soll aufdecken.“ Mein Vater sitzt im Wohnzimmer, liest die Sonntagszeitung – die gleiche, für die der junge Journalist heute arbeitet – und hört „Autofahrer unterwegs“. „Wir essen bald!“ „Fein,“ sagt mein Vater. Er faltet die Zeitung zusammen und greift nach dem Malbuch „Sehr schön, gut gemacht,“ sagt er. „Du, Papa, rate. In was für einer Farbe ist das Wasser?“ „Na ja, ich würd sagen grün. Hellgrün, so wie in der Karibik, halt.“ „Nein, bitte Papa, das ist doch Türkis,“ entgegne ich mit einem Unterton von Überlegenheit. „Aha. Ja eh. Aber da im Licht hat es Grün ausgesehen. „Die Mama sagt, das ist Blau!“ Ein wenig zündeln darf ja noch erlaubt sein. „Also Blau ist das nicht. Es ist schon mehr Grün. „Aber am Stift steht Türkis.“ „Ja eh, aber mit Grünstich“ Ich überlege: „Duhu, Papa und was wäre, wenn die Farbe überhaupt keinen Namen hätte? Dann wäre sie doch nur das, was sie ist, oder?“ „Also das ist jetzt, äh … schau, Farben haben eben Namen, und aus.“ „Warum?“ Meine Mutter kommt mit dem Suppentopf ins Wohnzimmer. „Weil das halt so ist. Weil sonst könnt man ja auch behaupten, dein blaues Wasser wäre rot.“ „Grünliches Wasser,“ merkt mein Vater an. „Türkis!!“ sage ich bestimmt und Mutter beendet die Diskussion mit einem Machtwort. „Und den Tisch aufgedeckt hat noch keiner?“ Es gibt eben Wichtigeres als Blau, Grün und Türkis.

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Ich bin zufrieden mit der Geschichte, die mir da so spontan eingefallen ist. „Verstehen sie jetzt, was ich meine? Kann man es nicht dabei belassen, dass es Türkis ist, oder gar eine Farbe, die noch keinen Namen hat?“ Der junge Mann, der das Interview mit mir führt, will es nicht dabei belassen, muss es aber nach einigem Hin und Her einfach so im Raum stehenlassen. Mehr kann ich nicht liefern. Ich bin nicht bereit, mich darauf festzulegen, ob Türkis nun aus meiner Sicht mehr Blau oder mehr Grün ist. Es ist beides zugleich.

„Nun gut, Herr Düringer, wechseln wir jetzt lieber das Thema. Kommen wir zum eigentlichen Grund des Interviews, ihre Sendung ,Gültige Stimme‘.“

Endlich! Er fragt, ich antworte. Er hat seine Sicht der Welt, ich habe meine. Es endet wieder, wo wir schon waren: Der Journalist und ich stehen bis zu den Knien im seichten türkisen Wasser und diskutieren darüber, ob es Blau oder Grün ist. Der Fotograf sitzt am Steg und fotografiert mit einem breiten Grinsen. Ich würde jetzt wirklich lieber mit dem Fotografen im Wasser stehen, ohne dabei auch nur ein Wort zu verlieren.

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Das Gespräch (das eigentlich ein Interview hätte sein sollen) ist online in der unabhängigen Qualitätszeitung erschienen. Es sind wieder einmal wirklich schöne Fotos geworden und auch der Text hat Hand und Fuß. Zu meiner Überraschung ist die Rahmenhandlung des Interviews die eigentliche Geschichte eines Gesprächs. Der junge sympathische Journalist und ich haben diese offenbar sehr ähnlich erlebt:

KUNSTPROJEKT, SPASS ODER PARTEI, WAS IST GILT?

Haben Sie vor, bei der nächsten Nationalratswahl zu kandidieren?Das kann ich nicht sagen. Ich habe jetzt einmal vor, ein Buch zu schreiben. Das heißt „Meine Stimme G!LT“, genauso wie das Projekt. Die entscheidende Frage, ob dieses Projekt überhaupt realisiert wird, oder nicht, ist, ob es 2.600 Menschen in diesem Land gibt, die am Gemeindeamt eine Unterstützungserklärung abgeben. Davon hängts ab – nicht von mir.

Was genau würde man da dann eigentlich unterstützen? Ein Parteiprogramm gibt es ja nicht.

Nein, es wird auch nie eins geben.

Wieso sollen dann zunächst einmal die 2.600 Menschen für Sie unterschreiben?

Das müssen diese 2.600 entscheiden.

Was wäre ihr Argument? Wie wollen Sie die Leute erreichen?

Ich will beim nächsten Mal in der Wahlkabine ein gutes Gefühl haben.

Ich, der Wähler, oder Ich, Roland Düringer?

Ich, Roland Düringer.

Sie merken schon, es ist schwierig. Da reden offensichtlich zwei Menschen aneinander vorbei. Das Gespräch ist zehn Minuten alt und ich weiß: Roland Düringer will, dass er bei der nächsten Nationalratswahl ein gutes Gefühl hat …

Es geht ja nicht nur um Sie. Sie wollen sich ja zur Wahl stellen und müssen hier jemanden überzeugen.

Ich stell mich nicht zur Wahl.

Also Ihre Liste stellt sich zur Wahl.

Nicht einmal das. Es geht nur darum, dass dort etwas steht.

Sie wollen gar nicht gewählt werden?

Ich? Um Gottes willen. Mich wählen? Wozu?

Eine halbe Stunde später, Roland Düringer und ich haben über die Bundespräsidentenwahl gesprochen, über seinen Plan, aus dem „Projekt“, wie er GILT nennt, einen Dokumentarfilm zu machen, und darüber, dass dabei auch die Reaktion der Medien eine Rolle spielen wird. Auch dieses Interview soll Teil davon sein, sagt er. GILT sei eben eine vollkommen neue Form der Kommunikation in einem politischen Umfeld.

Angenommen „GILT“ kommt bei der Nationalratswahl ins Parlament, ziehen Sie dann da auch ein?

Nein, der Herr Düringer ist unwählbar. Der Herr Düringer möchte etwas wählen können. Schauens mich an – ich bin doch unwählbar. Weil ich mich nicht wählen lasse.

Werden Sie auf der Liste stehen?

Ja, natürlich. Ich bin ja Parteiobmann und Listenerster.

Aber Sie sagen auch, Sie sind unwählbar, weil Sie sich nicht aufstellen lassen?

Ja, weil ich ja zurücktreten werde. Also sollte dieser absurde Fall eintreten, dass wir den Einzug schaffen, trete ich natürlich zurück.

Aha. Vierzig Minuten haben wir jetzt schon gesprochen. Das Interview sollte sich schön langsam dem Ende zuneigen, Düringer muss sich ja auch noch auf sein Kabarett vorbereiten …

… diesen Interview-Versuch, den Sie hier lesen, hätte es eigentlich gar nicht geben sollen. Nach seiner Ankündigung eine Partei zu gründen, hat Düringer alle Interviewanfragen (insgesamt 27 an der Zahl) ausgeschlagen …. Doch dieses Interview war schon länger geplant.

(Anmerkung Roland Düringer: Hier, an dieser Stelle des veröffentlichten Interviews, folgen nun die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Sendung „Gültige Stimme“, im Speziellen unsere unterschiedlichen Wahrnehmungen zu Gästen des Formats. Wir stehen jetzt im türkisen Wasser und diskutieren darüber, ob es Grün oder Blau ist. Und dann freut es mich, dass er meine Geschichte mit den Buntstiften zitiert).

„Ein Objekt kann alles sein. Eine Farbe kann alles sein. Ich habe als Kind eine kleine Jollybox bekommen, da waren sechs Buntstifte drinnen – ein schwarzer, ein roter, ein gelber, ein blauer, ein weißer und ein grüner …

Es ist jetzt 20 Minuten vor acht. Was Roland Düringer will? Das System ein bisschen aufrütteln. GILT soll da ein Diskussionsanstoß sein, sagt er noch – vielleicht reicht das ja schon als Antwort. Er scheint damit jedenfalls zufrieden zu sein …

Ja also wenn ich ehrlich bin, ich war damit zufrieden. Jemand anderer war am nächsten Tag gar nicht zufrieden: Herr Fußi. Mein Politberater. Er schickt in aller Früh eine kurze, aber sehr deutliche Botschaft an mich. „Haben wir jetzt net gsagt, wir sagen jetzt nix mehr???? Nicht gut!“25

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Ob sie es nun glauben oder nicht, ich habe jetzt einen richtigen Politikberater. Herr Rudolf Fußi. Ich habe dieser Edelprostituierten für diesen Job fünf Millionen Euro angeboten und ein bisschen was wird da sicher auch noch so, also so gehen. Ist das jetzt Spaß oder Ernst? Wer weiß? Vielleicht macht Herr Fußi das einfach, weil er es gerne macht und einen Sinn in unserem Projekt erkennen kann. Politik ist ein beinhartes Geschäft, da braucht es jemanden, der auf einen Spinner wie mich aufpasst. Fußi meint, das einzige, was diese Idee gefährden kann, bin ich. Vielleicht bin ich wirklich gefährlich. Vielleicht plane ich ja nur, aus Österreich eine Atommacht zu machen und einen Erstschlag gegen die ganze Welt auszuführen. Vielleicht wird schon in den anderen Parteizentralen über die Gefahr, die von G!LT ausgeht, heftig diskutiert. Vielleicht schmiedet Herr Kurz schon Pläne, eine Gegenbewegung gegen die Gegenbewegung G!LT auf die Beine zu stellen und sich von den Machthabern innerhalb der ÖVP zu befreien. Vielleicht spaltet sich gerade die SPÖ hinter verschlossenen Türen in ein rechtes und in ein linkes Lager und gehen auf in Blau und Grün und der Rathausplatz in Wien muss von nun an von der öffentlichen Hand gereinigt werden, weil der Bürgermeister, wie es die Tradition seit Dekaden befiehlt, nicht mehr jeden Tag mit „einem Fetzen drübergeht“. Vielleicht aber kommt auch ein russischer Oligarch und kauft dann ganz Österreich. In welcher Form auch immer, es wird wohl kein Stein auf dem anderen bleiben: Alles ist in Bewegung und G!LT will ein Teil davon sein.

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Natürlich habe ich das „Goldene Brett“ nicht gewonnen, es ging an Ryke Geerd Hamer. Es wäre ja völlig absurd gewesen. Alles in allem können aber alle zufrieden sein. Die Besucher der Veranstaltung hatten sicher ob so mancher launigen Worte über mich ihren Spaß, die Initiatoren der Veranstaltung hatten durch meine Nominierung die ihnen gebührende Aufmerksamkeit und ich kam so zu meinem ersten, und wie ich meine, letzten „Spiegel“-Interview. Martin Pfaffenzeller, vom Ressort Wissenschaft, stellte anlässlich meiner Nominierung per E-Mail vier Fragen an mich, die ich gestern im Zug nach bestem Wissen und Gewissen beantwortete.

Wie beurteilen sie ihre Nominierung zum „Goldenen Brett“? In der Begründung steht, sie geben „gefährlichen antiwissenschaftlichen Behauptungen eine große Plattform“? Wie gehen sie damit um?

„Beurteilen kann ich nur Dinge, die ich verstehe, selbst erfahren habe, oder die einen Einfluss auf meine Rundenzeit haben. Dies trifft in diesem Fall nicht zu. Ich geh damit gar nicht um, denn ich denke, es gibt Gefährlicheres als Behauptungen. Ein Rutscher übers Vorderrad beim Einlenken, das hingegen ist gefährlich, damit muss man umgehen. Entweder versuchen mit dem Knie abzufangen oder sich den physikalischen Kräften ergeben.“

Wie finden sie es, gemeinsam mit Ryke Geerd Hamer auf der Nominiertenliste zu stehen, der vermutlich für den Tod von Menschen verantwortlich ist?„Ich würde lieber mit Valentino Rossi am Siegerpodest stehen. Dazu reichen aber meine fahrerischen Qualitäten leider nicht. Schade, dass Vale nicht nominiert wurde. So ehrlich muss man sein, unter normalen Wetterbedingungen hätte ich es sicher nicht aufs Podest geschafft. Da kamen mir die widrigen Verhältnisse schon zugute. Im Rennen selbst bin ich nicht mit Ryke zusammengetroffen, mein Vorsprung war zu groß und daher ging von ihm keine wirkliche Gefahr aus.“

Einer der bekanntesten Preisträger ist der Musiker Xavier Naidoo. Was halten sie von dessen Äußerungen in den Medien und seiner Musik?

„Mir gefallen Led Zeppelin, Deep Purple, Jimmy Hendrix oder Ten Years After. Mit AC/DC im Ohr sind am Panoniaring gute 2,03er Zeiten möglich, denn ihre Musik zwingt förmlich zu aggressivem Hinausbeschleunigen am Kurvenscheitel. Xavier Naidoo werde ich mir erst nach meiner aktiven Laufbahn in dreißig Jahren beim Nordic Walking anhören. Dann werde ich vielleicht auch Zeit finden, mich mit Äußerungen anderer Personen, die ich nicht kenne, zu beschäftigen. Nächste Woche jedenfalls beginnen die ersten Fahrwerkstests für die kommende Saison. Und wie sie als Wissenschaftsreporter sicher wissen: Eine gelungene Fahrwerksabstimmung, die richtige Balance zwischen Zug und Druckstufe zu finden, das ist eine wirkliche Wissenschaft und kein pseudowissenschaftlicher Unfug wie eine Nonsensveranstaltung gegen pseudowissenschaftlichen Unfug. Hingegen von einer missglückten Fahrwerksabstimmung kann beim Anbremsen aus 320 km/h dann wirklich dein Leben abhängen.“

Was werden sie mit dem Preis anstellen, falls sie ihn bekommen sollten?

„Nachdem die Quali-Zeiten nicht so schlecht waren, bin ich fürs Rennen zuversichtlich. Anstellen möchte ich aber nichts. Meine Eltern haben immer gesagt, ich soll nichts anstellen. So will ich es auch diesmal halten. Sollte es sich um einen Geldpreis handeln, werde ich mir einen Satz Renn-Slicks (vorne soft/hinten medium) oder eine Akrapovic-Anlage darum kaufen. Sollte es sich um einen Sachpreishalten handeln, dann ist das – wie der Name schon sagt – natürlich eine andere Sache. Nachdem meine Kniepads schon wieder durchgeschliffen sind, würde ich mich über ein paar neue freuen. Sie müssen auch nicht aus Gold sein, Teflon würde reichen.“

Ob dieses Interview jemals veröffentlicht wurde, entzieht sich meiner Kenntnis, aber um ehrlich zu sein, es ist mir auch rotzi. Es gibt Wichtigeres im Leben. Und wieder frage ich mich, warum tu ich mir das an? Macht das Sinn, sind das nicht nur leere Kilometer. Kann mir das alles nicht schaden? Werfe ich damit nicht den Rest meiner künstlerischen Karriere weg? Werde ich nicht angepatzt und besudelt aus diesem Projekt hinaustreten. Verschwörungstheoretiker, Neurechter, der Idiot mit der Staniolhaube, linkspopulistischer Vasall der SPÖ, Strachekanzlermacher, Reichsbürger …

FUSSI: Haben wir nicht gesagt, wir sagen jetzt NICHTS mehr?

DÜRINGER: Ich bin eh schon fertig. Eines vielleicht noch. Falls sie sich fragen, wer steckt eigentlich nun wirklich hinter dem Projekt G!LT, so kann ich ihnen Folgendes versichern: Zum einen meine Idee und meine öffentliche Person, Walter Naderer, Landtagsabgeordneter, erster Hackler und Weltenretter mit dem Herz am rechten Fleck. Rudi Fußi, Politberater (ehemaliger, aber das weiß er noch nicht) und qualitativ hochwertiger Neokabarettist und zynischer Rächer der Enterbten. Meine geliebte Frau, die bereit ist, den ganzen Wahnsinn mit mir durchzustehen. Sie ist auch der Grund, warum ich unwählbar bin: Ich habe es ihr versprochen. Und natürlich sie liebe Leserin und sie lieber Leser, denn an ihnen wird es schließlich liegen, wie viel uns die Anliegen der Parteien zukünftig wert sein werden – oder eben nicht.

FUSSI: So, das war ein schönes Schlusswort und jetzt sagen wir dann bitte wirklich NICHTS mehr.

NADERER: Eine Frage hätte ich aber schon noch an die geneigte Leserschaft.

FUSSI: Aber bitte nur kurz, keine weiteren sozialwissenschaftlichen Aufsätze, Herr Naderer.